Читать книгу Die Weltportale (Band 3) - B. E. Pfeiffer - Страница 13

Kapitel 4

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Eleonora beobachtete Sarina, wie sie das Zepter der Wächter in ihrer Hand wog. Die Lunara wirkte tief in Gedanken versunken, während sie die Worte studierte, die Hektor aufgeschrieben hatte. Eleonora hatte sie nicht verstanden. Es war eine alte Lunara-Sprache gewesen, in welcher der Spruch verfasst worden war. Selbst Sarina schien diese nicht richtig sprechen zu können.

Die Sonne erhob sich gerade über das Schloss, als Sarina endlich aufsah und nickte. »Ich bin so weit«, verkündete sie und drehte sich zu ihrer Enkeltochter um. »Würdest du zu mir kommen?«

Eleonora fragte nicht nach dem Grund, sondern trat an die Seite der Lunara. Sie warf einen Blick zu ihren Freunden, die Dano stützten, bevor ihre Augen an Seratus hängen blieben.

Der Magierkönig wirkte noch nervöser als Sarina. Vielleicht, weil er um die Linien besorgt war. Oder weil sie einen Fehler begingen und dem Schatten so die Möglichkeit verschafften, die Welt der Lunara zu verdunkeln. Aber welche Wahl hatten sie? Die Magie würde versiegen, wenn ihnen die Lunara auf der anderen Seite des Portals nicht zu Hilfe kamen.

»Meine Kräfte sind zu schwach«, raunte Sarina ihrer Enkeltochter zu. »Ich brauche deine Magie. Denkst du, du kannst mir helfen und mir dein Licht borgen?«

»Ich werde es versuchen«, raunte Eleonora zurück und schloss ihre Augen.

Es war so leicht geworden, ihr Licht zu finden. Selbst nachdem sie unter dem Entzug der kraftvollen Magie, die sie gelenkt hatte, um die Insel zu heben, keine Zauber wirken konnte, war ihr Licht immer irgendwie da gewesen.

Das vertraute Klingeln schwoll an und als Eleonora die Lider öffnete, erstrahlte der Mondstein auf Sarinas Zepter in hellem Gold. Die Lunara murmelte die Zauberworte erst leise und berührte ein Symbol auf dem Rahmen, das ebenfalls zu leuchten begann. Sarina drehte sich, sprach die nächsten Worte lauter und ein weiteres Symbol erstrahlte.

Die Sonnenstrahlen berührten das Metall des Rahmens, der jetzt zu vibrieren begann, während ein Symbol nach dem anderen aufleuchtete.

Eleonora wusste aus irgendeinem Grund, dass nur noch ein Symbol fehlte, um das Siegel zu brechen. Sie konzentrierte sich auf ihr Licht und beobachtete ihre Großmutter, welche die Worte nun fast brüllte und sich auf das nächste Zeichen zubewegte.

Der Mondstein berührte es beinahe, als ein gewaltiger Donner erklang und sie alle von den Füßen riss.


Es dauerte einige Augenblicke, bis Eleonora wieder etwas erkennen konnte. Die Druckwelle des Donners klang noch immer in ihren Ohren und das grelle Licht, das danach aufgelodert war und sie geblendet hatte, brannte in ihren Augen.

Lucius hatte sich auf die Beine gekämpft und war zu ihr gelaufen. »Geht es dir gut?«, fragte er mit Sorge in der Stimme.

Sie hörte es kaum, doch sie nickte. »Was war das?«, brüllte sie, weil sie nicht sicher war, wie gut er sie verstehen konnte.

Der Ritter sah sich um und richtete sich zur vollen Körpergröße auf. Eleonora folgte seinem Blick und hielt den Atem an.

Sarina lag auf dem Rücken und ein Wesen, das wie ein zu klein geratener Drache aussah, saß auf ihrer Brust und hielt ihr die Spitze eines Schwertes an die Kehle.

Eleonora hob ihre Hand und stellte sich ein Seil aus Licht vor, mit dem sie das Wesen einfangen und von ihrer Großmutter herabziehen wollte. Als sie es zwischen ihren Fingern fühlen konnte, ließ sie es los und es flog auf die Kreatur zu. Doch noch bevor es in deren Nähe kam, sprang das Wesen hoch, drehte sich in der Luft und brachte ein Bein nach vorn. Eleonora wusste nicht, wie ihr geschah, als der Drache plötzlich auf ihrer Brust saß und ihr die Klinge unter die Nase hielt.

Lucius zog sein Schwert, aber das Wesen hob eine Hand und der Ritter erstarrte in seiner Bewegung, als wäre er zu Stein geworden.

Panik erfasste Eleonora. »Tu ihm nichts, bitte«, flehte sie.

Das Wesen legte den Kopf schief. Seine dunklen Augen funkelten wie flüssiger Bernstein. Es blinzelte nicht, ganz gleich, wie lange Eleonora es anstarrte. Seine Haut war schuppig und trocken. Hätte es Flügel gehabt, hätte Eleonora es tatsächlich für einen Drachen mit viel zu kurzer Schnauze halten können. Das Gesicht des Wesens erinnerte sie mehr an eine Katze als an einen Drachen. Eine ziemlich schuppige Katze.

»Wer bist du?«, fragte Eleonora mit fester Stimme. »Und wieso hast du uns angegriffen?«

Sie blickte ängstlich zu Lucius, der sich immer noch nicht rührte.

Das Wesen drehte seinen Kopf in die andere Richtung. Eleonora fragte sich, warum es überhaupt ein Schwert benutzte. Die Krallen an den drei Fingern seiner Klaue waren so scharf, dass es damit vermutlich Stein zerteilen konnte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass es in der zweiten Hand einen Hammer hielt. Wollte es jemandem den Schädel spalten?

»Viel wichtiger ist die Frage, wer du bist«, entgegnete das Wesen mit kratziger Stimme.

»Ich bin Eleonora aus dem Haus Etoille«, erwiderte das Mädchen und betrachtete das Geschöpf genauer. Beim Reden hatte es scharfe Zähne entblößt und eine purpurne Zunge hatte bei jedem Wort gezischt. Es trug einen Gürtel um die Hüfte, wobei Eleonora nicht sicher war, ob es für gewöhnlich auf zwei oder vier Beinen lief. Falls sich das Wesen auf vier Beinen fortbewegte, war der Gürtel wohl hinderlich. Aber es schien Werkzeuge daran zu befestigen, zumindest erkannte Eleonora Nägel und ihr Angreifer hielt ein Schwert und einen Hammer in seinen Klauen.

Die Kreatur starrte sie immer noch an und sagte nichts.

»Ich habe dir gesagt, wer ich bin, jetzt bist du an der Reihe«, forderte Eleonora das Wesen auf, das jetzt doch blinzelte.

Es ließ den Hammer sinken und trat einen Schritt zurück. »Warum willst du das Portal öffnen?«, fragte es, anstatt eine Antwort zu geben, und deutete auf den Rahmen, vor dem sie lagen.

»Das sage ich dir, wenn du mir endlich verrätst, wer du bist.«

Die Kreatur fauchte und entblößte ihre spitzen Zähne. »Ich antworte, wann es mir passt! Denkst du, du könntest mir Befehle erteilen?«

Das Wesen sprang von Eleonora herunter, lief auf das Portal zu und schlug mit seinem Hammer darauf. Helles Licht blendete Eleonora, die schützend ihren Arm vor Augen hielt und den Kopf zur Seite drehte.

Nachdem die Helligkeit abgeklungen war, blickte sie zu Lucius. Seine Gesichtszüge waren immer noch eingefroren. Sie wollte nach Sarina sehen, doch da bemerkte sie es: Niemand außer ihr und dem kleinen Wesen rührte sich.

»Was hast du mit meinen Freunden gemacht?«, keuchte Eleonora und kämpfte sich auf die Knie. Ihr Körper fühlte sich schwerfällig an. Ob es daran lag, dass sie Magie genutzt und nun keine Kraft mehr hatte?

»Nichts«, knurrte das seltsame Tier und zuckte mit den Schultern. »Ich habe die Zeit für sie angehalten. Für euch alle, aber bei einem Hybrid wie dir aus mehr als zwei Völkern scheint meine Magie nicht zu wirken.«

»Hybrid?« Bei dem Wort musste Eleonora schmunzeln, weil es zu komisch klang. »Ich habe einige Namen bekommen, aber das klingt … seltsam.«

Das Wesen ging nicht darauf ein, sondern baute sich vor ihr auf. Da Eleonora immer noch auf allen vieren hockte, waren ihre Augen auf derselben Höhe. Die Dunkelheit der Iriden ließ sie schauern. Sie wusste noch immer nicht, ob dieses Geschöpf ihr wohlgesonnen oder doch mit dem Schatten verbündet war.

»Ich spüre alle vier erdfremden Völker in dir. So etwas habe ich noch nie gesehen«, meinte das Wesen nachdenklich, bevor es sein Schwert wieder hob. »Sag mir, Eleonora aus dem Haus Etoille, warum willst du das Portal der Lunara öffnen?«

Eleonora warf einen Blick zu Sarina und Lucius, bevor sie tief einatmete und versuchte, nicht auf die Schwertspitze vor ihrer Nase zu starren. »Die magischen Linien wurden beschädigt und scheinen zu erlöschen. Die Lunara, die noch in dieser Welt leben, sind zu wenige und zu schwach, um sie allein zu retten. Deswegen benötigen wir die Hilfe aus der Heimat der Lunara.«

Die Kreatur neigte den Kopf, als prüfe es etwas in Eleonoras Gesicht. »Ich fühle keine Lüge an dir, aber dennoch glaube ich dir nicht. Die Lunara benötigen nur den Mondstein, um die magischen Linien zu heilen. Das sollten sie wissen und du damit auch. Immerhin stammst du von ihnen ab.«

Eleonora stieß den Atem aus. »Ich weiß erst seit etwa vier Monden, dass ich von mehr als zwei Völkern abstamme«, erwiderte sie. »Abgesehen davon ist es dem Schatten gelungen, den Stein zu stehlen, als wir die Insel der Lunara aus dem Meer gehoben haben.«

Das Wesen bleckte die Zähne und ließ den Hammer auf den Boden donnern. Eine Druckwelle blies Staub und winzige Gesteinsbrocken in Eleonoras Gesicht, während grelles Licht in ihren Augen brannte. »Dann solltet ihr das Portal erst recht nicht öffnen!«, fauchte das drachenähnliche Geschöpf. »Ihr Narren! Wenn der Schatten frei ist und den Mondstein hat, wird er diese Welt ebenso verdunkeln wie jene der Lunara!«

»Er ist nicht frei«, rechtfertigte Eleonora sich. »Er hat einen Splitter geschickt. Und meine Freundin in die Dunkelheit gestürzt, damit sie ihm hilft.« Sie schluckte die Tränen hinunter, die sich ihren Weg bahnen wollten. Jetzt war nicht die Zeit, zu weinen. »Bitte, wenn wir die Linien nicht retten, kann der Schatten sich aus dem Kristall befreien, in dem er gefangen ist. Dann sind wir alle verdammt!«

»Diese Welt ist ohnehin verloren«, schnaubte die Kreatur. »Aber zumindest kann er das Portal in seine Welt nicht öffnen. Dazu braucht er alle Artefakte, in welche ich das Siegel geteilt habe. Er wird keines finden, wenn er die Welt verdunkelt, weil ihre Magie dann erlöscht.«

»Du hast es geteilt?«

Das Wesen zischte nur als Antwort.

»Wird er auch keines finden, wenn er bereits eines besitzt?«

Die Augen des Geschöpfs verengten sich. »Er besitzt eines?«

»Vielleicht auch zwei, ich weiß nicht, ob er jenes der Lunara gefunden hat …«

Wieder fuhr der Hammer auf den Boden und diesmal riss der Wind Eleonora um. Sie landete unsanft auf der Seite und brachte ihre Arme schützend vor ihren Kopf.

»Wollt ihr wirklich alles Licht zerstören?«, brüllte das Wesen. »Wenn er zwei besitzen sollte und noch ein drittes findet, kann er die anderen beiden rufen! Wie konnte er die Bruchstücke finden? Jedes Volk hatte nur eine Aufgabe, und die lautete: Versteckt das Artefakt perfekt!«

»Bist du eine Clavema?«, fragte Eleonora, als sie es endlich erkannte. Das Wesen wusste zu viel über die Siegel und die Artefakte.

»Du tust gerade so, als wüsstest du das nicht«, meinte das fremde Geschöpf beleidigt und verschränkte seine kurzen Arme. Es legte den Kopf wieder schief, dann riss es die Augen auf. »Du wusstest es wirklich nicht!« Es hob den Hammer und Eleonora wartete bereits auf den nächsten Donnerschlag, aber er blieb aus. »Was lernt ihr heutzutage in euren Schulen, Hybridmädchen? Es gibt doch noch Schulen, oder?«

»Mein Name ist Eleonora … und ja, es gibt Schulen, aber bis zum heutigen Tag ist mir weder der Name Clavema jemals untergekommen noch hätte ich irgendwo ein Bild von jemandem wie dir gesehen. Meine Großmutter hat vorhin von deinem Volk erzählt, sonst hätte ich die Vermutung, wer du bist, gar nicht erst geäußert.«

Das Wesen funkelte sie an. »Dass die Menschen unwissend sind, ist nichts Neues. Aber du bist ein Hybrid aus den vier erdfremden Völkern. Man hätte dir all das beibringen müssen.«

Eleonora setzte sich auf und stieß den Atem aus. »Ich sagte doch schon, dass ich erst vor vier Monden erfahren habe, dass ich nicht nur von den Elfen und Magiern abstamme. Aber selbst wenn ich es gewusst hätte, hätte es nichts genützt. Falls du es nicht wissen solltest: Die Lunara und Auronen haben sich zurückgezogen. Also selbst wenn ich es gewusst hätte, es wäre niemand hier gewesen, um mich all diese Dinge zu lehren.«

Die Clavema schüttelte den Kopf und schwieg für einen kurzen Moment. »Die Welt hat sich gewandelt und dann auch wieder nicht«, murmelte sie nachdenklich und betrachtete den Hammer in ihrer Hand. »Aber du sprichst die Wahrheit und auch ich fühle, dass die Magie schwächer wird. Allerdings kann ich dich dieses Portal nicht öffnen lassen, ohne die Zustimmung der Lunara zu erbitten.«

Eleonora hob ihre Hände. »Hier im Hof befinden sich die letzten Lunara, die noch auf dieser Welt leben«, verkündete sie.

Die Clavema sah sich um und schnalzte mit der Zunge. »So wenige«, sagte sie atemlos.

»Ja. Ihre Kräfte sind geschwächt und es gab seit Jahren keine Geburten mehr«, erklärte Eleonora ungeduldig. »Lass sie erwachen. Sie werden dir bestätigen, dass sie einverstanden sind.«

Die Clavema starrte wieder auf ihren Hammer, dann nickte sie. »Also schön, Hybridmädchen. Dann werden wir das so machen.«

»Würdest du mich einfach Eleonora nennen? Hybridmädchen klingt so … Ach, nenn mich einfach Eleonora.«

Die Clavema schnalzte als Antwort wieder nur mit der Zunge, schien aber einverstanden zu sein.

»Verrätst du mir auch deinen Namen?«

Entsetzt wich das Wesen zurück. »Wir nennen unsere Namen nicht so einfach. Den Namen eines Lebewesens zu kennen, bedeutet, ihm zu vertrauen und ihm Macht über dich zu geben.«

Eleonora seufzte. Bei den Lunara waren Namen unwichtig und die Clavema hüteten ihn offenbar wie einen kostbaren Schatz. »Nun, ich habe dir meinen Namen gleich anvertraut.«

Das Wesen hob die Mundwinkel und trotz der scharfen Zähne sah es aus, als würde es lächeln. »Das war entweder sehr mutig oder sehr dumm, Hybridmädchen. Die Zeit wird es weisen.«

Bevor Eleonora etwas erwidern konnte, bewegte die Clavema ihren Hammer und Leben kehrte in alle Umstehenden zurück.

Lucius, der gerade erstarrt war, als er das Schwert gezogen hatte, verlor beinahe das Gleichgewicht und sah sich verwirrt um. Er atmete erleichtert auf, nachdem er Eleonora entdeckt hatte, und lief an ihre Seite. »Geht es dir gut? Was hat uns angegriffen?«, fragte er, ließ die Waffe in seiner Hand sinken und betrachtete Eleonora. »Du bist verletzt«, flüsterte er, zog ein Tuch aus seiner Tasche und tupfte vorsichtig ihr Gesicht ab. Sie sah die winzigen Blutstropfen auf dem weißen Stoff. Offenbar hatten die umherfliegenden Steine ihre Haut aufgerissen.

Ein Räuspern ließ Eleonora aufsehen. Die Clavema stand mit verschränkten Armen vor dem Portal. In ihren Klauen lagen der Hammer und das Schwert.

»Großmutter«, sagte Eleonora, als Sarina sich aufrichtete. »Da ist jemand, der mit den Lunara sprechen möchte.«

Lucius half Eleonora, aufzustehen und zu Sarina und Seratus zu gehen, die sich den Staub von der Kleidung klopften.

»Eine Clavema«, raunte der Magierkönig. »Ich habe nur in alten Büchern Abbildungen von diesem Volk gesehen.«

»Ich dachte, sie wären mit den Portalen verschwunden«, stimmte Sarina zu. »Was will sie?«

»Die Zustimmung der Lunara, um das Portal zu öffnen«, erklärte Eleonora leise.

Sarina warf einen Blick auf die versammelten Lunara, die das Wesen vor dem Portal unbeeindruckt musterten. »Ich rede mit ihr.«

Sie trat auf das Geschöpf zu, verneigte sich und begann, sich leise mit ihm zu unterhalten. Eleonora hörte die Worte nicht, bemerkte aber, dass die Clavema immer wieder nickte.

Nach einiger Zeit schüttelte das Wesen den Kopf. »Wenn das eure Entscheidung ist, werde ich das Portal für euch öffnen«, knurrte es.

»Hab Dank, Clavema«, sagte Sarina, die sich mittlerweile neben die Kreatur gekniet hatte.

»Bevor ich das Portal öffne, möchte ich noch einmal mit dem Hybridmädchen sprechen«, forderte die Clavema.

Eleonora sah zu ihrer Großmutter, die selbst überrascht schien.

»Gewiss«, erwiderte Sarina. »Bitte geht in den Palast, wir werden euch in Ruhe sprechen lassen.«

»Es wird nicht lange dauern«, versicherte die Clavema und lief voraus zu den Treppen.

Eleonora hob eine Augenbraue. Das Wesen schien zwar lieber auf zwei Beinen zu gehen, war jedoch auf alle viere gesunken, um schneller zu sein. Als sie der Clavema folgen wollte, bewegte sich auch Lucius. Eleonora blieb stehen und berührte ihn zögerlich am Arm. »Ich muss allein gehen«, sagte sie.

»Du solltest nichts allein machen«, erwiderte er ernst und erinnerte sie damit an ein Versprechen, das sie ihm vor wenigen Tagen gegeben hatte.

»Das ist etwas anderes. Dieses Wesen will mir etwas mitteilen. Ich gehe in keinen Kampf.«

Der Ritter presste seine Lippen zu schmalen Strichen zusammen, nickte dann aber. »Ich bin in der Nähe, falls du Hilfe benötigst.«

»Ich danke dir.«

Sie rang sich ein Lächeln ab, dann folgte sie dem Wesen in jenen Raum des Palasts, in dem das Bild der königlichen Familie hing, vor dem Seratus ihr sein Geheimnis anvertraut hatte. Trotz der gewöhnlichen Lichter, die man hier entzündet hatte, wirkte der Raum kalt und düster. Eleonora hörte das Kratzen der klauenartigen Füße der Clavema und ihre eigenen Schritte, als sie durch die verlassene Halle gingen.

Nach einiger Zeit blieb die Clavema stehen und drehte sich zu Eleonora um. Die dunklen Augen leuchteten plötzlich hellgrün und das Wesen richtete die Schuppen um seinen Hals auf. Es wirkte größer und bedrohlicher, als wollte es doch kämpfen.

»Du bist die Auserwählte, oder?«, fragte es mit kratziger Stimme.

»Du wirst schon genauer werden müssen, welche Auserwählte du meinst«, erwiderte Eleonora.

Wusste dieses Wesen auch mehr über ihre Bestimmung als sie selbst?

»Diejenige, die den Schatten endgültig bannen wird«, schnaubte die Clavema. »Als ich die Portale versiegelte, hörte ich von einer Prophezeiung, die das Schicksal aller Welten enthielt. Darin war von einer Auserwählten die Rede, die den vier erdfremden Völkern entstammt.« Sie hob ihr Kinn. »Also bist du es oder bist du es nicht?«

»Zumindest behaupten die Lunara, dass ich es bin«, erwiderte Eleonora und fühlte sich mit einem Mal mutlos.

Ob die Clavema sie für zu schwach hielt?

Das Wesen öffnete den Mund und es wirkte fast, als würde es grinsen. »Dann werden wir uns wohl öfter sehen, denn du wirst bestimmt die anderen Völker auch um Unterstützung bitten, nicht wahr?« Mit einer geschmeidigen Bewegung zog die Clavema ein kupferfarbenes Glöckchen aus ihrem Gürtel hervor und hielt es Eleonora in ihrer offenen Klaue hin. »Nimm das und rufe mich, wenn du Hilfe beim Öffnen brauchst.«

»Ich verstehe nicht … Vorhin wolltest du mich davon abhalten, die Lunara-Welt wieder mit dieser zu verbinden, und jetzt gibst du mir das, damit ich dich um Hilfe rufen kann?«

Das Wesen zuckte mit den Schultern und hob die Hand noch ein Stück weiter. »Ich habe meine Aufträge erhalten, als der Schatten befreit wurde und das dunkle Königreich sich über diese Welt gelegt hat. Meine Aufgabe lautete damals, alle Portale zu versperren und dafür zu sorgen, dass sie geschlossen bleiben. Es sei denn, die Auserwählte würde kommen und sie erneut öffnen. In dem Fall sollte ich ihr helfen.« Die Clavema trat einen Schritt näher. »Ich erfülle also nur meine Aufgabe. Und eines solltest du wissen: Mein Volk nimmt seine Verantwortung sehr ernst. Also nimm das Glöckchen und rufe mich. Manche Portale sind sogar für mich schwierig zu öffnen, obwohl ich die meisten von ihnen selbst versiegelt habe.«

Eleonora beäugte das Glöckchen misstrauisch, nahm es aber schließlich und drehte es in ihren Händen. Es war winzig klein und doch filigran gearbeitet, mit wunderschönen Verzierungen. »Ich danke dir.«

»Nichts zu danken, es ist meine Pflicht«, erklärte die Clavema noch einmal und ging an Eleonora vorbei. »Wir werden dein Licht benötigen, Hybridmädchen. Die Magie ist schon sehr schwach und die Zeit der Lunara scheint sich dem Ende zuzuneigen.«

Eleonora nickte. »Was soll ich tun?«

»Schenke mir dein Licht für einen Moment, damit ich dir helfen kann.«

Erst zögerte sie, doch dann entschied Eleonora, dass sie der Clavema vertrauen konnte. Also konzentrierte sie sich auf das Licht, bis der Hammer des Wesens golden zu leuchten begann. Die Clavema nickte und lief aus dem Saal. Eleonora folgte ihr nach draußen.

»Macht euch bereit, es könnte jetzt stürmisch werden!«, rief die Clavema und beschleunigte ihre Schritte. »Du bleibst zurück, Hybridmächen!«, forderte sie und schwang den Hammer.

Lucius war sofort an Eleonoras Seite, ergriff ihre Hand und behielt dann das Wesen mit dem leuchtenden Hammer im Blick.

Die Clavema krächzte Laute in einer kantigen Sprache, sprang auf den silbernen Rahmen und klammerte sich mit ihren Hinterbeinen fest. Der Hammer krachte auf ein Symbol nieder, bevor die Clavema auf den Boden rutschte, weitere Laute krächzte und diesmal bis zum höchsten Punkt des Bogens sprang. Ein Donner erklang und Funken sprühten, ehe das Wesen das letzte Symbol mit dem Hammer berührte.

Wind kam auf und trug die Worte der Clavema wie ein Flüstern durch den Hof, schwoll zu einem Sturm an und hüllte das Portal in Eis und Schnee.

Lucius legte einen Arm um Eleonora und schützte sie mit seinem Umhang vor der Kälte, die der Wind auch zu ihnen trug. »Was macht diese Kreatur?«, brummte der Ritter.

Eleonora hielt sich an Lucius fest, als der Wind noch stärker wurde. »Ich weiß es nicht«, gestand sie und keuchte, als der Sturm plötzlich abebbte.

Als sie den Blick hob, entdeckte sie Massen an Schnee und Eis, die den Hof bedeckten und den Winter nach Aquaris gebracht hatten. Die Clavema war verschwunden. Sie mochte klein sein, aber in dem eisigen Weiß des Schnees wäre sie mit ihrem dunklen Körper leicht auszumachen.

Eleonora sah zum Portal, das hell erleuchtet vor ihr stand. Man konnte nicht länger durch den Bogen hindurchblicken. Eine Tür aus purem Silber erhob sich vor ihnen, die vor Magie vibrierte.

»Geh, Lumina. Öffne das Tor zu meiner Welt«, flüsterte die Stimme der Mondgöttin.

Eleonora löste sich von Lucius, der sie nicht aufhielt. Eisige Kälte drang aus dem Portal und sie hielt inne, überlegte, was sie wohl erwarten würde. Doch welche Wahl blieb ihr? Sie musste dieses Tor öffnen. Also legte sie beide Hände an die riesige Klinke und drückte sie nach unten.

Die Weltportale (Band 3)

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