Читать книгу Der deutsche Napoleon-Mythos - Barbara Beßlich - Страница 15

3. Dramatische Verhüllungen des Schicksals Attila, Soliman, Yngurd und „Noch Jemand“ (1808–1817) Werner, Kleist, Körner, Kotzebue, Rückert, Müllner

Оглавление

Wie die Publizistik sich um historische und mythologische Vergleiche bemühte, um Napoleon einordnen zu können, so verschlüsselte auch die zeitgenössische Dramatik Napoleon in historischen Vergleichsfiguren. Die Geschichtsdramen spiegelten die bedrückende Gegenwart der Fremdherrschaft in die Vergangenheit. Napoleon ließ sich halbwegs gegen die Zensur gesichert und doch für alle erkennbar als Attila, den Hunnenkönig, oder Süleiman II., den Osmanenherrscher, schildern. Diese Geschichtsdramen boten zudem die Möglichkeit, in der Vergangenheit eine Geschichte zu Ende zu führen, von der man in der Gegenwart noch nicht wußte, wie sie schloß. So sind die verschlüsselten Napoleon-Dramen aus den ersten 15 Jahren des 19. Jahrhunderts immer Geschichten eines heraufziehenden Endes: Sie zeigen die letzten Tage Attilas oder Süleimans, um ein mögliches Ende Napoleons vorwegzunehmen. Die ältere Forschung hat diese verschlüsselten Napoleon-Dramen außer Acht gelassen.116 Mir scheinen sie aber ausgesprochen aufschlußreich, weil aus der verfremdenden historischen Distanz heraus der Mut zu einem eindeutigen Bild oft viel ausgeprägter ist. Darüber hinaus ist die Wahl der Vergleichsgestalten von erheblichem Aussagewert für das Napoleon-Bild der Schriftsteller.117

Der Aufstieg des Schicksalsglaubens und des Schicksalsdramas nach 1800 kann auch als Reflex auf die zeitgenössische Verunsicherung durch die napoleonische Herrschaft gedeutet werden.118 Wenn innerhalb weniger Jahre die europäischen Herrschaftsverhältnisse völlig verändert wurden durch einen einzelnen Mann, so schien dies übliche Erklärungsmuster zu sprengen. Antike Kategorien wie Moira, Tyche, Ananke oder Fatum wurden zum christlich eingebetteten „Schicksal“ umgedeutet und boten Orientierung in einem politischen Chaos. In einer kontingenten Welt kompensierte oder intensivierte der Schicksalsglauben in Anknüpfung an die Antike eine religiöse Allerklärung. Schicksal wurde zur „Metapher für unbegriffenes Geschehen der Wirklichkeit“.119 Allerdings hat die literaturwissenschaftliche Forschung die Schicksalsdramen so gut wie ausschließlich in der privaten bürgerlichen Sphäre angesiedelt. Inzest, Unheilsprophezeiung, Familienfluch, Verwandtenmord und Heimkehr wurden als Motive analysiert in Zacharias Werners Drama Der 24. Februar (1810) und in Adolph Müllners Dramen Der 29. Februar (1812) und Die Schuld (1813).120 Die durch das Schicksal determinierte Handlung rollt sich aber nicht nur im intimen bürgerlichen Rahmen romantischer Tragödien ab, sondern die als schicksalhaft interpretierte napoleonische Zeit wird in historischen Dramen auch in den öffentlich-politischen Raum gespiegelt. Dies soll im folgenden die Analyse von Zacharias Werners Attila, König der Hunnen (1808), Theodor Körners Zriny (1812) und Adolph Müllners König Yngurd (1817) zeigen. Dabei bildet das Schicksal nicht nur ein beruhigendes Deutungsmuster für das Ertragen einer Fremdherrschaft, sondern es wird auch als Drohung gegen Napoleon funktionalisiert, dergestalt, daß selbst ein Napoleon im Dienst des Schicksals stehe und untergehen werde. „Schicksal“ als Erklärung tröstet den Unterlegenen und verkleinert den Feind.

Ernst Moritz Arndt hatte Napoleon 1806 mit Attila und Dschingis Khan verglichen.121 Johannes von Müller gab 1806 anonym die Broschüre Attila, der Held des fünften Jahrhunderts heraus und verwies im Vorwort auf aktuelle Bezüge. Napoleon-Gegner benutzten gerne diese außereuropäischen Vergleiche, um Napoleons abendländischer Selbstmythisierung ein pejorativ intendiertes orientalisches Gegengewicht zu verschaffen. Auch Chateaubriand und Madame de Staël stilisierten Napoleon zu Attila. Mit Attila verband Napoleon in den Augen der Zeitgenossen der rasche militärische Erfolg eines Außenseiters, die imperialen Absichten und die beeindruckende Kraft eines Einzelnen, die Welt zu verändern. So wie in Attilas Heer Germanen kämpften, verfügte Napoleon über deutsche Rheinbund-Truppen. Auch diese Parallele wurde betont. 1808 erschien Zacharias Werners Drama Attila, König der Hunnen. Schon die Liste der dramatis personae macht einen zeitgenössischen Bezug deutlich: Napoleon erhielt von den Zeitgenossen denselben Beinamen wie „Attila, genannt die Geißel Gottes, König der Hunnen“.122 Johann Gottlieb Fichte hatte diese Antonomasie für Napoleon 1813 abgelehnt, weil sie fatalistische Ergebung in eine gottgewollte Strafe implizieren konnte.123

Die fünfaktige romantische Tragödie Werners, die Giuseppe Verdi später die Textgrundlage für seine Oper Attila bot,124 präsentierte Attilas Feldzug gegen Rom und versuchte eine christlich-mystische Deutung, warum Attila nach seinem militärisch erfolgreichen Einfall 452 n. Chr. in Oberitalien kurz vor Rom umkehrte. Die Sagen um Attilas Tod kurz nach seiner Hochzeit mit Hildegunde konkretisierte Werner zum Mord.125 Der erste Akt exponiert Attila und seine Truppen nach der Schlacht von Aquileia. Attila wird als strenger, aber gerechter Krieger eingeführt. Der zweite Akt präsentiert in Rom Attilas Gegner, in einer ersten Szene die edle Honoria und den weisen Greis Bischof Leo, in einer zweiten Szene die dekadente und intrigante Welt um Kaiser Valentinian und seine Mutter. Im dritten Akt treffen die hunnische und die römische Welt aufeinander: Aetius, Statthalter des weströmischen Reichs, verhandelt mit Attila um Roms Zukunft. Aetius erscheint als Attilas Antagonist: ebenfalls machtbewußt und kampfesstark wie Attila, aber im Unterschied zu Attila egoistisch und sich wahnhaft nach Weltruhm verzehrend. Im vierten Akt wird Aetius von Odoacer, einem Zögling Attilas, getötet. Attila, am Gipfel seines Ruhms angelangt, könnte siegreich in Rom einmarschieren, aber Bischof Leo überzeugt ihn, im Namen des christlichen Gottes von seinem Plan abzulassen. Der fünfte Akt präsentiert im katastrophischen Finale die Ermordung Attilas und seines Sohns durch seine Braut Hildegunde, die so ihren von Attila getöteten Verlobten Walter rächt.

Die Welt des Dramas ist schaurig dunkel, voller Giftmordpläne und dunkler Vorverweise auf unentrinnbare Schicksale. Attila war in Wien ein großer Bühnenerfolg.126 Nach einer breiten gedoppelten Exposition in den ersten beiden Akten, die römische und hunnische Welt noch scharf voneinander scheiden, verschränken die folgenden drei Akte die gegnerischen Sphären immer enger ineinander. Die Szenen pro Akt vermehren sich und spiegeln formal die zunehmende Intensität und Unübersichtlichkeit der Handlung. Die Einheiten von Ort und Zeit sind aufgelockert, die Hildegunden-Handlung steht unvermittelt neben dem Konflikt von Attila und Aetius, die ätherisch angedeutete Hinneigung von Attila zu Honoria wird nicht in das übrige Geschehen integriert. Viele Chorszenen, wahlweise von Druiden und Jungfrauen geraunt, prädestinierten die romantische Tragödie für Verdi geradezu zur Oper.127 Die romantische Tragödie ist versifiziert, vornehmlich im Blankvers gehalten, aber an zentralen Stellen oft metrisch differenziert durch freie Rhythmen Attilas, schwere Trochäen für Hildegunde, daktylisch gereimte Chöre. Alexandriner, Nibelungenvers und Kanzone werden ebenfalls verwendet.

Erstaunlich an Werners Tragödie ist, daß Attila keineswegs der gottlose und brutale Gewaltherrscher ist, den man vermuten mag. Vielmehr scheint Werners Attila fast noch in der aufklärerischen Tradition des edlen Wilden zu stehen. Böse erscheint hingegen die zivilisationskritisch beleuchtete dekadente römische Sphäre. Attila wird als Gottes Geißel betrachtet, als ein fast alttestamentarischer Würgeengel. Attila ist Rom verdientermaßen „gesandt zur Züchtigung“, er ist die archaische Gottesstrafe für Dekadenz.128 Attila ist frei von Egoismus und überzeugt von seiner Mission: „In zwanzig schweren Jahren | Hab’ ich gekämpft; für mich nicht, für die Welt!“129 Attilas Selbsteinschätzung steht allerdings in Konflikt mit dem Urteil des weisen Bischofs Leo. Honoria wirft die Frage nach Attilas Verantwortung und Schuld auf. Auf Honorias Frage, „wenn Geißel Gottes er – ist er dann schuldig?“, entgegnet der alte Bischof Leo:

Die Schuld ist, wenn der Mensch das Viele will;

Der Attila, er ist die Geißel Gottes,

Er will auch gnädig seyn, gerecht und gnädig

Zugleich – ein Gott seyn – darum ist er schuldig!130

Attilas Schwanken zwischen Gottes Auftrag und Selbstvergöttlichung macht ihn schuldig. Aber dies ist noch eine vergleichsweise mindere Schuld gegenüber Aetius, der für sein Fortkommen intrigiert und plant, Attila zu ermorden. Aetius führt Attila verzerrt spiegelbildlich vor, wohin die Hybris führen kann. Attila hingegen handelt auf göttliche Weisung. Leo verkündet Attila Gottes Wille: „Ich [i. e. Gott] habe Dir des Schicksals Schwert vertrauet.“131 Der Schicksalsbegriff dieses Dramas ist christlich überformt. Attila erscheint als heidnischer Vollstrecker eines christlichen Gottes: „Mein Beruf, | Mein schwerer ist es ja, die Eisengeißel | Der strafenden Gerechtigkeit zu führen!“132 Sowohl Attilas für seine Zeitgenossen unerklärlicher Aufstieg als auch sein Fall wird mit der Kategorie des gottgewollten Schicksals interpretiert und so verständlicher gemacht. Von Leo gemahnt, sich zu beherrschen, mündet das Drama in eine christliche Bekehrungsgeschichte. Attila stirbt, um sein Werk in die christlichen Hände Honorias und Leos zu legen.133

Mit dieser Selbstdisziplinierung Attilas am Ende wirkt Werners Tragödie nicht so sehr als eine einfache dramatische Spiegelung Napoleons, sondern vielmehr als ein mahnender Appell. Attila ist in diesem Drama nicht der wilde, mordende und brandschatzende Hunne, sondern ein melancholischer Herrscher, der mit seiner Rolle als „Geißel Gottes“ und Schicksalsvollstrecker nicht mehr zurechtkommt und schließlich sein Heil in der religiösen Selbstbescheidung findet. Werners Attila exerziert Napoleon vor, wie man aus der Welteroberung heraus den romantisch mystifizierten Weg zu Gott finden kann. Damit betont das Drama 1808 nicht so sehr die Gemeinsamkeiten zwischen Attila und Napoleon, sondern benutzt die Analogien, um Unterschiede deutlich zu machen.

In Kleists Hermannsschlacht (1809) besagt schon der Titel, daß der thematische Schwerpunkt auf dem Widerstand gegen eine Fremdherrschaft liegt, nicht so sehr auf einer Darstellung des Feindes selbst. Dem Partisanenkampf der Germanen gegen die Römer gilt als historisches Vorbild der Befreiungskriege Kleists Aufmerksamkeit. Im Römer Quintilius Varus läßt sich kein Abbild Napoleons erblicken. Eher wirkt er wie ein napoleonischer Statthalter, der in Spanien mit dem nationalen Widerstand zurechtkommen muß. Wenn man überhaupt eine napoleonische Figur in Kleists Drama finden möchte, ist schon eher auf Hermann selbst hinzuweisen, der sich die Taktiken der Römer geschickt zu eigen zu machen weiß. Hermann hat gleichsam von Napoleon die Propaganda und Kriegsführung gelernt und erscheint in seiner List und Tücke dem Bild sehr ähnlich, das Kleist von Napoleon in seinem Katechismus der Deutschen zeichnete.134 Den Reigen historischer Dramen, in denen Napoleon in geschichtlicher Verhüllung kritisiert wurde, setzte 1811 der italienische Romantiker Ugo Foscolo fort. Der einstige Napoleon-Verehrer veröffentlichte das Drama Aiace, in welchem der attische Held Ajax dem napoleonischen Agamemnon gegenübersteht.

Theodor Körner legte in seinem 1812 erschienenen Trauerspiel Zriny, ähnlich wie Kleist, den Schwerpunkt auf die Darstellung der geknechteten Seite. Körners Drama in fünf Aufzügen stellt die Belagerung der ungarischen Festung Sigeth im Jahre 1566 durch den osmanischen Herrscher Süleiman II. dar. Im Blankvers verfaßt, orientiert sich die Sprache in ihrem Heldenpathos an Schiller. Identifikationsfiguren sind die Ungarn um den Grafen Niklas von Zriny, die in einer aussichtlosen Situation auf Geheiß des Kaisers Maximilian II. und aus Vaterlandsliebe den militärisch überlegenen Osmanen in einer Art totalem Krieg trotzen. Am Anfang mag dies in den biblischen Spuren von David gegen Goliath angesiedelt sein, doch die Türken werden nicht durch davidische Klugheit besiegt, sondern in absoluter Opferbereitschaft zerstören die Ungarn zum Schluß lieber ihren eigenen Besitz und sich selbst, als sich lebend in die Hand des letztlich siegreichen Feindes zu geben. Der letzte Aufzug gipfelt in einem regelrechten Todesrausch.135 Körners Trauerspiel entwickelte sich im 19. Jahrhundert zum gefeierten vaterländischen Befreiungsdrama.136

Etwa zwei Drittel dieses „Durchhalte-Dramas“ gelten der Präsentation der Widerstandshelden, die sich zum Schluß gegenseitig umbringen, um nicht in die Hände des Feindes zu fallen. Ein Drittel des Dramas gilt der Schilderung der Gegenseite: Im türkischen Sultan Süleiman II., in der abendländischen Anpassung Soliman genannt, hat Körner ein verzerrtes Abbild Napoleons gezeichnet. Süleiman II. (1494–1566), der Große oder der Prächtige genannt, starb am 5. September 1566 bei der Belagerung Sigeths. Er hatte seinen Plan einer osmanischen Weltherrschaft mit so viel Konsequenz und Erfolg betrieben, daß das osmanische Reich unter ihm zu seiner höchsten Entfaltung kam. 1529 belagerte er Wien. Wie schon bei Werners Attila ist Napoleon hier wieder in Gestalt eines außereuropäischen, nicht-christlichen Gewaltherrschers porträtiert, der bestehende europäische Machtkonstellationen aushebelt.

Soliman und Zriny treffen in dem Drama niemals aufeinander. Die Welt um Zriny ist anachronistisch antifeudal gestaltet. Zriny verteilt seine Gunst nicht nach Abkunft, sondern nach militärischer Leistung: „Mir gilt ein Held mehr, als ein Fürstenmantel.“137 Soliman hingegen ist ein orientalischer Despot, der in störrischem Kindertrotz stets seinen Willen durchsetzen möchte und bei Widerspruch aus den eigenen Reihen mit Todesdrohungen winkt. Wie Napoleon stellt sich Körners Soliman in eine Reihe großer historischer Herrscher und erhebt sich noch über das Weltreich Alexanders und das römische Imperium, weil diese nicht vergleichbare Feinde wie er gehabt hätten: „Was hat denn Alexander groß gemacht, | Was hat die Welt den Römern unterworfen? | Kein Kaiser Karl stand ihnen gegenüber, | Kein La Valette wehrte ihrem Sieg.“138 Autokratisch verkündet Soliman „dem Jahrhundert mein Gesetz“.139 Wie bereits in Werners Attila wird über die Antonomasie „Geißel Gottes“ die napoleonische Deutbarkeit markiert.140 Soliman ist krank, hadert mit seiner noch verbleibenden Lebenszeit und will um jeden Preis Sigeth so schnell wie möglich erstürmen, eine Gelegenheit für Körner, auf eine Menschenverachtung hinzuweisen, die er auch in Napoleon sah. Soliman bekennt rücksichtslos: „Daß Sigeth fallen muß, weiß ich auch; | Mir aber gilt der Augenblick, und sollt’ ich | Mit Millionen Leben ihn erkaufen!“141 Als ein ungarischer Gefangener Soliman todesmutig seine Verachtung entgegenschleudert, offenbart sich Solimans kühle Herrschernatur, die nicht einzelne Menschen haßt, sondern Völker als historische Subjekte und Gegner ausmacht.142 Daß dies aber auch eine poröse Selbststilisierung Solimans ist, zeigt sich, als Zrinys Widerstand nicht weichen will. In einer Selbstansprache bekennt sich Soliman wider Willen von dem Todesmut der Gegner beeindruckt: „Bekenne dir’s, du alter, grauer Held, | auf solche Kühnheit warst du nicht bereitet.“143

Soliman versucht vergeblich, Zriny die kroatische Königskrone anzutragen, wenn dieser bereit wäre, Sigeth aufzugeben. Dem Bestechungsfolgt ein fingierter Erpressungsversuch, in dem Soliman Zriny übermitteln läßt, daß die Türken Zrinys (angeblich gefangengenommenen) Sohn bei weiterem Widerstand der Ungarn zu Tode quälen würden. Körners Soliman scheut nicht Lüge, Folter und Epressung als intrigante Mittel, um zum politischen Erfolg zu gelangen. Aus heutiger Perspektive mag aber eher Zrinys Reaktion erschrecken als Solimans Gerissenheit. Zriny läßt Soliman ausrichten: „Die Ehre gelt’ ihm mehr als eine Krone, | Das Vaterland mehr als des Sohnes Leben!“144 Zrinys alles aufs Spiel setzender Widerstand wirft den schon kranken Soliman aufs Totenbett. Im Angesicht des Todes hält Soliman Rückschau auf sein Leben und entwirft selbstherrlich das Bild eines rücksichtslosen Genies der Tat, das sich aus eigener Kraft heraus der Geschichte eingeschrieben und über das Schicksal gesiegt hat:

Ich hab gekämpft, genossen und bezwungen;

Den Augenblick hab’ ich mit Blut erkauft,

Und seine ganze Wollust ausgekostet;

Mein Thatenruf hat rings die Welt durchbebt,

Der Mitwelt Furcht und Zittern aufgedrungen,

Der Nachwelt ihre Stimme abgetrotzt

Und sich die Bahn zur Ewigkeit gebrochen!

Daß ich auf Trümmern und auf Leichen ging,

Daß ich Millionen in den Tod geschmettert,

Wenn’s mein Gelüsten galt, das mag der Wurm,

Der unter mir im Staube sich gewunden,

Der Welt erzählen; sein Gekrächz verstummt;

Das Große bleibt nur ewig, unvergessen,

und hat kein Ende in dem Grab der Welt!145

Die Verbendichte dieser Passage, in der fast jeder Vers mit einem Verbum schließt, illustriert Solimans Anspruch auf weltumspannende Handlung. Sein „Thatenruf“ kontrastiert (aus seiner Sicht) mit einer handlungsunfähigen Umwelt. Die Sorge um den Nachruhm mündet in Selbstvergöttlichung, die aber auch das Bewußtsein des erniedrigenden Endes nicht kompensieren kann. Nicht in der Schlacht, sondern psychisch vom Feind zermürbt in seinem Zelt zu sterben, demütigt Soliman. Als ein Gesandter die Nachricht von einem Etappen-Sieg der Ungarn überbringt, stirbt Soliman mit der militärischen Direktive „Stürmt! – Stürmt!“ auf den Lippen.146

Es ist aber nicht nur Zrinys Opferbereitschaft, die Solimans Tod verantwortet, sondern ein über der Handlung dräuendes Schicksal, das von den Türken ängstlich geahnt und von den Ungarn wacker beschworen wird. „Allah’s Finger“, die „Ahnung“, das „Schicksal“ und das „Geschick“ geistern als geschichsdeterminierende Macht durch Körners Drama.147 Nicht so sehr Zrinys Durchhaltewillen und Solimans Hybris bestimmen die Handlung, sondern es ist ein Gerechtigkeit übendes Schicksal, eine Nemesis, die Soliman ereilt. Soliman meint zwar, über das Schicksal gebieten zu können: „Ich darf mich nicht des Glückes Liebling schelten, | Ich hab’s mit Kraft dem Schicksal abgetrotzt, | Was es dem Bittenden verweigern wollte“.148 Aber sein Sieg über das Schicksal ist nur dilatorisch. Am Ende muß auch er dem Schicksal weichen, das ihn zum Untergang bestimmt.

Im Januar 1813 erschien eine dramatische Flugschrift August von Kotzebues mit dem barocken Titel Der Flußgott Niemen und Noch Jemand. Ein Freudenspiel in Knittelversen mit Gesang und Tanz; aufgeführt auf dem Theater zu Reval zur Feier des Freudenfestes, als die letzten Ueberreste der fliehenden Franzosen von den tapfren Russen wieder zurück über den Niemen gejagt wurden, im December 1812. Während der Aufstieg Napoleons bei seinen literarischen Gegnern gattungstypologisch Tragödien provoziert hatte, folgten Napoleons Abstieg nach seinem Rußlandfeldzug hämische Possen. Kotzebues schadenfrohes „Freudenspiel“ ist ein repräsentatives Beispiel hierfür. Napoleons Rückkehr aus Rußland wird in eine mythologische Szene gekleidet, in welcher der Flußgott Niemen Napoleon die Flußüberquerung beschwerlich macht. Napoleon selbst wird nicht namentlich genannt, sondern adverbial degradiert zu einem anonymen „Noch Jemand, ein französischer Feldherr“.149 Dieser in seiner Niederlage noch hochmütige „Noch Jemand“ muß dem Flußgott vom Brand Moskaus erzählen. Nachdem der Flußgott sich weigert, Napoleon überzusetzen, bittet Napoleon vier russische Fährleute vergebens um eine Überfahrt. „Ein Jude“ erklärt sich schließlich gegen Lohn zur Überfahrt bereit, aber bevor man beginnt, Kotzebues Antisemitismus zu registrieren, erklärt der Jude schon a parte, daß er Napoleon auf dem Fluß ertrinken lassen will. Auch in diesem kurzen 16seitigen Gebrauchstext geistert wieder der Schicksalsbegriff umher. Der Flußgott Niemen blickt zurück, wie Napoleon „mit Fortunens Rade | Freiheit und Tugend so lange zermalmt“ hat. Napoleon hatte vor dem Feldzug verkündet: „Das Schicksal Rußlands wird’ erfüllet“, worauf der Flußgott nach dem Feldzug resümiert: „Das Schicksal ist so übel nicht.“150 Nach der Völkerschlacht bei Leipzig ließ Kotzebue eine Fortsetzung erscheinen: Noch Jemands Reise-Abenteuer. Eine heroische Tragi-Komödie, in der Napoleon von den Geistern Rübezahls, Gustav Adolfs, Libussas, des von Napoleon hingerichteten Buchhändlers Palm und Andreas Hofers heimgesucht wird.151

Friedrich Rückert hat die Befreiungskriege nicht nur mit seinen Geharnischten Sonetten begleitet, sondern auch eine allegorische Komödie gegen Napoleon unter seinem sprechenden Pseudonym Freimund Reimar veröffentlicht. Geplant hatte Rückert drei Teile, erschienen sind zwei Einakter: 1815 Napoleon und der Drache, 1818 Napoleon und seine Fortuna. Die Komödie spöttelt nicht nur über Napoleon, sondern rechnet auch mit dem Schicksalsdrama ab, kann also sowohl als eine Politik- als auch als eine Literatursatire verstanden werden. Napoleon und der Drache erläutert Napoleons Aufstieg in allegorischen Bildern: „Der Geist der Zeit“ unterhält sich mit „Korsika, einem Weibsbild“. „Der Geist der Zeit“ erklärt Korsika ihren Traum, in dem sie einen Vulkan geboren hatte, als eine Vorausdeutung auf Napoleons Erscheinen. Träume wie dieser werden mit Orakeln, Gestirnständen und Ahnungen abgeglichen, ein persiflierender Seitenhieb auf die Bedeutung, die solchen Aspekten im Schicksalsdrama zugemessen wurden. Die Revolution wird von einem Drachen verkörpert, der von „Freiheit“ und „Gleichheit“, „zwey Dirnen“, mit bourbonischen Lilien gefüttert wird. Napoleon erscheint, um Frankreich von diesem Drachen zu erlösen. Er stilisiert sich als ein Bote des Schicksals: Es „hat mich übers Meer gesendet, euch zur Rettung das Geschick, | Daß ihr ihm und mir vertrauet, weil ich dessen Diener bin.“152 Napoleon hext den Drachen auf Wurmesgröße, ißt ihn auf und kommentiert dies: „Hiermit bracht’ ich die französche[!] Revolution zum Ziel.“153 Allein, die Revolution bereitet Napoleon gewisse Verdauungsprobleme, und ihm ist nach Feuerspeien zumute. Napoleon verlagert die verinnerlichte revolutionäre Kraft von der Innen- in die Außenpolitik.154

Der zweite Teil der allegorischen „politischen Komödie“ intensiviert den Bezug zur Schicksalsthematik, sind doch Napoleon und seine Fortuna verheiratet. Das Unheil nimmt allerdings seinen Lauf, als er Fortuna verläßt, um mit „Stand“ einen Sohn namens „Ruhm“ zu zeugen, zur Welt gebracht von der mit französischem Akzent sprechenden „Hebamme Politik“. Fortan spinnt Fortuna nicht mehr am Glücksfaden Napoleons. Napoleon sagt sich von seinem Glück in einem Brief los. Napoleon schreibt Fortuna:

Ich konnte, trotz all deinem Spinnen,

Doch keinen Namen mir gewinnen,

Als daß die Welt mich hinterrücks

Stets nur nannt’ einen Mann des Glücks.

[…]

Nun will ich anders seyn genannt,

Kein Mann des Glücks, ein Mann von Stand.155

Das Verlangen nach Stand und Ruhm bringt Napoleon keinen Erfolg. Europa kehrt sich von ihm ab. Am Ende von Rückerts Einakter ruft Napoleon verzweifelt nach seiner Fortuna, die bleich erscheint. Mittlerweile spinnt sie an ihrem eigenen Leichentuch und kann Napoleon nicht mehr helfen: „Für dich lief meine Spule ab, durch deine Schuld.“156 Napoleon endet in Schmach und Elend, Fortuna läßt ihm nicht einmal ein Büschel ihres Haares, an dem sich Napoleon zu erdrosseln gedachte. Rückerts allegorisches Feuerwerk gewinnt seinen Reiz durch die doppelte politische wie ästhetische Stoßrichtung. Die Schicksalstümelei des deutschen Dramas wird mindestens ebenso scharf kritisiert wie der mittlerweile nach St. Helena verbannte Napoleon.

Rückerts Kritik hielt die Schicksalsdramatiker allerdings nicht davon ab, sich weiter in dunklen Farben Napoleons Fatum anzunehmen. 1817 erschien Adolph Müllners Drama König Yngurd; entstanden war es 1815, „in den letzten Monden einer heroisch-tragischen Geschichtsepoche“.157 Carl Maria von Weber komponierte eine Bühnenmusik, Karl Friedrich Schinkel entwarf das Bühnenbild. Das fünfaktige Trauerspiel ist in Norwegen in der „fabelhafte[n] Heldenzeit des Norden […] 900 bis 1000 Jahr vor der christlichen Zeitrechnung“ angesiedelt.158 Zumeist im Blankvers gehalten, setzt Müllner Reime ein, um entscheidende Stellen zu betonen. Das Drama schildert das tragische Ende von Yngurd, der, als Sohn von Bauern geboren, schließlich durch militärische Erfolge und die Hand der Königstochter zum König der Normannen aufstieg. Die Legitimität nicht monarchisch vererbter Herrschaft steht zur Debatte. Yngurd ist kein Schurke, aber das Schicksal scheint gegen ihn als Herrscher zu agieren. Zwar meinen seine Gegner, Yngurd sei ein Auserwählter des Schicksals;159 aber diese Fremdwahrnehmung täuscht. Vorbedeutende Träume, Kometen, Meteore und Blitzeinschläge bezeugen, daß Yngurds Herrschaft nicht mit dem Schicksal im Reinen ist.

Yngurd selbst ist weit entfernt von der Bösartigkeit und Hintertriebenheit, mit der Körner seinen Soliman ausgestattet hatte. Aber das Volk liebt ihn nicht, und seine Gefolgsleute verraten ihn und laufen zum Feind über.160 Als er des Verrats gewahr wird, ruft Yngurd in seiner Verzweiflung schließlich Satan um Hilfe an. Dies ist eine Affekthandlung, die er bald bereut, aber er siegt nun wider Willen im Kampf mit Satans Hilfe. Gegenüber seiner Gattin reflektiert Yngurd diesen zweifelhaften Sieg:

[…] Den Satan rief ich an um Sieg;

Er gab ihn mir, wie Satan pflegt zu geben:

Den Namen statt der Sache, um das Haupt

Den Lorbeer, um die Brust der Schlange Knoten.

[…]

Die Menschheit stand mir feindlich gegenüber.

Mit ihr, so wähnt’ ich, hatt’ ich’s auszufechten,

Mit ihr um Egrösunds Verrath zu rechten,

Und um des Normanns unbeständg’en Sinn,

Der darin nur beharrlich ist, zu merken,

Daß ich aus niederm Stamm entsprossen bin,

Und daß mein Recht beruht in meinen Werken.161

Auch mit der Königsherrschaft hat Yngurd nur „den Namen statt der Sache“. Das Gottengnadentum hat ihm immer gefehlt. Militärischer Erfolg bringt zwar dem „Haupt | Den Lorbeer“, aber Verdienst der „Werke“ genügt in dieser dunklen nordischen Mythenwelt von Müllners Drama nicht, um legitimer Herrscher zu sein. Yngurd fordert das Schicksal heraus und unterliegt. Müllner läßt seinen Protagonisten langsam dies einsehen. Zu Beginn des Dramas ist Yngurd noch überzeugt, daß das Schicksal ihm nicht nur hold ist, sondern ihn auf seinem Weg geführt hat.162 Aber sein Unglück lehrt ihn eines besseren und läßt ihn regressiv spekulieren:

Oh, daß ich Bauer, wie mein Vater, wär!

Daß ich mein dankbar Vieh zur Weide führte,

Und meinen Pflug statt dieses Volks regierte!

Der Saam, in das gefurchte Land gestreut,

Bringt funfzigfältig Früchte: was ist mir,

Der Thaten säte auf das Feld der Zeit,

Die mit Bewunderung die Welt durchdrangen –

Was ist daraus für Frucht mir aufgegangen?

Der Haß, der Neid, die giftige Begier,

Vom Firmament den Stern herabzureißen,

Weil fremde Zonen ihn den ersten heißen.163

Yngurd sehnt sich nach seinen bäuerlichen Ursprüngen zurück und demonstriert so das restaurative Ideal einer statischen Gesellschaft, in der jeder durch Geburt an seinem vorbestimmten Platz steht. Eine vertikale Durchlässigkeit zwischen den Ständen ist in einem solchen Modell unerwünscht. In der Ackerbaumetaphorik illustriert dieser Monolog, daß der aktuelle Erfolg als „Saat“ nicht überzeitlichen Ruhm einer „Ernte“ einbringt. Das Drama baut zwei Gegenspieler Yngurds auf, die legitime Herrschaft repräsentieren: Alf, legitimer König der Dänen, führt Yngurd vor Augen, was legitime Herrschaft bedeutet. Aber auch Yngurds Antagonist Alf ist von Müllner nicht als charismatische Figur gezeichnet. Alf zeigt Angst und Schwäche, und doch ist er rechtens Herrscher. Eine weitere monarchisch legitimierte Figur ist der jugendliche Oskar, der Halbbruder der Königin Irma. Er ist zu Beginn des Dramas ein handlungsunfähiger Schwärmer und verträumter Künstler164. Aber das Volk liebt ihn und erkennt in ihm den rechtmäßigen Nachfolger Ottfrieds. Oskar wird trotz seiner Verträumtheit handlungsmächtig. Das Drama illustriert an diesen Lebensläufen, daß nicht die menschliche Selbsteinschätzung, sondern die gottgewollte Stellung in der Gesellschaft entscheidend für den letztendlichen Erfolg sind. Oskar mag sich für einen Träumer halten, er ist aber zum Herrschen bestimmt. Und Alf mag ängstlich sein, aber das Gottesgnadentum verleiht ihm dann den nötigen Mut. Yngurd muß dies anerkennen; er läßt laut Regieanweisung „das Schwert sinken und sieht Alf mit dem Ausdruck der Zuneigung an“ und spricht zu ihm:

Du Glücklicher, der Herrscher ward genannt,

Als er die Welt mit Weinen kaum begrüßt!

Du bist so menschlich-königlich gesinnt,

Du bist so Eins mit deiner Fürstenwürde,

Und trägst so leicht der Herrschaft schwere Bürde,

Daß ich sie legen möcht’ in deine Hand,

Wär’ Irma nicht mein Weib und Ottfrieds Kind.165

„Fürstenwürde“ vermag in Müllners Drama nur der auszufüllen, der von Geburt dazu bestimmt ist. Erst wenn man den vorbestimmten Platz in der Gesellschaft ausfüllt, scheint Glück möglich zu werden. Yngurd sieht dies resignierend ein. Mit seiner Ansprache an Alf revidiert Yngurd im Optativ seine Selbstermächtigung. Als seine Frau Irma und seine Tochter Asla den von Yngurd verschuldeten Schicksalswirrungen zum Opfer fallen, stürzt Yngurd sich in einen letzten Kampf, noch einmal siegreich, um dann unbewehrt in einen gegnerischen Speer zu laufen. Auf dem Totenbett übergibt er seine Krone an Alf, nimmt ihm das Versprechen ab, sich um die Normannen zu kümmern und stirbt mit der Unterwerfungsgeste auf den Lippen: „Ihr [i. e. der Normannen] König stirbt als euer Unterthan.“166 Das Plädoyer für eine statische Gesellschaft führt Napoleon in der Maske Yngurds als größten Sünder vor, der aber die Sünde seiner Emanzipation einsieht und sterbend die Berechtigung des Gottesgnadentums konzediert. Adolph Müllners Restaurationsdrama, dem König von Sachsen gewidmet, dichtet eine vorrevolutionäre Welt zurecht, in der ein jeder Napoleon seine gerechte Strafe vom Schicksal erhält. In der Maske der nordisch vorchristlichen Welt versucht Müllner, die Bruchstücke des ancien régime wieder zusammenzukitten. Die Absicht wurde registriert und gewürdigt: Friedrich Wilhelm III. ernannte Müllner nach dem Aufführungserfolg von König Yngurd zum Königlich Preußischen Hofrat.

Der deutsche Napoleon-Mythos

Подняться наверх