Читать книгу Kalte Zukunft - Benjamin Blizz - Страница 11

Kapitel 9

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Wie ein Schatten glitt die Gestalt durch die langen Reihen der Solarkollektoren, ging geschickt den Überwachungskameras aus dem Weg und mied offene und einsehbare Stellen. Shadow hatte ein ganz bestimmtes Ziel und er würde es auch erreichen.

Soeben verschwanden die letzten Strahlen der untergehenden Sonne am Horizont und nur noch das klare, reflektierte Licht des Mondes und das der Sterne erhellte die Szenerie.

Shadow fröstelte. Zu lange schon saß er zwecks Tarnung in klimatisierten Räumen und überwachte Anzeigen und Messkurven. Das machte ihn weich und schwächlich, und manchmal ertappte er sich dabei, wie er sich ein dauerhaftes Leben in dieser Welt vorstellte und darüber fast seine wahre Bestimmung und seine Heimat vergaß.

Als Junge hatte er die Tage und Nächte immer im Freien verbracht, egal wie heiß oder kalt es gewesen war. Doch an diesem Abend spürte er, was es hieß, zu frieren. Der dünne Stoff seines schwarzen Pullovers vermochte ihn nicht zu wärmen, und er konnte es kaum erwarten, bald wieder in sein Quartier zurückzukehren.

Tagsüber war die Sahara glühend heiß, aber in der Nacht gab es keine Vegetation, die die gespeicherte Energie des Tages an die Umwelt abgab. Das helle Gestein und der fast weiße Sand besaßen eine viel zu hohe Albedo, als dass sie die Wärme hätten speichern können. Deswegen war es in der Wüste nachts lausig kalt.

Langsam bewegte sich Shadow weiter vorwärts und huschte zwischen zwei Kollektoren hindurch zur ersten Sammelstelle. Im Prinzip hasste er die Aufgabe, die vor ihm lag. Sie widersprach nicht nur seinen Prinzipien, sondern auch dem altehrwürdigen Kodex seines Volkes. Doch was blieb ihm anderes übrig als zu gehorchen – wenn ihm auf der einen Seite ein Haufen Geld winkte und auf der anderen der Tod drohte? Er hatte schlicht und ergreifend keine Wahl, also würde er tun, was er tun musste, das, was seine Auftraggeber seit Langem geplant hatten.

Schon seit Monaten weilte er unter den Mitarbeitern der Solarstromanlage, arbeitete Seite an Seite mit ihnen – und gleichzeitig gegen sie. Er war ihnen gegenüber unehrlich. Nur wenn er mit ihnen lachte, kam es von Herzen, und das versetzte ihm jedes Mal einen Stich. Wie konnte er Sympathie für den Feind empfinden? Aber respektierte nicht sogar Allah Mut und Tatkraft seiner Widersacher?

Shadow versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken, solche Überlegungen führten zu nichts. Nicht seine religiösen Gefühle waren hier und jetzt von Bedeutung, sondern seine Kenntnisse der Physik, seine Bildung, die er an den Universitäten Europas erworben hatte und von der der Großteil seiner Landsleute nur träumen konnte. Zudem verfügte Shadow über konspirative Fähigkeiten, die ihn nahezu unentbehrlich für die Sache der Bewahrer machten. Wie viel Zeit und Geld war darin investiert worden, ihm eine perfekte Tarnung zu verschaffen? Die Bewahrer wollten keinen terroristischen Anschlag, keine offensichtliche Sabotage, sie wollten einen ›sauberen‹ Unfall. Deshalb war er hier und nicht einer der kaltblütigen Killer, die ihm schon so oft begegnet waren.

Leider hatten seine ersten Aktionen, obwohl er so behutsam wie möglich vorgegangen war, Aufmerksamkeit erregt, auch wenn er seine Spuren noch rechtzeitig hatte verwischen können. Trotzdem hatte Fritzsch Verdacht geschöpft, was dem Plan zum Verhängnis werden könnte. Von nun an durften Shadow keine Fehler mehr unterlaufen. Es musste absolut unwillkürlich aussehen, wenn er Erfolg haben wollte – haben musste, denn falls er versagte, würden sie ihn töten oder Schlimmeres mit ihm anstellen.

So war es nun einmal, wenn man für eine ebenjener Organisationen arbeitete. Man musste lernen, mit der Angst zu leben, akzeptieren, dass es einen irgendwann erwischen konnte. Es gab keine Sicherheiten, keine Garantien. Wer erstklassige Resultate ablieferte, wurde belohnt, wer sich Fehler erlaubte, bestraft. Shadow hatte sich bereits Fehler erlaubt, von denen seine Auftraggeber jedoch glücklicherweise noch nichts erfahren hatten, und wenn alles glatt lief, würde es auch so bleiben.

Er sah sich aufmerksam um. In einiger Entfernung trat ein Techniker in Overall soeben den Rückweg zum Kontrollzentrum an. Shadow hatte darauf geachtet, dass sich auch andere befugte Personen auf dem Gelände aufhielten, sodass er im Falle des Falles nicht der einzige Verdächtige war, der in Frage käme. Er war schließlich kein Anfänger!

Langsam näherte er sich dem Verteilerkasten, dessen Sicherungen er manipulieren musste, damit die Überladung später auch auf die angrenzenden Kollektoren übergriff. Die PECS-Module waren in verschiedene Bereiche und Unterbereiche unterteilt, um einen Großbrand zu verhindern. Shadows Aufgabe bestand darin, das zu ändern, indem er die Sicherungen zerstörte.

Allerdings konnte er sie nicht einfach zertrümmern; fiel eine der Sicherungen aus, wurde das im Kontrollzentrum angezeigt. Shadow würde deshalb präparierte Sicherungen einsetzen, die zwar zum betreffenden Zeitpunkt versagen, vorher aber nicht als defekt angezeigt werden würden. Dabei kam ihm zugute, dass in der Anlage viele experimentelle Technologien zum Einsatz kamen. Niemand würde später mehr mit Bestimmtheit sagen können, was genau zu dem Unfall geführt hatte.

Shadow erlaubte sich ein kleines Lächeln angesichts der Raffinesse, mit der er vorging.

Mit seiner Schlüsselkarte, deren Zugriffe glücklicherweise nicht gespeichert wurden, öffnete er den Verteilerkasten. LED-Lampen erwachten zum Leben und erhellten den Arbeitsbereich.

Er hatte so lange geübt, dass er das Auswechseln der Sicherungen im Schlaf hätte durchführen können, und so nahm das Prozedere lediglich ein paar Sekunden in Anspruch: Überbrückungsgerät anschließen, alte Sicherung ausbauen, neue einsetzen … es war ein Kinderspiel.

Er war nun fast am Ziel. Bald würde er nach Hause zurückkehren können.

Shadow blickte hinauf zur Überwachungskamera, die direkt auf ihn gerichtet war und winkte ihr dreist zu – sein eingeschleuster Trojaner II übertrug anstelle der echten Bilder eine alte Aufnahme. Der Trojaner II, eine komplizierte Weiterentwicklung des ursprünglichen Trojaners, war mit Abstand sein bisher bester Einfall gewesen. Das Programm gaukelte dem befallenen System vor, ein einfacher Trojaner zu sein, während es im Hintergrund trotz Entfernung ebenjener Schadsoftware weiterarbeitete. Somit gingen die Netzwerkadministratoren davon aus, die Gefahr gebannt zu haben, obwohl sie weiterhin aktiv war.

Shadow schraubte die letzte falsche Sicherung ein, schloss den Kasten und verschwand erneut in der Dunkelheit.

Kalte Zukunft

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