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1.Vorläufige Festnahme

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54Die wesentlichste Ermächtigungsgrundlage für vorläufige Festnahmen ist § 127. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, in Eilsituationen einer Person habhaft zu werden, damit eine richterliche Entscheidung über die Anordnung der Untersuchungshaft ergehen kann141. Die vorläufige Festnahme ist weder Selbstzweck noch als vorübergehende Erleichterung anderer Ermittlungstätigkeiten zu verstehen. Schon gar nicht dient sie präventiven Zwecken, so dass die Festnahme von strafunmündigen Kindern nach § 127 ausscheidet142. Die Festnahme ist auf eine Vorführung beim Richter (§ 128) gerichtet, der die weiteren Haftentscheidungen zu fällen hat. Werden Straftaten während einer Gerichtsverhandlung begangen, so kann gem. § 183 GVG die vorläufige Festnahme durch ein ansonsten nicht zuständiges Gericht verfügt werden. Zur Erleichterung und Vorbereitung des beschleunigten Verfahrens143 hat der Gesetzgeber mit § 127b eine neue Grundlage zur vorläufigen Festnahme durch die StA oder die Beamten des Polizeidienstes geschaffen. Eine völlig anders geartete Zielrichtung liegt vorläufigen Festnahmen nach § 164 zugrunde. Danach können bis zum Ablauf einer Maßnahme nicht nur Beschuldigte, sondern auch andere Personen festgenommen werden, die bei der Durchführung einer strafprozessualen Amtshandlung vorsätzlich stören oder sich dabei zulässigen Anordnungen widersetzen. Wegen des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung sind diese Ermächtigungsnormen auch alle als Rechtfertigungsgründe i. S. d. materiellen Strafrechts anzusehen.

55Der Hauswart H. sieht sich zur Entspannung regelmäßig die Fernsehsendung „Kriminalreport“ an. Dort werden eines Abends Phantombilder mehrerer mutmaßlicher Vergewaltiger gezeigt sowie ein von einer versteckten Kamera in einer Bank aufgenommenes Foto des B., wie dieser den Kassierer der Bank mit einer Waffe bedroht und zur Herausgabe von Bargeld zwingt. In der Sendung wird mitgeteilt, dass nach B. öffentlich zum Zwecke seiner Festnahme gefahndet werde. Am nächsten Morgen begegnet H. zufällig dem Freund der neuen Mieterin und erkennt in diesem eindeutig den am Vorabend gezeigten Bankräuber B. Geistesgegenwärtig schließt H. den B. in der Wohnung ein, um B. von der Polizei abholen zu lassen. Als die Beamten erscheinen, erstattet zunächst B. gegen H. Anzeige wegen Freiheitsberaubung.

56H. hat den Tatbestand des § 239 StGB erfüllt. Die Rechtswidrigkeit könnte jedoch durch das Eingreifen des Rechtfertigungsgrundes nach § 127 Abs. 1 StPO ausgeschlossen sein. Danach ist jedermann befugt, Personen, welche auf frischer Tat betroffen oder verfolgt werden, vorläufig auch ohne richterliche Anordnung festzunehmen, wenn diese Personen der Flucht verdächtig sind oder ihre Identität nicht sofort festgestellt werden kann (sog. Flagranzfestnahme). Der Begriff „jedermann“ ist wörtlich zu nehmen. Die Vorschrift gestattet daher auch Privatpersonen, durch vorläufige Festnahmen die Strafverfolgung zu sichern, sofern sie nicht gegen den erklärten Willen der Strafverfolgungsbehörden handeln144. Unter den Begriff „jedermann“ fallen ebenfalls Staatsanwälte und Polizeibeamte, die sich außerdem auf den Abs. 2 des § 127 stützen können, was sich schon aus dem Wortlaut des Abs. 2 („auch dann“) ergibt. Dies gilt entgegen der h. M. für beide Alt. des Abs. 1 (Fluchtverdacht und nicht feststehende Identität)145. Denn § 163b ist im Fall der nicht feststehenden Identität keine Spezialregelung der vorläufigen Festnahme, sondern betrifft nur Personenfeststellungsmaßnahmen, die eventuell einer Festnahmeanordnung nachfolgen, aber auch isoliert stattfinden können. Nichts anderes besagt der Wortlaut des § 127 Abs. 1 S. 2. Der Gesetzgeber wollte lediglich klarstellen, dass – entgegen früher vertretenen Ansichten – die Personenfeststellung selbst nicht mehr auf § 127 Abs. 1 als Ermächtigungsgrundlage gestützt werden soll, der allein Festnahmen rechtfertigt. § 163b ist dagegen keine „kleine“ Festnahmevorschrift, sondern erlaubt nur ein Festhalten als Ausfluss unmittelbaren Zwangs bei der Durchführung von Personenfeststellungen. Die h. M. gelangt zu dem eigenartigen Ergebnis, dass dem Privatmann im Rahmen der Strafverfolgung mehr Rechte zustehen als den Strafverfolgungsbeamten.

Stützt sich ein Staatsanwalt oder Polizeibeamter auf § 127 Abs. 1, so bleibt seine Handlung eine Diensthandlung; nur weil es sich um ein Jedermanns-Recht handelt, geht der amtliche Charakter seines Tuns nicht verloren. Letztlich wird auch der Privatmann stellvertretend für die Strafverfolgungsbehörden tätig und ist verpflichtet, den Festgenommenen diesen so schnell wie möglich zuzuführen146. Der Hauswart H. kann sich demnach als Privatperson auf § 127 Abs. 1 berufen, wenn dessen weitere Voraussetzungen gegeben sind.

57Das Gesetz lässt die Festnahme von Personen zu, die auf frischer Tat betroffen, d. h. während oder unmittelbar nach der Tatbegehung in räumlicher Nähe zum Tatort bemerkt werden147. Ein solcher räumlich-zeitlicher Zusammenhang zum Raubüberfall des B. ist für H. nach Ausstrahlung der Fernsehfahndung nicht erfüllt. Es käme aber als zweite Alternative Verfolgung auf frischer Tat in Betracht. Diese ist gegeben, wenn sich der Täter bereits vom Tatort entfernt hat, aber sichere Anhaltspunkte auf ihn als Täter hinweisen und kurz nach der Tat die Verfolgung zum Zwecke seiner Ergreifung aufgenommen wird148. Solche sicheren Merkmale können z. B. eine markante Täterbeschreibung oder am Tatort verlorene Papiere sein149. Der Verdacht muss praktisch sofort auf eine ganz bestimmte Person fallen. Betreffen und Verfolgung auf frischer Tat unterscheiden sich daher nicht in der zeitlichen, sondern nur in der räumlichen Komponente. Die Verfolgung muss nicht unbedingt auf Sicht und Gehör stattfinden, aber doch wie z. B. bei einer Ringalarmfahndung in akuten Ergreifungsbemühungen bestehen. Andauernde Verfolgungstätigkeit unterliegt auch keinen zeitlichen Begrenzungen150. Ist aber der Verfolgungszusammenhang einmal unterbrochen, scheidet die Flagranzfestnahme aus und es bedarf eines Haftbefehls.

H. hat die Tat des B. nicht selbst wahrgenommen. Es ist aber anerkannt, dass der Verfolger nicht unbedingt mit dem Entdecker der Tat identisch sein muss151. Jedoch müsste die Verfolgung vom ersten Verfolger, der diese auf frischer Tat begonnen hat, abgeleitet werden. Das ist z. B. gegeben, wenn der Entdecker der Tat eine andere Person informiert, diese möge den Täter ergreifen. Im vorliegenden Fall kann H. seine Verfolgungstätigkeit nicht auf den Entdecker der Tat zurückführen. Zwar hat die Polizei in der Fernsehsendung die Bevölkerung zur Mithilfe bei der Fahndung aufgerufen. Eine individuelle Beauftragung des H. liegt darin jedoch nicht. Darüber hinaus sind auch ersichtlich die zeitliche Komponente und ein ununterbrochener Verfolgungszusammenhang nicht gegeben, wenn eine Fernsehsendung wie „Kriminalreport“ vorbereitet werden musste. Aus den zuvor genannten Gründen greift jedoch für H. der Rechtfertigungsgrund nach § 127 Abs. 1 nicht ein.

58Die hier vorliegende Öffentlichkeitsfahndung zum Zwecke der Festnahme des B., die Gegenstand der Fernsehausstrahlung war, ist nach § 131 Abs. 3 im Rahmen einer Ausschreibung zur Festnahme bei Straftaten von erheblicher Bedeutung zulässig und setzt grundsätzlich einen Haftbefehl voraus, dessen Existenz hier zu unterstellen ist. Das Verbrechen eines schweren Raubs mit Waffen (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) ist zweifelsfrei als Straftat von erheblicher Bedeutung zu betrachten152. Bei anderen Straftaten ist dagegen nur die Ausschreibung zur Festnahme gegenüber den Strafverfolgungsbehörden, aber nicht in der Öffentlichkeit zulässig. Den überkommenen Begriff des Steckbriefs hielt der Gesetzgeber des StVÄG 99 für antiquiert und hat ihn abgeschafft153. Ausschreibungen zur Festnahme setzen grundsätzlich eine Anordnung des Richters oder des Staatsanwalts voraus; bei Gefahr im Verzug genügt die Ermittlungsperson der StA. Durch das StVÄG 99 ist auch die Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung eines Beschuldigten oder eines Zeugen gesetzlich geregelt worden; § 131a dient daher der Feststellung des Aufenthalts von Personen, ohne dass diese festgenommen werden sollen. Schließlich bildet der neue § 131b die Rechtsgrundlage für die Aufklärungsfahndung und Identitätsfahndung. Danach können Abbildungen eines Beschuldigten – unter engeren Voraussetzungen auch eines Zeugen – zum Zwecke der Aufklärung einer Straftat und zur Feststellung der Identität eines unbekannten Täters veröffentlicht werden. Der letzte Fall ist z. B. gegeben, wenn das Phantombild des ansonsten unbekannten Täters in den Medien ausgestrahlt wird154 wie im Ausgangsfall.

In Bezug auf den B. liegt eine öffentliche Ausschreibung zur Festnahme gem. § 131 Abs. 3 vor. Diese Vorschrift ist aber nur die Ermächtigungsgrundlage für die Strafverfolgungsbehörden zu den mit einer Fahndung verbundenen Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten. Die Festnahme selbst richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften über den Vollzug eines Haftbefehls oder § 127. Daher ist das Einsperren des B. durch den H. auch nicht aufgrund des § 131 gerechtfertigt. Die Freiheitsberaubung ist damit rechtswidrig. Nur an der Schuld des H. könnte man Zweifel haben, da er irrtümlich meint, er sei aufgrund der öffentlichen Fahndung nach B. zur vorläufigen Festnahme befugt. Er irrt mithin über die rechtliche Auslegung des § 131 oder § 127 Abs. 1. Er befindet sich in einem Verbotsirrtum nach § 17 StGB, der bei Vermeidbarkeit die Schuld unberührt lässt und nur zu einer Strafmilderung führt. In der konkreten Situation hatte H. keine Möglichkeit mehr, Rechtsauskünfte einzuholen. Ob in der Öffentlichkeit allgemein bekannt ist, dass öffentliche Ausschreibungen zur Festnahme Privatpersonen nicht zur Festnahme befugen, kann bezweifelt werden. Letztlich hängt die Frage der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums und damit der Bestrafung des H. von den subjektiven Gegebenheiten des Einzelfalles ab. Nimmt man Strafbarkeit des H. an, könnte prozessual die Staatsanwaltschaft durch eine Einstellung des Verfahrens nach dem Opportunitätsprinzip (§ 153) die für H. missliche Situation bereinigen.

59Wegen wiederholter Einbrüche in den Keller des von ihm betreuten Hauses hat sich der Hauswart H. in der Nacht hinter einem Busch versteckt und beobachtet das ca. 15 m entfernte Kellerfenster. Als sich eine dunkle Gestalt nähert und in verdächtiger Weise am Kellerfenster zu schaffen macht, schleppt H. die heftig widerstrebende Person ins Haus, wo sich diese bei Licht als der Mieter M. entpuppt, der seinen Kellerschlüssel verloren hatte. M. stellt Strafantrag.

60Wiederum ist zu fragen, ob die tatbestandliche Begehung des § 239 StGB durch H. nach § 127 Abs. 1 gerechtfertigt ist. Die Voraussetzungen des Betreffens auf frischer Tat scheitern nicht an einem fehlenden räumlich-zeitlichen Zusammenhang zum Geschehen. Es kommt jedoch darauf an, was hier unter dem Begriff „Tat“ zu verstehen ist. Dabei ist heftig umstritten, ob es sich um eine wirklich begangene Straftat handeln muss, die zu einer Bestrafung des Festgenommenen führen kann, oder ob es sich nur so aus der Sicht des Festnehmenden darstellen muss. In Teilen des Schrifttums und der Rechtsprechung wird letztere subjektive Sicht vertreten, da das Risiko einer rechtswidrigen Festnahme nicht Privatpersonen aufgebürdet werden solle, die im Interesse staatlicher Strafverfolgung aktiv werden155. Richtig erscheint jedoch die ebenso stark vertretene gegenteilige Ansicht, es müsse objektiv eine zumindest tatbestandsmäßig und rechtswidrig begangene Straftat vorliegen156. Die Interessen des unschuldig Festgenommenen verdienen den Vorzug. Jemandem, der sich objektiv auf der Seite des Rechts befindet, kann nicht zugemutet werden, sich einer Festnahme durch eine erkennbar irrende Privatperson zu unterwerfen, z. B. sich durch einen Kaufhausdetektiv abführen zu lassen, nur weil dieser fälschlich annimmt, der Kunde habe gestohlen. Kriminalistisch nicht geschulte Privatpersonen, die sich auf § 127 Abs. 1 stützen, sollten sich bei Verwechslungsgefahr eher größere Zurückhaltung auferlegen. Die Irrtumsproblematik lässt sich angemessen durch das materielle Strafrecht lösen.

Hier lag nicht einmal der Versuch einer Straftat vor, da der Mieter M. nur deshalb den äußeren Anschein eines Einbruchsversuchs vermittelte, weil er seinen Schlüssel verloren hatte. H. handelte nach der hier vertretenen Ansicht rechtswidrig. Jedoch liegt ein Erlaubnistatbestandsirrtum analog § 16 StGB vor, wenn H. tatsächliche Umstände annimmt, bei deren Vorliegen ein Rechtfertigungsgrund nach § 127 Abs. 1 gegeben gewesen wäre. Hätte es sich wirklich um einen Einbruchsversuch gehandelt, wären neben der Voraussetzung der Verfolgung auf frischer Tat auch die sonstigen Tatbestandsmerkmale des § 127 Abs. 1 erfüllt gewesen.

61Zu den weiteren Voraussetzungen des § 127 Abs. 1 gehört, dass der Täter der Flucht verdächtig ist. Dies ist gegeben, wenn der Festnehmende damit rechnen muss, dass der Täter fliehen werde157. Die zweite Tatbestandsalternative des § 127 Abs. 1 besteht darin, dass die Identität des Täters nicht sofort festgestellt werden kann. Hat der Täter keine oder nur unzureichende bzw. überprüfungsbedürftige Ausweispapiere bei sich, kann er festgenommen werden. Da § 127 zur Personenfeststellung selbst nicht mehr ermächtigt, darf der Privatmann diesbezüglich keine weiteren Handlungen vornehmen. Staatsanwälte und Polizeibeamte können sich für die Identifizierung dann auf die Ermächtigungsgrundlage des § 163b Abs. 1 stützen158. Hätte es sich im Fall tatsächlich um einen Einbrecher gehandelt, so wäre in der konkreten Situation Fluchtverdacht zu bejahen gewesen.

Abb. 5: Belehrung des Beschuldigten bei der Festnahme


62Vom Jedermanns-Recht des Abs. 1 zu unterscheiden ist das Recht zur vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 2, das nur der StA und allen Beamten des Polizeidienstes – also nicht nur den Ermittlungspersonen der StA – bei Gefahr im Verzug unter den Voraussetzungen eines Haft- oder Unterbringungsbefehls zusteht. Gefahr im Verzug besteht, wenn die Festnahme infolge der Verzögerung gefährdet wäre, die sich durch das Erwirken einer richterlichen Haftentscheidung ergeben würde159, nicht aber etwa weil mit einer ablehnenden Haltung des Haftrichters zum Erlass eines Haftbefehls gerechnet wird. Die sachlichen Voraussetzungen eines Haftbefehls nach § 112 bzw. 112a sind in den § 127 Abs. 2 hineinzulesen; eine eben solche Inzidenzprüfung muss der festnehmende Beamte im selteneren Falle der einstweiligen Unterbringung einer schuldunfähigen oder schuldverminderten Person nach § 126a vornehmen. Seinem Wesen nach stellt § 127 Abs. 2 den Ersatz für einen im deutschen Strafprozess aus grundsätzlichen Erwägungen verpönten Erlass eines Haftbefehls durch die StA und Polizei in Eil­situationen dar. Formal bleibt das Prinzip gewahrt, dass ein Haftbefehl ausschließlich seitens des Richters ergeht. Abs. 1 und 2 des § 127 stehen nebeneinander und führen jeder für sich zur Vorführung beim Richter. Eine zunächst vom Privatmann vorgenommene Festnahme braucht nicht nach Übernahme des Festgenommenen durch die Polizei auf Abs. 2 „umgestellt“ zu werden.

63Das Gesetz enthält keine ausdrücklichen Regelungen darüber, auf welche Art und Weise die vorläufige Festnahme zu vollziehen ist. Es gilt jedoch das Verhältnismäßigkeitsprinzip, auch soweit ein Privatmann die vorläufige Festnahme vornimmt, denn er handelt stellvertretend für den Staat zur Sicherung des Strafanspruchs der Allgemeinheit160. Jedenfalls ernsthafte Gesundheitsbeschädigungen, Gefährdungen des Lebens (z. B. Strangulation) und Schusswaffengebrauch durch Private werden im Rahmen des § 127 Abs. 1 als unzulässig angesehen161. Bei Polizeibeamten lassen sich die Wertungen über das, was für sie aufgrund ihrer speziellen Schulung für solche Situationen als verhältnismäßig erscheint, den landesrechtlichen Regeln über die Anwendung unmittelbaren Zwangs entnehmen, die zur Festnahme von Verbrechern beispielsweise Schusswaffengebrauch erlauben. Diese Bestimmungen sind zwar nicht unmittelbar anwendbar, aber Richtschnur der Verhältnismäßigkeit162. Im Fall hätte sich das Verhalten des H. zur Festnahme eines Einbrechers als verhältnismäßig dargestellt. Folglich hat sich H. eine Lage vorgestellt, bei welcher der Rechtfertigungsgrund nach § 127 Abs. 1 eingegriffen hätte. Wegen Vorsatzausschlusses geht er straflos aus; es liegt ein Erlaubnistatbestandsirrtum vor.

64Nach der vorläufigen Festnahme einer Person erfolgen folgende weitere Schritte: zunächst ist der Festgenommene durch die Privatperson unmittelbar der Polizei zuzuführen. Diese klärt, falls erforderlich, seine Identität (§ 163b) und vernimmt ihn, wenn er dazu bereit ist. Die Beamten prüfen dann, ob nach ihrer Ansicht mit dem Erlass eines richterlichen Haftbefehls zu rechnen ist. Ist dies zu verneinen, prüfen sie weiter, ob Sicherheiten nach § 132 verlangt werden können und lassen den Festgenommenen von sich aus frei. Scheidet eine Kautionsanordnung nach § 132 aus, haben die Beamten aufgrund des durch das Untersuchungshaftänderungsgesetzes 2009 eingefügten Abs. 4 des § 127 gem. § 114b zu belehren163 und dem Festgenommenen unverzüglich Gelegenheit zu geben, einen Angehörigen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen. Bejahen die Beamten die Voraussetzungen eines Haftbefehls, so wenden sie sich der Frage zu, ob sie von der Aufrechterhaltung der Festnahme nach § 127a absehen können, weil nur ein Haftbefehl wegen Fluchtgefahr in Betracht kommt und nicht damit zu rechnen ist, dass wegen der Tat ein Freiheitsentzug durch Urteil verhängt werde. Jedoch muss der Beschuldigte bei der Polizei eine angemessene Sicherheit in diesen Fällen stellen. Für die Festsetzung der Höhe der Sicherheit ist – wie der Zusammenhang mit § 127 erkennen lässt – die StA oder Polizei zuständig.

Werden die Voraussetzungen des § 127a verneint, ist der Festgenommene gem. § 128 unverzüglich, spätestens am Tage nach der Festnahme (d. h. maximal nach 48 Std.) dem Richter beim Amtsgericht des Festnahmeortes vorzuführen. Wird es unterlassen, kann dies den Tatbestand der Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) erfüllen164. Die zeitliche Befristung des § 128 trägt dem Art. 104 Abs. 2 S. 3 GG Rechnung, wonach die Polizei aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des auf die Ergreifung folgenden Tages in eigenem Gewahrsam halten darf. Daher ist zu beachten, dass in die Berechnung außerstrafprozessuale Gewahrsamsformen mit einzurechnen sind165. Dies kann vorkommen, wenn z. B. die Polizei eine Person zunächst in polizeirechtlichen Ausnüchterungsgewahrsam nimmt und während dieser Zeit feststellt, dass die Voraussetzungen einer vorläufigen Festnahme nach § 127 vorliegen. Bei den möglichen 48 Stunden polizeilichen Gewahrsams handelt es sich nach dem klaren Gesetzeswortlaut nur um eine Höchstfrist; an sich ist der Festgenommene unverzüglich dem Richter vorzuführen. „Unverzüglich“ ist nach allgemeinen Grundsätzen nicht mit „sofort“ gleichzusetzen, sondern bedeutet – wie auch sonst – nur „ohne schuldhaftes Zögern“166. Es wäre sinnwidrig, wenn der Festgenommene unmittelbar dem Richter zugeführt würde, ohne dass dieser über ausreichende Entscheidungsgrundlagen verfügt. Es entstünde ein Schwebezustand, in welchem der Richter an einer Haftentscheidung gehindert wäre und das Ergebnis von Nachermittlungen abwarten müsste. Daher geht die Kritik des Schrifttums an dem Urteil des BGH vom 17.11.1989 ins Leere, in welchem der BGH der Polizei ausdrücklich zubilligt, innerhalb der Höchstfrist des § 128 Ermittlungen zu tätigen, um dem Richter eine umfassende Entscheidungsgrundlage zu vermitteln167.

Mit der Vorführung beim Richter ist die körperliche Anwesenheit des Festgenommenen gemeint; die Vorlage der Akten allein genügt nicht168. Wo der Haftrichter und der Festgenommene mit einander konfrontiert werden, ist sekundär. Der Haftrichter ist daher nicht gehindert, seine Sitzung auch in Räumlichkeiten der Polizei abzuhalten169. Zuständig als Haftrichter ist nach § 128 der Richter des Amtsgerichts, in dessen Bezirk die Festnahme erfolgt ist. Hat der Beschuldigte zu diesem Zeitpunkt noch keinen Verteidiger, bedarf er aber des Beistandes eines solchen und liegt ein Fall der Pflichtverteidigung vor (§ 141), so muss der Staatsanwalt schon jetzt einen Beiordnungsantrag stellen170. Der Richter vernimmt den Festgenommenen unter Belehrung nach § 115 Abs. 3 und entscheidet sodann unter Mitwirkung der StA, ob er den Beschuldigten freilässt oder einen Haftbefehl nach §§ 112 ff. erlässt. Den Zeitpunkt der Vernehmung darf der Haftrichter nicht beliebig hinausschieben; auch wenn das Gesetz insoweit keine ausdrückliche Regelung enthält, besteht Einigkeit, dass mit der Vernehmung des Festgenommenen spätestens am Tag nach der Festnahme wenigstens begonnen werden muss171.

64aDie Rechtsgrundlagen zur vorläufigen Festnahme sind vom Gesetzgeber 1997 um eine weitere Variante angereichert worden172. Nach § 127b Abs. 1 sind die StA und die Beamten des Polizeidienstes bei auf frischer Tat Betroffenen oder Verfolgten auch dann zur vorläufigen Festnahme befugt, wenn eine unverzügliche Entscheidung im sog. beschleunigten Verfahren nach §§ 417 ff. wahrscheinlich ist und aufgrund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, dass der Festgenommene der Hauptverhandlung fernbleiben wird. Dadurch soll die Durchführung des beschleunigten Verfahrens, das bei einfachem Sachverhalt bzw. klarer Beweislage und einer Höchststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe in Betracht kommt173 (z. B. nach Krawallen in Fußballstadien), erleichtert werden. Die Regelung erfasst vor allem solche Personengruppen wie „reisende Straftäter“, Wohnungslose, Hooligans oder straffällige Ausländer, bei denen zwar nicht die überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie sich gezielt einem Strafverfahren entziehen und deshalb schon Fluchtgefahr oder wenigstens Fluchtverdacht besteht, bei denen aber Erkenntnisse vorliegen, die den Schluss zulassen, sie würden zu einer Verhandlung im beschleunigten Verfahren nicht erscheinen, z. B. jemand, der schon in der Vergangenheit gerichtliche Ladungen einfach ignoriert hat. Zwar sind die Unterschiede zu § 127 Abs. 1 sehr fein gesponnen, so dass die Zweckmäßigkeit der Neuregelung teilweise kritisch gesehen wird174. Jedoch erweist sich die eigentliche Bedeutung der Neuerung wohl eher darin, dass unter den Voraussetzungen der vorläufigen Festnahme nach § 127b Abs. 2 auch ein richterlicher Haftbefehl nach § 127b Abs. 1 ergehen darf, bei dem nur noch zusätzlich zu beachten ist, dass der Beschuldigte dringend tatverdächtig175 und die Hauptverhandlung im beschleunigten Verfahren binnen einer Woche nach der Festnahme zu erwarten sein muss bzw. der Haftbefehl entsprechend zu befristen ist. Damit hat der Gesetzgeber eine sog. Hauptverhandlungshaft vorgesehen, der man infolge ihrer klaren Struktur nicht eine gewisse Eignung absprechen kann, die Durchführung beschleunigter Verfahren zu fördern176.

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