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6. Anfänger-Operation als Beispiel für Übernahmefahrlässigkeit[904]
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Ist ein Berufsanfänger nicht in der Lage, bei Durchführung der Operation den gebotenen Standard eines Facharztes zu gewährleisten,[905] so kommt für den Berufsanfänger selbst eine Fahrlässigkeitsverantwortlichkeit wegen fahrlässiger Tätigkeitsübernahme in Betracht. Hat er erkannt oder hätte er erkennen können, dass er zu dem ihm übertragenen Eingriff nicht befähigt ist, so hat er ihn von vornherein zu unterlassen. Zwar ist an einen Arzt in der Ausbildung bzw. Berufsanfänger nicht der Sorgfaltsmaßstab anzulegen wie an einen fertig ausgebildeten oder erfahrenen Arzt; mit den Worten des 6. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes:[906] „Maßstab für die an einen in der Ausbildung befindlichen Assistenzarzt zu stellenden Sorgfaltsanforderungen, d.h. … für die Überlegungen, die der … (Berufsanfänger) im Hinblick auf die Gefährdung der Patientin anzustellen und wie er sich danach zu verhalten hatte, kann nicht der medizinische Wissens- und Erfahrungsstand eines fertigen, in der Praxis geübten Facharztes sein. … (Ihm) kann nur dann ein Vorwurf daraus gemacht werden, daß er sich weisungsgemäß auf die selbständige Operation eingelassen hat, wenn er nach den bei ihm vorauszusetzenden Kenntnissen und Erfahrungen dagegen Bedenken hätte haben und eine Gefährdung der Patientin hätte voraussehen müssen.“ Zum Schutze des Patienten muss auch im strafrechtlichen Bereich von einem ärztlichen Berufsanfänger erwartet werden, dass er gegenüber seinen Fähigkeiten besonders selbstkritisch und sich den unter Umständen lebensbedrohenden Gefahren für einen Patienten bewusst ist, die er etwa durch gedankenloses Festhalten an einem Behandlungsplan, durch Mangel an Umsicht oder das vorschnelle Unterdrücken von Zweifeln heraufbeschwören kann.[907] Eine Sorgfaltspflichtverletzung durch Tätigkeitsübernahme kann insbesondere dann gegeben sein, wenn der Anfänger an der in Rede stehenden Behandlungsmaßnahme noch nie teilgenommen und deshalb insoweit keine Erfahrungen hat.[908] Es versteht sich von selbst, dass Anweisungen des übergeordneten Facharztes zur Behandlungsübernahme ohne Einfluss auf die dem Anfänger vorzuwerfende objektive Sorgfaltswidrigkeit bleiben: Hätte er erkennen müssen, dass der Patient bei der von ihm eigenverantwortlich durchgeführten Operation einem höheren Gesundheitsrisiko ausgesetzt ist, so darf der Anfänger nicht gegen sein ärztliches Wissen und gegen bessere Überzeugung handeln und die Anweisungen des übergeordneten Facharztes befolgen.[909] Er muss mithin die ihm angesonnene Behandlungsübernahme ablehnen.[910] Die vom 6. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs ins Auge gefasste („wenn es nicht anders geht“) Information des Patienten über diese Sachlage, um ihm Gelegenheit zu geben, seine Einwilligung zu dem Eingriff zu verweigern,[911] kommt als sog. Risiko-Aufklärung[912] nur dann in Betracht, wenn in einer Notsituation bei akuter Gefährdung von Leib oder Leben des Patienten keine andere Behandlungsmöglichkeit als die durch einen Berufsanfänger besteht.[913] Dann hat der Patient zu entscheiden, ob er dieses Risiko einzugehen bereit ist.