Читать книгу Grundlagen des Strafverfahrensrechts - Bernhard Kramer - Страница 23
Оглавление45Körperlicher Zwang darf zur Herbeiführung einer Aussage nur dann angewendet werden, wenn dieser nach der StPO – beispielsweise die Erzwingung der Aussage von Zeugen durch Beugehaft nach § 51 – vorgesehen ist. Die Untersuchungshaft und ihre Ausgestaltung darf nur den in § 112 Abs. 2 bzw. 112a genannten Zwecken dienen. Soll sie dagegen nur den Beschuldigten unter Druck setzen, um ihn aussagebereit zu machen, so liegt unzulässiger körperlicher Zwang i. S. v. § 136a vor120.
46Unter den psychischen Beeinträchtigungen ist der Hauptanwendungsfall der der Täuschung. Darunter ist das bewusste Aufstellen unrichtiger Behauptungen durch den Vernehmungsbeamten zu verstehen121, beispielsweise die unzutreffende Behauptung, ein Mitbeschuldigter habe bereits ein Geständnis abgelegt. Auch die Täuschung in Bezug auf Rechtsfragen fällt darunter, z. B. die Vorspiegelung, es gehe nur um eine Ordnungswidrigkeit, während tatsächlich eine Straftat verfolgt wird. Im Fall liegt in der Behauptung gegenüber H., es bestehe gegen ihn eine Kette von Beweisen, die ihm keine Chance ließen, eine solche Täuschung über die Beweis- und Rechtslage: ein Vernehmungsbeamter kann auch dann über Tatsachen täuschen, wenn er dem Beschuldigten gegenüber nur pauschal und ohne bestimmte Beweismittel vorzuspiegeln von einer Beweislage spricht, die ausreiche, ihn zu überführen122. Dies gilt jedoch nur, wenn der Beamte – wie im vorliegenden Fall – gezielt die Unwahrheit sagt, denn von einer rechtsstaatswidrigen Einwirkung kann nur bei bewussten Lügen gesprochen werden, nicht aber schon bei irrtümlichen – wenn eventuell auch fahrlässigen – Fehlbewertungen durch den Beamten selbst. Die Frage unterliegt dem Freibeweis; laut Sachverhalt war sich der Beamte über die wahre Beweislage im Klaren.
Der Begriff der Täuschung ist einengend auszulegen; er ist gegen den der List abzugrenzen, die in der bloßen Ausnutzung vorhandener Irrtümer besteht123. So ist der Vernehmungsbeamte z. B. nicht verpflichtet, den Beschuldigten im weiteren Verlauf der Vernehmung darüber aufzuklären, wenn er erkennt, dass der Beschuldigte fälschlich davon ausgeht, ein Zeuge habe ihn am Tatort erkannt. Er muss auch nicht die vernommene Person über sein ganzes Wissen unterrichten; es geht aber über das kriminaltaktisch oftmals gebotene und erlaubte Verschweigen von Tatsachen hinaus, wenn der Vernehmende dem Vernommenen vorspiegelt, es werde in einer Vermisstensache ermittelt, die Ermittlungen tatsächlich aber zu einer Aufklärung eines Tötungsdelikts führen sollen124. Ähnlich wie beim Verteidiger gilt der Grundsatz: es muss nicht alles gesagt werden, aber was gesagt wird, muss zutreffen125. So liegt noch List vor, wenn die vom Beamten abgegebenen Erklärungen objektiv richtig sind, aber – vielleicht voraussehbar – falsch aufgefasst werden könnten. Kriminalistische List lässt sich nicht einfach als unfair oder rechtsstaatswidrig abstempeln; sie ist das notwendige Korrelat zur Sicherung der Beschuldigtenstellung durch den Grundsatz in dubio pro reo, das Passivitätsprinzip und die Sanktionslosigkeit eigener unwahrer Behauptungen, mit denen er sich verteidigen kann. Täuschung verlangt damit ein positives Tun. Ein Unterlassen der Aufklärung von Irrtümern wird von dieser Fallgruppe also nicht erfasst126. Daher fallen heimliche Tonbandaufzeichnungen nur dann unter § 136a, wenn besonders zum Ausdruck gebracht wurde, dass die Vernehmung nicht auf Band aufgezeichnet werde127.
47Quälerei ist die Zufügung lang dauernder, überwiegend seelischer Schmerzen128. Intensive Beleidigungen, Beschimpfungen und Anschreien können eine Quälerei begründen. Zweifelhaft erscheint es jedoch, eine Konfrontation des Mordverdächtigen mit der Leiche als Fall der Quälerei anzusehen, da § 88 S. 2 ebendies vorsieht129.
48Hypnose ist eine künstlich herbeigeführte Veränderung des Wachzustandes, die durch hohe Suggestibilität und Einengung des sozialen Kontaktes auf die Person des Hypnotiseurs gekennzeichnet ist. Die Beeinträchtigung der Freiheit der Willensbetätigung und -entschließung ist ihr in allen ihren Tiefenstufen begriffsimmanent. Daher ist sie stets durch § 136a als Vernehmungsmethode ausgeschlossen130. Im Ausgangsfall war es daher unzulässig, den Z. unter Hypnose zu vernehmen, auch wenn sich die Ermittlungsbehörden davon vielversprechende Informationen erhoffen durften. Dass dies ohne Rücksicht auf die Einwilligung des Z. gilt, wird verständlich, wenn man bedenkt, dass die Hypnose unter totalitären Regimen häufig missbraucht wird und eine Selbstauslieferung des Einzelnen an den Staat bedeutet. Die Allgemeinheit besitzt daher ein Interesse an der Tabuisierung der Hypnose in der Hand der Strafverfolgungsorgane, ohne dass damit eine negative Bewertung der Hypnose durch private Therapeuten verbunden ist. Ein praktischer Ausweg aus dem Dilemma des Falls wäre es daher, wenn der Z. von sich aus einen Hypnotiseur einschaltet und die Ergebnisse einer unter privater Regie stattfindenden Hypnosesitzung an die Ermittlungsbehörden weiterleitet.
49Drohungen mit nach der StP0 unzulässigen Maßnahmen sind verboten, die beispielsweise in der Ankündigung einer Verhaftung liegen können, obwohl gar kein Haftgrund gegeben ist. Hinweise auf die Rechtslage (z. B. dass ein Geständnis tatsächlich bestehende Verdunkelungsgefahr ausräumen könne) fallen nicht darunter.
50Das Versprechen gesetzlich nicht vorgesehener Vorteile ist nur in eindeutigen Zusagen zu sehen, nicht jedoch in der Belehrung über günstige Auswirkungen seiner Aussage, die sich der Beschuldigte selbst sagen müsste131. So ist es erlaubt, den Beschuldigten darauf hinzuweisen, dass sich ein Geständnis bei Gericht günstig auf das Strafmaß auswirken kann. Unzulässig wäre das polizeiliche Versprechen, den Beschuldigten im Falle eines Geständnisses frei zu lassen, obwohl weiterhin Fluchtgefahr besteht132. Auch Millionen-Euro-Honorare für Bankdatendiebe sieht das ZuSEG nicht vor. Absprachen zwischen dem Verteidiger und dem Gericht bzw. der StA, welche eine Festlegung bezüglich des Strafmaßes im Gegenzug zu einem Geständnis des Beschuldigten enthalten, machen letzteres nach § 136a unverwertbar, denn das Strafmaß kann gesetzlich nur aufgrund des Inbegriffs der abschließend durchgeführten Hauptverhandlung bestimmt werden. Feste Absprachen zum Prozessergebnis sind daher rechtlich unzulässig133; an sich ist es auch dem Gericht untersagt, sich auf einen Vergleich im Gewande eines Urteils, auf einen „Handel mit der Gerechtigkeit“, einzulassen134; dies gilt allerdings seit Einführung des § 257c (formelle Verständigung) nicht mehr uneingeschränkt.
51Die nach § 136a Abs. 2 verbotenen Maßnahmen, die das Erinnerungsvermögen oder die Einsichtsfähigkeit beeinträchtigen, haben gegenüber dem Abs. 1 eine geringe eigenständige Bedeutung. Der Unterschied zwischen Abs. 1 und 2 besteht darin, dass der Abs. 1 die freie Willensentschließung und Willensbetätigung schützt, während Abs. 2 verhindern will, dass die Fähigkeit, in der Vergangenheit liegende Geschehnisse sich zu vergegenwärtigen (Erinnerungsvermögen) und die Möglichkeit, zu beurteilen, welche Folgen eine Aussage hat (Einsichtsfähigkeit), herabgesetzt werden. Hypnose fällt zwar als Erhöhung des Erinnerungsvermögens nicht unter Abs. 2 des § 136a, aufgrund ausdrücklicher Nennung aber bereits unter Abs. 1.
52Die Folgen eines Verstoßes gegen § 136a bestehen darin, dass die so erlangten Erkenntnisse für ein Strafverfahren als Beweismittel ausscheiden, d. h. absolut unverwertbar sind. Das gilt nach der ausdrücklichen Regelung des § 136a Abs. 3 S. 2 sogar dann, wenn der Beschuldigte der Verwertung zustimmt. Die Erkenntnisse begründen weder Verdachtslagen, noch können sie in irgendeiner Form in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Ist den Ermittlungsbehörden ein Fehler nach § 136a unterlaufen, so kann dieser nur dadurch geheilt werden, dass die Vernehmung wiederholt wird, wobei ausgeschlossen sein muss, dass die Zwangssituation latent noch weiter andauert135. Eine Fernwirkung des Beweisverwertungsverbots auf mittelbar erlangte Beweismittel ist aber mit § 136a nicht verbunden136. Daher sind die widersprüchlichen Angaben des H. im Fall nicht schon deshalb unverwertbar, weil seine Person nur aufgrund unzulässiger Anwendung der Hypnose bei Z. ermittelt werden konnte. Eine dauerhaft tragfähige Lösung des Hypnosefalls besteht aber nicht darin, prinzipiell zunächst die Methode anzuwenden, im Hinblick auf die grundsätzlich nicht gegebene Fernwirkung auf die spätere Einführung der Aussage des Z. vor Gericht von vornherein zu verzichten und sich mit dieser als Ermittlungsanhalt zur Feststellung des Kfz-Halters zu begnügen. Denn § 136a Abs. 3 verbietet in erster Linie die Anwendung der Methode (Satz 1) und erst in zweiter Hinsicht deren Verwertung (Satz 2).
52aIn materiellrechtlicher Hinsicht wird § 136a neben den unspezifischen Tatbeständen der Freiheitsberaubung, Körperverletzung im Amt (§ 340) und Nötigung (§ 240 Abs. 1, 4: Amtsnötigung als besonders schwerer Fall) durch den Verbrechenstatbestand der Aussageerpressung nach § 343 StGB flankiert. Dieser gilt aber nicht für alle in § 136a genannten Methoden (z. B. nicht für die Täuschung), sondern nur bei körperlicher Misshandlung, Gewalt, Drohen mit Gewalt und Quälerei. Wie § 136a findet der Straftatbestand der Aussageerpressung, der infolge seiner Strafandrohung von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe automatisch zur Entfernung des Beamten aus dem Dienst führt, nur im Strafverfahren und in ähnlichen Verfahren (Bußgeld, Disziplinarverfahren, berufs- und ehrengerichtliche Verfahren, Verwahrung einer Person) Anwendung und nicht bei einem Handeln der Polizei im Rahmen der Gefahrenabwehr. Dies erfordert schwierige Abgrenzungen, die sich im Fall Gäfgen137, weit reichend ausgewirkt haben, wo auf Anordnung des Polizeivizepräsidenten dem festgenommenen Beschuldigten Schmerzzufügung durch einen Kampfsportler angekündigt wurde, damit er das Versteck preisgebe und das Opfer gerettet werde. Allerdings ist auch der hier gegebene Tatbestand der Nötigung nicht etwa durch einen rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) gerechtfertigt, da auch zur Rettung von Menschenleben eine Güterabwägung nicht die Anwendung oder Ankündigung von Folter rechtfertigen kann, was sogar formal aus der Angemessenheitsklausel des § 34 StGB folgt. Dagegen kann man sich in derartigen Entführungsfällen durchaus vorstellen, dass andere Vorschriften (z. B. Kontaktrechte nach § 148) im Rahmen einer Güterabwägung zum Zwecke der Rettung des Opfers einmal zurücktreten müssen138.