Читать книгу Das Erbe der Skye O'Malley - Bertrice Small - Страница 11
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ОглавлениеJasmine wachte auf, als ein Graupelschauer die gefrorenen Schneekristalle gegen die Fenster ihres Schlafzimmers wehte. Durch den schmalen Schlitz der Vorhänge sah sie die graue Morgendämmerung. Ein wärmendes Feuer loderte im Kamin. Sie streckte sich wohlig unter der dicken Federdecke. Sie liebte dieses alte breite Bett mit den vier geschnitzten Bettpfosten, das schon ihr Großvater benützt hatte. Es war ein wunderbarer Fluchtort vor den Sorgen der Welt ...
Dann fuhr Jasmine mit einem Ruck hoch. Alles fiel ihr plötzlich wieder ein. Sie hatte in der Tat Sorgen! Diese Sorgen waren gestern in der Person von James Leslie eingetroffen. Ihr Herz schlug auf einmal schneller, und sie ließ sich in die Kissen zurückfallen. Sie musste nachdenken, und mit Skye sprechen. Es würde kein einfacher Tag werden.
Die Tür zu ihrem Zimmer öffnete sich, und ihre zwei Zofen traten ein. Rohana hielt ein Silbertablett mit einer Teekaraffe und einer Porzellantasse darauf in der Hand. Sie stellte es neben dem Bett ab und schenkte die Tasse voll mit frisch duftendem Assam-Tee. Jasmine atmete tief ein, nahm dankbar die Tasse in die Hand und trank einen Schluck, der gleich ihr Inneres wärmte.
Auf der anderen Seite des Zimmers suchte Toramalli die Kleider für ihre Herrin aus. Einen schwarzen Samtrock und ein Oberteil aus silberweißem Brokat.. Die entsprechende Unterwäsche mit den Seidenstrümpfen legte sie daneben. Rohana kümmerte sich inzwischen um das kleine Badezimmer, das Jasmine hatte einrichten lassen, als sie nach Belle Fleurs gekommen war.
Jasmine trank ihre Tasse aus und stieg aus dem Bett. Der Geruch von frischem Rosenöl erfüllte den Raum, als Rohana die Essenz ins Badewasser schüttete. »Sind die Kinder schon wach?«, fragte Jasmine.
»Sie sind bereits in der Halle«, antwortete Rohana und half ihr in die Badewanne. »Die Kindermädchen wussten schon, dass Lord Leslie hier ist, und haben sie entsprechend gekleidet.«
Jasmine nickte. »Ich habe nicht viel Zeit. Als Gastgeberin muss ich bald unten in der Halle sein. Ist meine Großmutter auch schon auf?«
»Madame Skye zieht es vor, heute morgen im Bett zu bleiben«, sagte Toramalli. »Daisy, ihre alte Zofe, kam in die Küche und holte ihr Frühstück.«
Jasmine badete und zog sich dann schnell an. Sie konnte kaum ruhig sitzen, als Rohana ihr Haar bürstete. Hastig legte sie eine dicke Perlenkette um ihren Hals und eilte dann die Treppen hinunter in die Halle. Schon von weitem hörte sie die aufgeregten Stimmen ihrer Kinder. An der Tür hielt sie inne und betrachtete die Szene, die sich ihr darbot.
James Leslie, ebenfalls in schwarzem Samt, das kurze dunkle Haar straff nach hinten gebürstet, saß in einem hochlehnigen Sessel neben dem Kamin. »Ausgezeichnet, mein junger Lord Henry«, sagte er zum kleinen Marquis von Westleigh. »Deine Verbeugung wird immer besser. Du wirst deinem verstorbenen Vater und deiner Mutter gewiss keine Schande machen, wenn du dem König die Lehenstreue für Cadby versprichst. Denk immer daran, dass ein Gentleman zuerst nach seiner Abstammung und dann nach seinem Benehmen beurteilt wird.«
»Und wie steht es mit seiner Brieftasche?«, fragte die kleine Lady India.
James Leslie unterdrückte ein Schmunzeln. »Das, meine Liebe, sollte niemanden etwas angehen«, sagte er ernst. »Obwohl ich mir gut vorstellen kann, dass es eine Menge neugierige Blicke geben wird, wenn dein stattlicher Bruder eines Tages am Hof auftaucht.«
»Bringst du uns auch den Hofknicks bei?«, fragte India.
»Deine Mutter wird dafür sorgen, dass du genau über das Hofzeremoniell Bescheid weißt, bis wir nach England zurückkehren«, antwortete der Graf. »Ich werde mit ihr darüber reden.«
»Willst du Mama noch immer heiraten?«, fragte Henry.
»Ja. Der König hat es befohlen.«
»Liebst du unsere Mutter?«, wollte India wissen. »Unser Vater hat sie sehr geliebt, und sie ihn auch. Ich wünschte, der Ire hätte ihn nicht getötet. Ich vermisse ihn sehr.«
»Ich wundere mich, dass du dich überhaupt noch an ihn erinnern kannst, India. Du warst noch sehr klein, als er starb.«
»Ich erinnere mich an einen großen blonden Mann, der mich immer hochgehoben und geküsst und gekitzelt hat. Henry kann sich nicht mehr an ihn erinnern. Er war noch zu klein. Mama erzählt uns immer Geschichten von unserem Vater.«
Plötzlich fing Feathers, der kleine Spaniel, laut zu bellen an und lief durch die Halle auf Jasmine zu. Sie nahm ihn auf den Arm und versuchte, ihn zu beruhigen.
»Guten Morgen, ihr Lieben«, begrüßte sie ihre Kinder. »Ich sehe, ihr habt bereits Bekanntschaft mit unserem Gast gemacht. Guten Morgen, Lord Leslie.« Sie kam in die Halle, und James stand auf und küsste ihre Hand.
»Guten Morgen. Ich hoffe, du hast gut geschlafen.« Er begleitete sie zur Tafel, an der die Diener das Frühstück auftrugen. »Kommt, Kinder, heute dürft ihr ausnahmsweise mit uns das Frühstück einnehmen.«
Die viereinhalbjährige Lady Fortune Lindley zog ihre Mutter am Rocksaum und fragte: »Ist das mein Vater, Mama?«
Bevor Jasmine antworten konnte, sagte James Leslie: »Nein, mein Kind. Du hast denselben Vater wie dein Bruder und deine Schwester, aber ich würde gern wie ein Vater zu dir sein, wenn du das möchtest. Ein Vater für euch alle.«
»Hast du eigene Kinder?«, fragte India.
»Ja, ich hatte einmal eigene Kinder«, antwortete James Leslie, und ein Schatten legte sich über sein Gesicht.
»India!«, rief ihre Mutter, doch sie ließ sich nicht beirren.
»Und wo sind sie jetzt?«, fragte sie weiter. »Werden sie mit uns spielen, wenn du einmal unser Vater bist?«
»Meine Kinder sind im Himmel, zusammen mit ihrer Mutter und deinem Papa. Sie sind schon vor langer Zeit dorthingegangen. Ich kann mich kaum mehr an ihre Gesichter erinnern.« Er nahm einen Stuhl und bot Jasmine ihren Platz an. Dann setzte er die beiden Mädchen daneben, froh, endlich nicht mehr über dieses Thema reden zu müssen.
Jasmine wunderte sich. Ihre Kinder sprachen englisch, sogar untereinander, und sie waren sauber gekleidet und trugen Schuhe an den Füßen. Am meisten erstaunt war sie aber über ihre guten Manieren. So hatte sie sie schon seit Monaten nicht mehr erlebt.
»Ihre Tischsitten müssen noch besser werden«, sagte der Graf leise zu ihr, dann ermahnte er die Kinder, das Brot nicht einander über den Tisch zuzuwerfen, sondern es abzubrechen und ruhig weiterzureichen.
Jasmine musste ein Kichern unterdrücken. Auf der einen Seite war sie verwundert, dass ihre Kinder so schnell James Leslie angenommen hatten, ja, sie war ein wenig eifersüchtig, auf der anderen Seite fand sie es besser, wenn sie ihm nicht gleich von Anfang an Widerstand entgegensetzten. Das würde das Leben für sie alle leichter machen. Außerdem brauchten die Kinder nicht zu wissen, wie es um sie und den Grafen stand. James Leslie hatte ganz offensichtlich einen guten Einfluss auf sie, das musste sie zugeben. Vielleicht fehlte ihnen doch ein Vater. Gedankenversunken kraulte sie den kleinen Hund auf ihrem Schoß und steckte ihm ein Stückchen Brot zu.
»Du hast ihn ganz schön verwöhnt«, bemerkte der Graf.
»Rowan hat ihn mir zu meinem achtzehnten Geburtstag geschenkt«, sagte Jasmine. »Mein wirkliches Geschenk aber war Maguire’s Ford und die Ländereien. Ich kann mich noch genau erinnern, wie verärgert Onkel Padraic darüber war, dass Rowan mir dieses Geschenk machte. Damals habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Heute ist das anders. Ich wünschte, er hätte mir nur Feathers geschenkt.« Sie kraulte nachdenklich das seidige Fell des kleinen Hundes auf ihrem Schoß.
»Du bist seither nicht mehr in Irland gewesen?«
Jasmine schüttelte den Kopf. »Nein. Der Sohn des Vorbesitzers, Rory Maguire, ist mein Verwalter. Auf meinem Land steht sogar eine römischkatholische und eine anglikanische Kirche, und trotzdem vertragen sich die Menschen. Rory züchtet dort Pferde für mich. Fortune wird später einmal das Land erben. Sie ist dort geboren. Das wäre doch eine schöne Mitgift für sie, was meinst du?«
»Ja, schon möglich«, sagte er. »Wir müssen unbedingt miteinander reden«, fügte er hinzu.
»Nicht vor den Kindern«, bat sie. »Wir enden jedes Mal im Streit, und ich möchte nicht, dass die Kinder das erleben.«
»Gut, meine Liebe«, stimmte er zu. »Du hast Recht, das sollten wir ihnen ersparen. Trotzdem müssen wir reden, und gerade wegen der Kinder sollten wir unsere Probleme regeln.« Seine goldgrünen Augen musterten sie ohne sichtbare Emotionen.
Sie hielt seinem Blick stand. »Sollten wir nicht unsere Bekanntschaft erneuern, bevor wir uns über ernsthafte Themen unterhalten? Und ich möchte auch noch vorher meine Großmutter um Rat fragen.«
James Leslie nahm einen Bissen von dem köstlichen Eiersalat, angemacht in Marsalawein und mit grünen Pfefferkernen gewürzt. Es schmeckte hervorragend, und er fragte sich, ob Jasmine den Koch eingestellt hatte oder ob er schon früher hier im Schloss tätig gewesen war. Er wischte sich den Mund mit einer Serviette ab. »Das letzte Mal, als du deine Großmutter um Rat gefragt hast, bis du kurz darauf aus England geflohen. Ich weiß nicht, ob ihre Ratschläge so gut für dich sind.«
»Das war nicht ihr Entschluss, sondern ganz allein meiner«, antwortete Jasmine leise. »Und sie hat nur zugestimmt, weil sie dachte, ich würde Ende des Sommers wieder zurückkommen. Ich bitte dich dringend, nicht meine Großmutter für meine Entscheidungen verantwortlich zu machen. Glaubst du wirklich, ich bin nur eine kopflose Göre, die nicht weiß, was sie will?«
»So habe ich das nicht gemeint«, antwortete er. »Doch was, meine Liebe, hattest du im Sinn, als du vom Erneuern unserer Bekanntschaft gesprochen hast?«, fragte er, und obwohl seine Stimme ganz gelassen klang, glaubte Jasmine doch in seinem Blick Spott oder Herausforderung zu erkennen.
Sie kämpfte um ihre Haltung, wollte nicht gleich wieder wütend von ihren Kindern werden. »Wenn du mit dem Frühstück fertig bist, können wir Prinz Henrys Sohn besuchen«, sagte sie und wollte nicht weiter auf seine Anspielung eingehen.
Der Graf von Glenkirk verdrängte ein Lächeln. Sie hatte also nicht vor, seinen Köder zu schlucken. Wieder merkte er, wie wenig er sie eigentlich kannte. Für eine Zeit lang in Frankreich zu bleiben, schien wirklich eine gute Idee zu sein. Vielleicht kamen sie sich in dieser Zeit doch wieder näher. Der Gedanke war ihm plötzlich nicht mehr unangenehm. Er nahm ein Stück Schinken und goss sich noch ein Glas Cidre ein. »Geht es meinem jüngsten Mündel gut?«
»Allen meinen Kindern geht es gut«, antwortete Jasmine. »Ich habe meine Großmutter immer auf dem Laufenden gehalten, und sie hat der Königin Bescheid gesagt. Ich wollte nicht, dass Hals Eltern sich Sorgen über seinen Sohn machen mussten, gerade jetzt, wo sie so viel Kummer mit Robert Carr und seiner Frau haben.«
James Leslie war gerade dabei zu antworten, als er aus den Augenwinkeln sah, wie Henry Lindley die Halle verlassen wollte. »Mein lieber Lord Westleigh«, rief er ihm nach, »wo willst du hin?«
Henry drehte sich um. »Ich bin fertig mit meinem Frühstück«, sagte er.
»Du hast den Tisch verlassen, ohne deine Mutter um Erlaubnis zu bitten«, entgegnete der Graf. »Komm wieder zurück und hol das nach. In Zukunft erwarte ich, dass du von selbst daran denkst.«
Henry Lindley kam zurück, traf vor die Tafel, machte einen Diener und fragte höflich: »Darf ich den Tisch verlassen, Mama? Das Frühstück war ausgezeichnet.«
»Du bist entschuldigt, Henry«, erwiderte Jasmine förmlich. »Wo willst du hin?«
»Zu den Ställen. Ich muss mich um mein Pony kümmern.«
»Bring ihm einen Apfel mit«, sagte Jasmine lächelnd.
»Vielen Dank.« Henry verbeugte sich noch einmal vor ihr und James Leslie und lief dann aus der Halle.
Jetzt standen auch India und Fortune vor der Tafel. »Dürfen auch wir gehen?«, fragte India.
Jasmine nickte. »Geht zu eurer Großmutter und sagt ihr, dass ich sie bald besuchen komme.«
»Ja, Mama«, erwiderte India und machte zusammen mit ihrer Schwester Fortune einen Knicks.
»India, du brauchst gar keine Anleitung mehr von mir. Ihr beide beherrscht den Hofknicks schon ausgezeichnet.« Sie lächelte ihren beiden Töchtern aufmunternd zu, und die eilten strahlend aus dem Saal.
»Deine Kinder lieben dich«, sagte der Graf.
Jasmine blickte erstaunt auf. »Warum sollte es anders sein?«, fragte sie.
»Viele Mütter von Stand kümmern sich kaum um die Kinder. Sie ziehen die Gesellschaft am Hof vor und überlassen die Erziehung der Kinder ihren Bediensteten.«
»Meine Mutter hat das nicht getan. Obwohl sie eine Prinzessin von Mughal war und wir zahlreiche Diener hatten, hat mich Rugaiya Begum nie vernachlässigt. Und ich folge nur ihrem Beispiel. Man kann nicht erwarten, dass Kinder zu verantwortungsvollen Persönlichkeiten heranwachsen, wenn man sich nicht selbst um sie kümmert. Obwohl ich meinen Kindern hier auf Belle Fleurs viel Freiheit zugestanden habe, achtete ich immer darauf, dass sie ordentlich erzogen werden und mir keine Schande machen, wenn wir nach England zurückkehren. Immerhin sind sie noch sehr klein. Ich möchte, dass sie ihre Kindheit genießen können, bevor sie sich mit Alltagssorgen herumschlagen.« Sie stand auf. »Wollen wir gemeinsam Charles Frederick aufsuchen?«
James Leslie war beeindruckt von ihren Gedanken und ihrem Verantwortungsgefühl gegenüber der Familie. Seine Erinnerungen an sie waren beschränkt auf eine leidenschaftliche Nacht und auf ein paar Spaziergänge im verschneiten Garten ihrer Großeltern in London. Zu der Zeit hatte er noch gemeint, er würde Jasmines Stiefschwester Sybilla heiraten. Seither war viel Zeit vergangen. Ihm wurde immer mehr klar, wie wenig er sie kannte, und gleichzeitig wuchs in ihm der Wunsch, so viel wie möglich über sie zu erfahren. Immerhin sollte sie bald seine Frau werden. Er folgte ihr zu den Kinderzimmern.
Der Junge sah aus wie sein Vater; er hatte dieselben blonden Locken und leuchtend blaue Augen. Als er seine Mutter erblickte, strahlte er und streckte ihr seine Arme entgegen. »Mama!«, rief er, und die Amme übergab mit einem Lächeln das Kind in Jasmines Hände.
»Charlie, mein Lieber«, sagte sie und drückte ihm einen Kuss auf die Backe.
»Wer er?«, wollte der Junge wissen und zeigte mit misstrauischem Blick auf Lord Leslie.
»Wer ist das?«, korrigierte ihn Jasmine. »Das ist Lord Leslie. Dein Großvater, der König, hat ihn geschickt. Er soll mein Ehemann und dein neuer Vater werden. Begrüße ihn so höflich, wie ich es dich gelehrt habe. Deine Geschwister haben schon gezeigt, wie gut ihre Manieren sind.«
Der junge Prinz blickte James Leslie in die Augen, streckte die Hand aus und sagte: »Wie geht es Ihnen, Sir?« Dazu strahlte er übers ganze Gesicht.
James nahm die kleine Hand. »Und wie geht es Ihnen? Ich bin froh, endlich Ihre Bekanntschaft zu machen, mein Prinz.«
»Ball spielen!«, rief der Junge und wand sich aus den Armen seiner Mutter. Er lief ins hintere Ende des Zimmers und kam mit einem bunten Holzball zurück, den er voller Hoffnung Lord Leslie hinhielt. »Ball spielen?«, wiederholte er.
Lächelnd setzte sich James Leslie auf den Boden. »Einverstanden, spielen wir Ball«, sagte er.
Charlie rollte den Ball zu Lord Leslie hinüber, der ihn anhielt und wieder zurückrollen ließ.
»Ich lasse euch jetzt allein«, sagte Jasmine. »Meine Großmutter wartet bestimmt schon auf mich.« Mit diesen Worten eilte sie aus dem Kinderzimmer. Wiederum war sie verblüfft, wie schnell es der Graf geschafft hatte, mit ihrem jüngsten Sohn Freundschaft zu schließen. Sie war gerührt, als sie die beiden so vertraut auf dem Boden sitzen sah. James Leslie schien doch ein Herz zu haben, zumindest was ihre Kinder anbelangte. Gedankenvoll kraulte sie den Spaniel hinter den Ohren, den sie wieder hochgenommen hatte. »Was meinst du, Feathers? Ist das ein Mann, mit dem man leben könnte?«
Der Hund sah sie nur mit einem stummen Blick aus seinen braunen Augen an. Jasmine hatte das Zimmer ihrer Großmutter erreicht, klopfte an die Tür und trat ein. Skye saß mit geschlossenen Augen auf dem breiten Bett. Daisy hatte gerade das Frühstück abgetragen. »Schläft sie wieder?«, fragte Jasmine leise.
»Nein, ich bin wach, meine Liebe«, entgegnete Skye und öffnete die Augen. »Und ich habe gut geschlafen, wie immer auf Belle Fleurs.«
»Ich wollte dich im großen Schlafzimmer unterbringen, aber Adali hat mir davon abgeraten«, sagte Jasmine.
»Wie Recht er hatte«, meinte Skye. »Ich mochte dort nicht an deinen Großvater erinnert werden, Jasmine. Er wird immer in meinem Herzen weiterleben, aber ich könnte es nicht ertragen, dort zu schlafen, wo ich immer an ihn denken muss. Es ist alles schon so lange her.«
»Es tut mir so Leid, Großmutter«, antwortete Jasmine. »Ich konnte es gestern nicht sagen, weil ich so überrascht von der Ankunft Lord Leslies war. Ich war zu eigensinnig und hätte dir und Großvater auf Queen Malvern beistehen sollen. Und jetzt werde ich ihn nie wieder sehen.«
»Ich auch nicht«, sagte Skye leise. »Er war mir von allen der liebste, aber bitte erzähl das nicht weiter, Jasmine, denn sonst wären deine Onkel und Tanten traurig.«
»Ich kann dich gut verstehen«, erwiderte Jasmine. »Auch ich habe meinen ersten Mann, Jamal, geliebt, und dennoch war meine Liebe zu Rowan Lindley größer.« Sie setzte sich neben ihre Großmutter aufs Bett. »Was soll ich nur mit Lord Leslie anfangen?«, fragte sie. »Ich weiß, dass ich ihn heiraten muss, und heute morgen war er auch sehr liebevoll zu den Kindern, aber wie soll ich mich verhalten? Er ist immer so überheblich. Er hat behauptet, von einem Sultan abzustammen. Stimmt das?«
»Ich kenne seine Vorfahren nicht«, sagte Skye. »Zweifellos ist er ein Schotte, aber irgendetwas an ihm ist anders. Vielleicht hat er Tartarenblut in den Adern.« Sie lächelte. »Wenn du ihn schon heiraten musst, solltest du versuchen, ihn für dich zu gewinnen.«
»Vielleicht kann ich den König doch noch umstimmen«, überlegte Jasmine.
»Ganz sicher nicht. James Stuart ist genauso stur wie seine verstorbene Kusine Königin Elizabeth. Außerdem brauchst du einen Ehemann, Jasmine. Auch mir wäre es lieber gewesen, du hättest ihn dir selbst aussuchen können, aber das geht nicht. Du musst dich mit Lord Leslie abfinden, und je früher du mit ihm einig wirst, desto besser ist es. Ich glaube, ich habe da eine Idee ...«
»Ja?« Jasmine war voller Neugier.
»Ich bin der Meinung, es würde euch gut tun, eine Weile ohne die Kinder und ohne mich zu verbringen. In ein oder zwei Wochen fahre ich mit ihnen zu unseren Verwandten in Archambault und dann weiter nach Paris. Der ärgste Teil des Winters sollte bald vorbei sein, und ich würde dann mit meinen Urenkeln nach England weiterreisen. Du und James Leslie habt damit so viel Zeit, wie ihr wollt, euch näher zu kommen. Wenn ihr so weit seid, fahrt ihr zurück nach England, und wir alle feiern auf Queen Malvern eure Hochzeit. Ich werde dem Grafen meinen diesbezüglichen Wunsch mitteilen.«
»Er will, dass wir vor versammelten Hof heiraten«, sagte Jasmine.
»Das kam aus seiner ersten Erregung«, meinte Skye. »Wenn ich ihm Queen Malvern vorschlage, wird er damit einverstanden sein.«
Jasmine musste über den strengen Ton in der Stimme ihrer Großmutter lachen. »Selbst in deinem Alter kann dir kein Mann widerstehen, Madame. Ich wünschte mir, ich wäre so wie du.«
»Du bist mir viel ähnlicher als mir lieb ist«, entgegnete Skye mit einem Schmunzeln. »Ich hoffe, du erreichst eine gewisse Stufe von Weisheit früher als es bei mir der Fall war. Wenn ich so auf mein Leben und meine Abenteuer zurückblicke, wundert es mich, dass ich noch immer hier bin und davon erzählen kann.«
Jasmine sah sie mit ernster Miene an. »Verlass mich nie, Großmutter«, sagte sie leise.
Skye nahm ihre Hand. »Eines Tages werde ich gehen«, sagte sie. »Aber jetzt noch nicht, meine Liebe. Und auch wenn ich einmal nicht mehr bin, werde ich immer bei dir sein. Du musst nur an mich denken, und ich werde mit dir reden.« Sie lächelte. »Zumindest ein Gutes hat eine Heirat mit Lord Leslie«, sagte sie. »Ihr müsst euer Monogramm nicht verändern. Lindley und Leslie, beide beginnen mit L.«
»Du bist unmöglich«, sagte Jasmine liebevoll.
»Stimmt«, gab Skye zu. »Und du bist nicht die erste, die mir das sagt.«
»Sie hat schon kein Blatt vor den Mund genommen, als sie noch jung war und im Alter hat sie nichts dazugelernt«, mischte sich die Kammerzofe Daisy Kelly ins Gespräch ein. »Mylady, wollen sie den ganzen Tag im Bett bleiben, oder soll ich das Bad vorbereiten?«
»Das Bad, du alte Nörglerin«, sagte Skye zu Daisy, die ihre Dienerin und Freundin zugleich war. »Wo steckt er eigentlich?«
»Im Kinderzimmer. Er spielt mit Charlie Ball. Es ist erstaunlich, wie gut er mit den Kindern umgehen kann. Wie viele hat er eigentlich selbst gehabt, und wie kamen sie ums Leben?«, fragte Jasmine. »So hart er sein kann, mit den Kindern wirkt er ganz anders.«
»Du kannst dich aber nicht nur auf die Kinder verlassen«, meinte Skye. »Sie werden erwachsen, und dann gibt es nur noch euch beide. Bis dahin muss mehr zwischen euch sein, wenn ihr zusammenlebt wollt. Von Lord Leslies Vergangenheit weiß ich nur so viel, dass er mit einer seiner Kusinen, einer Gordon, verheiratet war. Sie hatten zwei Söhne, und seine Frau war schwanger mit einem dritten Kind. Eines Tages besuchte sie mit ihren Kindern ein nahe gelegenes Kloster, da wurde es von fanatischen Calvinisten überfallen. Sie beraubten, schändeten und ermordeten die Nonnen und Lord Leslies Familie. Obwohl der König eine Untersuchung anordnete und strengste Bestrafung der Täter verlangte, ist keiner von ihnen je gefasst worden. James Leslie war sehr verbittert darüber. Das hat sich, so fürchte ich, bis heute nicht geändert.«
»Und er hat nie wieder geheiratet«, sagte Jasmine nachdenklich.
»Seine Verwandten haben es ihm immer wieder nahe gelegt. Das alles ist nun fünfzehn Jahre her. Seine Söhne könnten schon erwachsen sein.«
»Als der König damals den Befehl gab, dass ich den Grafen heiraten sollte, sagte mir Lord Leslie, dass er schon einmal um meine Hand bei dir angehalten habe. Das war nach dem Skandal, den wir verursacht hatten, als Sybilla uns entdeckt hatte. Er sagte mir auch, dass du ihn weggeschickt hättest, weil ich bereits Rowan versprochen wäre. Weiter sagte er, du hättest empfohlen, mir nichts von seinem Besuch zu erzählen. Stimmt das, Großmutter?«
»Ja«, gab Skye ohne Zögern zu. »Der Graf hat dich nicht belogen.«
Jasmine machte ein nachdenkliches Gesicht. »Es war dumm von mir«, sagte sie dann. »Ich hätte nicht weglaufen sollen.«
»Mach dir keine Vorwürfe, mein Liebling. Du hast mehr Zeit für dich gebraucht, als sie dir Lord Leslie zugestanden hätte. Der einzige Fehler war, dass du so lange weggeblieben bist. Und auch ich fühle mich schuldig. Statt dir wirklich mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, habe ich es genossen, Intrigen gegen den Grafen zu schmieden. Doch das ist nun vorbei, und wir sollten in die Zukunft blicken. Sieh zu, dass du mit James Leslie ins Reine kommst, das ist das Beste, was dir passieren kann. Dann besteht die Hoffnung, dass ihr eine glückliche Ehe führen werdet. Was hältst du übrigens von meinem Vorschlag, euch eine Weile allein zu lassen?«
»Bleib noch ein paar Tage auf Belle Fleurs, Großmutter«, antwortete Jasmine. »Dann tun wir dem Grafen gegenüber so, als wäre dies eine plötzliche Idee von uns beiden. Wenn er nicht damit einverstanden ist, können wir es wahrscheinlich auch nicht ändern, fürchte ich.«
»Wir dürfen nur nicht zu voreilig sein«, stimmte Skye zu. »Außerdem sollten wir die Kinder heraushalten, solange sie noch hier sind. Ich habe da eine Idee. Wir könnten einen Hauslehrer für sie bestellen, dann sind sie beschäftigt, während wir den Grafen einwickeln. Wenn er dann so weit ist, einer Hochzeit auf Queen’s Malvern zuzustimmen, werde ich mit den Kindern abreisen und euch allein lassen. Dann hast du genügend Zeit, ihn zu verführen. Danach sollte einer glücklichen Ehe nichts mehr im Wege stehen.« Skye war ganz begeistert von ihrer Strategie. »Ah, schon der Gedanke daran macht mich um viele Jahre jünger.«
»Nimm dich zusammen, meine Liebe! Misch dich nicht immer in anderer Menschen Leben ein.«
Skye erstarrte. War das seine Stimme? Sie hatte doch gerade Adams Stimme vernommen, oder nicht?
»Großmutter?«, rief Jasmine voller Sorge.
Skye schüttelte sich. »Es ist alles in Ordnung«, sagte sie und wunderte sich zugleich. Wurde sie etwa verrückt? Doch schnell hatte sie sich wieder unter Kontrolle und fuhr fort, in Gedanken ihre Intrigen weiterzuspinnen. Den Grafen zu umgarnen und zu verführen, war für eine Frau wie Jasmine bestimmt nicht allzu schwer, überlegte sie. Vielleicht war es sogar zu einfach. Also musste ein Rivale her! Es gab nichts Besseres als ein nahezu gleichwertiger Rivale, der um die Gunst von Jasmine buhlte. Das würde den Grafen umso eifriger um sie kämpfen lassen. Und natürlich durfte Jasmine nichts davon erfahren.
Es musste ein stattlicher Mann sein, allerdings etwas oberflächlicher als der prinzipientreue Graf. Auf der anderen Seite durfte Jasmine sich auch nicht in den Falschen verlieben, also musste der Mann verheiratet sein. Ja, das war es! Ein hervorragender Plan!
»Geh jetzt, meine Liebe«, sagte sie zu Jasmine und wandte sich an Daisy. »Wo bleibt denn mein Bad? Ich habe ganz vergessen, wie feucht und kalt es in diesen alten Mauern wird. Leg mehr Holz aufs Feuer, Daisy, mich friert«
»Ich bin froh, wenn wir wieder zu Hause sind«, murmelte die alte Dienerin.
»Es dauert nicht mehr lange«, versprach Skye. »Ich muss nur noch das eine oder andere regeln, dann können wir aufbrechen.«
»Sie haben wieder diesen besonderen Blick, Madame«, sagte Daisy. »Den habe ich schon lange nicht mehr gesehen.«
»Welchen Blick?«, fragte Skye unschuldig.
»Ihrem verstorbenen Gatten würde das gar nicht gefallen«, fuhr Daisy unbeirrt fort. »Warum können Sie nicht einfach Ihre restlichen Jahre im Kreise Ihrer Kinder und Enkelkinder genießen?«
»Ich werde dich überleben, du alte Nörglerin«, erklärte Skye.
»Möglicherweise, aber dann wird es niemanden mehr geben, der ein Auge auf Sie hat.«
»Was ist nun mit meinem Bad?«, fragte Skye.
»Wir sind beide zu alt für irgendwelche Intrigen«, meinte Daisy kopfschüttelnd.
»Du, vielleicht, ich nicht«, widersprach ihr Skye.
Daisy schüttelte noch einmal den Kopf. Was hatte sie nur wieder vor, und wo würde das alles enden?