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Kapitel 4
Оглавление28. Februar 2023
Sun City
Obwohl das Bett bequem, die kalte Dusche erfrischend und das Frühstücksbuffet überwältigend gewesen waren, erfreute sich Shane nicht des Gefühls des Ausgeschlafen-Seins. Gähnend blickte er zu Estella Meinhard hinüber, die soeben mit der Hoteldirektorin Miss Ling und einem Gefolge herausgeputzter Zimmermädchen in Richtung Flughafengebäude verschwand. In Kürze würden die weiteren Gäste eintreffen.
Als Erstes Thalia Morgan, der weibliche Nachfolgepart Al Gores, wie sie von den Medien genannt wurde. Wie Gore war sie zunächst Politikerin gewesen und hatte sich dann dem Umweltschutz gewidmet. Nun zählte sie zu den weltweit angesehensten Frauen und war zugleich Vorsitzende der Green Earth Foundation und Beraterin zahlreicher renommierter Umweltschutz-Organisationen. Shane freute sich bereits darauf, sie wiederzusehen, dennoch hielt er es nicht für nötig, zum Empfang zu erscheinen.
Er studierte die weiteren Namen auf der Gästeliste und das geplante Programm. Unter Thalia Morgan standen David Meier, Vorstandsvorsitzender des marktbeherrschenden deutschen Energiekonzerns, Lennard Frank, privater Investor in Begleitung seiner Frau Marie, einige ihm unbekannte Investoren und hochrangige Wissenschaftler sowie William Crosswind, republikanischer Energiepolitiker, der seine Traditionsverbundenheit überwunden hatte und innovativen Technologien nun aufgeschlossen gegenübertrat.
Vorsichtig nippte Shane an seinem kochend heißen Kaffee. In ihm rumorte es – ein natürlicher Widerwille gegen jedwede Form von Empfängen und Zusammentreffen sogenannter Eliten, denn bei Veranstaltung dieser Art wurde von ihm erwartet, die Gäste zu hofieren und ihnen so viel Ehrerbietung und Aufmerksamkeit zu erweisen, dass sie sich bedeutender fühlten als der Durchschnitt der Menschen. Doch was unterschied sie vom Rest der Bevölkerung? Sie leisteten einen hohen Beitrag, ja, obschon die Auslegung dieses Aspekts natürlich sehr relativ war. Aber leitete sich daraus der Anspruch auf Besserbehandlung ab? Dieses alberne Getue – die heuchlerischen Zusicherungen und die immer gleichen, nichtssagenden Floskeln –, all das versetzte Shane innerlich in Rage.
Dort, wo der Flyer ein Bild einer PECS-Solarzelle zeigte, erschien nun in Shanes Kopf das Gesicht der jungen Forschungsleiterin. Eine kindliche Schwärmerei sorgte dafür, dass er ihr offenes freundliches Lächeln nicht mehr vergessen konnte. So hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt; allerdings war er sich über seine Gefühle auch nicht wirklich im Klaren. Er musste sie unbedingt besser kennenlernen, andernfalls könnte sie eine Leere in ihm zurücklassen, die er sich wahrscheinlich nie verzeihen würde.
Eigentlich war es lächerlich! Er hatte sie gerade einmal fünf Minuten mit ihr unterhalten und trotzdem übte sie eine Faszination auf ihn aus, die ihn an die Zeit seiner Jugend erinnerte. Wie hieß es doch so schön: Ein paar Minuten, um jemanden zu mögen, eine Stunde, um sich in ihn zu verlieben – und ein Leben, um ihn wieder zu vergessen.
Er versuchte, die kreisenden Gedanken in seinem Schädel zur Ruhe zu bringen und widmete sich weiter dem Flyer. Das Programm sah erst für 15:00 Uhr ein erstes gemeinsames Zusammentreffen aller Gäste in der Bibliothek vor. Demnach blieb ihm noch genügend Zeit, um im Pool ein paar Bahnen zu ziehen. Wenn es einen Sport gab, der Shane erfüllte, dann war es das Schwimmen. Das Wasser vermittelte ihm das Gefühl, getragen zu werden; gleichzeitig umhüllte es seinen Körper wie eine wärmende Schutzschicht, die ihn gegen die störenden Einflüsse des Alltags abschottete. In seiner Schulzeit hatte er sogar den ersten Platz der britischen Meisterschaft im Freistilschwimmen bei den unter 20jährigen gewonnen. Aus dem ehemaligen Leistungssport war mit den Jahren jedoch nur noch ein erholsames Hobby geworden. Wie so viele Dinge im Leben, für die er nie die Zeit fand.
Vom Tisch aus beobachtete er die emsigen Angestellten, die seit dem frühen Morgen förmlich aus allen Löchern gekrochen kamen und sich in Scharen ihren Aufgaben widmeten. Jedes Mal, wenn er so viele arbeitende Menschen sah, musste er unwillkürlich an einen Ameisenstaat denken. Aber was war die Menschheit genaugenommen denn mehr als ein Ameisenstaat?