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IV. Rechtslage Deutschlands nach 1945
ОглавлениеDie Rechtslage Deutschlands nach 1945 war über lange Zeit durch das Auseinanderfallen von territorialer Souveränität und Gebietshoheit gekennzeichnet. Mit der Berliner Erklärung vom 5.6.1945 hatten zunächst die Siegermächte die oberste Regierungsgewalt in Bezug auf Gesamtdeutschland übernommen, eine Annexion jedoch ausdrücklich ausgeschlossen. Das Deutsche Reich bestand daher als → Völkerrechtssubjekt (in den Grenzen vom 31.12.1937) fort, war jedoch mangels einer Reichsregierung handlungsunfähig (BVerfGE 36, 1 [15 f.]). Was die nachfolgende Entwicklung angeht, ist zwischen den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie sowie dem Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der DDR zu unterscheiden.
Mit Blick auf die Gebiete östlich von Oder und Lausitzer Neiße vertrat die Republik Polen den Standpunkt, ihr sei mit dem Potsdamer Abkommen vom 2.8.1945 bereits die territoriale Souveränität über die betreffenden Gebiete verschafft worden. Nach Auffassung der Bundesrepublik Deutschland handelte es sich hingegen lediglich um eine Verwaltungszession, durch die Polen zwar die Hoheitsgewalt und damit das unbeschränkte Recht zur Verwaltung der Gebiete erlangt, die territoriale Souveränität über die Oder-Neiße-Gebiete hingegen Gesamtdeutschland vorbehalten worden war. An diesem Rechtszustand haben aus Sicht der Bundesrepublik weder der Görlitzer Vertrag zwischen der DDR und Polen vom 6.6.1950 noch der von der Bundesrepublik geschlossene Warschauer Vertrag vom 7.12.1970 etwas geändert. Beim Warschauer Vertrag handelte es sich vielmehr um eine „Konkretisierung des Gewaltverzichts“, indem von den Vertragspartnern „nur das Unterlassen von Maßnahmen geschuldet [wurde], die auf eine gewaltsame Veränderung der in den Verträgen bezeichneten Grenzen gerichtet [waren]“ (BVerfGE 40, 141 [171]). Aus bundesdeutscher Sicht blieb hinsichtlich der Oder-Neiße-Gebiete daher als Erwerbstitel nur der deutsch-polnische Grenzvertrag vom 14.11.1990. Grundbedingung für dessen Abschluss war der Fortfall der Vier-Mächte-Verantwortlichkeit in Bezug auf Deutschland als Ganzes und damit die Erlangung der vollen Souveränität Deutschlands in Konsequenz des sog. 2+4-Vertrags.
Was die Beschreibung des Verhältnisses von Bundesrepublik Deutschland und DDR angeht, wurden verschiedene juristische Modelle entwickelt (Identitätslehren [Kongruenztheorie, Kernstaatstheorie, Schrumpfstaatstheorie]; Teilordnungslehre/Dachstaatstheorie). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hatte die Errichtung der beiden deutschen Staaten nicht zur Dismembration und damit zum Untergang des Völkerrechtssubjekts Deutsches Reich geführt. Vielmehr hatten sich auf dem Territorium des fortexistierenden gesamtdeutschen Staates zwei neue Staaten gebildet, die im Verhältnis zueinander indes nicht als Ausland anzusehen waren. Die Beziehungen zur DDR wurden vielmehr als „Inter-se-Beziehungen“ charakterisiert. Während die DDR jegliche Kontinuität zum vormaligen Deutschen Reich ablehnte, war die Bundesrepublik ihrem Selbstverständnis nach mit dem Völkerrechtssubjekt Deutsches Reich identisch, angesichts der grds. auf das Bundesgebiet beschränkten Gebietshoheit jedoch nur teilidentisch (BVerfGE 36, 1 [16]; 77, 137 [154 f.]).
Die territoriale Souveränität Gesamtdeutschlands und die Gebietshoheit der Bundesrepublik Deutschland fielen daher über viele Jahrzehnte auseinander. Das hinderte die bundesdeutsche Rechtsordnung allerdings nicht daran, je nach betroffenem Rechtsgebiet unter „Inland“ (auch) das Gebiet des Deutschen Reichs in seinen Grenzen vom 31.12.1937 zu verstehen. Dieses Verständnis dominierte beispielsweise zunächst im Strafrecht (BGHSt 5, 364 f.; 8, 168 [170 f.]), wurde dort später aber aufgegeben (BGHSt 30, 1 [4]). Im Staatsangehörigkeitsrecht dominierte der nämliche Inlandsbegriff bis zur Wiedervereinigung (§ 25 Abs. 1 RuStAG a. F.).