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Die letzten drei Strohhalme

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An den verhängnisvollen Iden des März war Titus Livius erst ein Teenager. Als Bürger von Patavium (dem heutigen Padua) in Norditalien konnte er den damaligen Bürgerkriegen kaum aus dem Weg gehen, aber Livius überlebte und verfasste eine der wichtigsten Schriften über die Geschichte des alten Rom. Große Teile davon sind bis heute erhalten, doch ausgerechnet von den Kapiteln über Julius Caesar besitzen wir nur eine später entstandene Zusammenfassung. Und doch enthält diese Zusammenfassung eine wichtige Analyse: Sie zeigt, welch enorme Herausforderung in Sachen Öffentlichkeitsarbeit es für Caesar war, seine neue Rolle einzunehmen. Sein ganzes Leben lang war Caesar ein meisterlicher Manipulator und Regisseur. Aber für die Rolle des Diktators auf Lebenszeit brauchte er ein ganz neu es Skript. Kein römischer Bühnenschriftsteller, wie begabt er auch gewesen wäre, hätte es schreiben können, ohne zumindest bei einem Teil des Publikums Buh-Rufe zu ernten.

Der Senat gewährte Caesar zwar die höchsten Ehrungen, aber diese wiederum erzeugten den Alptraum eines jeden römischen Politikers – invidia, Neid. Livius beschreibt drei Zwischenfälle34, im Dezember 45 v. Chr., im Januar 44 v. Chr. und im Februar 44 v. Chr., die ein entscheidendes Segment der öffentlichen Meinung gegen Caesar aufbrachten. Einigen Römern werden sie wie die letzten Strohhalme vorgekommen sein, an die sie sich klammern konnten.

Der erste dieser Vorfälle ereignete sich wahrscheinlich im Dezember 45 v. Chr., möglicherweise aber auch erst Anfang 44 v. Chr. Der Senat sprach dem Diktator eine Ehrung nach der anderen zu, und manche sagten, auch seine Feinde wären auf den Zug mit aufgesprungen, um Caesar durch die Vielzahl an ehrenhaften Titeln in Verlegenheit zu bringen. Kaum ein Senator stimmte dagegen. Schließlich beschloss der Senat, Caesar die Ehrung offiziell zu präsentieren. Alle zusammen marschierten sie zum neuen Caesarforum. Vorneweg gingen die Konsuln und Prätoren, gefolgt von den anderen Würdenträgern, hinterdrein schließlich die übrigen Senatoren. Die meisten Senatssitzungen waren nicht allzu gut besucht, aber 100 bis 200 der insgesamt 800–900 Senatoren werden es wohl gewesen sein. In ihrer Amts tracht boten sie zweifellos einen eindrucksvollen Anblick. Zahllose gewöhnliche Menschen folgten ihnen.

Caesar saß gerade vor dem Tempel der Mutter Venus. Die Etikette besagte, dass er aufstehen musste, um die Senatoren zu begrüßen, aber – er blieb sitzen. Und nicht nur das: Er witzelte über die Neuigkeiten, die sie ihm brachten, man sollte die Ehrungen für ihn doch lieber etwas reduzieren, als noch weitere aufzuhäufen.35 Indem er praktisch ein Geschenk ablehnte und sich zudem weigerte, den Rang der Senatoren anzuerkennen, beleidigte Caesar sie – und für manche kam das einer Beleidigung des römischen Volkes gleich. Warum Caesar das tat, ist nicht klar – eigentlich war er für so etwas zu schlau. Vielleicht wollte er die Grenzen seiner Macht austesten.

Die Quellen sind voll von Kommentaren über diesen Vorfall.36 Es werden diverse Gründe dafür angeführt, warum Caesar die Senatoren habe beleidigen wollen, aber letztlich weiß niemand genau, ob die Beleidigung beabsichtigt war oder nicht. Einige sagen, dieser Vorfall sei die wichtigste Ursache für den aufkeimenden Groll gegenüber Caesar gewesen, andere sehen darin nur einen wichtigen Vorwand für die späteren Verschwörer. So oder so zeigten sich Caesars Feinde einmal mehr überzeugt davon, dass er als König behandelt werden wollte.

Die Römer bezeichneten ihre Regierung als „Senat und Volk von Rom“, SENATVS POPVLVSQVE ROMANVS, das berühmte SPQR. Der Vorfall auf dem Forum Iulium ließ den Eindruck entstehen, Caesar sei der Senat inzwischen ganz egal. Der Logik nach war als Nächstes das Volk dran.

Beim zweiten Vorfall trat Caesar gegen zwei der Volkstribunen des Jahres 44 v. Chr., Gaius Epidius Marullus und Lucius Caesetius Flavus, in den Ring. An einem Tag im Januar 44 v. Chr. fanden sie ein Diadem auf dem Kopf der Caesarstatue auf der Rednerbühne auf dem Forum Romanum. Niemand wusste, wer es dort platziert hatte. Ein Diadem war im alten Griechenland das Äquivalent zur Krone – viel einfacher, aber dennoch ein eindeutiges Symbol der Monarchie. Es handelte sich um ein besticktes weißes Seidenband, das in einem Knoten und zwei Streifen mit Fransen endete. Marullus und Caesetius entfernten das Diadem und sagten, man müsse Caesar zugutehalten, dass er einer solchen Ehre gar nicht bedürfe. Caesar war außer sich: Er vermutete, dass das Ganze ein abgekartetes Spiel war – die Tribunen hätten das Diadem dort anbringen lassen, nur um es später unter großem Hallo wieder entfernen zu können. Und in der Zwischenzeit dächte das Volk, er wolle König werden.

Schon bald darauf, am 26. Januar 44 v. Chr., eskalierte der Konflikt. Caesar und sein Gefolge kamen gerade vom Schrein des Jupiter Lattiaris auf dem Albaner Berg (dem heutigen Monte Cavo) zurück. Dort, hoch über dem kristallklaren Wasser des Albaner Sees südöstlich von Rom, hatten sie die feriae Latinae gefeiert, ein uraltes jährliches Fest aller lateinisch sprechenden Völker. Normalerweise fand es im Frühjahr statt, aber der Diktator hatte es in diesem Jahr wegen des geplanten Partherfeldzugs in den Januar verlegen lassen. Sie waren den schmalen Pfad vom Berg heruntergeritten und reisten nun in Richtung Norden auf der Via Appia; dabei passierten sie die Stadt Bovillae, wo Caesars Familie, die Julier, angeblich noch vor der Gründung Roms ansässig gewesen waren.

Der Senat gewährte Caesar das Recht, hoch zu Ross nach Rom einzureiten, wie bei einem kleinen Triumphzug. Das Volk drängte sich um den Diktator und sein Pferd, als er durch die Porta Appia ritt, und auf einmal begrüßte ihn jemand aus der Menge mit „rex!“ – König. Sofort stimmten andere mit ein. Caesar gab zurück: „Ich bin Caesar, nicht Rex.“37 Das war eine durchaus geistreiche Bemerkung, denn „Rex“ war, wie das deutsche Wort „König“, zugleich ein Familienname. Tatsächlich hatte es unter Caesars Vorfahren auch ein paar „Königs“ gegeben – die Familie Marcius Rex. Trotz Caesars Wortspiel mit dem falschen Familiennamen mutmaßten die zynischeren Zeitgenossen, Caesar habe das Ganze selbst inszeniert, um einmal mehr auf seine vermeintliche republikanische Gesinnung hinzuweisen.

Die Tribunen Marullus und Caesetius fanden das alles andere als spaßig. Sie ließen den Mann, der als Erster „rex!“ gerufen hatte, festnehmen. Das wiederum erzürnte Caesar, der seiner Wut schließlich Luft machte und den Tribunen vorwarf, das Volk gegen ihn aufzubringen. Marullus und Caesetius wiederum ließen öffentlich erklären, sie fühlten sich in Ausübung ihres Amtes durch den Diktator bedroht. Caesar berief eine Senatsversammlung ein.

Einige forderten die Todesstrafe für die Volkstribune, aber er wollte davon nichts wissen. Er sei eher betrübt denn zornig, sagte Caesar. Zwar wolle er eigentlich seine übliche Gnade walten lassen, das Problem dabei sei jedoch seine dignitas.38 Daher bestand er darauf, dass die Tribunen aus dem Amt entfernt würden und nicht länger dem Senat angehören durften. Gesagt, getan. Zu guter Letzt forderte Caesar noch, dass der Vater des Tribuns Caesetius seinen Sohn enterbte, aber jener weigerte sich, und Caesar kümmerte sich nicht weiter darum.39

Mit der Amtsenthebung der Volkstribunen hätte die Angelegenheit eigentlich ausgestanden sein sollen. Doch einige beschuldigten Caesar, lediglich die Boten bestraft zu haben – eigentlich habe er doch auf denjenigen wütend sein müssen, der ihn rex genannt hatte, nicht auf die Volkstribune!40 Kurz darauf gab es Konsulatswahlen, und einige stimmten für Marullus und Caesetius. Das zeigt einerseits, dass es Menschen gab, die Caesar ablehnten, und andererseits, wie wenig solche Wahlen unter Caesar noch wert waren.

Der römischen Plebs waren ihre Tribune sehr wichtig, immerhin waren sie die einzigen politischen Vertreter des einfachen Volks. Für Caesar hatte früher einmal dasselbe gegolten: 49 v. Chr. sagte er, einer der Hauptgründe dafür, dass er den Rubikon überquerte, sei es gewesen, die Volkstribune vor dem Senat zu schützen.41 Jetzt stellte er sich auf einmal gegen die öffentliche Meinung. Das Ergebnis war invidia – Neid und Missgunst, die Begründung: Caesar wolle König werden.42 Und tatsächlich bediente sich Caesar diverser prachtvoller Insignien der alten Könige Roms wie hoher roter Stiefel und goldener Kränze.43

Und damit kommen wir zum dritten Vorfall, über den Livius berichtet und der sich beim Lupercalien-Fest am 15. Februar 44 v. Chr. ereignete. Der Zwischenfall auf dem Caesarforum war wohl eher Zufall, derjenige an der Porta Appia war entweder improvisiert oder geriet doch zumindest außer Kontrolle. Was nun an den Lupercalien geschah, war von vorne bis hinten durchgeplant, doch wer es plante und was genau damit bezweckt wurde, ist unklar.

Die Geschichte lautet wie folgt: Die Lupercalien waren ein jährliches religiöses Fest, bei dem es unter anderem um Fruchtbarkeit ging. Erst wurde geopfert, und dann rannten die Priester nur mit einem Lendentuch bekleidet durch die Straßen der Stadtmitte Roms und berührten (vorwiegend weibliche) Zuschauer mit Riemen aus Ziegenleder. Das Fest stand mit Romulus, dem mythischen Gründer Roms, in Verbindung, und zweifellos fand Caesar besonderen Gefallen daran, genau wie alle, die in ihm eine Art zweiten Gründer Roms sahen. Im Zusammenhang mit dem Fest richtete der Senat vor dem 15. Februar ein spezielles Priesterkollegium zu Ehren Caesars ein. Marcus Antonius war der Oberpriester, und er führte auch die Läufer an.

Die Lupercalien fanden jedes Jahr statt, aber an das Fest des Jahres 44 v. Chr. sollte man sich noch lange erinnern, denn im Rahmen der Hauptveranstaltung wurde Caesar ein Diadem angeboten, das er dann demonstrativ ablehnte. Währenddessen saß Caesar auf der Rednerbühne, den rostra, auf dem Forum Romanum.

Diese Rednerbühne war ein beeindruckendes neues Monument, entstanden im Rahmen der Neugestaltung des öffentlichen Zentrums der Stadt durch Caesar. Die alte Rednerbühne war dafür abgerissen worden; sie hatte mehrere Jahrhunderte dort gestanden. Rostra bedeutet „Schnäbel“ und bezog sich auf die mit Bronze verkleideten Schnäbel bzw. Rammen eroberter feindlicher Kriegsschiffe, mit denen die Tribüne dekoriert war. Die rostra waren der wichtigste Ort, wenn man zum römischen Volk sprechen wollte; dementsprechend hatte die alte Rednerbühne mittig auf dem Forum gestanden. Als Caesar das Stadtzentrum umbauen ließ, wurde die neue Rednerbühne in eine Ecke des Forum Romanum verbannt. Das allein zeigte bereits, wie viel der Diktator von öffentlichen Reden und Rednern hielt.

Caesars Rednerbühne war fast 4 Meter hoch und 15 Meter breit. Sie besaß eine geschwungene Front und war wahrscheinlich mittels Stützen in eine rechteckige Plattform verlängert. Sieben Stufen führten von der Rückseite aus auf die Rednerbühne, die Vorderseite war dem offenen Raum des Forums zugewandt. Sie war komplett mit Marmor verkleidet und mit vier Statuen geschmückt. Caesar ließ die alten Reiterstandbilder von Sulla und Pompeius, die das Volk früher zerstört hatte, neu anfertigen, und daneben stellte er zwei Standbilder von sich selbst: Eines trug den berühmten Eichenkranz, ein hohes Ehrenzeichen, das andere einen Kranz aus Gräsern und Wildblumen, eine noch höhere militärische Auszeichnung. Eines der beiden Denkmäler war ebenfalls ein Reiterstandbild. Kurz gesagt, die einzigen Statuen an der Rednerbühne stellten zwei Diktatoren und einen herrschsüchtigen General und Politiker dar, der noch dazu Caesars Schwiegersohn war. Berühmte Freiheitskämpfer wie Brutus’ Vorfahr Lucius Junius Brutus suchte man vergebens.

Hier saß Caesar also nun, am 15. Februar, anlässlich der Lupercalien. Er war in der purpurnen Toga eines siegreichen Feldherrn gekleidet und trug die hohen Stiefel und die langärmlige Tunika der früheren Könige. Auf dem Kopf hatte er einen goldenen Kranz, und er saß auf einem vergoldeten Stuhl. Vor ihm hatte sich eine große Menschenmenge versammelt.

Nach dem Lauf der Priester durch die Stadt stieg Marcus Antonius zu ihm auf die Tribüne. Er platzierte ein Diadem auf Caesars Kopf und sagte: „Dies überreicht dir das Volk durch mich.“44 Es gab ein wenig zögerlichen Beifall, aber die meisten Anwesenden reagierten mit Schweigen. Lepidus, der neu ernannte magister equitum, war ebenfalls vor Ort; er stöhnte auf und blickte finster drein.45 Caesar nahm sich das Diadem vom Kopf, und Antonius versuchte es noch einmal, erhielt aber dieselbe Reaktion. Schließlich befahl Caesar ihm, das Diadem in den Kapitolinischen Tempel zu bringen, mit den Worten: „Allein Jupiter ist König der Römer!“46 Daraufhin jubelte das Volk.

Zum Gedenken an dieses Ereignis ließ Caesar einen Eintrag in den fasti vornehmen, dem offiziellen römischen Staatskalender. Dieser lautete: „Konsul Marcus Antonius hat dem Diktator auf Lebenszeit, Gaius Caesar, auf Geheiß des Volkes das Königtum angeboten, aber Caesar hat abgelehnt.“47 In den Quellen finden sich zahlreiche Spekulationen, wer hinter dem Vorfall steckte und warum.48 Einige meinen, Antonius sei die treibende Kraft gewesen und er habe Caesar überrascht, entweder um ihm zu schmeicheln, vielleicht aber auch, um ihn in Verlegenheit zu bringen. Später behauptete man, Antonius habe lediglich versucht, Caesar zur Vernunft zu bringen und ihn dazu zu veranlassen, den Gedanken an das Königtum aufzugeben.49 Andere glauben, dass Caesars Feinde dahintersteckten. In dieser Version erklimmen zwei Gegner Caesars50 die rostra und versuchen Caesar dazu zu bringen, das Diadem anzunehmen. Was genau geschah und was und wer genau dahintersteckte, werden wir wohl nie erfahren. Aber eines ist klar: Caesars Verhältnis zur Öffentlichkeit, die seine Ambitionen fürchtete, war gestört.

Natürlich hatte Caesar noch immer viele Anhänger. Sein treuer Kollege Aulus Hirtius beispielsweise beharrte später einmal darauf, Caesar sei ein vir clarissimus gewesen, ein Mann von außergewöhnlicher Brillanz, und er habe die Republik gestärkt.51 Für viele war Caesar ein bedeutender Mann52; es waren vor allem die Adligen und diejenigen, die „Macht für sich beanspruchten“, die Caesar „unerträglich“ fanden, wie einer seiner ganz alten Unterstützer behauptete. Die meisten Menschen „rühmten seine vielen wichtigen Siege“ und „bewunderten ihn, weil sie glaubten, er sei mehr als nur ein Mensch“.53 Und doch war im Winter 44 v. Chr. gerade die Meinung der einfachen Leute ziemlich ambivalent. Caesar brachte der plebs urbana Land und Frieden, indem er die blutigen Fehden des Adels beendete, und er erfreute sie mit Festbanketten und Spektakeln. Doch die plebs urbana ärgerte sich zugleich über Caesars Angriffe auf die Volkstribunen und das Wahlsystem. Auch die neuen Senatoren aus Gallien werden nicht besonders gut angekommen sein. Einigen schien es, als verliere Caesar langsam, aber sicher das Volk.

Damals glaubten viele, als Caesar an den Lupercalien die Krone abgelehnt habe, da habe er nur austesten wollen, ob sein Plan, König zu werden, Unterstützung fand.54 Sie waren sich sicher, dass er König werden wollte, und sie verachteten ihn dafür.

Hass ist eine der größten Gefahren für einen Herrschers, vor allem der Hass seines Volkes.55 Hass führt zu Verschwörungen, und der Hass des Volkes führt Verschwörer dazu zu glauben, sie könnten mit ihren Plänen durchkommen. Dieses Prinzip sollte bald wieder einmal auf die Probe gestellt werden.

Binnen drei Monaten hatte Caesar den Senat brüskiert, die Volkstribunen abgesetzt und mit der Monarchie geflirtet. Spätestens im Februar nahm der Plan, Caesar zu stürzen, seinen Anfang. Vielleicht sogar schon früher.

Die Iden des März

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