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a) Vermeidung von Zuschreibungsfehlern

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Wie auch sonst bei Fahrlässigkeitsdelikten gilt es für den Rechtsanwender, sich bei seiner ex ante-Beurteilung der Gefahr von Zuschreibungsfehlern[470] bewusst zu sein und sich nicht durch die „actor-observer-Differenz“ zu derartigen Fehlern bei der nachträglichen Bewertung menschlichen Verhaltens verleiten zu lassen:[471] Die Offenheit der Handlungssituation, in die der Arzt sich gestellt sieht, kann bei nachträglicher Beurteilung ebenso unterschätzt wie umgekehrt die Möglichkeit einer rationalen Entscheidungsfindung überschätzt werden.[472] Die Kenntnis der tatsächlich eingetretenen Handlungsfolgen lässt sich nur schwer ausblenden, so dass nachträglich gestellte „Prognosen“ einem schleichenden Determinismus unterliegen können. Überdies erfolgen Bewertungen häufig in Relation zur Schwere der negativen Handlungsfolgen, so dass stets die Gefahr einer unangemessenen „Erfolgsorientierung“ und einer Reduktion des Bewertungsvorgangs auf die bloße „Rekonstruktion eines versteinerten Kausalverlaufs“ besteht („severity-responsibility-relation“).[473] Damit würde aber die Grenze zwischen Schicksal (des Patienten) und Schuld (des Arztes) verwischt.[474] Aus diesem Grunde hat auch der für die Arzthaftung zuständige 6. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zurecht aus der Eigentümlichkeit des ärztlichen Handelns geschlossen, dass „Kausalverläufe bei ärztlichen Eingriffen (…), weil ein jeweils anderer Organismus getroffen ist, dessen Zustand und Reaktion nicht sicher berechenbar ist, häufig weder vorausschauend noch rückwirkend eindeutig feststellbar (sind). Mißerfolge und Komplikationen im Verlauf einer ärztlichen Behandlung weisen deshalb nicht stets auf ein Fehlverhalten des behandelnden Arztes hin.“[475] Ferner: „Zwischenfälle, die in der Regel auf ärztliches Fehlverhalten hindeuten, (können) in vielen Bereichen infolge der Unberechenbarkeit des lebenden Organismus ausnahmsweise auch schicksalhaft eintreten (…).“[476] Des Weiteren: „(Auch sind die) Symptome einer Erkrankung (…) nicht immer eindeutig, sondern können auf die verschiedensten Ursachen hinweisen … Auch kann jeder Patient wegen der Unterschiedlichkeiten des menschlichen Organismus die Anzeichen ein und derselben Krankheit in anderer Ausprägung aufweisen.“[477] Diese Unberechenbarkeit des lebenden Organismus[478] verbietet es, aus einem Fehlschlag ärztlicher Bemühungen oder einem Behandlungszwischenfall umstandslos auf ein Fehlverhalten zu schließen.[479] Stattdessen ist darauf abzustellen, ob „der Arzt unter Einsatz der von ihm zu fordernden medizinischen Kenntnisse und Erfahrungen im konkreten Fall vertretbare Entscheidungen über die diagnostischen sowie therapeutischen Maßnahmen getroffen und diese Maßnahmen sorgfältig durchgeführt hat.“[480]

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