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Der kleine Kobold
ОглавлениеVon Bernhard Storch aus Weil
Es war einmal ein armer Kobold, der so klein und arm war, dass er sogar für sein Essen betteln musste. Eines Tages kam er, während er im Wald spazieren ging, an einen kleinen Bach. Dort sah er viele kleine Fische vergnügt umherschwimmen. Sie waren noch viel kleiner als er, aber sie hatten bestimmt immer etwas zu essen, dachte er sich. Er setzte sich an den Rand des Baches, um den Fischen zuzuschauen. Plötzlich kam eine große Kröte angekrochen. Da dachte sich der kleine Kobold: „Die ist zwar fast so klein wie ich, aber ich fühl mich doch viel wohler in meiner Koboldhaut. So wie eine Kröte, so nass und glitschig, will ich nun wirklich nicht aussehen.“
Also dachte er sich: „Gut, dass ich keine Kröte bin. Aber auch eine Kröte findet immer etwas zu essen, genauso wie die Fische. Sie muss sich nur auf die Lauer legen und schon kommt eine leckere Fliege vorbeigeflogen, die sie fangen kann. Aber ich? Wenn ich mich nur so auf die Lauer lege und warte, kommt bestimmt kein Apfel oder eine Banane herbeigeflogen, von der ich satt werden kann. Da haben es die Tiere doch wirklich viel schöner“, dachte sich der Kobold. Als er den Fischen eine Weile zugesehen hatte, bemerkte er, wie ein Fischer mit einer Angel den Weg am Bach heraufgelaufen kam. „Oh liebe Fische, schwimmt schnell weg, damit euch der Fischer nicht fangen kann“, rief der Kobold. Er sprang auf und stampfte mit den Füßen auf den Boden, sodass die Fische erschrocken davonschwammen und sich versteckten. „So, das hast du gut gemacht“, lobte er sich selber. Denn der Fischer kann jetzt keine Fische fangen, die sind ja alle weggeschwommen.
Aber er hatte nicht mit der List des Fischers gerechnet. Der nämlich wusste genau, wo sich die Fische bei Gefahr verstecken und so war es für ihn ein Leichtes, sie zu fangen. Als er aber die kleinen Fische in seinem Netz zappeln sah, sagte er: „Mei, die sind ja noch so klein, die lass ich wieder frei, damit sie noch größer werden können, dann komm ich wieder.“ Gesagt, getan, der Fischer ließ alle Fische wieder frei. Sie schwammen vergnügt davon.
Hm, dachte sich der Kobold. Vielleicht ist klein doch besser als groß. Wenn ich groß bin, ist das Leben doch viel gefährlicher. Alle wollen dann die Fische jagen und die großen Menschen haben sicher auch ihre Feinde. Aber da irrt sich der Kobold gewaltig. Nicht alle großen Lebewesen haben Feinde. Die meisten Menschen und großen Tiere haben viel Freude in ihrem Leben. Hauptsache, sie haben etwas zu essen und liebe Menschen oder Tiere um sich herum, mit denen man spielen und rumtollen kann. Die erwachsenen Menschen können ja lachen oder singen und sich Witze erzählen. „Aber wenn man eben Hunger hat, macht halt nichts so richtig Spaß“, dachte sich der kleine Kobold.
Plötzlich bog um die Ecke des Weges eine alte Frau mit einem Leiterwagen, der über und über voll von köstlichstem Obst und Gemüse war. Die alte Dame blieb genau bei dem kleinen Kobold stehen und fragte ihn, ob er denn etwas zu essen haben möchte. Sie hatte ja so viel davon und bis zum nächsten Markt, wo sie alles verkaufen wollte, war es ja noch so weit. Wenn der kleine Kobold etwas davon zu essen haben möchte, könne er sich gerne bedienen. Dann wäre der Wagen nicht mehr so schwer, und es fiele ihr dann leichter, den Wagen zu ziehen. So nahm sich der Kobold reichlich zu essen. Als er satt war, fragte er die alte Frau, ob er ihr nicht helfen solle, den Wagen zu ziehen, damit sie es leichter in die nächste Stadt hätte. Dankend nahm die Frau das Angebot an, und so machten sie sich zusammen auf den Weg.
In der Stadt angekommen, wuselte es nur so von Menschen. Der kleine Kobold kam sich ganz elend vor und hatte Angst, getreten und geschubst zu werden, weil er so leicht zu übersehen war. Das bemerkte die alte Dame und rief dem kleinen Kobold zu: „Komm auf meine Schulter, da hast du eine viel bessere Aussicht und du musst dann auch keine Angst vor den großen Menschen haben“, sagte sie. Jetzt kamen sie auf den Marktplatz. Dort gab es noch mehr Menschen und alle liefen kreuz und quer, um sich hier und da etwas von den Marktständen zu kaufen. Die alte Dame fand mit ihrem Leiterwagen noch einen schönen kleinen Platz, wo sie ihre Waren anbieten konnte. Bald war alles verkauft und die Geldbörse der alten Frau war prall gefüllt.
Da kamen plötzlich wie aus dem Nichts zwei Räuber und wollten ihr das mühsam verdiente Geld wieder abnehmen. Das bemerkte der kleine Kobold und biss dem einen Räuber so heftig ins Bein, dass der erschrocken die Geldbörse fallen ließ. Mit einer schnellen Handbewegung fing der andere Räuber darauf den kleinen Kobold ein und fesselte ihn. So konnten die Räuber in Ruhe die volle Geldbörse wieder aufheben und sich davonschleichen. Die anderen Marktbesucher hatten von dem Vorfall nämlich nichts bemerkt, weil die Kröte, die heimlich auf dem Leiterwagen mitgereist war, die Menschen abgelenkt hatte. So konnten die Männer mit der Beute unbemerkt verschwinden.
„Aber was soll das jetzt?“, dachte sich der kleine Kobold. Die olle Kröte, nicht nur hässlich, sondern auch gemein, weil sie den Räubern geholfen hat. Aber die Kröte hatte von alledem gar nichts mitbekommen. Sie war nur wie immer auf der Suche nach etwas Essbarem. Da sie ja kein Gemüse und kein Obst mag, war sie sehr hungrig geworden und sprang so vom Gemüsestand zum Fischstand, vom Fischstand zum Honighändler, vom Honighändler wieder zum Gemüsestand der alten Frau. Die Menschen auf dem Markt verfolgten die Kröte und wollten sie fangen. Manche Frauen kreischten vor Ekel. Aber das wirklich Gefährliche, die Räuber, sah keiner. Alle hatten sie irgendwie Angst vor der kleinen, hässlichen, glitschigen Kröte.
„Das war aber komisch“, dachte sich der kleine Kobold. Wenn die Menschen erst mal satt sind, dann fürchten sie sich vor Kröten und lassen die Diebe laufen. Dann aber hörten sie die Hilferufe der alten Frau und bald waren die zwei Räuber gefangen und die Beute wieder zurück zur alten Dame gebracht. „So ist das“, dachte sich der Kobold, „man darf klein sein, man darf Hunger haben, aber hässlich sein, das darf man nicht. Da spielen sonst die ganzen Menschen verrückt. Gut, dass es keine hässlichen Kobolde gibt“, dachte er sich und rieb sich seine müden Augen. „Für heute hab ich genug erlebt.“ Er kuschelte sich in die warme Decke auf dem Leiterwagen bei der lieben alten Frau und schlief ein.
Euch, liebe Kinder, nun auch eine gute Nacht und ganz viele schöne Träume.