Читать книгу Green Mamba - Barry Stiller - Страница 5
Mittwoch, 13. Februar 1974 00:39 uhr
ОглавлениеSeit er hier war, zuckte der Blick des Mannes umher wie der eines Chamäleons. Der Polizist wartete geduldig, bis beide Augen in seine Richtung starrten. »Doktor Kaltenbrunn, hören Sie mich? Ich bin Oberleutnant Keller von der Mordkommission. Wissen Sie, warum ich hier–«
»Er wollte es nicht!«
»Sie wollten es nicht. Ja, ich verstehe, das ist klar... Was ist passiert, Doktor Kaltenbrunn?« Keller verstand überhaupt nichts, aber er war froh, dass Kaltenbrunn endlich redete.
»Er wollte es nicht. Ich musste ihn töten.« Erneut begann der leere Blick des Patienten, die stockfleckige Decke nach einer imaginären Beute abzusuchen.
»Doktor Kaltenbrunn.« Verdammt, er war kein Psychiater. »Worum ging es... Was wollte Professor Heise nicht?«
Der Alte in der Zwangsjacke reagierte nicht. Nur die Muskeln, die seine Augäpfel in ständiger Bewegung hielten, beschleunigten ihre Arbeit noch einmal. Keller dachte an die Ermahnungen seiner Mutter. Wenn man es provozierte, würden die Augen irgendwann in schielender Stellung einrasten – für immer. Das wusste jeder. Dann konnte man nichts mehr erkennen, sah blöde aus und wurde schließlich auch blöde. Doch das hier war weit gruseliger. Kaltenbrunns Augen waren nicht stehengeblieben. Sie hatten die Verbindung zueinander verloren und rasten in irrwitzigem Tempo durch die Welt. Was nahm man wahr, wenn man gleichzeitig in zwei verschiedene Richtungen blickte? Sah man überhaupt etwas – und was machte das Gehirn daraus? Kellers Hände wurden feucht, und ein kurzes Schaudern durchlief ihn. Er nahm seine unmoderne Schiebermütze ab und knetete sie. »Was wollte der Professor nicht, Doktor Kaltenbrunn? Reden Sie mit mir!«
Diesmal passierte die Frage des Ermittlers in wenigen Sekunden alle vorgeschalteten Instanzen. »Ich musste ihn töten... Er wollte nicht, dass ich mit jemandem spreche.« Für einen Moment schien der Patient bei klarem Verstand und fixierte Keller. »...einem von draußen.«
Wieder gingen die geweiteten Pupillen auf die ziellose Reise, und der Mann, der vor gut einer Stunde seinen Arzt erstochen hatte, zog sich tief ins Universum seiner Wahnvorstellungen zurück.
Das Sprechzimmer von Professor Doktor Wolfgang Heise lag am entgegengesetzten Ende des blassgrün gestrichenen Flures im ersten Stock. Stumpfer Linoleumboden, abblätternder Heizkörperlack und die dunklen Schatten, die der vergebliche Kampf mit Essigwasser gegen den winterlichen Schimmel hinterließ, machten es kaum einladender als den Besucherraum, in dem man Kaltenbrunn festgesetzt hatte.
Die berühmte Therapie-Couch eines Psychologen gab es in Heises Behandlungsraum nicht, nur eine unbequem aussehende Liege auf Rollen. Aber Heise war ja auch Psychiater. Die arbeiten wahrscheinlich eher mit Zwangsjacken, ging es Keller durch den Kopf. Beherrscht wurde das Zimmer von zwei großen Arbeitstischen mit grünlicher Linoleumoberfläche, die vielleicht deshalb zusammengeschoben worden waren, um Aufzeichnungen von Ärzten auszulegen oder Konferenzen abzuhalten – oder um mehr Abstand zwischen Personal und Insassen zu bringen, wie Keller vermutete. Zumindest Letzteres hatte heute Nacht nicht funktioniert. Auf der gegenüberliegenden Seite der großen Tischfläche saß ein korpulenter Mann um die siebzig mit Nickelbrille und weißem Arztkittel. Hemdkragen und linker Ärmel waren mit Blut getränkt. In seinem kahlen Kopf steckte ein dunkler Stift.
»Guten Tag, Genossin...«, begrüßte Keller die dunkelhaarige Frau, die hinter dem Toten stand und dessen Kopf betastete.
»Moreaux, Karla Moreaux. Ich bin von der Inneren der Poliklinik Döbeln. Und der Leichenbeschauer des Bezirks.« Die schlanke Mittfünfzigerin zog den Sezierhandschuh von ihrer Rechten und streckte sie Keller entgegen.
»Guten Tag, oder vielmehr guten Morgen, Frau Doktor. Ich bin Oberleutnant Keller von der K in Leipzig. Ich habe mich gerade gewundert, dass die Tatortarbeit schon so weit fortgeschritten ist. Leichenbeschau und Spurensicherung fast fertig, das ist–« Keller zögerte einen Augenblick nachdenklich. »Nun ja, wurscht, wenn Sie aus der Gegend sind.«
Moreaux wirkte ebenfalls überrascht. Jedenfalls vergingen einige Sekunden, bevor sie antwortete. »Da haben Sie ja einen ganz schönen Weg hinter sich. Wusste gar nicht, dass es im Kreisamt in Döbeln keine Kriminalpolizei gibt.«
»Haben die schon, aber bei Mord wird den Kollegen vom VPKA schnell mulmig. Ich nehme an, die Spurensicherung ist schon durch?«
»Sowas, gleich Leipzig...«, murmelte Moreaux und nickte ungläubig.
»Entschuldigung, Doktor Moreaux?«
»Äh, ja natürlich, die Spurensicherung ist fertig. Und der örtliche Tatortfotograf war auch schon da. Die hätten mich sonst gar nicht hier reingelassen.«
»Na ja, Tatortfotograf, immerhin. Nur einen hauptberuflichen Rechtsmediziner haben die hier augenscheinlich nicht. Seltsame Wege geht die Bürokratie manchmal. Dann lassen Sie mal hören, Doktor.« Keller rang sich ein Lächeln ab und hoffte, dass die Ärztin nun konzentrierter antwortete.
»Der Tote ist Professor Heise. Ich kannte den Kollegen persönlich, guter Mann. Hatte einen Lehrstuhl für Neurologie und Psychologie an der Uni in Leipzig. Galt als echte Koryphäe am Universitätsklinikum. Seit seiner Emeritierung war er nur noch leitender Arzt hier in Waldheim. Aber das ist ja anstrengend genug, denke ich.«
»Über die Todesursache besteht wohl keine Unklarheit?« Der Polizist umrundete den Tisch.
»Nein, Genosse Oberleutnant. Er wurde erstochen. Mit dem Stift, der in seinem linken Ohr steckt. Dürfte zirka fünf oder sechs Zentimeter in sein Gehirn eingedrungen sein. Ist zu einem beträchtlichen Teil im Gehörgang verschwunden. Professor Heise war sofort tot, soweit ich das ohne weitere Untersuchung vermuten kann. So ähnlich wie bei einem Kopfschuss, bei dem das Projektil nicht austritt, nur nicht ganz so blutig.« Moreaux verzog das Gesicht, als habe sie Sodbrennen. »Mann, ich arbeite lieber mit Lebenden, das können Sie mir glauben, Genosse Keller. Auch nach beinahe fünfzehn Jahren geht mir das immer noch ganz schön an die Nerven.«
»Schon gut, Doktor. Ich habe mich mittlerweile fast an den Anblick gewöhnt – leider.«
Die Ärztin räusperte sich. »Ähem, ja. Im Laufe des Tages bekommen Sie von mir einen vorläufigen Bericht. Am Todeszeitpunkt besteht für mich kein Zweifel. Laut Zeugenaussagen gestern Abend, ziemlich genau drei viertel elf. Also vor zwei Stunden, was mit dem Zustand der Leiche zusammenpasst.« Sie zog einen neuen Handschuh über. »Rigor mortis am Kiefer setzt gerade ein. Temperatur stimmt ebenfalls mit dem vermuteten Zeitpunkt überein.«
»Das hier ist der Tatort?«
»Das hier ist mit Sicherheit der Tatort. Meines Erachtens passen die Blutspuren auf Haut und Kleidung des Toten sowie die auf der Tischplatte. Und Anzeichen dafür, dass der Professor post mortem bewegt wurde, sind nicht zu entdecken.«
»Gut, gut, Doktor. Ich denke, das wäre es fürs Erste. Alles Weitere wird ja der endgültige Bericht der KTU ergeben.« Keller besah sich die Mordwaffe aus der Nähe, während Moreaux ihre lederne Tasche packte. »Ein ganz normaler Kugelschreiber, kein Aufdruck oder Ähnliches, soweit ich das bis hier erkennen kann. Sieht nach heimischer Produktion aus. Ich würde sagen, wir verwenden die gleichen im Präsidium. Das wird uns kaum weiterhelfen. Tja, jedenfalls sieht das eher nicht nach vorsätzlichem Mord aus.«
»Ist der Täter Linkshänder?«
»Was meinen Sie, Doktor?«
Moreaux stand auf und schob ihre dickrandige Hornbrille mit dem Handrücken hoch. »Ach, nichts weiter, Oberleutnant.«
»Doch, doch. Raus damit, Frau Doktor. Wie kommen Sie darauf, dass Kaltenbrunn Linkshänder ist?«
Die Ärztin wirkte ein wenig genervt. »Ich meine nur, dass der Täter ja wohl Linkshänder sein muss, denn er kann den Professor nur von hinten attackiert haben – vor ihm auf dem Tisch wird er ja wohl nicht gestanden haben.«
»Verzeihen Sie, Doktor. Sie haben natürlich recht.« Keller gähnte. »Eine Stunde im Auto reicht anscheinend nicht, um wach zu werden. Ich notiere mir das besser.« Er betrachtete seinen Füllfederhalter. »Hmm... Vielleicht trotzdem eine Tat mit Vorsatz. Schließlich werden die Patienten in diesem Irrenhaus kaum Messer oder andere Dinge in die Finger kriegen, die als Waffe taugen könnten. Da muss man nehmen, was einem gerade so zur Verfügung steht.« Für Keller passte trotzdem nicht alles zusammen. »Sagen Sie mal, Doktor, die Spurensicherung hat keine Kappe zu diesem Stift gefunden oder einen Clip oder so etwas?«
Moreaux blickte Keller entgeistert an. »Was? Nein, nicht dass ich wüsste. Jedenfalls hat das mir gegenüber keiner erwähnt. Wieso? Spielt das eine Rolle?«
»Nun ja. Wenn ich davon ausgehe, dass der Kugelschreiber Professor Heise gehörte, dann frage ich mich, wo er ihn aufbewahrt hat. Der Tisch ist komplett leer, kein Stiftbecher, keine Schublade und auch sonst nichts, wo man Schreibutensilien aufbewahren würde.«
»Aha«, entgegnete Moreaux abwesend.
»Glauben Sie, Professor Heise würde einen offenen Kugelschreiber einfach so in die Kitteltasche stecken? Kugelschreibertinte macht kaum entfernbare Flecken. Nein, ich glaube, er hätte ihn genauso in die Brusttasche gesteckt wie den, der da noch ist – ordentlich mit Kappe.«
»Das stimmt wohl.«
»Es gibt aber keine Kappe, Doktor. Und einen Grund, den Kugelschreiber zu zücken, hatte er scheinbar auch nicht, oder sehen Sie hier etwas, auf dem man schreiben würde? Dokumente hat die Spurensicherung hier im Zimmer meines Wissens nicht gefunden. Der Tatort ist ja sicherlich soweit dokumentiert, wie ich hoffe.«
Moreaux wirkte gespannt, erwiderte jedoch nichts.
Keller machte eine ausholende Geste. »Wissen Sie was? Ich würde sagen, wir haben es mit vorsätzlicher Tötung zu tun. Das ist nicht Professor Heises Stift, völlig unwahrscheinlich. Das Einzige, was einen wirklichen Sinn ergibt, ist, dass der Mörder die Tatwaffe mitgebracht hat. Auch wenn mir dieser Kaltenbrunn im derzeitigen Zustand kaum zu geplantem Vorgehen fähig erscheint.« Der Volkspolizist stutzte kurz. »Aber wer weiß, vielleicht ist die Kappe noch auf dem Kugelschreiber drauf.«
»Jaja, man weiß nie, was in solchen Köpfen vorgeht...«, sagte Moreaux, während sie in ihrer Tasche herumkramte.
Keller konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er den Namen der Nachtschwester in sein abgegriffenes Notizbuch schrieb. Die Frau, die kurz vor dreiundzwanzig Uhr auf dem örtlichen Revier angerufen hatte, hieß Alice Patrizia Springfeld, was insofern unpassend wirkte, als sie sicherlich weder im Wunderland noch sonst wo herumhüpfen würde. Sie brachte trotz geringer Körpergröße gut zwei Zentner auf die Waage und schnaufte nach jedem Satz wie ein abgekämpfter Ackergaul. Von ihr erfuhr er, dass Professor Heise den Patienten Kaltenbrunn gegen zweiundzwanzig Uhr dreißig auf dessen intensives Drängen hin in seinem Sprechzimmer empfangen hatte. Auf Kellers Nachfrage, ob dies nicht äußerst ungewöhnlich sei, erklärte die Schwester, dass Professor Heise ein ausgezeichneter Arzt und in wirklich dringenden Fällen auch nachts für seine Patienten zu sprechen gewesen sei. Außerdem habe er auf dem Klinikgelände gewohnt, wie die meisten Mitarbeiter des psychiatrischen Krankenhauses. Eine Viertelstunde später sei dann ein immer lauter werdender Streit aus dem Sprechzimmer zu hören gewesen, woraufhin sie die diensthabenden Aufseher herbeigerufen habe. Als die beiden Männer dann die Tür zu Heises Behandlungszimmer öffneten, sei es bereits wieder ruhig gewesen. Sie fanden den Professor ermordet auf seinem Stuhl und Kaltenbrunn leise jammernd zwischen Aktenschrank und Krankenliege kauernd. Die Pfleger Huber und Willendorf hatten den Patienten in einer Zwangsjacke fixiert, während Springfeld die Polizei rief.
Die Befragung der beiden Männer hatte Keller nicht weitergebracht. Sie hatten kaum Kontakt zu Kaltenbrunn, der sowieso mit niemandem außer mit Professor Heise und manchmal mit seinem Betreuer, einem gewissen Jörg Tassel, sprach.
Dieser junge Krankenpfleger stand nun völlig schlaftrunken hinter der Schwester und umklammerte einen emaillierten Metallbecher mit dampfendem Kaffee.
»Entschuldigung, Frau Springfeld, hätten Sie für mich vielleicht auch...«
»Oh, ja. Na klar.«
Nachdem Keller hastig einen großen Schluck genommen und sich der drückende Schmerz in der Speiseröhre etwas gelegt hatte, wandte er sich mit leidender Miene an Tassel. »Was können Sie mir über Doktor Kaltenbrunn sagen? Was ist er für ein Mensch? Womit hat er sich beschäftigt? Was macht er den ganzen Tag? Erzählen Sie doch mal.«
Tassel zögerte, als wisse er nicht recht, wo er anfangen sollte. »So genau weiß ich das gar nicht, Herr Kommissar. Ich kann Ihnen tatsächlich nicht viel über Doktor Kaltenbrunn sagen.«
Kellers Hoffnung, bei der Vernehmung zu nächtlicher Stunde nicht viel sagen zu müssen, zerschlug sich. Wie bei den meisten Befragungen würde er auch diesmal mehr reden als der Zeuge. Einen Vorwurf machte er den Befragten nie, es war schließlich nicht so einfach, aus dem Stegreif einen Vortrag zu halten. Würde man ihn fragen, was für ein Mensch sein Vorgesetzter ist...
»Nun gut. Erinnern Sie sich, wie er war, als er eingeliefert wurde? War er aggressiv oder ruhig? Hat er etwas Spezielles gesagt oder getan? War er klar oder so abwesend, wie ich ihn vorhin erlebt habe? Vielleicht hatte er Gegenstände bei sich, die uns helfen könnten, die Umstände seiner Tat zu erklären?«
»Ich war nicht dabei, als er aufgenommen wurde, und habe ihn erst am nächsten Tag gesehen, als ich ihm zugeteilt wurde. Da wirkte er eher ein wenig verängstigt, nicht gewalttätig. War er eigentlich später auch nicht. Nein, nicht soweit ich mich erinnere.«
»Wann genau war das? Ich meine, wann wurde er eingeliefert?«
»Das war im Oktober, kurz nach dem Tag der Republik, glaube ich.«
»Aha. Sagen Sie, Herr Tassel, wenn ein Mensch hier eingeliefert wird, wird er dann gleich behandelt? Ich meine, bekommt er sofort Medikamente?«
»Ja, nachdem alle Aufnahmeformalitäten erledigt sind, wird der Patient von einem Arzt untersucht, und meistens wird dann auch gleich mit der Therapie begonnen. Also auch mit der Medikamentierung.«
»Von Professor Heise, nehme ich an.«
Der junge Pfleger wirkte abwesend. »Wie? Ach ja, bei Kaltenbrunn ist der behandelnde Arzt Professor Heise.«
»Gut«, meinte Keller gedehnt. »Herr Tassel, was sind denn das für Medikamente? Was hat Doktor Kaltenbrunn verordnet bekommen?«
»Doktor Kaltenbrunn hat Paramnesie.«
Keller zog die Augenbrauen hoch und schraubte die Kappe seines Füllfederhalters ab.
»Das ist eine Gedächtnisstörung. Der Patient erfindet dann Ereignisse und erinnert sich an Sachen, die es gar nicht gegeben hat.« Tassel wartete, bis der Polizist seine Erklärung notiert hatte und den Blick hob. »Gegen die Unruhe und Schlafstörungen hat Kaltenbrunn Meprobamat und Radedorm bekommen.«
Keller unterstrich die Namen der Präparate. »Aha, gut. So eine Art Münchhausen stelle ich mir da vor. Und das ist alles? Keine weiteren Medikamente? Nur gegen Unruhe und Schlafstörungen? Nichts gegen diese Paramnesie.«
Noch ehe Tassel antwortete, meldete sich die Springfeld zu Wort. »Außerdem natürlich noch täglich eine Vitaminspritze. Aber fragen Sie mich jetzt nicht nach der genauen Zusammensetzung. Die habe ich immer beim Professor abgeholt, oder er hat sie persönlich verabreicht.«
»Ist es nicht ungewöhnlich, dass der Chefarzt selbst die Medikamente austeilt?«
Tassel blickte zur Decke, als stünde dort die Antwort. »Nun ja. Das kommt nicht häufig vor. Es gibt aber schon Patienten, bei denen das so gehandhabt wird.«
»Außerdem mag... mochte der Professor den Kaltenbrunn irgendwie. Den Eindruck hatte ich«, ergänzte die Springfeld.
»Er mochte ihn?«
»Ja, ich glaube schon. Kaltenbrunn hat wohl viel gezeichnet. Das hat dem Professor auf eine Weise imponiert. Schließlich war Kaltenbrunn ja auch Wissenschaftler.«
»Wissenschaftler?«
»Ja, weiß ich auch nicht so genau... Hat Professor Heise mal erwähnt, glaube ich...«, druckste die Schwester.
Keller wandte sich wieder an Tassel. »Was hatten Sie für einen Kontakt zu Kaltenbrunn? Hat er Ihnen etwas über sein Leben erzählt, was er vorher gemacht hat und warum er krank geworden ist?« Keller spürte deutlich, dass seine Fragen in eine Richtung schwenkten, die dem Pfleger überhaupt nicht behagte.
»Nein. Nein, hat er nicht. Ich weiß nur, dass der Professor sagte, Kaltenbrunn könne nicht mehr zwischen Realität und Fantasie unterscheiden. Er hat eine Paramnesie, das habe ich Ihnen ja schon gesagt. Das hat mit Münchhausen übrigens überhaupt nichts zu tun. Es geht da meistens eher um Traumata oder Wahnvorstellungen, unter denen der Patient sehr leidet.«
Keller zog die Augenbrauen zusammen, sagte aber nichts. Es reichte, um den Pfleger weiter unter Druck zu setzen.
»Hören Sie, Herr Kommissar, ich weiß wirklich nichts weiter. Das müssen Sie mir glauben.« Er holte tief Luft. »Der Kaltenbrunn, er... er fühlte sich verfolgt. Die ganze Zeit. Er hat kaum etwas anderes erwähnt, wenn er sprach – und das war sowieso äußerst selten. Ich kann Ihnen nicht mehr sagen, ehrlich. Außerdem wollte der Professor nicht, dass wir darüber sprechen. Er meinte, das würde Kaltenbrunn nur schaden. Und das wollte ich ja auch nicht.«
»Verfolgt? Von wem?«, hakte Keller nach.
Tassel zuckte mit den Schultern. »Aber ich weiß es doch nicht, Herr Kommissar. Er hat immer nur unverständliche Andeutungen gemacht, zusammenhangloses Zeug. Da konnte man nicht draus schlau werden. Das ist überhaupt nicht wichtig.«
Wieder schaltete sich die Schwester ein. »Nur einmal hat er sowas gesagt, dass eine grüne Mamba uns alle umbringen und dass der Tag näher rücken würde. Keine Ahnung, was das heißen soll.«