Читать книгу Handbuch Wirtschaftsstrafrecht - Udo Wackernagel, Axel Nordemann, Jurgen Brauer - Страница 393
I. Entwicklungsgeschichte/Empirie
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Korruption hat viele Gesichter. Eine besondere Erscheinungsform der Korruption im Wirtschaftsleben ist die Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB). In der öffentlichen Wahrnehmung wächst das Bewusstsein dafür, dass nicht nur Amtsträger korrumpierbar sind, sondern ein unlauterer Einfluss auf Entscheidungen auch in der Privatwirtschaft anzutreffen ist. Mit zunehmender Privatisierung öffentlicher Aufgaben kommt – bei gleichbleibenden Verhaltensmustern der Beteiligten – der Tatbestand der „Angestelltenbestechung“ (§ 299 StGB) vermehrt in Fällen zur Anwendung, die lange unter die „klassischen“ Korruptionsstraftatbestände der §§ 331 ff. StGB zu subsumieren waren.[1] Das Phänomen „Wirtschaftskorruption“ ist aber keineswegs auf die Zusammenarbeit von Staat und Privaten zur Erbringung öffentlicher Leistungen (in Form sog. „Public Private Partnership“ [„PPP“][2]) beschränkt. Ermittlungsverfahren gegen Unternehmensmitarbeiter aus recht unterschiedlichen Geschäftszweigen haben in den letzten Jahren das Interesse der (Medien-)Öffentlichkeit auf Schmiergeldzahlungen im Inland, aber auch im transnationalen Wirtschaftsverkehr gelenkt. Betroffen sind „klassische“ Bereiche wie der Fahrzeug- und Maschinenbau („MAN“, „VW“, „Ford“, „Daimler“), das (Anlagen-)Bauwesen („Siemens“, „Ferrostaal“) und die Pharmaindustrie („Trommsdorff“, „Bayer“, „Ratiopharm“) ebenso wie Unternehmen aus anderen Branchen, die vergleichbare korruptionsanfällige Strukturen[3] (im Einkauf, im Beschaffungswesen etc.) aufweisen.[4] Hinzugekommen ist die Korruption bei der Vergabe von sportlichen Großereignissen.[5] – Prototypisch für Fälle aus dem Bereich der Wirtschaftskorruption sind heute (wie schon bei Einführung des Angestelltenbestechungstatbestandes 1909) Bestechungen im Wettbewerb mehrerer Anbieter um die Erlangung eines Auftrages.[6]
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Mit der sog. „Angestelltenbestechung“ erfasst § 299 StGB korruptive Verhaltensweisen im geschäftlichen Verkehr.[7] Die Norm wurde durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption (KorrBekG) von 1997[8] in den neuen Abschnitt „Straftaten gegen den Wettbewerb“ aufgenommen; der durch das Wettbewerbsmodell geprägte Tatbestand stellt in Abs. 1 die passive Bestechung (Bestechlichkeit), in Abs. 2 die aktive Bestechung im geschäftlichen Verkehr unter Strafe. Die Vorschrift entsprach – bei geänderter Reihenfolge der Absätze zwecks Anpassung an die §§ 331 ff. StGB[9] – bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption (KorrBekG) von 2015[10] im Wesentlichen ihrer Vorgängernorm § 12 UWG a.F.[11] Bei ihrer Auslegung ist daher die Herkunft aus dem Bereich des Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) zu beachten.[12] Mit der Übernahme in das Kernstrafrecht wollte der Gesetzgeber das Bewusstsein dafür schärfen, „dass es sich auch bei der Korruption im geschäftlichen Bereich um eine Kriminalitätsform handelt, die nicht nur die Wirtschaft selbst betrifft, sondern Ausdruck eines allgemein sozialethisch missbilligten Verhaltens ist“.[13] Inhaltlich erweiterte § 299 StGB a.F. die Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr gegenüber § 12 UWG auf Vorteile für einen Dritten; der Regelstrafrahmen wurde von einem auf drei Jahre angehoben; § 300 StGB (sah und) sieht für besonders schwere Fälle einen Regelstrafrahmen von 3 Monaten bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe vor. Aus dem absoluten Antragsdelikt des § 12 UWG wurde zudem ein relatives: § 301 Abs. 1 StGB ermöglicht(e) die Verfolgung von Amts wegen bei Bejahung eines besonderen öffentlichen Interesses. § 302 StGB verpflichtete das Gericht bei gewerbs- oder bandenmäßiger Begehung zur Anordnung des erweiterten Verfalls (§ 73d StGB a.F.). Mit Gesetz vom 22.8.2002[14] wurde § 299 StGB ein dritter Absatz hinzugefügt, der klarstellte, dass die Abs. 1 und 2 „auch für Handlungen im ausländischen Wettbewerb“ gelten.[15] Am 30.5.2007 beschloss das Bundeskabinett den Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes.[16] Das Gesetz sollte der Umsetzung verschiedener internationaler Übereinkommen dienen und beinhaltete auch Änderungen im Bereich des § 299 StGB.[17] Weil das Gesetzgebungsverfahren in der 16. Wahlperiode nicht abgeschlossen wurde, ist der Entwurf der sachlichen Diskontinuität (§ 125 GO-BT) verfallen. In der 18. Legislaturperiode hat der Gesetzgeber das Reformprojekt zwecks Umsetzung verschiedener internationaler Rechtsinstrumente im Bereich strafrechtlicher Korruptionsbekämpfung sowie einer noch effektiveren Korruptionsbekämpfung wieder aufgenommen.[18] Die mit dem KorrBekG 2015 im Bereich des § 299 StGB (als „Herz-“ bzw. „Kernstück des Reformpakets[19]) umgesetzten Änderungen beruhen weitgehend auf dem bereits in der 16. Legislaturperiode erarbeiteten Regierungsentwurf.[20] An Neuerungen ist Folgendes hervorzuheben: Mit dem Gesetz wird die bisher im Absatz 3 verankerte Erstreckung auf den ausländischen Wettbewerb in die Abs. 1 und 2 integriert, ohne damit inhaltlich etwas ändern zu wollen.[21] Zentral für die Reform im Bereich des § 299 StGB ist aber die Ergänzung der bisherigen – als Wettbewerbsvarianten ausgestalteten – beiden Absätze um jeweils eine Nr. 2, die die Pflichtverletzung der Angestellten oder Beauftragten gegenüber dem Unternehmen beim Bezug von Waren oder Dienstleistungen unter Strafe stellt (Pflichtwidrigkeitsvariante). Der Gesetzgeber hat hier – vornehmlich unter dem (Ein-)Druck des EU-Rahmenbeschluss 2003/568/JI des Rates vom 22.7.2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor – das sog. Geschäftsherrenmodell in nationales Recht umgesetzt.[22]
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Die praktische Bedeutung des § 12 UWG a.F. war gering.[23] Hinsichtlich der §§ 299, 300 StGB weist die – beim BKA als Ausgangsstatistik geführte – Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für das Berichtsjahr 2000 immerhin bereits 124 Fälle auf und für die Jahre 2002 bis 2006 jeweils zwischen 324 und 478. Bis zum Jahr 2011 sind die erfassten Fälle auf 888 angestiegen; seitdem haben die Zahlen z.T. deutlich abgenommen.[24] Einen erheblichen Anstieg bei den Straftaten nach den §§ 299 und 300 StGB verzeichnete zum Ende der 2000er-Jahre hin auch die Ausgangsstatistik „Lagebild Korruption“[25]: 1530 bzw. 1833 Taten nach § 299 StGB sowie 699 bzw. 610 nach § 300 StGB für die Jahre 2008 und 2009. Insgesamt wurden in diesen Jahren 8569 bzw. 6354 Korruptionsstraftaten statistisch erfasst. Zum Teil extreme Schwankungen in den Folgejahren[26] machen jedoch deutlich, dass sich auf Basis der Gesamtzahl der gemeldeten Straftaten keine verlässliche Trendaussage zur Entwicklung der Korruptionskriminalität treffen lässt.[27] Die – aufgrund der Verzerrungswirkung der Begleitdelinquenz (ausschließliche Erfassung des Delikts mit dem höchsten Strafrahmen) ohnehin wenig aussagekräftige – Strafverfolgungs-/Rechtspflegestatistik weist ab dem Jahr 2000 ebenfalls einen leichten Anstieg der Verurteiltenzahlen auf (34 Verurteilte nach § 299 StGB und 49 Verurteilte nach § 300 StGB im Jahr 2009 gegenüber jeweils etwa 30 Verurteilten in den Jahren 2000–2004 und einem bzw. fünf Verurteilten in den Jahren 1998 und 1999).[28] Seit Beginn der 2010er-Jahre ist aber auch hier der Trend wieder rückläufig.[29] Aus einer empirischen Untersuchung von Klug, die sich auf 151 staatsanwaltschaftliche Verfahrensakten aus dem Zeitraum 2000-2007 stützt,[30] ergibt sich, dass in 65,4 % der untersuchten Fälle die Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO (zumeist mangels Tatverdachts, teilw. aber auch wegen Verjährung) eingestellt wurden.[31] Im gerichtlichen Verfahren verhängte Freiheitsstrafen wurden in 80% der Fälle zur Bewährung ausgesetzt. Die mangelnde Effizienz des § 299 StGB führt er auf die tatbestandliche Fassung der Norm[32] und auf Beweisprobleme zurück,[33] – Ein Blick in die PKS verrät darüber hinaus, dass der „klassische“ Täter der §§ 299, 300 StGB (wie grundsätzlich auch der der neuen §§ 299a, 299b StGB) vom Profil her im Durchschnitt zwischen 40 und 60 Jahre alt, männlich und deutscher Nationalität ist.[34]
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Ob die lange Zeit deutliche Zunahme der Erfassungen in der PKS einen tatsächlichen Anstieg der Wirtschaftskorruption widerspiegelt (zuletzt allerdings wieder sinkende Zahlen), ist aber in hohem Maße ungewiss.[35] Das Dunkelfeld dürfte ein beträchtliches Ausmaß haben.[36] Immerhin ist davon auszugehen, dass der Wechsel von einem absoluten zu einem relativen Antragsdelikt durch das KorrBekG 1997 mit einer vermehrten Strafverfolgung einhergeht.[37] Denn das Interesse der betroffenen Unternehmen, einen Strafantrag zu stellen, war jedenfalls in der Vergangenheit häufig gering, da die Unternehmen – selbst wenn sie einen Großteil des Schadens tragen[38] – die mit einem Strafverfahren verbundenen negativen Folgen (Sorge vor Imageschäden, Offenlegung interner Betriebsvorgänge, Selbstbezichtigungsgefahr) fürchteten.[39] Im Rahmen verstärkter Complianceanstrengungen mag sich hier aber ein Wandel vollziehen.[40]