Читать книгу Kalte Zukunft - Benjamin Blizz - Страница 8
Kapitel 6
ОглавлениеEstella Meinhard lehnte sich in ihrem gepolsterten und mit feinem Nappaleder bespannten Chefsessel zurück und betrachtete nachdenklich die Fotovoltaik-Anlage, die wie ein Meer aus Spiegeln den Boden unter ihr bedeckte. Das ihr für den kurzen Zeitraum zugewiesene Büro befand sich unmittelbar über einigen PECS-Zellen und war über einen etwa zwei Meter hohen und breiten Stahl- und Glastunnel mit dem Forschungs- und Steuerungszentrum verbunden. Die Wände wie auch der Boden bestanden aus Glas, UV-undurchlässigem Glas, ansonsten wäre man im Inneren gegrillt worden. Das Büro gehörte eigentlich dem leitenden Wissenschaftler, Dr. Heckler, doch dieser hatte bereitwillig zugestimmt, Meinhard die Räumlichkeiten für die Dauer ihrer Anwesenheit zu überlassen. (Gut, dass er nicht wusste, dass sie sich auch mit etwas Kleinerem zufriedengeben hätte.)
Sie richtete sich wieder auf und aktivierte das große Datenterminal, von dem aus sie sich über eine mehrfach durch Firewalls geschützte Verbindung im Hauptrechner des Unternehmens einloggte, um einen aktuellen Statusbericht anzufordern, der innerhalb der nächsten Stunde eintreffen würde. Sie konnte es kaum erwarten, den Stand der Dinge in Deutschland zu erfahren, denn im Vergleich zu dem laufenden Experiment, das in den Geheimlaboren von Hawkes Enterprises unter Verschluss gehalten wurde und dessen Fortschritt sie brennend interessierte, war das PECS-Sonnenkraftwerk nur eine unbedeutende Spielerei.
Sie standen kurz vor einem Durchbruch, das spürte Estella, weshalb sie der Bitte, sich um die Präsentation in Sun City zu kümmern, nur ungern nachgekommen war. Patrick betonte stets, dass ihre Forschung noch in den Kinderschuhen stecken würde und dass ihr Ausgang ungewiss sei, doch er wusste nicht, was Estella wusste und darüber hinaus teilte er nicht ihren Optimismus, der allerdings, wie sie fand, unabdingbar für einen Mann seiner Position gewesen wäre. Onkel hin oder her … diese fehlende Zuversicht ließ ihn das eigentliche Ziel aus den Augen verlieren. Ständig rief er in Absprache mit der Führungsriege weitere Projekte ins Leben, von denen er sich versprach, dass sie die Energiefront revolutionieren würden.
Estella schüttelte den Gedanken ab und versuchte sich stattdessen auf ihr Projekt zu konzentrieren, was sie jedes Mal aufs Neue in Euphorie versetzte. Woran sie arbeitete, war nämlich nicht nur streng geheim, sondern auch nobelpreisverdächtig, wenn nicht nobelpreissicher. Aber bevor sie nicht absolut überzeugt war, dass es funktionieren würde, durfte nichts an die Öffentlichkeit gelangen. Estella seufzte. Das Warten wurde allmählich zur Qual.
Das alberne Quäken des Türsummers zerstörte das Bild, das sie eben noch vor Augen gehabt hatte und holte sie jäh in die Realität zurück.
»Herein«, rief sie, und der Sprachprozessor setzte ihren Befehl in die Tat um und entriegelte den Schließmechanismus der automatischen Schiebetür. Es war Fritzsch, der nervös auf der Schwelle wartete. Worauf wartete der Mann noch? Sie hatte ihn doch bereits hereingebeten. Manchmal wurde sie aus anderen Menschen einfach nicht schlau.
Ein Wink mit den Händen schien ihn zu beruhigen, und er betrat unsicher das Büro. Vor dem Schreibtisch nahm er Haltung an.
»Ich weiß ja nicht, wie Dr. Heckler mit Ihnen umspringt, aber vor mir brauchen Sie nicht zu salutieren. Rühren, Soldat!«
Der Scherz verfehlte seine aufmunternde Wirkung und der Hüne blickte nur noch irritierter. Sie versuchte es mit einem einfachen Lächeln.
»Was kann ich für Sie tun, Herr Fritzsch?«
Das Verhalten des Mannes stand ganz im Gegensatz zu seiner körperlichen Erscheinung. Gegenüber Vorgesetzten verhielt er sich laut seiner Akte umsichtig und bedacht, was sie nur bestätigen konnte. Aber er wäre nicht Sicherheitschef geworden, wäre er im Ernstfall nicht in der Lage, hart durchzugreifen.
»Ich bin mir nicht sicher, ob man es Ihnen gegenüber erwähnt hat, Frau Meinhard, aber ich denke, Sie sollten wissen, dass wir mit Sabotageakten zu rechnen haben. Mrs. Blinow hielt es für unangebracht, Sie deswegen zu behelligen, da bisher nur Indizien vorliegen, aber ich halte es für meine Pflicht, Sie darüber zu informieren.«
Estella stutzte. Sabotage? Sie würde auf jeden Fall ein ernstes Wörtchen mit Blinow und Heckler wechseln müssen. Wenn es etwas gab, das Hawkes Enterprises großschrieb, dann war das Sicherheit. Keine Meldung zu erstatten, selbst wenn kein begründeter Verdacht vorlag, war unverantwortlich. Sie mussten für alles gewappnet sein.
»Können Sie mir erklären, worauf sich Ihr Verdacht gründet?«
»Ja, Ma’am.« Fritzsch berichtete ihr detailliert von seinen Vermutungen und den Stellungnahmen, die er von Cable Inc. angefordert hatte.
»Die Kabelbrände können durchaus durch Materialversagen hervorgerufen werden, das ist nicht einmal ungewöhnlich, aber ich verstehe trotzdem Ihre Besorgnis«, sagte Meinhard. »Viel gravierender erscheint mir jedoch die Bedrohung durch die Trojaner-Angriffe. Dem sollten wir unbedingt nachgehen.«
Dass leichtsinnige Hacker versuchten, auf den Zentralrechner zuzugreifen, kam des Öfteren vor, doch das Netzwerk der PECS-Anlage war nicht internetgebunden, was bedeutete, dass sich jemand auf anderem Wege Zugang verschafft haben musste.
Estella bedachte den Sicherheitschef mit einem dankbaren Lächeln. »Sie haben richtig gehandelt, Herr Fritzsch. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen und werde mich umgehend darum kümmern. Würden Sie mir einen Gefallen tun?«
»Ja, Ma’am?«
»Verstärken Sie die Wachmannschaften – und bewahren Sie Stillschweigen gegenüber den Gästen. Wir können es uns nicht leisten, sie zu beunruhigen. Ach ja, und hören Sie bitte auf, mich Ma’am zu nennen.«
»Ja, Ma’am.«
Estella verdrehte die Augen. Als sie sah, dass Fritzsch wie festgewurzelt vor ihr stehen blieb, wurde sie wieder ernst. Irgendwas bedrückte ihn, das merkte sie ihm an.
»Gibt es noch etwas?«
»Ja …« Fritzsch zögerte. »Mr. O’Brien hat Wind von der Sache bekommen. Er weiß, dass wir die Beduinen verdächtigen. Er hat Ling und mich dahingehend ausgefragt.«
»Und was haben Sie ihm gesagt?«
»Ich habe es nicht dementiert. Er sagte, Sie hätten ihn zu mir geschickt.«
Estella stöhnte. Das fehlte ihr gerade noch. Ausgerechnet O’Brien, der ihr noch vor wenigen Stunden klargemacht hatte, dass er nur schreiben würde, was er persönlich auch vertreten könne! Sie würde ihn, so gut es ging, ablenken müssen.
Fritzsch eilte aus dem Raum, offensichtlich beschämt, einen Fehler begangen zu haben. Sie machte ihm keinen wirklichen Vorwurf. Die wenigen Augenblicke mit Shane hatten ausgereicht, um ihr vor Augen zu führen, wie einnehmend der Mann sein konnte.
Sie stand auf, ging um den Schreibtisch herum und blickte auf die Anlage hinaus. Wenn es wirklich eine Bedrohung gab, würde sie sie aufspüren und neutralisieren. Was in der Wüste für Aufregung sorgte, konnte ihnen auch zu Hause gefährlich werden, und das Schlimmste war eine brodelnde Gerüchteküche. Die Zukunft war schon steinig genug, da fehlten gerade noch schlechte Kritiken und Hiobsbotschaften.
Ihre Gedanken schweiften erneut ab, während sie so dastand und in die Ferne schaute. Sie ertappte sich dabei, wie sie an O’Brien dachte und sich vorstellte, wie es wohl wäre, ihm bei einem weniger förmlichen Anlass zu begegnen. Vom ersten Moment an hatte sie gespürt, dass er eine schwierige, wenn nicht gar unangenehme Persönlichkeit war; trotzdem hatte sie eine gewisse Sympathie für ihn empfunden. Er war ein Macho, aber immerhin mit Stil, wie er selbst gesagt hatte.
»Estella, reiß dich zusammen«, sagte sie laut zu sich selbst. Aber gut sieht er ja schon aus …