Читать книгу Green Mamba - Barry Stiller - Страница 16

08:13 uhr

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Schüttau wischte sich mit dem Handrücken einige Krümel aus den Mundwinkeln. Einfach unwiderstehlich so eine dick belegte Semmel zum ersten Kaffee. Nett von Keller, ihm eine aus der Kantine mitzubringen. Schüttau zog eine Grimasse des schlechten Gewissens. Der Oberleutnant und er hatten ihre Schwierigkeiten miteinander, doch er wusste sehr genau, dass Keller einer der besten Männer bei der Leipziger Kriminalpolizei war. Der hatte Gespür, der hatte Sitzfleisch. Und war manchmal unerträglich. Die Unterredung mit Keller und dieser Doktor Moreaux aus Döbeln hatte ihm alles drei bestätigt.

Die Frage war, was er nun tun sollte. Wie konnte er gleichzeitig seine Anweisungen befolgen und dennoch die Arbeit so machen, wie sein Eid und – schwieriger zu ignorieren – sein Selbstverständnis es verlangten? Schließlich musste in Professor Heises Tod angemessen ermittelt werden, und Keller war wie immer unkonventionell, aber zuverlässig, was das anging. Doch es war auch klar, dass der Oberleutnant zumindest in den Augen einiger Funktionäre zu weit ging. Warum bremste man Keller? Ging es nur darum, das Ansehen des verdienten Wissenschaftlers Professor Doktor Wolfgang Heise nicht zu beschädigen, wie man ihm versicherte? Was erwartete man jetzt von ihm? Kellers Bericht gab Anlass zu weiteren Nachforschungen, das war unbestreitbar. Außerdem ärgerte es Schüttau, die Befugnisse der Volkspolizei infrage gestellt zu sehen. Was fiel diesen arroganten Heinis von der Klinik ein, einem ermittelnden Oberleutnant der Kriminalpolizei Zugang zu einem Verdächtigen zu verweigern? War das tatsächlich nur die Überheblichkeit eines wichtigtuerischen Arztes, oder hatte da jemand ganz anderes seine Finger im Spiel?

Schüttau zog sein Telefon heran und suchte aus Kellers Ermittlungsbericht die Nummer der Psychiatrischen Klinik Waldheim heraus. Er zögerte. Dieser ganze Fall um Heises Tod stank zum Himmel, und selbst wenn Kaltenbrunn fraglos der Mörder war... das Ganze ergab so einfach keinen Sinn. Er konnte nicht zulassen, dass seine Mordkommission vorgeführt wurde.

»Sonne.«

»Major Schüttau, BdVP Leipzig. Ich bin der Leiter der hiesigen MUK.«

Obwohl er das Fräulein am anderen Ende der Leitung nie gesehen hatte und auch nie kennenlernen würde, hatte er schon nach diesem einen Wort einen lebhaften Eindruck von seinem Gegenüber. Er stellte sich eine nervöse, dünne Blondine vor, mit lackierten Nägeln, toupierter Kurzhaarfrisur und blasiertem Gesichtsausdruck.

»Worum geht es bitte?«

»Das können Sie sich doch sicherlich denken, Fräulein Sonne. Oberleutnant Keller musste mir vorhin bedauerlicherweise mitteilen, dass von Ihrer Seite nur wenig Kooperationsbereitschaft im Mordfall Heise erkennbar ist.«

Die Leitung war wie abgeschnitten. Das Fräulein atmete anscheinend nicht einmal.

»Ich erwarte, dass–«

»Ich verbinde Sie mit Genossin Doktor Piechkow«, erklang es unverbindlich von Fräulein Sonne. Die Anstaltssekretärin hielt es wohl nicht für nötig, sich von einem Major der Volkspolizei Vorhaltungen machen zu lassen.

»Piechkow.«

Schüttau wiederholte seine Worte, wenn auch etwas weniger scharf.

»Ach, das überrascht mich.«

»Sie scheinen über die Vorgänge in Ihrem Haus nicht umfassend im Bilde zu sein.«

Zu Schüttaus Überraschung reagierte die neu ernannte Leiterin der Psychiatrie mit einem kurzen Lachen und erklärte: »Manchmal scheint es, dass die Angestellten schwieriger zu händeln sind als die Patienten, Major Schüttau. Ich werde Rücksprache nehmen und Sie umgehend informieren, wenn ich Ihnen Doktor Kaltenbrunns derzeitigen Zustand und seinen genauen Aufenthaltsort mitteilen kann. Auch ich habe meine Anweisungen, wie Sie sich vielleicht denken können.« Sie war wieder ernst. »Allerdings müssen Sie genauso verstehen, dass das Verhalten Ihres Oberleutnants hier nicht gerade förderlich für die Art unbürokratischen Entgegenkommens gewesen ist, das Sie von meinen Angestellten erwarten.«

Schüttau rollte mit den Augen. Dass Keller die Anstaltsmitarbeiter vor den Kopf gestoßen hatte, konnte er sich lebhaft vorstellen. Spätestens nachdem einer von ihnen tot auf dem Pflaster vor dem Klinikgebäude gelandet war, kursierten dort sicherlich nicht die freundlichsten Ansichten über den ermittelnden Oberleutnant aus Leipzig und die VP im Allgemeinen.

»Und Sie werden verstehen, dass die Ansichten Ihrer Angestellten einer Mordermittlung nicht im Weg stehen können. Ich rate Ihnen dringend, dafür zu sorgen, dass mein Mann noch am heutigen Vormittag Zugang zu Kaltenbrunn erhält.«

Piechkow blieb unverbindlich, versicherte zu tun, was sie könne, und beendete das Gespräch, ohne den Major noch einmal zu Wort kommen zu lassen.

Schüttau war noch immer in Gedanken versunken, als Kohn in seinem Büro erschien. Der junge Mann hielt eine Tasse in der Hand, die er mit einem bescheidenen Lächeln seinem Vorgesetzten servierte. Innerlich schüttelte der Major sich, er konnte diese Neulinge nicht leiden, die glaubten, fehlendes Können und Erfahrung durch Gefälligkeiten wettmachen zu können. Bei Keller wusste er wenigstens gleich, dass der etwas Bestimmtes von ihm wollte, wenn er Semmeln aus der Kantine anschleppte.

»Woran arbeiten Sie denn gerade, Kohn? Sie könnten Oberleutnant Keller–«

»Ich nehme für Leutnant Schnetz Zeugenaussagen zum Stellwerk-Raub auf, Genosse Major«, kam blitzartig zurück.

Schüttau winkte ab. Es war wahrscheinlich sowieso nicht die beste Idee, Keller auch noch mit Obermeister Kohn zu belasten. Das grelle Schellen des Fernsprechers beendete ihr Gespräch. Weil der Obermeister neugierig in Hörweite stehenblieb, schloss Schüttau die Tür seines Dienstzimmers, bevor er den Hörer abhob. Es fiel ihm schwer zu glauben, dass dies bereits der Rückruf aus Waldheim sein könnte, aber er wollte sicher sein, dass Kohn seine Nase nicht in Dinge steckte, die ihn nichts angingen. Schüttau wurde bewusst, dass er dem vor zwei Wochen nach Leipzig versetzten Obermeister nicht recht traute.

»Major Schüttau.«

»Piechkow.« Die Stimme der neuen Klinikleiterin schien heller als zuvor. »Bevor Ihr Kommissar hier wieder Drohungen gegen meine Mitarbeiter ausstoßen muss, schicken Sie ihn her. Schwester Springfeld hat ausdrückliche Anweisungen von mir, Oberleutnant Keller Zugang zu unserem Patienten Kaltenbrunn zu ermöglichen.«

»Doktor Kaltenbrunn kann also vernommen werden? Oberleutnant Keller hat mir berichtet, dass der Mann zwischenzeitig in ein anderes Gebäude verlegt worden sei.«

Die Ärztin schwieg einen kleinen Moment zu lang. »Eine notwendige Maßnahme. Kaltenbrunn musste behandelt werden. Aber nun ist er wieder im Hause.«

Schüttau riss sich zusammen. Es war vollkommen sinnlos, Piechkow auf ihre Lügen festzunageln, auch wenn er gern wieder einmal die erlernten Verhörtechniken zur Anwendung gebracht hätte. Die Hauptsache war, dass die Klinik bereit war zu kooperieren. »Ich kann dem Oberleutnant also sagen, dass er sich auf den Weg machen soll?«

»Bitte, Genosse Major. Schwester Springfeld wird ihn erwarten. Er kennt sie bereits.«

Da wird Oberleutnant Keller ganz aus dem Häuschen sein, dachte Schüttau. Er verabschiedete sich von der Piechkow und legte auf.

Er fand Keller in seinem kleinen Büro, nur einige Schritte den Flur hinunter, auf dem sich die Morduntersuchungskommission der Leipziger K befand. Schüttaus kritischem Blick entging weder das zerknautschte Jackett auf dem Besucherstuhl noch der geborstene und notdürftig geflickte Telefonhörer. Mit einem lautstarken Seufzen machte er den Oberleutnant auf sich aufmerksam.

»Major Schüttau.« Keller wandte sich von dem kleinen Rasierspiegel ab.

»Rasieren Sie sich schnell zu Ende. Schwester Springfeld wird entzückt sein, Sie zu sehen, Genosse Oberleutnant. Ich habe soeben Meldung aus Waldheim erhalten, dass Sie mit Kaltenbrunn sprechen können.«

»Ach, wirklich?« Keller fuhr mit dem Messer über den schaumbedeckten Teil seiner linken Wange und wischte sich mit einem Geschirrtuch die Seifenreste aus dem Gesicht.

»Haben Sie daran etwas auszusetzen, Oberleutnant?«

»Nicht direkt, Genosse Major.« Keller war bereits damit beschäftigt, eine kleine Tasche aus dem Einbauschrank hinter seinem Schreibtisch zu befüllen. Der Rasierer und das knittrige Jackett wanderten hinein. Dann die Akten, die aufgeschlagen auf dem Tisch lagen. »Ich denke, dass ich für ein oder zwei Nächte in Waldheim bleiben sollte. Bis diese ganze Angelegenheit geklärt ist.«

Schüttaus erster Reflex war es, dem Oberleutnant solche Eigenmächtigkeiten zu untersagen. Konnte Keller nicht ein Mal nach den Regeln spielen? Einen Antrag stellen, oder seinen Vorgesetzten wenigstens um die erforderliche Genehmigung bitten? Schüttau konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, dass der Mann jemals richtig um seine Erlaubnis gefragt hatte. Andererseits... Seit die Piechkow ihn zurückgerufen hatte, gab es für den Major keinen Zweifel mehr, dass in Waldheim etwas Seltsames im Gange war.

»Zwei Bedingungen, Keller. Schauen Sie bei den Kollegen in Döbeln vorbei wegen diesem Toten vom Dach. Und erstatten Sie mir fernmündlich Meldung, sobald Sie Kaltenbrunn endlich verhört haben.«

»Selbstverständlich, Major Schüttau«, gab Keller leutselig zurück.

Schüttau knurrte. »Glauben Sie nicht, dass ich nicht wüsste, dass Sie meinen, Sie könnten machen, was Sie wollen«, hielt er ihm vor. »Diese Anstaltsleiterin war alles andere als begeistert von Ihrem Umgang mit den Angestellten der Klinik. Ich erwarte, dass mir von dieser Seite keine Klagen mehr zu Ohren kommen. Haben wir uns verstanden, Oberleutnant?«

Keller nickte andeutungsweise, aber Schüttau sah genau, dass er in Gedanken schon wieder in Waldheim bei seinen Ermittlungen war und die Anweisung in den Wind schlagen würde, sobald er in eine entsprechend nervenzehrende Situation mit Springfeld oder Tassel geriet. Dieser Keller war einfach ein wenig aufbrausend, dachte er. Vermutlich würde er deshalb auch keine große Karriere machen. Schüttau brummte ein »Auf Wiedersehen« und war schon halb aus der Tür, als Keller ihn noch einmal ansprach. »Sie finden das doch auch nicht normal, dass diese Piechkow so schnell einlenkt und den Kaltenbrunn mit einem Mal auftreiben kann.«

»Was ist schon normal in einem Irrenhaus?«

»Vielleicht haben Sie recht.« Keller schloss die Schnallen seiner Tasche und hob den Riemen auf seine Schulter. »Aber ich sage Ihnen, dass der Kaltenbrunn die Klinik niemals verlassen hat. Und da frage ich mich, warum er nun angeblich wieder da ist und ich mit ihm sprechen darf.« Er winkte ab. »Egal, ich bin gespannt, was die diesmal für mich inszeniert haben.«

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