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3.Unerlaubte Vernehmungsmethoden

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37Nach einer Kindesentführung wird das zehnjährige Opfer ermordet aufgefunden, obwohl die Eltern die Lösegeldforderungen erfüllt hatten. Der von der Polizei ermittelte Zeuge Z. erklärt, er habe beobachtet, wie das Kind in ein Fahrzeug gezerrt worden sei; an das Kfz-Kennzeichen könne er sich nicht mehr genau erinnern. Z. erklärt sich bereit, sich durch einen von der Polizei herbeigeschafften Psychologen unter Hypnose setzen zu lassen, um eventuell im Trancezustand das vollständige Kennzeichen in seine Erinnerung zurückrufen zu können. Dies geschieht so und führt zur Feststellung des Kfz-Halters H., dem zunächst vom Vernehmungsbeamten der Polizei vorgespiegelt wird, es werde nur in einer Vermisstensache ermittelt. H. macht widersprüchliche Angaben. Daraufhin wird ihm in einem stundenlangen Verhör vorgehalten, er bestehe gegen ihn eine Kette von Beweisen, die ihm keine Chance mehr ließen. Er könne seine Lage nur noch verbessern, indem er ein vollständiges Geständnis ablege. Tatsächlich hegt der Beamte die Befürchtung, ohne ein solches Geständnis den H. nicht überführen zu können.

38Es könnten sich Beweisverwertungsverbote aus § 136a Abs. 3 i. V. mit § 163a Abs. 4 S. 2 ergeben. § 136a verbietet bestimmte Methoden der Vernehmung des Beschuldigten und knüpft an die Verletzung dieser Vorschrift ein ausdrückliches gesetzliches Verwertungsverbot. Diese Vorschrift wurde erst 1950 durch das sog. Vereinheitlichungsgesetz in die StPO eingefügt, weil die einfachen Gesetze den Wertvorstellungen des 1949 in Kraft getretenen Grundgesetzes angepasst werden sollten. § 136a ist in erster Linie als Ausformung der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) anzusehen. In der früher geltenden Fassung der StPO war zwar eine § 136a entsprechende Vorschrift nicht enthalten; jedoch kam man weitgehend durch Auslegung anderer Vorschriften (z. B. § 343 StGB) oder durch gewohnheitsrechtliche Grundsätze zu ähnlichen Ergebnissen. Neben dem Zweck des Schutzes der Menschenwürde soll § 136a gewährleisten, dass die Aussage des Beschuldigten nicht „entpersönlicht“ wird, d. h. der Aussagende soll voll als Person hinter seiner Aussage stehen, was bei unter Zwang zustande gekommenen Aussagen nicht der Fall ist. § 136a verbietet rechtsstaatswidrige Einwirkungen auf die Aussagefreiheit in Vernehmungen95.

39Aufgrund seiner systematischen Stellung verpflichtet § 136a zunächst den Richter zu seiner Beachtung96. Als Gehilfen des Richters treffen den Sachverständigen dieselben Bindungen. Kraft gesetzlicher Verweisungsvorschriften sind ebenfalls die StA und Polizeibeamte an die Vorschrift gebunden (§ 163a Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 S. 2). Die strafprozessualen Wirkungen des § 136a treten hingegen nicht ein, wenn eine Privatperson dort bezeichnete Methoden anwendet97. Ein Privatdetektiv beispielsweise, der bei seinen Recherchen durch Gewaltanwendung Personen zum Reden bringt, macht sich zwar u. U. nach materiellem Strafrecht wegen Nötigung, Körperverletzung, Freiheitsberaubung usw. strafbar; die so erlangten Erkenntnisse bleiben aber für ein Strafverfahren verwertbar. Anders muss dies sein, wenn die Polizei oder StA Privatpersonen mit der Vornahme von Vernehmungen beauftragt oder sie zu solchen hinzuzieht98. Die Strafverfolgungsbehörden können sich nicht durch Einschaltung Privater den Bindungen des § 136a entziehen. Im Ausgangsfall hat die Polizei einen Psychologen mit der Befragung des Z. unter Hypnose beauftragt, sodass § 136a Anwendung findet.

40Schon aus der systematischen Stellung des § 136a im Abschnitt „Vernehmung des Beschuldigten“ und als dem § 136 folgende Regelung ergibt sich, dass der Vernehmungsbegriff erfüllt sein muss, also eine Befragung durch eine Strafverfolgungsperson – bzw. eine in deren Auftrag handelnde Person – zu Zwecken der Strafverfolgung mit erkennbar amtlichem Charakter99. Dies ist auch bei Befragungen durch einen für das Strafverfahren bestellten Sachverständigen möglich100, jedoch nicht im Falle eines Verdeckten Ermittlers oder Polizeispitzels, die ja gerade ihre Herkunft verschweigen101. Daher kann in letzterem Fall nicht jede Täuschung zur Anwendung des § 136a führen. Eine andere Frage ist, ob sich aus anderen Gründen Beweisverwertungsverbote aus dem Grundsatz des Fairen Verfahrens ergeben102. Auf die anderweitige Beschaffung von Beweismitteln als durch Vernehmungen ist § 136a nicht – auch nicht analog – anwendbar, denn seinem ganzen Wesen nach ist er nur auf die Sicherung der Aussagefreiheit gerichtet, was sich auf andere Ermittlungsansätze nicht übertragen lässt103.

41Unmittelbar schützt § 136a den Beschuldigten. Bei der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen gilt die Vorschrift entsprechend (§§ 69 Abs. 3, 161a Abs. 1 S. 2, 163 Abs. 3 S. 1, § 72). Daher findet § 136a auch in vollem Umfang auf die Vernehmung des Zeugen Z. Anwendung. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, Z. sei ja mit der Hypnose einverstanden gewesen. Denn wenn es in § 136a Abs. 3 ausdrücklich heißt, das Verbot der Absätze 1 und 2 gelte ohne Rücksicht auf die Einwilligung des Beschuldigten, so folgt daraus bei der entsprechenden Anwendung der Vorschrift auf Zeugen, dass es auf die Einwilligung des vernommenen Zeugen nicht ankommt. Der Gesetzgeber sieht die Verstöße gegen § 136a als typisierte Verletzungen der Menschenwürde an, über die der Einzelne nicht zu disponieren vermag.

42Gem. § 136a Abs. 1 darf die Aussagefreiheit in Vernehmungen nicht beeinträchtigt werden. Nach h. M. sind die in der Vorschrift ausdrücklich genannten verbotenen Vernehmungsmethoden nicht abschließend, sondern nur beispielhaft aufgeführt104. In der Vergangenheit galt die Benutzung des Lügendetektors im Strafverfahren als Paradebeispiel einer in § 136a zwar nicht ausdrücklich benannten, aber nach dieser Vorschrift unerlaubten Methode105. Diese Rechtsprechung hat der BGH inzwischen aufgegeben; er sieht in dem Lügendetektor (Polygraphen) nicht mehr einen Verstoß gegen § 136a und auch nicht gegen Art. 1 GG, hält ihn aber aber für ein völlig untaugliches Beweismittel und stützt dies überzeugend auf gründliche wissenschaftliche Untersuchungen, welche die Unzuverlässigkeit des Tests mittels eines Lügendetektors in jeder Beziehung entlarven106. Jedes sonstige Mittel, das sich in einer Verminderung der Freiheit der Willensentschließung und -betätigung auswirkt, ist nach § 136a verboten. Dennoch muss den gesetzlich aufgeführten Beispielen eine gewisse typisierende Bedeutung zugesprochen werden, die Ähnlichkeit mit der Regelbeispieltechnik des materiellen Strafrechts (z. B. § 243 StGB) aufweist. Die genannten Fälle sind daher nicht irrelevant, sondern lassen die Wertvorstellungen des Gesetzgebers erkennen und erlauben eine induktive Weiterentwicklung der Beispiele. Die nach § 136a verbotenen Zwangsmethoden lassen sich in eher physisch und psychisch wirkende gruppieren:

43Als physische Einwirkung ist zunächst die Misshandlung untersagt, die wie in § 223 StGB als jede erhebliche Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und eine ihr gleichkommende Herabsetzung des körperlichen Wohlbefindens definiert werden kann (Beispiel: Schläge, ständiges Stören im Schlaf, grelle Beleuchtung, hungern und frieren lassen)107. Auch wenn einem Gefangenen notwendige Medikamente vorenthalten werden, liegt eine Misshandlung – nämlich durch Unterlassen – vor. Keine Rechtspflicht besteht jedoch, dem zu Vernehmenden Alkohol und andere Rauschmittel zu verschaffen, selbst wenn er unter Entzugserscheinungen leiden sollte108. Bloße Unbequemlichkeiten der Vernehmungssituation gehören nicht zur Misshandlung. Der Unterschied zur Quälerei besteht darin, dass letztere vorwiegend seelisch wirkt109.

43aErmüdete Personen dürfen nicht vernommen werden. Der Fall der Ermüdung weist im Gegensatz zu den anderen verbotenen Vernehmungsmethoden die Besonderheit auf, dass es nicht darauf ankommt, ob die Strafverfolgungsbeamten den Zustand der Ermüdung herbeigeführt haben110. Entscheidend ist vielmehr, ob die Person tatsächlich so ermüdet ist, dass eine Beeinträchtigung der Willensfreiheit zu befürchten ist, gleichgültig welche Ursache die Ermüdung hat. Dies liegt darin begründet, dass die Vernehmung ermüdeter Personen, d. h. die Verweigerung des Schlafs durch Aufrechterhaltung der Vernehmungssituation, einen Sonderfall der vom Gesetz zuvor genannten Misshandlung darstellt. Die Ermüdung braucht also nicht etwa durch die Vernehmung hervorgerufen worden zu sein, z. B. greift sie u. U. auch ein bei einem Autofahrer, der wegen Übermüdung einen Unfall verursacht hat und anschließend verhört wird. Umgekehrt ist nicht jede zu einem Zustand der Ermüdung führende Vernehmung verboten; diese ist nur dann abzubrechen, wenn der Zustand der Erschöpfung der Willenskraft erreicht ist. Wann Ermüdung vorliegt, ist eine Frage der Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalles111. Bei einem dreißigstündigen Schlafmangel wurde Ermüdung angenommen112; bei einer von 21 Uhr bis in den Morgen dauernden Vernehmung jedoch abgelehnt. Vernehmungen zur Nachtzeit sind nicht schlechthin unzulässig; jedoch spricht ein fehlender Anlass für nächtliche Vernehmungen dafür, dass ein Zustand der Ermüdung ausgenutzt wurde113.

Der Umstand, dass H. im Ausgangsfall „stundenlang“ verhört wurde, lässt nicht automatisch auf Ermüdung schließen. Zwar ist es denkbar, dass die Dauer der Vernehmung ein taktisches Mittel in der Hand der Ermittlungsbehörden ist, den Widerstandswillen eines leugnenden Beschuldigten herabzusetzen, jedoch dürfen die Anforderungen hier nicht überspannt werden. Es genügt für ein rechtlich einwandfreies Vorgehen, dass sich der Beschuldigte in einem Zustand befindet, der es ihm erlaubt, der Vernehmung in freier Willensentschließung zu folgen; das Gesetz verlangt nicht, dass der Beschuldigte „so frisch ist, wie er sonst an einem Tage nach gewohnter Nachtruhe wäre“114. Der Begriff der Ermüdung ist daher im Lichte seiner Nähe zur Misshandlung abzugrenzen.

44Körperliche Eingriffe (= Beeinträchtigungen der Körpersubstanz und Maßnahmen im Körperinnern, gleichgültig ob schmerzhaft oder schmerzfrei)115 und die Verabreichung von Mitteln sind verboten, wenn sie Einfluss auf die Willensfreiheit haben können. Diese Methoden bleiben auch unter den Voraussetzungen einer nach § 81a angeordneten körperlichen Untersuchung unzulässig. Darunter fällt etwa die Injektion hemmungslösender Mittel (sog. Narkoanalyse). Demgegenüber ist die Verabreichung von Kopfschmerztabletten und Erfrischungsmitteln wie Kaffee oder Zigaretten nur in außergewöhnlichen Konstellationen geeignet, Einfluss auf die Willensfreiheit zu nehmen116. Steht die zu vernehmende Person unter dem Einfluss berauschender Mittel (Rauschgifte, Alkohol), ist die Vernehmung nach richtiger Ansicht durch § 136a nur dann verboten, wenn dieser Zustand durch die Strafverfolgungsbehörden herbeigeführt worden ist117. Anders als im Fall der Ermüdung kann in der Vernehmung von Personen, die sich selbst in einen Zustand alkoholischer Beeinflussung gesetzt haben, nicht eine der Misshandlung ähnelnde Einwirkung gesehen werden. § 136a schützt nicht die isolierte Aussagefreiheit, sondern nur vor der Einwirkung auf dieselbe durch rechtsstaatswidrige Vorgehensweisen (vgl. zulässige Vernehmung von Kindern, Geistesschwachen u. a.). Diese Betrachtungsweise ist auch in der Sache zwingend, da ansonsten die zu vernehmende Person es selbst in der Hand hätte, sich durch die Einnahme von Rauschmitteln in einen die Vernehmung ausschließenden Zustand zu bringen. Davon gibt der Fall Weimar ein beredtes Beispiel ab, wo die Angeklagte erst in der Revisionsinstanz mit der Behauptung aufwartete, sie habe schon bei der – entscheidenden – polizeilichen Vernehmung im Vorverfahren unter dem Einfluss eines von ihr selbst eingenommenen starken Psychopharmakons gestanden118. Die Aussagen berauschter Personen unterliegen lediglich nach § 261 einer behutsameren Beweiswürdigung. Von der Anwendung des § 136a ist logisch die Frage zu unterscheiden, ob der Beschuldigte infolge Alkoholgenusses verhandlungsunfähig ist, da § 136a nicht die Aufgabe hat, die Verhandlungsfähigkeit zu schützen119. Bei Zeugenvernehmungen, für welche die Vorschrift inhaltsgleich gilt, versagt der systemfremde Gesichtspunkt der Verhandlungsfähigkeit vollends.

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