Читать книгу Die Iden des März - Barry Strauss - Страница 33
Komödie in einer Villa
ОглавлениеAlles, was in Rom Rang und Namen hatte, besaß eine Villa auf dem Land. Manch einer hatte gleich mehrere: Cicero zum Beispiel gehörten drei Villen am Golf von Neapel und eine in Tusculum in den Albaner Bergen. Beide Orte gehörten zu den Favoriten der römischen Elite. Cicero hatte eine schöne neapolitanische Villa vor den Toren Puteolis (des heutigen Puzzuoli bei Neapel), auf einer Anhöhe am Ostufer des Lukrinersees gelegen und mit Blick aufs Meer. Er beklagte sich über seinen reichen und stumpfsinnigen Nachbarn, Lucius Marcius Philippus, zu dessen riesigem Anwesen auch Fischteiche gehörten – für Cicero ein deutliches Anzeichen für eitlen, verantwortungslosen Reichtum.28 Der ehemalige Konsul Philippus war ein Intrigant, der es geschafft hatte, den Bürgerkrieg zu überstehen, ohne sich auf eine der beiden Seiten zu schlagen, und das, obwohl er mit Caesar verwandt war. Als der Krieg vorüber war, stand er dennoch in Caesars Gunst. Schließlich war Philippus mit Caesars Nichte Atia verheiratet, und er war der Stiefvater ihres Sohnes, Octavian. Kurz gesagt, war er sehr gut vernetzt.
So verwundert es nicht weiter, dass Philippus am Abend des 18. Dezember 45 v. Chr. Besuch von Caesar erhielt, am zweiten Tag der Saturnalien, des römischen Winterfests. Der Diktator war kein unkomplizierter Gast, denn er reiste nie ohne großes Gefolge; laut Cicero wurde er von 2000 Soldaten sowie diversem weiteren Personal begleitet. Diese Behauptung mag übertrieben sein, aber mit Sicherheit brachte Caesar viele Soldaten mit, und diese verstopften das Anwesen. Cicero blieb das nicht verborgen, denn am nächsten Tag stattete Caesar ihm einen Besuch ab. Zur Vorbereitung lieh sich Cicero Wachleute von einem Freund aus und ließ für die Soldaten ein Lager errichten.
Cicero beschreibt das Ganze in einem atemlos wirkenden Brief, den er noch am selben Tag in aller Eile seinem Freund Atticus schrieb.29 Der Brief ist voll mit Abkürzungen und griechischen Wörtern, es scheint, als habe er es gar nicht erwarten können, Atticus die Geschichte unter die Nase zu reiben, habe aber dennoch eine ansprechende Form wahren wollen.
Wahrscheinlich war Cicero froh, dass sich Caesar nach einem langen Jahr einmal wieder um ihn kümmerte. Im Februar war Ciceros geliebte Tochter Tullia im Kindbett gestorben. Ihr Sohn hatte überlebt, genau wie der Vater des Kindes, ihr Exmann Publius Cornelius Dolabella. Das Paar hatte sich ein paar Monate zuvor scheiden lassen, ihre Ehe war alles andere als glücklich gewesen. Viele Freunde und Kollegen sprachen Cicero ihr Beileid aus, aber das konnte ihn nicht aufmuntern. Caesar schrieb ihm aus Hispanien.30 Ein Freund schrieb ihm mit einem Au genzwinkern, Tullia habe auch nicht länger gelebt als die Re publik.31
Im Mai entwarf Cicero einen Brief an Caesar, schickte ihn aber zunächst an Balbus und Oppius. Sie forderten so viele Änderungen, dass Cicero es sich schließlich anders überlegte und die Idee aufgab.32 Jetzt hatte er Gelegenheit, den berühmten Mann persönlich zu sprechen. Am 19. Dezember 45 v. Chr., nachdem Caesar den Morgen über gearbeitet hatte und am Strand spazieren gegangen war, kam er zu Cicero hinüber. Sie nahmen ein Bad, zu dem zweifellos Massage und Abreiben gehörten, gefolgt von einer Salbung mit dünn aufgetragenem wohlriechendem Öl. Schließlich nahm Caesar an einem üppig gedeckten Tisch Platz und aß reichlich. Wie er es gewohnt war, übergab sich Caesar nach dem Essen. Unter den vornehmeren Römern war es üblich, regelmäßig Brechmittel zu benutzen – so hielt man trotz gastronomischer Ausschweifungen sein Gewicht.
Die Stimmung war gut, und es ging sehr diszipliniert zu. Cicero war zufrieden mit sich, er machte einen guten Eindruck und gab sich als Gastgeber durchaus Mühe, wenn auch nicht allzu viel. Caesar schien sich wohlzufühlen. Doch Cicero blieb nicht verborgen, dass sich Caesars Gesichtsausdruck nicht veränderte, als man ihm schlechte Nachrichten über einen seiner Unterstützer brachte. Hinter Caesars Lächeln steckte ein Mann, der Cicero seine poli tische Macht und seinen Einfluss genommen hatte. Und hinter Ciceros Schmeicheleien und seiner Dankbarkeit steckte ein Mann, der Caesar das von ganzem Herzen übelnahm.
Ernste Themen wurden nicht angeschnitten, so Cicero, stattdessen unterhielt man sich viel über Literatur. Was der ehemalige Konsul davon hielt? „Nicht gerade ein Gast, bei dem man sagen würde: ‚Komm mich doch wieder mal besuchen!‘ Einmal reicht.“33 Nach Ciceros Villa war Caesars nächste Station das Anwesen des Dolabella, eines Demagogen, der früher einmal versucht hatte, Caesar den Rang abzulaufen, was die Unterstützung durch das Volk betraf. Später hatte Dolabella an Caesars Seite in Afrika und Hispanien gekämpft. Der Diktator war sich sicher, dass er auch in Zukunft Verwendung für ihn haben würde. Als Caesar mit seinem Gefolge nun an Dolabellas nahegelegener Villa vorbeikam, blieb er selbst auf seinem Pferd sitzen, während seine Soldaten zu beiden Seiten von ihm Aufstellung nahmen, als Gruß an Dolabella.
Mit diesem fast filmreifen Bild der Realität römischer Macht endet Ciceros Brief. Beim Redner, der einst aus dem Senat heraus das Schicksal der Völker gelenkt hatte, reichte es nun gerade noch für ein paar Zeilen über einen Mann zu Pferde. Die Frage war nur: Konnte irgendwer Caesar von seinem hohen Ross herunterholen?