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Empfehlungen und Stellungnahmen (Daniela Schroeder)
I.Allgemeines621, 622
II.Rechtsnatur623 – 627
1.Empfehlung624 – 626
III.Zuständigkeit für den Erlass628, 629
1.Rechtliche Unverbindlichkeit632
2.Rechtliche Relevanz633 – 636
Lit.:
A. Arnull, The Legal Status of Recommendations, in: ELR 1990, 318; J. E. Dickschen, Empfehlungen und Leitlinien als Handlungsform der Europäischen Finanzaufsichtsbehörden, 2017; W. Frenz, Handbuch Europarecht, Band 5, 2010, 439; Ch.-A. Morand, Les recommandations, les résolutions, et les avis du droit communautaire, in: CDE 1970, 623; M. Zahlbruckner, Die Empfehlung im EWG-Vertrag – Rechtswirkung und Kontrolle durch den EuGH, in: JBl 1993, 345; s. a. die Literatur zum Begriff → Rechtsakte.
E › Empfehlungen und Stellungnahmen (Daniela Schroeder) › I. Allgemeines
I. Allgemeines
621
Empfehlungen und Stellungnahmen sind → Rechtsakte, die sowohl im Bereich des außenwirksamen Handelns als auch im Bereich der Binnenorganisation der Union zum Einsatz kommen. Sie werden in Art. 288 UAbs. 5 AEUV in Bezug auf ihre Wirkungen dahingehend beschrieben, dass sie nicht verbindlich sind. Als nicht verbindliche Handlungsformen haben die Empfehlung und Stellungnahme gleichwohl eine erhebliche praktische Relevanz in der Union.
622
Wie für alle Rechtsakte der Union gilt der → Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung prinzipiell auch für die Empfehlung und Stellungnahme. Der Erlass einer Empfehlung oder Stellungnahme kommt hiernach nur in Betracht, wenn und soweit die Union die Verbandskompetenz und dasjenige Unionsorgan, das die Empfehlung oder Stellungnahme erlassen möchte, die Organkompetenz nach Maßgabe des → Primärrechts hat. Etwas Abweichendes gilt allerdings für den → Rat (Ministerrat) und die → Europäische Kommission. Gem. Art. 292 S. 1 bzw. S. 4 AEUV können der Rat und die Kommission – unabhängig von einer konkreten Ermächtigungsgrundlage – jederzeit Empfehlungen abgeben.
E › Empfehlungen und Stellungnahmen (Daniela Schroeder) › II. Rechtsnatur
II. Rechtsnatur
623
Als unverbindliche Handlungsformen haben die Empfehlung und Stellungnahme keine rechtliche Bindungswirkung. Sie entfalten aber eine politische oder psychologische Wirkung.
1. Empfehlung
624
Die Empfehlung wird von einem Unionsorgan (→ Organe und Einrichtungen) aus eigenem Entschluss erlassen. Dies erfolgt prinzipiell nach Maßgabe einer entsprechenden Ermächtigungsvorschrift im Primärrecht; Kommission und Rat können allerdings aus eigener Initiative auch ohne eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage Empfehlungen abgeben (s. Rn. 622).
625
Die Empfehlung dient in erster Linie dem Zweck, einen bestimmten Vorgang zu beurteilen und dem Adressaten der Empfehlung ein bestimmtes Verhalten nahezulegen, ohne ihn aber rechtlich zu binden.
626
Im Allgemeinen wird die Empfehlung erlassen, wenn und soweit die Union keine Zuständigkeit für ein rechtsverbindliches Handeln besitzt oder nach Ansicht der Union kein Anlass für eine rechtlich verbindliche Regelung durch die Union besteht. Im zuerst genannten Fall kann der Empfehlung bei ihrem Einsatz gegenüber Mitgliedstaaten die Funktion einer „weichen“ Rechtsangleichung zukommen, weil eine Zuständigkeit für eine „harte“ Rechtsangleichung nicht besteht (z.B. Art. 165 Abs. 4 Spstr. 2 AEUV).
2. Stellungnahme
627
Im Gegensatz zur Empfehlung wird die Stellungnahme in der Regel als Reaktion auf ein fremdes Verhalten abgegeben. Sie beinhaltet eine Meinungsäußerung eines Unionsorgans zu einem bestimmten Vorgang, ohne dass dieser Beurteilung eine verbindliche Wirkung zukommt.
E › Empfehlungen und Stellungnahmen (Daniela Schroeder) › III. Zuständigkeit für den Erlass
III. Zuständigkeit für den Erlass
628
Für den Erlass einer Empfehlung oder Stellungnahme sind gem. Art. 288 UAbs. 1 AEUV alle Unionsorgane zuständig, die auch zum Erlass verbindlicher Rechtsakte ermächtigt sind (→ Rechtsetzungsverfahren). Dies sind der Rat und das → Europäische Parlament gemeinsam, der Rat und das Parlament jeweils für sich allein oder die Kommission. Soweit in den Unionsverträgen vorgesehen, gibt auch die → Europäische Zentralbank (EZB) Empfehlungen ab (vgl. Art. 292 S. 4 AEUV).
629
In der Praxis werden wohl die meisten Empfehlungen und Stellungnahmen von der Kommission erlassen, was darauf beruhen mag, dass sie gem. Art. 17 Abs. 1 S. 1 EUV befugt ist, geeignete Maßnahmen zur Förderung der allgemeinen Interessen der Union zu ergreifen, und ihr damit die Funktion als Initiativ- und Koordinierungsorgan der Union zukommt.
E › Empfehlungen und Stellungnahmen (Daniela Schroeder) › IV. Adressaten
IV. Adressaten
630
Empfehlungen und Stellungnahmen können im Bereich des außenwirksamen Handelns der Union an Mitgliedstaaten sowie an Einzelne, d.h. an natürliche Personen und juristische Personen des Privatrechts, gerichtet werden. Im Bereich der Binnenorganisation der Union kommen andere Unionsorgane als Adressaten in Betracht.
E › Empfehlungen und Stellungnahmen (Daniela Schroeder) › V. Merkmale
V. Merkmale
631
Die Empfehlung und Stellungnahme zeichnen sich gem. Art. 288 UAbs. 5 AEUV durch folgende Merkmale aus:
1. Rechtliche Unverbindlichkeit
632
Die Empfehlung und Stellungnahme sind nicht verbindlich, d.h. sie entfalten weder gegenüber ihren Adressaten noch gegenüber Dritten rechtliche Bindungswirkungen. Insoweit unterscheiden sie sich von der → Verordnung, der → Richtlinie und dem → Beschluss, die in allen Teilen (Verordnung, Beschluss) bzw. hinsichtlich des zu erreichenden Ziels (Richtlinie) verbindlich sind.
2. Rechtliche Relevanz
633
Die fehlende Verbindlichkeit der Empfehlung und Stellungnahme bedeutet indes nicht, dass beide Handlungsformen rechtlich irrelevant sind. Vielmehr können sie in folgenden Fällen durchaus rechtlich erheblich sein:
634
Soweit nach Maßgabe des Primärrechts eine Stellungnahme von Unionsorganen i.R.e. → Rechtsetzungsverfahrens eingeholt werden muss, bildet die Stellungnahme einen notwendigen Bestandteil eines ordnungsgemäßen Rechtsetzungsverfahrens und ist insoweit rechtlich erheblich, als die Nichteinholung der Stellungnahme zu einem verfahrensfehlerhaften Rechtsetzungsverfahren führt. Dies gilt z.B. für die begründete Stellungnahme der Kommission nach Art. 258 AEUV.
635
Des Weiteren ist die Empfehlung rechtlich relevant, soweit sie nach Maßgabe des Primärrechts eine sog. verfahrenseinleitende Empfehlung oder eine sog. verfahrensabschließende Empfehlung darstellt. Das Vorliegen einer verfahrenseinleitenden Empfehlung ist Voraussetzung für das Tätigwerden eines anderen Unionsorgans (z.B. Art. 121 Abs. 4 UAbs. 1 S. 2 AEUV). Eine verfahrensabschließende Empfehlung ist für die Auslegung von Rechtsvorschriften beachtlich. Wegen Art. 4 Abs. 3 EUV sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine Empfehlung zu beachten. Die mitgliedstaatlichen Gerichte müssen sie zur Auslegung mitgliedstaatlicher Vorschriften heranziehen (vgl. EuGH, Urt. v. 13.12.1989, C-322/88 – Grimaldi –, Rn. 18).
636
Schließlich können die Empfehlung und Stellungnahme aus Gründen des Vertrauensschutzes zu einer Selbstbindung ihres Urhebers führen, sofern der Adressat den Inhalt des unverbindlichen Rechtsakts seinem Verhalten zugrunde gelegt hat.