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4.Gesetzgebungskompetenz im Strafverfahrensrecht

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11aPolizeiobermeister P. hat Urlaub, ist aber nicht verreist. Bei einem Spaziergang durch die heimatliche Gemeinde, in der er sonst seinen Dienst versieht, begegnet ihm der aus der JVA entwichene Strafgefangene S., der mit Vollstreckungshaftbefehl gesucht wird und aufgrund staatsanwaltschaftlicher Anordnung zur Festnahme ausgeschrieben ist. P. erkennt den S. sofort vom Fahndungsfoto her wieder. P. ruft: „Halt, Polizei!“ und erklärt den S. für festgenommen; dieser ergreift jedoch unmittelbar die Flucht. P. läuft dem S. nach, muss aber einsehen, dass S. schneller ist. Nur durch einen gezielten Schuss aus der von ihm mitgeführten Dienstwaffe auf die Beine des S. gelingt es ihm, diesen an der weiteren Flucht zu hindern.

11bRechtsgrundlage der Festnahme ist § 457 Abs. 2; die Ausschreibung zur Festnahme beruht auf § 131; der traditionelle Begriff des „Steckbriefs“ ist vom Gesetzgeber bewusst abgeschafft worden50. In der Ausschreibung des Haftbefehls durch die StA ist ein Ersuchen derselben an die Polizei gem. § 161 i. V. m. § 457 Abs. 1 zu sehen, den S. festzunehmen. An sich sind daher die Festnahmevoraussetzungen im Fall gegeben. Unschädlich ist, dass sich P. im Urlaub befand, denn nach den allgemein geltenden Polizeidienstvorschriften vermag sich ein Polizeivollzugsbeamter jederzeit durch ausdrückliche Erklärung in den Dienst zu versetzen, was hier geschehen ist.

Es fragt sich aber, ob der von P. ausgeübte Zwang – insbesondere der Schusswaffengebrauch – zulässig war. Die Zulässigkeit der Ausübung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung strafprozessualer Zwangsmaßnahmen ist in der StPO grundsätzlich nicht besonders geregelt. Der im Verwaltungsvollstreckungsrecht geläufige Ausdruck „unmittelbarer Zwang“ wird in der StPO prinzipiell nicht verwendet (Ausnahme: § 81c Abs. 6). Es gilt vielmehr der Grundsatz, dass die zur Durchsetzung eines strafprozessualen Eingriffs notwendigen Zwangsmaßnahmen auf der speziellen Ermächtigungsgrundlage der StPO für den Eingriff selbst beruhen, dies allerdings unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips51. Die verwaltungsrechtliche Unterscheidung von Grundverfügung und Vollstreckungsverfahren ist dem Strafprozessrecht fremd. Nach ganz h. M. ergibt sich z. B. aus der richterlichen Durchsuchungsanordnung auch die Befugnis, zu deren Durchsetzung Türen aufzubrechen, Absperrungen vorzunehmen, sogar Behältnisse zu zerstören usw.52. Die StPO enthält zur Vollstreckung von Eingriffsanordnungen nur fragmentarische Bestimmungen und belässt es im Übrigen bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die schwerfälligen, am Verwaltungsakt orientierten Strukturen des Verwaltungsvollstreckungsrechts lassen sich auf das Strafverfahren nicht übertragen. Daher ergibt sich die Zulässigkeit der Anwendung unmittelbaren Zwangs direkt aus § 457, wie dies auch die Formulierungen der Abs. 2 und 3 erkennen lassen. Es ist daher weder erforderlich noch zulässig, als Grundlage des unmittelbaren Zwangs auf die Vorschriften der Polizeigesetze zurückzugreifen53.

11cEs fragt sich höchstens, ob die polizeigesetzlichen Regelungen verbindlich die Inhalte der „Erforderlichkeit“ und „Verhältnismäßigkeit“ konkretisieren können, also insofern als gesetzliche Ergänzung der strafprozessrechtlichen Regelung zur Anwendung kommen54. Diese Ansicht ist jedoch ebenfalls abzulehnen, denn der Landesgesetzgeber, der die Polizeigesetze erlässt, ist nicht befugt, auf dem Gebiet des Strafverfahrensrechts Regelungen zu treffen. Nach Art. 74 Nr. 1 GG besitzt der Bund u. a. die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz auf den Gebieten des Strafrechts und des gerichtlichen Verfahrens, aber nicht mehr des Strafvollzugs. Die StPO als Bundesgesetz beruht auf der Zuständigkeit des Bundes für das gerichtliche Verfahren, und zwar nicht nur, soweit es um das gerichtliche Hauptverfahren geht, sondern – davon abgeleitet – auch sonst, z. B. im Vorverfahren55. Das BVerfG hat sogar die Gesetzgebungskompetenz des Bundes aufgrund von Art. 74 Nr. 1 GG für künftige Strafverfahren bejaht, wobei es ohne Belang sei, ob bereits ein Anfangsverdacht gegeben sei und ob die Regelung in einem Spezialgesetz außerhalb der StPO erfolge56. Von seiner Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Strafverfahrensrechts hat der Bund durch die mehrfach neu verkündete StPO umfassend Gebrauch gemacht. Da es sich um eine Kodifikation des gesamten Rechtsgebiets (jedenfalls des Strafverfahrensrechts i. e. S.) handelt, kommen auch ergänzende Bestimmungen der Länder für solche Fragen nicht in Betracht, welche in der StPO nicht ausdrücklich geregelt worden sind. Dieses schon nach allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen zwingende Ergebnis wird klargestellt durch § 6 EGStPO, wonach die prozessrechtlichen Vorschriften der Landesgesetze für alle Strafsachen außer Kraft treten, soweit nicht in der StPO auf sie verwiesen wird57. Die StPO lässt auch nicht Raum für eine Regelung der Art und Weise des Vollzuges der von ihr vorgesehenen Eingriffe, da sie zwischen dem „Ob“ und „Wie“ einer Maßnahme prinzipiell nicht unterscheidet. Auch die Art und Weise des Vollzuges einer Maßnahme wird partiell in der StPO angesprochen und bleibt nicht etwa systematisch aus ihrem Regelungsanspruch ausgeklammert58. Wäre es dem Landesgesetzgeber überlassen, ergänzende Regelungen bezüglich des Vollzuges strafprozessrechtlicher Eingriffe zu regeln, liefe dieses auf eine unterschiedliche Handhabung, ja Zersplitterung des Strafverfahrens in den einzelnen Bundesländern hinaus, denn die Wertvorstellungen über das, was verhältnismäßig und zumutbar erscheint, gehen bei den Landesgesetzgebern weit auseinander. Schließlich vertrüge sich eine aus Polizeirecht abgeleitete Regelungskompetenz der Länder im Strafverfahren nicht mit der umfassenden Sachleitungsherrschaft der StA.

11dEine gesetzliche Bindung an die polizeirechtlichen Vorschriften über die Anwendung unmittelbaren Zwangs besteht hier also nicht59. Als verbindliche Rechtsnormen verstoßen diese z. T. gegen die nach dem GG vorgegebene Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Jedoch stellen sie durchaus taugliche Kriterien und Richtlinien dafür dar, was grundsätzlich als verhältnismäßiges Handeln eines Polizeibeamten angesehen werden kann, denn sie sind Ausdruck der in den Ländern vorhandenen Verwaltungserfahrungen im Umgang mit den Fähigkeiten und der Ausbildung von Polizeivollzugsbeamten. Daher eignen sich diese Vorschriften inhaltlich als – normativ allerdings nicht zwingende – Maßstäbe der Verhältnismäßigkeit, die auch dem Richter wertvolle Hinweise zu geben vermögen, ohne ihn jedoch in seiner Beurteilung der Verhältnismäßigkeit abschließend festzulegen60. Gemessen daran, kann hier die Verhältnismäßigkeit des Vorgehens des P. bejaht werden, denn bei entwichenen Strafhäftlingen ist als letztes Mittel des unmittelbaren Zwangs nach übereinstimmenden polizeirechtlichen Regelungen die Anwendung des Schusswaffengebrauchs vorgesehen, selbst wenn der Verurteilung kein Verbrechen zugrunde lag.

Dagegen richtet sich die Frage, ob P. überhaupt zuständig war, nach Landesrecht. Denn die Zuständigkeit der Beamten und Behörden des Polizeidienstes ist von der StPO und dem GVG gezielt ausgeklammert worden. Das Polizeiorganisationsrecht – auch soweit die Zuständigkeit für die strafverfolgende Tätigkeit der Polizei betrifft – unterliegt vielmehr der Verwaltungshoheit der Länder nach Art. 83 ff. GG. Hier besteht an der Zuständigkeit des P. in seiner Heimatgemeinde kein Zweifel; üblicherweise sind Polizeivollzugsbeamte im gesamten Landesgebiet zuständig61.

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