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Kapitel 10

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Als sie den Hof betrat, schimmerte das Portal in die Lunara-Welt immer noch silbern und seine Oberfläche erinnerte sie an Wasser, das sich im Wind bewegte. Mittlerweile hatten sich gut fünf Dutzend Lunara vor dem Portal versammelt und es schienen noch mehr herauszutreten.

Die meisten Lunara standen rund um den silbernen Rahmen und tauschten sich über ihr Leben in unterschiedlichen Welten aus. Nur Hektor stand weit von ihnen entfernt, kümmerte sich um Dano, der auf den Stufen kauerte und sich mit den Händen über die Arme fuhr, als würde er sonst erfrieren.

Inzwischen war der meiste Schnee geschmolzen, nur noch einige Stellen des Hofes waren von matschigem Eis bedeckt, während sich der Rest in trübe Pfützen verwandelt hatte.

Eleonora ließ ihren Blick schweifen und entdeckte Lucius ein wenig abseits, der gerade die Sättel der Flügelpferde kontrollierte. Neben zwei großen Tieren für zwei Reiter hatte er zwei kleinere für einen Reiter vorbereitet. Cerim ging ihm dabei zur Hand, nur Daphne konnte Eleonora nirgendwo entdecken.

Sie ging auf die beiden Männer zu und wartete, bis Lucius sich zu ihr umdrehte. Als er sie bemerkte, räusperte er sich und schloss zu ihr auf.

»Ich habe diese Stute für dich ausgewählt«, sagte er und deutete auf ein beinahe himmelblaues Pferd, dessen Mähne silbern glänzte. »Sie ist ein wenig ruhiger als die anderen Tiere, aber der Stallmeister versicherte mir, dass sie trotzdem schnell ist.«

Eleonora hob ihre Hand an den Hals des Pferdes und strich darüber. Die Stute schnaubte leise und fraß weiter.

»Danke, dass du dich um alles gekümmert hast.« Sie hielt ihren Blick auf das Tier gerichtet, statt Lucius anzusehen. »Ich wüsste nicht, was ich ohne deine Hilfe tun würde.«

»Gern geschehen«, erwiderte der Ritter leise. »Willst du dich noch umziehen oder soll ich alles für den Aufbruch vorbereiten?«

Sie blickte an sich hinab. Immer noch trug sie die Kleidung des Mondordens, eine dunkelblaue Hose und eine weiße Tunika, darüber einen Umhang in der Farbe ihrer Beinkleider. Jetzt sah sie doch Lucius an und stellte fest, dass er sich bereits umgezogen hatte. Er hatte die Farben von Ravenport angelegt: Schwarz und Rot.

»Denkst du, ich sollte mich umziehen?«, fragte sie unsicher.

Lucius hob die Schultern ein wenig an. »Ich denke, wenn du dich in dieser Kleidung wohlfühlst …«

Eigentlich fühlte sie sich nicht wohl. Sie hatte sich seit Tagen nicht umgezogen oder richtig gewaschen. Aber für ein Bad fehlte ihnen die Zeit und außerdem würde sie nach der Reise ohnehin erneut eines brauchen.

»Für den Flug wird es schon gehen«, murmelte sie.

Lucius ergriff zögerlich ihre Hand, als hätte er Angst, sie sonst zu verletzen. »Möchtest du über irgendetwas reden, bevor wir aufbrechen?«

Am liebsten hätte sie über alles gesprochen. Über ihre Angst um ihren Vater und Aestus, die Sorge um Dano und ihre Bedenken, ob sie die Auronen finden würden, und über die neuen Informationen zu ihrem Amulett. Stattdessen schüttelte sie den Kopf. »Danke für das Angebot, aber …«

Der Ritter ließ ihre Hand los und machte einen Schritt zurück. »Dann hole ich Dano und helfe ihm in den Sattel.«

Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit, aber vielleicht redete Eleonora sich das nur ein. Lucius hatte sie immer alles anvertrauen können, im Gegensatz zu Aestus. Der Ritter machte ihr nie Vorwürfe, war besonnen und schien alles zu verstehen, selbst das, was sie nicht aussprach.

Sie stieß den Atem aus und ging zu Cerim, um ihm zu helfen, die Satteltaschen mit Proviant, Kleidung und Waffen zu befüllen. Laut den alten Aufzeichnungen gab es einst zwei Auronenstädte: eine in der Nähe von Dragonis und eine sehr weit im Norden, in der Sandebene von Antrit. Die erste Stadt lag mit den Flügelpferden nur wenige Stunden entfernt, die andere hingegen würden sie frühestens am nächsten Abend erreichen, wenn sie sofort aufbrachen. Sie hoffte, dass Dano wusste, wo sie tatsächlich suchen mussten, und sie nicht in den Norden fliegen mussten.

Doch als Lucius mit Dano zu den Pferden zurückkehrte, zerschlug sich diese Hoffnung.

»Wir werden eine Rast einlegen müssen, da Lord Dano meinte, dass die Königin der Auronen in jener Stadt bei Antrit residiert.« Der Ritter holte tief Atem, ehe er weitersprach. »An sich würde ich vorschlagen, dass wir in Lumeno halten und die Nacht dort verbringen, aber …«

»Was ist mit der Elfensiedlung dort?«, schlug Hektor vor, der immer noch in seinen Umhang gehüllt war und zitterte. »Wäre das eine Alternative?«

»Zu nah …«, keuchte Dano.

»Ich stimme zu«, warf Lucius ein. »Goronis, die Elfensiedlung, liegt zu nah an Lumeno. Der Schatten sollte nicht wissen, wo wir uns befinden.«

Eleonora umfasste wieder ihr Amulett und strich über das Metall, das zu vibrieren schien. »Und wenn er es trotz allem weiß? Was, wenn er uns beobachtet?«

»Das würdest du fühlen«, meinte Hektor. »Du fühlst ihn in deiner Nähe wie er dich. Laut den Prophezeiungen …«

»Nicht!«, unterbrach Dano den Lunara scharf und rang dabei um Atem. »Es ist nicht dein Recht, diese Worte auszusprechen!«

»Worum geht es?«, verlangte Eleonora zu erfahren. Als weder Hektor noch Dano weitersprachen, ballte sie ihre Hände zu Fäusten. »Solltet ihr mich nicht langsam in alles einweihen?«

Ihr Großvater senkte den Blick und auch Hektor wandte sich ab.

»Denkt ihr, es wird leichter für mich, wenn ich Dinge erst nach und nach erfahre, wenn es vielleicht zu spät ist?«

»Die Entscheidungen müssen von dir getroffen werden«, murmelte Hektor. »Wenn dich jemand beeinflusst, wirst du vielleicht nicht das tun, was du vorhattest, sondern das, was du für richtig hältst, obwohl es das womöglich gar nicht ist.«

Eleonora wollte etwas sagen, doch Lucius legte eine Hand auf ihre Schulter. »Ich verstehe, dass du wütend bist, und auch ich kann nicht nachvollziehen, warum sie dir nichts sagen. Aber du wirst sie jetzt nicht dazu bringen, dich in alles einzuweihen, und wir müssen wirklich aufbrechen, wenn wir die Nacht nicht in der Wüste verbringen wollen.«

Als sie in seine Augen blickte, musste sie an die Worte denken, die Merana im Garten hinter dem Ratstempel zu ihr gesagt hatte: »Der Ritter gibt dir Sicherheit, aber der Drache lässt dein Licht heller strahlen.«

Sie schluckte. Hatten diese Worte sie in ihrer Entscheidung beeinflusst? War sie damals, als Lady Graie starb, dem Schatten in die Falle gegangen, weil Aestus’ Worte sie gekränkt hatten und sie sich selbst etwas beweisen wollte?

Sie wandte sich ihrem Großvater zu, der immer noch auf den Boden starrte. »Wer wird mich in das einweihen, was Hektor gerade angeschnitten hat?«

Dano stieß den Atem aus. »Die Königin«, sagte er leise. »Falls sie mit uns spricht.« Er hob den Kopf und sah sie erschöpft an. »Vielleicht wäre es besser, ich würde euch nicht begleiten. Denn wenn sie nicht mit dir spricht, ist es meinetwegen.«

»Aber du bist der Einzige, der uns zu ihr führen kann«, warf Eleonora ein.

»Und nur deswegen komme ich mit«, erwiderte Dano. »Aber ihr solltet in Erwägung ziehen, mich in der Wüste zurückzulassen.«

»Das kommt nicht infrage!« Eleonora schüttelte den Kopf. »Wir lassen dich nicht einfach irgendwo sitzen.«

Die anderen nickten zustimmend. Dano schwieg und ließ sich schließlich von Lucius in den Sattel helfen.

»Wo ist eigentlich Daphne?«, fragte der Ritter Cerim.

Als der Magier gerade mit den Schultern zucken wollte, kam Daphne angelaufen. Sie schleppte eine Tasche mit sich und rang um Atem, als sie die Gruppe erreichte.

»Was ist das alles?« Lucius beobachtete, wie Cerim die Tasche an Daphnes Pferd befestigte.

»Wir begegnen einer Königin und ich dachte, Eleonora sollte dann ein wenig … Nun ja … Sie sollte dann nicht unbedingt aussehen, als wäre sie gerade aus dem Bett gefallen.« Daphne schenkte Eleonora ein Lächeln. »Entschuldige, Liebes, aber du siehst im Moment nicht vorzeigbar aus.«

Hektor beugte sich zu Eleonora hinunter. »Kann es sein, dass Daphne nicht weiß, wie gefährlich die Reise ist?«

»Das ist ihre Art, mit der Angst umzugehen«, erwiderte Eleonora leise. »Es beruhigt sie, sich um so etwas zu kümmern.«

»Gefühle sind wirklich kompliziert«, meinte Hektor. »Ich glaube, ich bin froh, dass ich sie kaum selbst empfinde.«

»Manchmal wünsche ich mir das auch«, entgegnete Eleonora.

»Das solltest du nicht«, mahnte der Lunara. »Denn sie sind die Grundlage deiner Stärke.«

Eleonora nickte und sah dann verstohlen zu Lucius, der zu warten schien, bis alle anderen auf ihre Pferde aufgesessen waren, ehe er selbst aufstieg. Erst als die anderen bereit waren, schwang er sich hinter Dano in den Sattel und ergriff die Zügel seines Pferdes.

»Ich fliege voraus, Cerim übernimmt den Abschluss«, bestimmte der Ritter. »Wir werden landen, wenn die Sonne wieder sinkt, und ein Lager für die Nacht aufschlagen. Sollten wir einander verlieren, treffen wir uns spätestens im Morgengrauen in Vindu. Haltet euch unter allen Umständen von Lumeno fern und fliegt einen weiten Bogen um die Stadt. Verstanden?«

Er wartete, bis alle zugestimmt hatten, dann gab er seinem Pferd ein Zeichen und es lief los, breitete seine Flügel aus und erhob sich in die Lüfte. Eleonora folgte ihm und hinter ihr tauchte Daphne mit Hektor auf, der sich an den Knauf des Sattels klammerte.

Wind blies ihr um das Gesicht und sie schob ihre Kapuze über den Kopf, zog den Umhang enger vor ihrer Brust zusammen. Es würde kalt werden, weil immer noch Winter herrschte und die Temperaturen außerhalb von Aquaris stark abfallen würden. Einen Moment bereute sie, sich nicht eine wärmere Tunika angezogen zu haben. Doch daran ließ sich jetzt nichts mehr ändern.

Und während sie der Sonne entgegenflogen, hoffte sie, dass der Schatten sie wirklich nicht beobachtete und sie die Auronen ohne Verzögerung erreichen würden.

Die Weltportale (Band 3)

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