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Kapitel 17

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Schwer atmend erreichte Shane die massive Stahltür zum Hotel und hämmerte mit letzter Kraft dagegen. Unverzüglich wurde ihm geöffnet und ein Dutzend Augenpaare musterten ihn besorgt.

»Fritzsch ist verletzt, er braucht Hilfe!«, sagte Shane noch, bevor ihn ein Hustenanfall durchschüttelte.

»Was ist mit Williams?«, fragte ein Sicherheitsmann besorgt. »Er wollte nach Ihnen sehen, geht es ihm gut?«

Shane schüttelte den Kopf. »Holen Sie mir einen der Verantwortlichen, schnell!«, krächzte er. »Wir haben ein Problem.«

Die Betonung seiner Worte war eindeutig und der Sicherheitsmann eilte ohne weitere Nachfrage davon. Shane ließ sich japsend zu Boden sinken, wo ihm Wasser und ein Handtuch gereicht wurden, mit dem er sich den gröbsten Schweiß aus dem Gesicht wischte. Er zitterte. Jeder Muskel seines Körpers schmerzte und die Schmerzen wurden zusehends intensiver. Das Adrenalin, das bis eben noch durch seine Blutbahnen gerauscht war, verflog und hinterließ nichts außer physischer Qual. Für eine gewisse Zeit konnte der menschliche Körper jegliche äußere Einflüsse ignorieren und Kraftreserven mobilisieren, von denen man sonst nur geträumt hätte. Was danach auf einen wartete, war jedoch umso unangenehmer.

»Wie konnten Sie nur? Sie sind als Gast hier und mischen sich in Angelegenheiten des Unternehmens ein«, fauchte Amaya Ling.

Shane glaubte, nicht richtig zu hören. Ihn überkam kalte Wut. Langsam hob er seinen dröhnenden Kopf und sah ihr tief in die dunklen Augen.

Sie zuckte erschrocken zusammen und setzte augenblicklich zu einer Entschuldigung an. »Ich, äh …!«

»Ihre Anlage fliegt in die Luft, Ihr Sicherheitschef wurde niedergeschlagen und einer der Sicherheitsmänner ist tot«, resümierte Shane mit kalter Sachlichkeit. Bei der letzten Bemerkung stöhnte der Mann, der Ling herbeigeholt hatte, geschockt auf. »Und Sie wollen mir Vorträge halten? Schieben Sie sich Ihre Belehrungen sonst wohin! Ich wollte Sie warnen, Ihnen berichten, was geschehen ist, Sie vor weiteren Dummheiten bewahren, aber ich sehe, meine Unterstützung ist nicht gewollt. Wenn nur Sie davon betroffen wären, würde ich einfach nur abwarten und Tee trinken und mich dann an Ihrem entsetzten Gesichtsausdruck weiden, wenn Sie herausfinden, was passiert ist. Aber nun stehen Menschenleben auf dem Spiel!«

Er hielt nichts zurück, ließ seinem Ärger freien Lauf. Shane wusste, dass er zu hart mit ihr umsprang, doch es war ihm egal. Sollte sie von ihm doch halten, was sie wollte.

»Williams ist tot, wie konnte das geschehen?« Es war der Sicherheitsmann, der Shane von Anfang an ernst genommen hatte. Er trug einen schwarzen Anzug und ein Headset, mit dem er mit der Zentrale verbunden war. Sein Namensschild wies ihn als Martin van Holder aus: Hotelsicherheit und darüber hinaus Niederländer. Shane mochte die Niederländer, hatte sie schon immer gemocht.

»Ich weiß nicht, warum er sterben musste, aber ich weiß, wer ihn umgebracht hat.«

Shane holte tief Luft. Konnte er die Wahrheit sagen? Würde man ihm glauben? Was, wenn Ling darin verwickelt war? Er erzählte es trotzdem, darauf bedacht, nichts von der Disc oder Yusuf Bagdshira zu erwähnen. Das konnte er später noch nachholen, wenn alles vorüber war.

Mehrere der verbliebenen Sicherheitskräfte stoben auf Anweisung Martin van Holders davon, um die verschiedenen Eingänge des Hotels zu überwachen und Wagner umgehend festzusetzen. Niemand konnte wissen, was er als Nächstes vorhatte. Es war nicht auszuschließen, dass er zurückkehrte, um zu Ende zu bringen, was er begonnen hatte.

»Dann war es wirklich Sabotage, den Brand meine ich«, sinnierte Ling und riss Shane damit aus seinen Gedanken. »Fritzsch hatte die ganze Zeit über recht.«

»Und Sie haben nicht auf ihn gehört«, stellte Shane kühl fest.

»Nein, doch, ja … ich wollte ihm glauben, aber es klang so haltlos. Ich wollte das Zusammentreffen nicht gefährden, weil es doch von so großer Bedeutung ist. Es stimmt, ich hätte mehr darauf eingehen müssen.« Sie ließ resigniert den Kopf hängen.

»Das hätten Sie Miss Ling, das hätten Sie«, brummte Shane.

***

Allmählich erholte sich sein Körper von den Strapazen des Kampfes mit Wagner. Sein Schädel brummte nur noch unterschwellig und das Brennen in seinen Lungen ließ langsam nach. Gemeinsam mit Ling, van Holder und dem Rest des Personals wartete er geduldig auf die Rückkehr der Gruppe um Estella. Es war ihnen gelungen, die Kollektorfläche zu durchqueren und die offene Wüste zu erreichen. Rettungstrupps hatten die völlig verstörten Gäste aufgegriffen und waren nun mit drei Jeeps auf dem Weg zurück zum Hotel.

Das Gesicht der jungen Forschungsleiterin erschien plötzlich vor Shanes innerem Auge. Hoffentlich geht es ihr gut, dachte er. Der Kampf auf Leben und Tod und die Ermordung Williams’ hatten sie vorübergehend aus seinen Gedanken verbannt, doch nun kehrte die Sorge um sie zurück.

Aus der Ferne hörte man Motorengeräusche, die immer näher kamen. Ein bis zwei Minuten noch, dann waren sie da. Sobald Estella versorgt war, wollte er mit ihr sprechen, und dann würde sich hoffentlich alles klären. Wagner würde gefasst und die Sabotage aufgedeckt werden. Um die weiteren Verstrickungen konnten sich die lokalen Behörden kümmern – sofern sich in einem Staat wie der Arabischen Republik Sahara jemand um die Belange eines multinationalen Energiekonzerns scherte.

Von der rätselhaften Disc hatte Shane noch niemandem erzählt. Ihr Inhalt würde hoffentlich Aufschluss über Wagners Ziele geben. Die Daten mussten höchst brisant sein, so brisant, dass Menschen bereit waren, dafür zu morden. Shane verschob alle weiteren Überlegungen, er würde sich später damit befassen, sobald die Verletzten in Sicherheit waren.

Das unverkennbare Rattern von Dieselmotoren drang zu ihnen herüber. Wäre die Situation nicht todernst gewesen, hätte Shanes Zeitungsartikel an dieser Stelle einen ironischen Unterton angenommen. Umweltverpestende Motoren machten sich nicht so gut für ein Unternehmen, dessen vorrangige Ziele dem Umweltschutz verschrieben waren. Indes bezweifelte Shane ernsthaft, dass er überhaupt noch einen Artikel schreiben würde, zumindest solange nicht, bis er alle Einzelheiten kannte.

Schlagartig wurde ihm etwas bewusst, an das er bisher nicht gedacht hatte. Seine Hand fuhr zu van Holders Schulter und rüttelte ihn durch. »Kontaktieren Sie die Männer in den Jeeps, schnell!«

»Was? Wieso?« Van Holder wirkte irritiert und seine Stimme wurde von dem einsetzenden Freudengeschrei der Hotelangestellten übertönt.

»Wagner könnte in einem der Jeeps sein!«, schrie Shane direkt in van Holders Ohr, um sich über das Geschrei hinweg verständlich zu machen. »Niemand von den Gästen weiß, was in der Zwischenzeit passiert ist«

Ling hatte ihren kurzen Wortwechsel belauscht und redete nun ebenfalls auf van Holder ein. »Tun Sie doch etwas! Wenn auch nur einem der Gäste etwas zustößt, werde ich Sie persönlich für …«

Gerade als der Sicherheitsmann sein Funkgerät zücken wollte, kamen die Jeeps um die Ecke geschossen und hielten mit quietschenden Reifen vor dem Hoteleingang. Den erschöpften Gästen wurde umgehend aus dem engen Innenraum geholfen. Allen stand der Schock ins Gesicht geschrieben. Keiner lächelte, ja nicht einmal Erleichterung über die Rettung war aus ihren Augen zu lesen.

Während die wenigen Sanitäter und die beiden Hotelärzte sich unter die Leute mischten, versuchte Shane fieberhaft, Wagner in der Menge auszumachen.

Gemeinsam mit van Holder drängte er sich zwischen den anderen Gästen hindurch. Es herrschte das reinste Chaos. Shane blickte in verstörte, sonnenverbrannte Gesichter. Von überall her waren klagende Laute und empörte Äußerungen zu hören; jeder redete wild durcheinander. Unsanft stieß Shane Thalia Morgan beiseite, die sich nicht von dem bemühten Hotelpersonal beruhigen lassen wollte. Es wurde mit Schadensersatzklagen und geplatzten Investitionen gedroht. Inmitten des Getümmels erblickte Shane Estella. Sie stand ein wenig abseits von den anderen und starrte apathisch in die Wüste. Direkt hinter ihr befand sich David Meier, der verzweifelt versuchte, seine schweißnassen, zusammengeklebten Haare wieder in Form zu bringen.

Wo zum Teufel steckte Wagner? Shane wusste, dass er hier war; er konnte es spüren. Jeden Moment könnte er … da tauchte er wie aus dem Nichts auf, keine drei Meter von Meier entfernt, die provisorische Pistole erhoben. Er musste sich hinter dem letzten Jeep versteckt und auf den richtigen Moment zum Zuschlagen gewartet haben. Blitzschnell war er hinter Meier. Seine linke Hand schnellte vor und krallte sich um Meiers Kehlkopf, während er mit der rechten die Waffe an dessen Schläfe presste. Lennard Franks Ehefrau kreischte hysterisch auf.

Innerhalb weniger Sekunden stob die Menge auseinander: Gäste und Personal rannten kreischend durcheinander, stießen sich gegenseitig zu Boden und suchten verzweifelt nach einem Fluchtweg.

Ein Schuss fuhr in den Himmel.

»Ruhe!«, schrie Wagner, die Pistole bereits wieder auf Meier gerichtet.

»Ich werde ihn erschießen!« Meier begann unkontrolliert zu zittern, und Wagner hatte Schwierigkeiten, ihn auf den Beinen zu halten. Die kalte, berechnende Fassade des jungen Mannes bekam allmählich Risse. Schweiß lief ihm über die Stirn und die Handflächen. Shane hatte seinen Plan durchkreuzt, sodass ihm nur noch eine Geiselnahme als letzter Ausweg geblieben war. Jetzt hielt er seinem Vorgesetzten eine Waffe an den Kopf – sofern er überhaupt jemals für Meier gearbeitet hatte.

Van Holder reagierte blitzschnell, zog seine eigene Waffe aus dem Holster und richtete sie auf den Geiselnehmer. Wäre nicht schon ein heilloses Durcheinander ausgebrochen gewesen, wären die Dinge in diesem Moment endgültig außer Kontrolle geraten. Van Holder und Wagner starrten sich finster und kalkulierend an. Wagner benutzte Meier nun als menschliches Schutzschild, sodass ein Schuss auf ihn auch unweigerlich seinen Vorgesetzten getötet hätte.

»Dirk, bitte«, flüsterte Meier gerade so laut, dass es nur die Nahestehenden verstehen konnten.

Zum ersten Mal hatte Shane Mitleid mit dem dicklichen Atom-Lobbyisten. Niemand verdiente ein solches Schicksal, nicht einmal eine so niederträchtige und manipulative Person wie Meier.

Es entbehrte jeglicher Logik und jeglichen Verstands, aber wenn Shane gekonnt hätte, er hätte mit Meier getauscht. Ihm müsste Wagner eine Pistole an den Kopf halten. Das war etwas Persönliches, spätestens seit ihrem Zusammentreffen im Kontrollzentrum. Er hatte Wagners Pläne vereitelt und ihm die gestohlene Disc wieder abgenommen. Meier war, so ungern sich Shane das auch eingestand, ausnahmsweise unschuldig. Über van Holders Schulter hinweg starrte er den jungen Mann an.

Täuschte er sich oder flüsterte Wagner Meier etwas ins Ohr? Shane versuchte, genauer hinzusehen, doch da schwenkte auf einmal Wagners Waffe herum. Sie zielte nun nicht mehr auf Meiers Schläfe, sondern direkt auf ihn. Jetzt befand er sich in genau der Situation, die er eben noch in Gedanken heraufbeschworen hatte. In solchen Momenten bewies die Welt, welch makaberen Sinn für Ironie sie doch hatte. Shane kam nicht mehr dazu, den Gedanken zu Ende zu bringen. Die Zeit schien sich zu verlangsamen, stillzustehen.

Es krachten zwei Schüsse: Einer aus der Waffe des Sicherheitsmannes, donnernd und laut, der andere aus Wagners modifizierter Pistole – surrend wie ein Pfeil. Shane konnte nicht fassen, was geschehen war; Wagner hatte ihn verfehlt. Er wollte auf ihn zustürzen, ihm die Waffe entreißen …

Doch plötzlich gaben seine Beine nach. Weshalb nur sahen ihn alle anderen so bestürzt an?

Shane sackte langsam zusammen und blieb auf dem Rücken liegen. Seine Brust wurde eigenartig warm, dann begann das Herz übernatürlich laut zu pochen. Eine heiße Flüssigkeit breitete sich auf ihm aus. Die Zeit hörte auf, wie eine Schnecke dahinzukriechen und wurde immer schneller und schneller. Shane begriff allmählich: Das Projektil hatte ihn nicht verfehlt, es steckte zwischen seinen Rippen.

Verschwommene Gesichter füllten sein Blickfeld aus, doch eines stach besonders daraus hervor. Es gehörte einer jungen Frau; er war froh, dass sie da war. Ihre klaren, indigoblauen Augen zogen ihn auf den Grund des Meeres seiner Existenz hinab.

Das war es also, das größte Mysterium der Menschheit. Shane hatte sich Sterben viel spektakulärer vorgestellt, erfüllender – doch der Blick in Estellas Augen blieb das einzig Erfüllende in diesem Moment der Agonie, bevor er für immer in der Schwärze versank.

Kalte Zukunft

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