Читать книгу Die Weltportale (Band 3) - B. E. Pfeiffer - Страница 10
Kapitel 1
ОглавлениеBlaue Augen blickten sie liebevoll an, während sie eisige Kälte fühlte. »Es ist gut, du kannst mich loslassen«, sagte er.
»Ich will dich nicht loslassen. Niemals. Ich kann das nicht!«, brüllte sie ihn an, aber da lösten sich seine Finger bereits von ihren und er verschwand in dem Strudel aus Dunkelheit und Kälte. »Aestus! Nein!«, schrie sie und wollte ihm nach, als jemand sie an ihren Schultern packte.
»Eleonora, es war nur ein Traum«, drang ein Flüstern an ihre Ohren. »Meine Kleine, es war nur ein Traum.«
Eleonora schluchzte, während sie die Benommenheit des Schlafes ablegte. Es mochte diesmal ein Traum gewesen sein, aber was sie darin gesehen hatte, war wirklich geschehen. Aestus war vom Schatten in die Dunkelheit gezogen worden und sie hatte nur zusehen können.
Die Arme ihrer Großmutter schlossen sich um sie. Es war meistens Sarina, die in der Nacht bei ihr saß, seitdem die Lunara ihre Insel aus dem Wasser gehoben hatten. Das lag zwei Tage zurück und es fühlte sich für Eleonora wie viele Monde an. Ihr Körper kämpfte immer noch mit den Folgen all der Magie, die sie gebündelt hatte, um die Insel zu heben. Aber ihr Herz hatte den schlimmsten Kampf auszutragen.
Nicht nur, dass sie Aestus verloren hatte und ihr Herz diesen Verlust kaum ertrug. Auch Eleonoras Vater Lordor war immer noch nicht erwacht, nachdem der Schatten ihn verwundet und Dano, Eleonoras Großvater, seine Unsterblichkeit geopfert hatte, um ihn zu retten.
Der Aurone war nur noch ein Schatten seiner selbst, zitterte trotz der Wärme ständig und sprach kaum ein Wort. Sarina hatte ihr erklärt, dass er es nicht ertrug, zu fühlen, wie sein Körper Stück für Stück zu sterben begonnen hatte.
Eleonoras Mutter Athela wich nicht von Lordors Seite. All der Kummer hatte sie um Jahre altern lassen und sie schien noch zerbrechlicher als vor wenigen Tagen, während die Dunkelheit offenbar ihre Finger nach ihr ausgestreckt hatte.
Dann war da noch Eleonoras einstige Freundin und Mitschülerin Nina, die sie alle verraten hatte. Die sich dem Schatten anschloss, weil ihr Herz gebrochen war. Sie wollte mit Aestus zusammen sein und er hatte ihr erklärt, dass er für sie nur freundschaftliche Gefühle hegte.
Eleonora gab sich selbst die Schuld dafür. Sie hätte es sehen müssen. Irgendwie. Und eine Lösung gefunden. Dann wäre Aestus noch bei ihnen und der Schatten hätte nicht mit Ninas Hilfe so viele Lunara töten können, als er gekommen war, um den Mondstein zu stehlen.
Eleonora schluchzte noch einmal. »Großmutter, was soll ich nur tun? Es ist alles schiefgelaufen. Wir haben so viele Lunara verloren. Ich habe Aestus und Nina verloren und mein Vater und Großvater …« Sie schluckte, unfähig, den Gedanken, was mit ihnen geschehen könnte, fortzuführen. »Die Linien versiegen und wir finden das Portal der Lunara nicht, um Hilfe zu holen.«
»Lass mich dir helfen, Lumina!«, erklang eine Stimme, die sie ständig zu missachten versuchte.
Es war die vermeintliche Mondgöttin. Sie hatte während der Prüfungen der Lunara mit Eleonora gesprochen und ihr immer wieder erklärt, dass sie ihr helfen würde. Aber Eleonora grollte ihr. Denn als sie wirklich Hilfe gebraucht hätte, hatte diese Stimme geschwiegen.
»Wir werden dieses Portal finden, mein Kind«, murmelte ihre Großmutter Sarina an ihrem Ohr. »Du wirst es finden. Ich weiß es. Du bist noch geschwächt von dem Aufstieg, aber wenn die Sonne aufgeht, werden wir es gemeinsam versuchen. Dein Amulett wird dir beistehen.«
Eleonora schwieg und blickte auf den runden Anhänger hinab. Die Phasen des Mondes schimmerten selbst in der Dunkelheit des Raumes silbern, vom Neumond zum Vollmond und wieder zurück. Seit ihrer Geburt trug sie es und hatte lange angenommen, es wäre dem Zeitpunkt und der Sternenkonstellation zugeordnet, an dem sie das Licht der Welt erblickt hatte. Aber seit drei Monden wusste sie, dass es ein Symbol war, das vor ihr nur zwei andere Frauen getragen hatten. Es zeigte, dass sie den vier erdfremden Völkern angehörte und dazu bestimmt war, das Licht zu sein, das sich dem Schatten stellen musste.
Sie seufzte schwer und wandte ihren Blick ab. Sie würde mehr Hilfe als die des Amuletts benötigen, um ihre Aufgabe zu erfüllen.
»Ich werde dir helfen, wenn du mich lässt«, flüsterte die Mondgöttin.
»Lass mich zufrieden«, zischte Eleonora.
Sarina sah sie verwirrt an. »Entschuldige, ich …«
»Nein, nicht du, Großmutter. Vergib mir«, raunte Eleonora. »Ich höre diese Stimme in meinem Kopf. Merana meinte, es wäre die Mondgöttin.«
Sie hatte mit niemandem darüber gesprochen, außer mit Merana, der Hohepriesterin der Lunara und Schwester von Sarina, die vom Schatten getötet worden war. Zum einen, weil sie sich fürchtete, für verrückt gehalten zu werden, und zum anderen, weil sie niemanden hatte, den sie einweihen konnte. Aber ihrer Großmutter vertraute sie und deswegen erzählte sie ihr nun davon.
Sarina, die nicht überrascht schien, betrachtete ihre Enkeltochter mit ihren hellen Augen mitfühlend. Anders als die meisten Lunara war Sarina zu richtigen Gefühlen fähig. Eleonora hatte die emotionslose Art, welche die meisten Lunara zeigten, erschreckend gefunden. Selbst Hektor, mit dem sie irgendwie verwandt war und der Gefühle bei anderen wahrnehmen konnte, wirkte gefühlskalt auf sie, obwohl er sie beschützt hatte.
»Was sagt die große Göttin zu dir?«, wollte Sarina schließlich wissen.
»Dass sie mir helfen wird, wenn ich sie lasse.« Ihre Großmutter setzte bereits zu einer Erwiderung an, aber Eleonora fuhr ungerührt fort. »Ich will ihre Hilfe nicht. Als ich sie brauchte, hat sie mich im Stich gelassen. Sie hat zugelassen, dass der Schatten gemeinsam mit Nina die Lunara tötet und meinen Vater verletzt. Und Aestus …«
Sie schluckte. Zu frisch, die Erinnerung war zu frisch, zu schmerzhaft.
Sarina strich ihr über den Rücken. »Er ist nicht tot. Du fühlst ihn doch noch, oder?«
Eleonora schüttelte kaum merklich den Kopf. »Ich kann ihn seit gestern Mittag nicht mehr wahrnehmen. Ich … ich habe ihn vermutlich für immer verloren.« Sie verbarg ihr Gesicht in ihren Händen, aber keine Träne stahl sich in ihre Augen. Die Kraft, zu weinen, hatte sie längst verloren. »Ich hätte gleich versuchen müssen, ihn aus dieser Welt zu holen.«
»Das konntest du nicht«, beruhigte die Lunara sie. »Du konntest noch nicht einmal richtig heilen, Kind. Denkst du, du hättest ein Portal in die Schattenwelt öffnen und diesem Wesen in seinem Reich gegenübertreten können? Ihr wärt beide verloren gewesen.«
»Aber jetzt ist er für immer verloren!«
»Das weißt du doch nicht, Kind. Unterschätze den Jungen nicht, er ist stark und klug. Er wird dem Schatten entkommen, da bin ich sicher.« Sarina zog Eleonoras Hände von ihrem Gesicht und blickte ihr in die Augen. »Hab doch ein wenig Vertrauen. Wenn die Linien wieder Magie führen, solltest du die Auronen aufsuchen. Sie können dir helfen, in die Welt des Schattens zu gelangen und deinen Vater zu heilen.«
»Die Auronen?«, hauchte Eleonora. »Warum gerade sie?«
»Der Kristall, in dem der Schatten gefangen ist, wurde von ihnen erschaffen.« Die Lunara hob ihre Mundwinkel. »Na ja, sie hatten Hilfe, aber es war ihre Magie, die ihn verschloss. Dieses Volk ist mächtiger als jedes andere, deswegen brauchen wir es an unserer Seite. Sie können dir bestimmt sagen, wie du Aestus befreien kannst. Und Lordor ist zum Teil Aurone. Sie werden nicht zulassen, dass er der Schattenmagie zum Opfer fällt. Aber dazu müssen sie wissen, was geschehen ist, und ich bin nicht sicher, ob sie die Angelegenheiten der sterblichen Welt noch beobachten.« Sie legte eine Hand auf Eleonoras Schulter. »Du bist die Einzige, mit der sie sprechen werden, deswegen musst du zu ihnen.«
Eleonora kniff die Augenbrauen zusammen. »Weil mein Großvater seine Unsterblichkeit aufgegeben hat?«, wollte sie wissen.
»Nein, aus einem anderen Grund. Aber es steht mir nicht zu, darüber zu reden. Das muss Dano tun.« Sarina seufzte und strich Eleonora noch einmal über den Rücken. »Versuch, noch ein wenig zu schlafen. Du brauchst die Ruhe, auch wenn du unsterblich bist. Dein Körper muss den Entzug überwinden und deine Trauer fordert zu viel Kraft. Es ist ein Glück, dass du deine Lunara-Fähigkeiten benötigst, um das Portal zu finden. Denn ich befürchte, deine Auronenkräfte sind noch etwas geschwächt.«
»Wegen der Trauer«, murmelte Eleonora.
Die Auronen verknüpften ihre Kräfte mit ihren Gefühlen. Sie musste daran denken, wie sie Aestus fast umgebracht hätte, als sie ihrer Wut die Oberhand gelassen hatte. Auch das fühlte sich so ewig lange her an.
»Und wegen deiner Schuldgefühle, denn du gibst dir selbst die Schuld an allem, was geschehen ist. Aber du bist nicht schuld. Du hättest das nicht verhindern können.«
»Es ist auch wegen Lucius«, erklärte Eleonora leise.
Sie hatte eine Wahl zwischen Aestus und dem Ritter treffen müssen und sich in dem Moment gegen Lucius entschieden, als sie darum kämpfte, Aestus vor dem Schatten zu retten. Aber nachdem der Schüler mit den eisblauen Augen vom Schatten in seine Welt gezogen worden war, hatte der Ritter sie nicht im Stich gelassen. Eleonora wusste nicht, ob er sich erneut Hoffnungen machte. Sie wusste nur, dass sie ihm nicht wehtun wollte und es doch ständig tat, indem sie ihn von sich stieß. Sie ertrug es nicht, dass er sie zu trösten versuchte, wo er selbst so offensichtlich litt.
»Liebst du ihn?«, wollte Sarina plötzlich wissen.
Eleonora sah auf. »Wie könnte ich ihn nicht lieben? Aber ich hatte mich entschieden … Es wäre heuchlerisch, wenn ich jetzt so tun würde, als wäre das niemals passiert. Denn es würde bedeuten, dass ich Aestus aufgegeben hätte, und das habe ich nicht.«
Sie wusste nicht, woher, aber ihr Kampfgeist kehrte zurück. Sie spürte Aestus vielleicht nicht mehr, aber sie war sich mit einem Mal sicher, dass er noch am Leben war. Und sie würde ihn finden!
Sarina schmunzelte. »Genau das wollte ich hören. Aber … hast du Lucius das auch so erklärt?«
Eleonora nickte und dachte an das Gespräch und wie der Ritter sie dabei angesehen und ihr seine Hilfe zugesichert hatte. Sie liebte sie beide, nur auf unterschiedliche Weise. Zumindest nahm sie das an. Merana hatte ihr schließlich den Impuls geliefert, den sie gebraucht hatte, um diese Entscheidung zu treffen. Lucius war die sichere Wahl, aber Aestus brachte ihr Licht heller zum Strahlen.
Sie stieß den Atem aus. Der Gedanke, eines Tages Abschied von Lucius nehmen zu müssen, brach ihr immer noch das Herz. Aber ihr war bewusst, dass er leiden würde, wenn sie Aestus retteten …
Eleonora löste sich von ihrer Großmutter und schwang ihre Beine aus dem Bett, auf dem sie immer noch zusammen saßen.
»Was hast du vor?«, fragte Sarina, während Eleonora aufstand.
»Das Portal suchen. Die Linien werden immer schwächer und ich habe meine Trauer lange genug zugelassen. Ich muss jetzt handeln.«
»Du bist noch nicht so weit. Deine Magie …«
»Denkst du, es wird besser, wenn die Linien endgültig verschwunden sind?«, murmelte Eleonora, als sie ihren Umhang anlegte.
Aquaris lag südlich und der Winter mochte milder sein als in Eirini. Aber die Nächte fühlten sich auch hier kühl an.
»Nein«, gab Sarina zu und stand ebenfalls auf.
Sie hüllte sich in ihre Decke und blickte zu Eleonora hinab. Wie jede Lunara war sie ausgesprochen groß, überragte selbst die größten Magier um einen Kopf. Ihre Haare schimmerten weiß wie der Schnee jener Welt, aus der ihr Volk stammte, während ihre Haut gebräunt schien.
»Eleonora, vielleicht solltest du die Hilfe der Göttin annehmen«, meinte Sarina mit ernster Miene. »Du bist die Erste seit ewigen Zeiten, mit der sie spricht. Und sie will dir helfen. Sie hat dir doch bei deiner Prüfung beigestanden, nicht wahr?«
»Woher weißt du das?« Eleonora hatte das nur den Priesterinnen und Merana anvertraut. Sie alle waren vom Schatten getötet worden.
»Weil es Sinn macht. Du bist das Licht. Wenn sie jetzt mit dir spricht, hat sie dir auch bei deiner Prüfung geholfen.« Ihre Großmutter legte ihr die Hände auf die Schultern. »Ich weiß, es fällt dir schwer, aber uns läuft die Zeit tatsächlich davon. Mit ihr finden wir das Portal vermutlich deutlich schneller.«
Eleonora seufzte, bevor sie nickte. »Würdest du mir einen Moment allein geben?«, bat sie.
»Natürlich. Ich warte vor der Tür«, verabschiedete Sarina sich und verließ das Zimmer.
Eleonora verschränkte ihre Arme vor der Brust und schloss die Augen. »Du bist noch da, oder?«, flüsterte sie widerwillig.
Eigentlich wollte sie nichts von der Göttin wissen, aber ihre Großmutter hatte vermutlich recht. Nach allem, was geschehen war und ihnen noch bevorstand, würde Eleonora jede Hilfe brauchen, die sie bekommen konnte.
»Ich bin immer an deiner Seite, Lumina«, antwortete die Göttin. »Ich führe dich, wenn du es möchtest. Alles, was du tun musst, ist, dein Amulett zu halten und die Magie dich leiten zu lassen.«
»Danke«, erwiderte Eleonora. »Kannst du mir helfen, meinen Vater und Aestus zu retten?«
Schweigen senkte sich über sie und sie wollte schon schnauben, als die Göttin antwortete. »Ich werde es versuchen. Aber meine Macht ist begrenzt, Lumina. Du wirst die Königin der Auronen für dich gewinnen müssen, und das wird keine leichte Aufgabe.«
Ohne darauf einzugehen, holte Eleonora ihr Amulett unter ihrer Kleidung hervor und rümpfte die Nase. Sie hatte sich seit Tagen nicht wirklich umgezogen. Das sollte sie dringend ändern. Nachdem sie das Portal gefunden hatte.
»Bitte führe mich«, flüsterte sie und öffnete die Augen, als das Amulett in ihren Händen warm wurde und Magie sie durchströmte.