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c) Diagnosefehler

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Jeder Krankenbehandlung geht die Diagnose des Ist-Zustandes des Patienten voraus, also die Feststellung und medizinische Beurteilung seiner Beschwerden durch Anamnese, Untersuchung sowie anschließender Auswertung der erhobenen Befunde. Das Nichterkennen einer erkennbaren Erkrankung und der für sie kennzeichnenden Symptome kann einen Behandlungsfehler darstellen. Da aber die Symptome einer Erkrankung nicht immer eindeutig sind, sondern auf die verschiedensten Ursachen hinweisen können, überdies jeder Patient wegen der Unterschiedlichkeiten des menschlichen Organismus die Anzeichen ein und derselben Krankheit in anderer Ausprägung aufweisen kann, Symptome sich vielfach auch als doppeldeutig erweisen, sind Irrtümer bei der Diagnosestellung oft nicht als Sorgfaltswidrigkeit des Arztes einzustufen.[496] Liegt die Ursache einer Symptomatik nahe, so kann dies den Blick nachvollziehbar auf andere Umstände verstellen, ohne dass hiermit ein Behandlungsfehler einhergehen muss.[497] Dem Arzt ist vielmehr bei seiner Diagnosestellung ein weiter Beurteilungs- und Bewertungsspielraum eröffnet.[498] Ein Behandlungsfehler[499] liegt erst dann vor, wenn dem Arzt bei seiner Fehldiagnose ein evidenter Irrtum unterläuft, so dass seine Fehlinterpretation als unvertretbar einzustufen ist.[500] Dies ist bspw. der Fall, wenn er ein aus ex-ante-Sicht (!)[501] eindeutiges Krankheitsbild verkennt oder ein von ihm erkanntes Krankheitsbild nach den Maßstäben der Schulmedizin unvertretbar[502] falsch deutet.[503] Durch diese Restriktion der Sorgfaltspflichtverletzung wird auch der Gefahr einer Überdiagnostik und einer defensiven, auf eingefahrene Methoden fixierten Therapie gegengesteuert.[504] Im Übrigen darf der Arzt umso eher auf belastende und kostspielige Diagnostik verzichten, je deutlicher sich eine Krankheit abzeichnet.[505] Kommt etwa ein Patient in einem unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand ins Krankenhaus, so dass ein Eingriff, soll er überhaupt noch Hilfe bringen, rasch erfolgen muss, so wird der Arzt unter Umständen auf eine Anamnese verzichten können bzw. sogar müssen, auch wenn er es darauf ankommen lassen muss, nicht zu wissen, ob körperliche Zustände des Kranken, die er nicht so schnell erforschen kann, die Gefahren des notwendigen Eingriffs erhöhen.[506] Der Arzt darf eine solche Gefahr in Kauf nehmen; bei ungünstigem Ausgang trifft ihn kein rechtlicher Vorwurf. – Ein Behandlungsfehler kommt namentlich dann in Betracht, wenn elementare Kontrollbefunde nicht erhoben werden oder die zunächst gestellte „Arbeitsdiagnose“ nicht überprüft wird.[507] Der Umfang des im Einzelfall gebotenen diagnostischen Aufwands hängt vom Ausmaß der drohenden Gesundheitsschäden, von ihrer Revisibilität sowie von der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts ab.[508] Auf dem Feld des zivilrechtlichen Schadensersatzes gilt es insoweit zwischen einem Diagnosefehler (Fehlinterpretation erhobener Befunde) einerseits, einem Befunderhebungsfehler[509] (Nichterheben der für eine korrekte Diagnose erforderlichen Befunde[510]) andererseits zu unterscheiden, da letztgenannter zu einer Beweislastumkehr für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs zwischen Behandlungsfehler und eingetretenem Gesundheitsschaden führt.[511] Für die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit spielt dies – ebenso wie eine Abgrenzung zwischen Befunderhebungsfehler und fehlerhafter therapeutischer Aufklärung[512] – angesichts des hier maßgebenden in-dubio-pro-reo-Grundsatzes keine Rolle.

Handbuch des Strafrechts

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