Читать книгу Green Mamba - Barry Stiller - Страница 10

17:07 uhr

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Der geländegängige UAZ hüpfte die letzten Meter über den Sumpfboden und blieb dann abrupt stehen. Sofort sanken die grobstolligen Reifen ein, bis der Wagenboden fast aufsetzte. Zwei Männer, von Kopf bis Fuß in hellen Kunststoff gekleidet, entstiegen dem Wagen. Der ältere fluchte, als er an ihre Abreise, später am Abend, dachte. Zum Glück hatte er an Anfahrbleche und die Handwinde gedacht.

Die Dämmerung kündigte sich bereits mit glühend rotem Licht über den Baumreihen im Westen an; es konnte losgehen. Fassbender blickte auf die Uhr, schnaufte und straffte die Schultern. Keiner von beiden hatte sich um diese Aufgabe gerissen, aber irgendjemand musste die Arbeit ja erledigen. Er tauschte einen Blick mit seinem Begleiter. Von Steiners Gesicht war unter der beschlagenen Schutzhaube nicht viel zu erkennen, doch er konnte sich den Ausdruck lebhaft vorstellen. Fassbender gab ein Handzeichen und marschierte mit dem schweren Ausrüstungskoffer in nördliche Richtung. Der Untergrund machte unter seinen Gummistiefeln schmatzende Geräusche und wurde nasser und nachgiebiger, je weiter sie sich vom Wagen entfernten. Steiner folgte in etwas Abstand mit dem zweiten Teil ihrer Ausrüstung. Er keuchte nach nicht einmal fünfzig Metern wie bei einem Dauerlauf. Mit schlechtem Gewissen verlangsamte Fassbender seine Schritte. Steiners Gesundheitszustand bereitete ihm seit einiger Zeit Sorge, nur reagierte der extrem ablehnend auf jede Anteilnahme. Als ob er durch Verdrängen sein Schicksal ändern könnte… Aber vielleicht konnte er das wirklich, Arno war noch jung. Fassbender jedenfalls hatte schweren Herzens beschlossen, den Kollegen nicht mehr auf seine Beschwerden anzusprechen.

Das Hochmoor bestand aus Buckeln und Senken, und obwohl alles mit scharfkantigem, grünen Sumpfgras bewachsen war, wirkte das Land seltsam leblos. Einige Insekten summten, waren aber nicht zu sehen, und von Vögeln oder Säugetieren war keine Spur zu entdecken. Auch Fische, Frösche oder andere Amphibien hatte er in diesem Areal selten zu Gesicht bekommen. Ein leichter Dunst stieg von den Senken auf. In denen stand das Grundwasser gleich unter den Graswurzeln und bei einem unachtsamen Schritt hinein versank man bis zum Knie im vermeintlich festen Boden. Fassbender und Steiner hielten sich deshalb auf den höher gelegenen, welligen Teilen des Sumpfgebiets.

Nach etwa fünf Minuten Marsch konnten sie ihr Ziel erkennen, einen der Moorseen, die sich an verschiedenen Stellen in größeren Mulden gebildet hatten. Kurz darauf erreichten sie die vorgesehene Messstelle direkt an dem Ufer des flachen Sees. Die Abendsonne verwandelte die vollkommen bewegungslose Wasseroberfläche in einen goldenen Spiegel, nur unterbrochen von kleinen Grasbuckeln und abgestorbenem Wurzelholz. Die Ränder waren von hüfthohem Röhricht und Wollgras umstanden. Manchmal fiel es ihm schwer zu glauben, dass das, was sie suchten, wirklich hier war. Alles schien so friedlich und idyllisch. Doch Fassbender wusste, dass es sich überall fand, zwischen den Halmen, in den Kriechtieren und Insekten. Überall im Boden, im Wasser und der Luft lauerte es und wartete auf seine Chance. Und es gewann eigentlich immer, denn es hatte beinahe endlose Geduld.

Steiner rammte einen Metallstab in den weichen Grund neben seinen Füßen. Fassbender verzog das Gesicht angesichts Steiners pragmatischer Lebenseinstellung. Seinem Partner würde es nie einfallen, einen Blick an Sonnenuntergang oder Landschaft zu verschwenden. Fassbender öffnete den Metallbügel seiner Tasche und entnahm eine fabrikneue Kunststoffflasche. Er kniete am Rand des Gewässers, sein Bein wurde eiskalt, aber dank des Schutzanzugs blieb es immerhin trocken. Trotzdem jagte ihm die scheinbare Berührung mit dem Untier jedes Mal einen Schrecken ein.

»Ich bin hier fertig.« Steiner hatte den Bohrstock gezogen und die Probe bereits beschriftet.

Fassbender nickte, drehte den Schraubdeckel fest und schrieb mit klammen Fingern fahrig Datum und Messpunktbezeichnung darauf. Während des gesamten Arbeitsprozesses fluchte er leise vor sich hin, doch beim Anbringen des Sicherungsbügels über dem Deckel verlor er die Beherrschung. »Verdammter Dreck. Wie soll man mit diesen steifen Dingern ordentlich arbeiten? Können die Russen noch nicht mal ordentliche Schutzhandschuhe produzieren? Dreck, verdammter! Ich bin kurz davor, diese klobigen Dinger in die Ecke zu schmeißen, Mann.« Sein jüngerer Partner sah ihn schweigend an und wartete, bis er sich wieder in der Gewalt hatte. »Ist schon in Ordnung, Arno. Ich behalte die blöden Dinger ja an, außerdem habe ich keine Lust, mich von Doktor Schabrow ausschimpfen zu lassen.« Fassbender zog die Bündchen seines Schutzoveralls ein Stück weiter über seine Handschuhe »Wobei man ja sowieso nicht weiß, ob die Dinger überhaupt dicht sind – oder nicht von Anfang an verseucht. Bei unseren großen Brüdern aus der Sowjetunion würde mich auch das nicht mehr überraschen.«

»Lutz, das ist nicht lustig.« Noch einmal sah er Fassbender ernst an. »Komm schon.« Steiner wandte sich ab und ging einige Schritte vor. Fassbender hörte sein heftiges Husten dennoch.

Sie gingen noch vier weitere Messstellen ab, ehe sie sich auf den Rückweg zu ihrem Geländewagen machten. Steiner protestierte nicht, als sein Kollege den direkten Weg nahm, der durch einen lichten Birkenhain führte. Eigentlich galt die Anweisung, jeden Weg durch Unterholz und Baumbestand zu meiden, weil immer die Gefahr bestand, den Schutzanzug zu beschädigen.

Die Sonne war so weit herabgesunken, dass sie beinahe waagerecht durch die dünnen Baumstämme strahlte. Fassbender blinzelte kurz in westliche Richtung, dann tauchten er und Steiner in die Dämmerung des Wäldchens ein. Zwischen den Bäumen herrschte Totenstille. Hier waren seltsamerweise noch nicht einmal die Geräusche der Insekten vorhanden. Unter dem Plastik der Schutzkleidung rann Schweiß an Fassbenders Rücken hinunter, und das lag nur teilweise an der Bewegung. Er hatte plötzlich das Gefühl, als würden ihn die Bäume beobachten, mit blutunterlaufenen Augen, und sie röchelten. Fassbender wischte mit dem Handrücken über die Sichtscheibe, erreichte aber nichts anderes, als Lehm im Blickfeld zu verteilen. Er sah fast nichts mehr, unterdrückte jedoch den Drang, erneut laut zu fluchen. Er hätte lieber den sicheren Umweg gehen sollen, so wie sie es immer taten, aber er hatte dem erschöpften Steiner jeden unnötigen Schritt ersparen wollen.

»Kollege Fassbender, was ist jetzt, geht's weiter?« Erneut bekam Steiner einen Hustenanfall.

Die Bäume waren zu dieser Jahreszeit noch kahl und nackt, Fassbender spürte die Galle in seinem Hals aufsteigen, als er anstelle der rissigen, weißen Birkenrinde plötzlich tote, weiße Haut vor sich sah, die sich in Fetzen abschälte. Er schüttelte den Kopf, die Birken kamen zurück, zusammen mit Steiner, der ihn misstrauisch beäugte.

»Mann Lutz, was ist los?« Steiner pumpte, das Atmen fiel ihm sichtlich schwer. »Ich gehe jetzt zum Auto, und wenn du hier festwachsen willst, dann musst du das allein tun.«

Fassbender schüttelte den Kopf. »Nein, ist schon in Ordnung, lass uns gehen. Irgendwas... Dieser Ort...« Mehr brachte er nicht hervor. Vielleicht würde auch er seine letzte Ruhe hier finden, unter den Birken, im Moor.

Green Mamba

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