Читать книгу Das Erbe der Skye O'Malley - Bertrice Small - Страница 16
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ОглавлениеRichard Stokes, der Graf von Bartram, war äußerst besorgt. Er hatte dem König gedient, seit James in England angekommen war, und hatte die Gunst seines Herrschers durch harte Arbeit und seine nüchterne Art gewonnen. Als Protégé von Robert Cecil, dem Grafen von Salisbury und dem Sohn von Lord Burghley, der vor seinem Tod der vertrauteste Berater des Königs gewesen war, hielt sich Lord Stokes stets im Hintergrund, wenn er seine Pflicht gegenüber der Krone erfüllte. Er war oft lange von zu Hause abwesend und konnte nur wenig Zeit mit seiner Familie verbringen, aber seine Frau Mary hatte das immer akzeptiert. Nur am Sonntag stand Richard Stokes seinem König nicht zur Verfügung. Sonntag war der Tag des Herrn, und er war ein frommer Mann. Der Graf von Bartram befolgte das Gesetz, den Tag des Herrn zu heiligen.
Er trat zwar offen für Englands offiziell sanktionierte Kirche ein, insgeheim jedoch war Lord Stokes ein Puritaner. Er hatte nichts übrig für das Pfaffentum oder den abergläubischen Plunder, der die anglikanische Kirche seiner Meinung nach verdarb. Die Kirche sollte frei sein von solch unnützem Zeug. Gottes Wort war einfach und direkt, und dem sollte auch die Kirche entsprechen. Der Graf von Bartram hielt nichts vom Dogma, dem prächtigen Ritual und der geschäftsmäßigen Organisation der englischen Kirche. Die Menschen waren verpflichtet, sich an die Bibel und ihre Lehren zu halten, genauso, wie Gott es vorgesehen hatte, denn sonst hätte er es wohl kaum niederschreiben lassen. Einfach – so sollte die wahre Kirche sein.
Richard Stokes jedoch behielt seinen Glauben für sich. Er war der Überzeugung, dass der Glaube etwas sehr persönliches und privates war. Er legte keinen Wert auf Menschen, die ihre Glaubensbekenntnisse auf dem Marktplatz öffentlich feilboten und von anderen verlangten, es ihnen gleichzutun. Außerdem wurden Puritaner, die ihren Glauben zu laut kundtaten, heftig verfolgt, sogar in noch stärkerem Maße als die fehlgeleiteten Männer und Frauen, die der römischkatholischen Kirche anhingen. Ein zurückhaltender Glaube jedoch war, zumal in Verbindung mit der offiziellen Kirche von England, vertretbar. König James erinnerte sich nur zu gut an die Probleme seiner Mutter hinsichtlich der Religion; Probleme, die ihn ihrer Gesellschaft beraubt und ihm eine kalte, gefühllose und strenge Kindheit ohne mütterliche Wärme oder liebevolle Zuneigung beschert hatten.
Leider war Lady Mary Stokes, die Frau des Grafen, in Religionsfragen nicht so vorsichtig wie ihr Gatte. Sie war eine fromme Frau, und in der letzten Zeit war sie zu einer glühenden Verfechterin ihres geheimen Glaubens geworden. Zum Teil gab Stokes sich selbst die Schuld daran. Seine Geschäfte hielten ihn die meiste Zeit des Jahres in London fest, und ihre Kinder waren alle erwachsen und verheiratet. Die älteste Tochter lebte in Cornwall, und die jüngste hatte in den Norden, nach Yorkshire, geheiratet. Ihr einziger Sohn und seine Frau lebten auf dem Familienbesitz in Bartramhalt in Oxfordshire.
Da er die meiste Zeit von morgens bis spät in die Nacht im Dienst des Königs stand, hatte der Graf vollstes Verständnis dafür, dass seine Gattin, die nichts zu tun hatte, sich ganz ihrem Glauben widmete. Mary war eine äußerst moralische Frau, die nichts mit der Frivolität, wie sie bei Hof zur Schau gestellt wurde, zu tun haben wollte. Sie hatte keine Freunde bei Hof, und ohne ihre Familie war sie einsam. Und nun widmete sie sich auf einmal leidenschaftlich ihrem Glauben, sicher eine angemessene Beschäftigung für eine adlige Dame, aber unglücklicherweise war der Eifer, den sie dabei entwickelte, dem König zu Ohren gekommen. Wie das geschehen war, wusste der Graf von Bartram nicht, aber James Stuart zeigte sich nicht erfreut über die Neuigkeiten.
»Ich halte nichts von den Calvinisten, Dickie«, sagte er zu dem Grafen, nachdem er ihn eines Nachmittags spät zu einer königlichen Audienz bestellt hatte. »Habt Ihr von der nonkonformistischen Haltung Eurer Frau gewusst? Die Calvinisten respektieren meine göttlichen Rechte nicht, Dickie. Ihr müsst dafür sorgen, dass Lady Mary sich das aus dem Kopf schlägt und sie von ihrer Häresie abbringen«, schloss James Stuart. Er wandte sich seinen beiden Gefährten zu. »Das stimmt doch, meine Lieben, nicht wahr?« Er lächelte beide an.
»Ich fürchte, mein gutes Weib langweilt sich, da unsere Kinder jetzt ihr eigenes Heim haben, Euer Majestät«, erwiderte der Graf. »Mary meint es nicht böse.«
»Sie kommt nie an den Hof«, bemerkte der König. »Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich sie das letzte Mal gesehen habe, Dickie. Ist sie denn geistig überhaupt noch auf der Höhe?«
»Sie ist schüchtern und zurückhaltend, Euer Hoheit«, entschuldigte der Graf seine Frau. Fast wünschte er, sie wäre tatsächlich so verwirrt, dass er ihr Verhalten damit entschuldigen könnte.
»Jedenfalls nicht so schüchtern, Dickie, dass sie nicht vor Westminster stehen und diese aufrührerischen Traktate verteilen kann, die unsere gute Kirche verdammen«, sagte der König grimmig.
Der Graf von Bartram erbleichte. »Was?«, presste er hervor. Mary musste den Verstand verloren haben.
»Hört Ihr nicht mehr gut, Dickie?« Der König sah überhaupt nicht erfreut aus.
»Ich werde meiner Frau ganz bestimmt Vorhaltungen machen ...«, begann er, aber der Marquis von Hartsfield unterbrach ihn.
»Vorhaltungen machen, Stokes? Eure Frau steht an der Schwelle zum Hochverrat, und Ihr, Seiner Majestät vertrautester Diener, Ihr wollt ihr Vorhaltungen machen? Ihr solltet sie verprügeln, bis sie wieder zu Verstand kommt, Mylord«, erklärte der Marquis.
»Sir«, gab der Graf ärgerlich zurück, »mein Weib ist eine gute und anständige Frau. Ich musste im Umgang mit ihr nie gewalttätig werden. Sie ist außerdem eine vernünftige Frau. Da Ihr nicht verheiratet seid, könnt Ihr Euch auch wohl kaum kompetent zu Ehefragen äußern.«
»Ihr steht also hinter ihrem Verrat?«, fragte der Marquis hinterhältig.
»Was für ein Verrat?«, erwiderte der Graf, der immer zorniger wurde. »Was ist es für ein Verrat, wenn man eine einfachere Form der Gottesverehrung bevorzugt, Mylord? Hat nicht schon die alte Königin selbst gesagt, dass es nur einen einzigen Herrn Jesus Christus gibt, und dass alles andere überflüssig ist?«
»Ach, dann kennt Ihr Euch also mit dem Puritanismus recht gut aus«, trieb der Marquis den Grafen von Bartram weiter in die Enge.
»Ich bin ein Mitglied von Englands Kirche«, entgegnete der Graf knapp. Er war sich plötzlich der Falle bewusst, in die man ihn so geschickt hineingetrieben hatte.
»Aber Euer Weib anscheinend nicht«, bemerkte der König. »Habt Ihr von ihrer Häresie gewusst, Dickie?« James Stuarts bernsteinfarbene Augen musterten den Grafen scharf.
Der Marquis von Hartsfield, Piers St. Denis, lächelte den Grafen über die Schulter des Königs höhnisch an. Der junge Villiers jedoch, der andere Gefährte des Königs, schien etwas mehr Mitgefühl für den geschlagenen Lord Stokes zu empfinden.
»Frauen können recht launenhaft sein«, murmelte George Villiers leise. »Hat unsere gute Königin Euch nicht auch von Zeit zu Zeit übergangen, um das zu tun, was ihr beliebte?« Er lachte gutmütig. »Offensichtlich war sich Lord Stokes dieser Angelegenheit nicht bewusst. Erlaubt ihm, die Sache unter vier Augen in seinem Heim in Ordnung zu bringen. Wie unser guter Piers bereits bemerkt hat, ist der Graf immer Euer treuester Diener gewesen, Sire.«
Der König drehte sich um und bedachte den jungen Mann mit einem liebevollen Lächeln. »Ah, Steenie, Ihr habt so ein gutes Herz, nicht wahr, Piers?«
»Jawohl, Euer Majestät«, erwiderte der Marquis von Hartsfield säuerlich und zwang sich zu einem Lächeln. Er mochte den frommen und fleißigen Richard Stokes nicht.
Stokes überwachte die Ausgaben des Königs gewissenhaft, und erst kürzlich hatte er James davon überzeugt, Piers St. Denis einen kleinen Besitz der Krone, der neben den Besitzungen des Marquis lag, nicht zu schenken, obwohl dieser schon lange damit geliebäugelt hatte. Das würde er dem Grafen von Bartram heimzahlen, wenn er die Gelegenheit dazu hatte, und heute wäre es ihm fast gelungen, wenn ihm nicht der clevere George Villiers mit seiner falschen Liebenswürdigkeit dazwischengekommen wäre. In Wirklichkeit war Villiers so liebenswürdig wie eine tollwütige Ratte, aber er war eben gerissen und trickreich. Verdammt!
»Nun gut, Dickie, geht nach Hause und sagt Eurer Lady, dass ich nichts mehr von ihren Aufwiegeleien hören will.« Mit diesen Worten entließ der König den Graf von Bartram, ohne ihm jedoch die königliche Hand zum Kuss hinzuhalten.
Richard Stokes verbeugte sich und warf George Villiers einen dankbaren Blick zu, als er sich aus den Privatgemächern des Königs zurückzog. Ihm war klar, dass er Villiers jetzt einen Gefallen schuldete, und er fragte sich, was er wohl von ihm erbitten würde. Trotzdem war er erleichtert, so einfach davongekommen zu sein. Offensichtlich hatte er sich den Marquis zum Feind gemacht, als ihm der königliche Besitz, den er so sehr begehrte, verweigert wurde. Und doch, dachte Lord Stokes, handelte er im Interesse des Königs, und das Einkommen aus diesem Besitz zu verlieren wäre nicht im Interesse von James Stuart gewesen. Die alte Königin Bess hatte die königlichen Schatztruhen gefüllt hinterlassen, aber James war dabei, sie mit seiner Großzügigkeit rasch zu leeren, ganz zu schweigen von den extravaganten Wünschen seiner Gemahlin. Seit Robert Cecils Tod war niemand mehr wirklich in der Lage, die Gier des Hofes im Zaum zu halten.
Der Graf von Bartram eilte aus dem Whitehall Palace und rief nach seiner Kutsche, als er in den offenen Hof trat. Sie fuhr rasch vor, und er wies seinen Kutscher: »Nach Hause, Simmons, und nimm den schnellsten Weg!« Dann kletterte er in das Gefährt und schlug die Tür hinter sich zu. Seine Gedanken überschlugen sich. Dieses Mal war Mary zu weit gegangen. Richard Stokes glaubte zwar nicht, dass sein Leben in Gefahr war, aber er wusste, das er unter den Höflingen des Königs nicht viele echte Freunde hatte. Normalerweise hätte ihm das nichts ausgemacht. Seine Loyalität galt einzig und allein James Stuart. Sein Wert für seinen Herrn lag in seiner unbedingten Aufrichtigkeit und seiner Verschwiegenheit. Aber diese Charakterzüge würden ihm kaum helfen, wenn jemand wie Piers St. Denis das Vertrauen des Königs in ihn untergrub. Heut war er noch von dem charmanten George Villiers gerettet worden, aber nur, weil der junge Mann etwas von ihm wollte.
Villiers war ehrgeizig, dachte der Graf, und er hatte bereits ein Auge auf die Erbin des Grafen von Rutland geworfen. Es ging das Gerücht, dass das Mädchen verrückt nach George Villiers sei. Sie sah nur sein außergewöhnlich hübsches Gesicht und seine gute Figur. Über seinen Charakter wusste sie wenig, und auch nicht, ob er ein gottesfürchtiger Mann war. Tatsächlich gab sich der neue Günstling charmant, amüsant und überaus höflich – ungewöhnliche Eigenschaften für sein Alter. Vielleicht war er wirklich so, wie er sich verhielt, aber Richard Stokes bezweifelte das. Er würde jedoch dem König empfehlen, ihm einen kleinen Adelstitel zu verleihen. Das würde dem König gefallen, vor allem, wenn der Vorschlag vom Grafen von Bartram käme. Er brauchte nur zu behaupten, dass er bei George Villiers viel versprechende Anlagen sähe, und vielleicht stimmte das ja auch. Und gewiss würde er damit die Schuld zurückbezahlen, die entstanden war, weil Villiers ihn heute gerettet hatte.
Das Haus des Grafen lag in Kew, einer Ortschaft außerhalb der Stadt. Es stand jedoch nicht am Fluss, wie die Residenzen der meisten Reichen und Mächtigen; es war ein einfaches dreistöckiges Ziegelgebäude, das inmitten eines kleinen Parks lag. Die Kutsche fuhr durch die Tore und die Auffahrt entlang bis vor die Tür des Herrenhauses. Richard Stokes stieg aus dem Wagen und trat ins Haus. »Ihre Ladyschaft soll sofort zu mir kommen«, wies er einen Lakaien an, dann ging er in die Bibliothek, wo gegen die Kälte des feuchten Spätfrühlingstages ein Feuer im Kamin brannte. Er schenkte sich etwas Wein in einen kleinen Kristallkelch, um sich zu beruhigen, und wartete auf das Erscheinen seiner fehlgeleiteten Frau. Als sie schließlich den Raum betrat, dachte er unwillkürlich, dass sie immer noch hübsch aussah, obwohl ihre Blütezeit längst vorüber war.
»Du bist früh zu Hause heute, mein Lieber«, begrüßte Lady Stokes ihren Gatten. Ihr Blick fiel auf den Kelch in seiner Hand. »Alkohol, Dickon?«, sagte sie mit leicht hochgezogenen Augenbrauen. »Pastor Simon Goodfellowe sagt, Alkohol sei nicht gottesfürchtig.«
»Unser Herr Jesus hat auf der Hochzeit von Kanaan Wasser in Wein verwandelt, Mary«, erwiderte der Graf scharf. »Und wenn der Herr Wein billigte, dann sollte das Simon Goodfellowe auch tun.«
Lady Mary strich glättend über die dunkelblaue Seide ihres Gewands. Es war ein einfaches Kleidungsstück, dessen einzige Zierde aus einem gerüschten weißen Kragen bestand. Außer ihrem Ehering trug sie kein Schmuckstück. »Du magst Pastor Goodfellowe nicht, Dickon, nicht wahr?«, fragte sie.
»Nein, Mary, ich mag ihn nicht. Ich finde ihn beschränkt und gewöhnlich, und vor allem kann ich es nicht ausstehen, dass er dich wahrscheinlich dazu erwogen hat, vor Westminster religiöse Traktate zu verteilen«, entgegnete der Graf seiner verblüfften Frau. »Was in Gottes Namen hat dich veranlasst, so etwas zu tun, Weib? Hast du den Verstand verloren?«
»Das Wort Gottes muss verbreitet werden, Dickon ...«, begann sie, aber er unterbrach sie ungehalten. Sein Blick war dunkel und ärgerlich.
»Du wirst diese Aktivitäten sofort einstellen, Madame. Der König betrachtet sie als verräterische Häresie. Ich bin seit zwanzig Jahren im königlichen Dienst, und heute hätte ich wegen dir beinahe meine Stellung verloren, Madame. Nur das Eingreifen dieses Welpen Villiers hat mich gerettet. Und jetzt schulde ich ihm einen Gefallen. Wenn ich Leuten wie Villiers, Madame, auch nur den kleinsten Gefallen schulde, verliere ich meine Autorität und damit meinen Nutzen für den König. Wie konntest du es also wagen, dich zu so einer aufrührerischen Handlung hinreißen zu lassen?«, verlangte der Graf zu wissen.
»Oh, Dickon«, erwiderte sie betrübt, »ich wollte dich wirklich nicht in Schwierigkeiten bringen. Ich wollte nur unseren Glauben verbreiten, denn ich liebe doch unseren Herrn und möchte, dass seine Kirche frei von allem Pfaffentum ist. Möchtest du das denn nicht auch?«
»Mary«, entgegnete er, wobei sein Ton schon ein wenig sanfter wurde, und zog sie neben sich auf ein Sofa, »du weißt, dass ich einen einfacheren Glauben bevorzuge, aber ich bin kein Märtyrer. Ich kann meinen Glauben im Stillen praktizieren und so mein Gewissen beruhigen, während ich nach außen hin das Gesetz des Königs befolge. Im Moment gibt es eben nur diese eine sanktionierte Kirche in England, und als treue Untertanen von James Stuart müssen wir nach außen hin so tun, als seien wir ergebene Mitglieder dieser Kirche. Wie soll ich denn den König beeinflussen, seine Einstellung gegenüber den Puritanern ein wenig zu mäßigen, wenn ich kein Gehör bei ihm finde? Wie du sehr wohl weißt, habe ich Englands Monarchen immer treu gedient, angefangen bei meinem Dienst während der Herrschaft von Königin Bess. Dein dummes Verhalten hat mich heute beinahe das Vertrauen und den Respekt gekostet, die ich mir in all den Jahren erworben hatte. Der Marquis von Hartsfield ist mein Feind, weil ich den König überredet habe, ihm Summerfield nicht zu schenken. Heute hat er versucht, sich dafür an mir zu rächen. Es geht ihm dabei nicht um England oder um den König. Ihm geht es nur um seinen eigenen Vorteil, selbst wenn er dabei einem einsamen und traurigen alten Mann um den Bart gehen muss. Ich habe dir jetzt mehr gesagt, als ich eigentlich sollte, aber ich weiß, dass du diskret sein wirst, wie du es immer bei unseren privaten Gesprächen warst. Und jetzt versprich mir, meine Liebe – keine aufrührerischen Handlungen mehr!«
»Oh, Dickon, es tut mir so Leid. Mir war nicht bewusst, was ich tat. Ich wollte doch nur unserem lieben Herrn dienen«, sagte Mary verzweifelt zu ihrem Gatten.
»Meine Liebe«, beschwichtigte er sie, »du bist nur eine Frau. Du könntest den Ernst deiner Handlung nicht überblicken. Auch ich bin nicht froh darüber, dass wir unseren wahren Glauben verbergen müssen, aber wenn unser Gott am Ende triumphieren soll, dann müssen wir uns jetzt bescheiden verhalten. Unserem Herrn ist am besten mit einer gehorsamen Ehefrau gedient.«
»Ich will nichts mehr mit Pastor Goodfellowe zu tun haben, mein Gatte«, versprach Lady Mary ihrem Mann.
»Gut, ich werde persönlich dafür sorgen, dass der Pastor davon unterrichtet wird, dass du an seinen Aktivitäten nicht mehr teilnimmst«, erwiderte der Graf von Bartram.
»Dickon ...? Ich habe eine ganz wundervolle Idee, wie du bestimmt des Königs voller Vertrauen wiedererlangen und über den Marquis von Hartsfield triumphieren kannst. Hast du mir nicht erzählt, dass er die verwitwete Marquise von Westleigh heiraten will, die Prinz Henrys Bastard geboren hat? Wie wäre es denn, wenn du den König überreden könntest, dir die Vormundschaft über den kleinen Jungen zu geben? Wenn er dir die Erziehung seines Enkels anvertrauen würde, dann stündest du bestimmt in seiner Gunst.«
»Lady Lindley hat die Wahl zwischen dem Grafen von Glenkirk und dem Marquis. Sie zieht den Grafen vor, da sie eine gemeinsame Vergangenheit haben, Mary. Er ist der Vormund des kleinen Herzogs von Lundy. Piers St. Denis, der Marquis von Hartsfield, kann Jasmine Lindley den Hof machen, solange er will, es wird ihm doch nicht gelingen, ihre Hand zu gewinnen, auch wenn er sich für unwiderstehlich hält.«
»Aber wenn .der König glaubt, dass der Marquis beleidigt ist, weil Lady Lindley den Grafen gewählt hat, dann kann es doch sein, dass er ihn dafür entschädigen möchte, und die Vormundschaft für den kleinen Herzog wäre doch bestimmt ein angemessener Preis. Du würdest Seine Majestät also davon überzeugen, dass er höchstwahrscheinlich niemanden beleidigen würde, wenn er den Jungen einer dritten, neutralen Partei übergibt. Natürlich darf der Marquis nicht leer ausgehen; er sollte auch etwas bekommen, vielleicht Summerfield, das er immer schon haben wollte.«
Der Graf von Bartram dachte eine Zeit lang nach. Die Idee seiner Frau war in der Tat äußerst klug. Der Junge würde selbstverständlich sein eigenes Einkommen haben, das rechtmässig seinem Hüter zustand. Anders als bei den gewöhnlichen Ausgaben, dachte Richard Stokes, könnte ich den Überschuss seines Einkommens in die königlichen Schatztruhen fließen lassen und dadurch den Verlust von Summerfield ausgleichen. Die Summe, die vom Herzog von Lundy käme, wäre wahrscheinlich sogar größer als der Ertrag von Summerfield. Und wenn der Junge in meinem Haus aufwachsen würde, könnte ich das Kind im rechten Glauben erziehen und von der Anglikanischen Kirche fern halten. Aber das lag noch in ferner Zukunft, und er musste sowieso ganz vorsichtig vorgehen.
»Meine Liebe«, sagte er zu seiner Frau, »heute hat sicher Gott durch dich gesprochen, und falls Lady Lindley Einwände gegen den Verlust ihres Kindes hat, dann werde ich den König darauf hinweisen, dass sie nicht dazu taugt, seinen Enkel zu erziehen. Ihr unkeusches Leben als Prinz Henrys Mätresse und ihre fragwürdige Abstammung, ganz zu schweigen von ihrer eigenen unehelichen Geburt, machen sie ganz und gar ungeeignet trotz ihres Reichtums und ihrer mächtigen Verbindungen. Der König wird das bestimmt einsehen, da bin ich mir ganz sicher. Zuerst jedoch muss ich ihm versichern, dass ich deiner Unwissenheit Einhalt geboten habe und muss ihn um Verzeihung für dein Fehlverhalten bitten. Und wenn Lady Lindley ihre Wahl öffentlich bekannt gegeben hat, werde ich den nächsten Schritt tun und versuchen, die Vormundschaft über den Herzog zu erlangen. Es wird gut sein, wieder ein Kind im Haus zu haben, nicht wahr, meine Liebe? Es wird uns ein wenig auf Trab bringen, da habe ich keine Zweifel.« Der Graf schmunzelte. »Ich erinnere mich noch gut daran, als Edward ein Junge war.«
»Dann hast du mir verziehen?«, fragte sie ihn.
»Ja, ich habe dir verziehen, Mary«, versicherte er ihr, wobei er in Gedanken schon bei den Vorteilen war, die ihm die Vormundschaft über den königlichen Bastard bringen könnte. Er wollte jedoch weiterhin im Hintergrund bleiben, denn darin hatte schon immer seine Stärke gelegen. Hierin und in seiner Verschwiegenheit. Er schmunzelte leise und überlegte, wie rachsüchtig der Marquis sich heute aufgeführt hatte. Hoffentlich wäre der Besitz von Summerfield dazu angetan, den eitlen Popanz zu besänftigen, wenn er erfuhr, dass er die Lady, ihr Vermögen und den Herzog von Lundy verloren hatte. Der Graf von Bartram beabsichtigte, dafür zu sorgen, dass er nur Summerfield bekam und dass am Tag von Piers St. Denis’ Tod alles wieder an die Krone zurückfallen würde. Dafür wollte er, Richard Stokes, schon sorgen.
Während er leise lächelte, überlegte auch sein Gegner bereits seinen nächsten Schritt. Er dachte bereits nicht mehr an den Grafen von Bartram, er musste sich um wichtigere Angelegenheiten kümmern, und es blieb ihm nur wenig Zeit, seine Interessen zu verfolgen. Jasmine erwies sich als widerspenstig. Es war ihm zwar gelungen, James Leslie aus ihrem Haus zu entfernen, aber das war auch sein einziger Erfolg. Jeden Tag erschien sie mit dem Grafen von Glenkirk bei Hof, während sie ihm zwar erlaubte, sie in der Öffentlichkeit zu begleiten, ihn privat jedoch mied. Er kam überhaupt nicht weiter mit ihr, und das machte ihn langsam wahnsinnig.
Zuerst hatte er ihr den Hof gemacht wegen ihres Reichturns, ihres königlichen Bastards und ihrer einflussreichen Beziehungen. Je öfter er jedoch mit ihr zusammen war, desto mehr begehrte er sie. Er hatte noch nie nach jemandem so verlangt wie nach Jasmine Lindley. Mit ihren üppigen Formen, dem herausfordernden Blick, mit dem sie ihn aus ihren verwirrenden türkisfarbenen Augen immer bedachte, mit ihrer golden schimmernden cremeweißen Haut verhexte sie ihn geradezu. Er träumte davon, sie zu besitzen und schwor sich, sie so zu nehmen, wie noch kein Mann es jemals getan hatte. Seine Gedanken wanderten zu den Geheimzimmern, die er sowohl in seinem Stadthaus als auch auf seinem Landsitz eingerichtet hatte. Er stellte sich vor, sie zwischen die Pfosten des Betts anzuketten und wie sie um Gnade wimmern würde, während er sie bis zur Unterwerfung peitschte. Ob sie wohl besser auf den breiten Ochsenziemer aus Leder, die dünnen Haselnussgerten oder seine feste Reitgerte reagieren würde? Kipp musste ihm natürlich helfen, aber er hatte nicht vor, Jasmine mit seinem Halbbruder zu teilen. Zumindest nicht, bevor er ihrer überdrüssig würde, wenn das jemals geschehen sollte.
Er überlegte, dass Jasmine, die eine willensstarke Frau war, es vielleicht auch genießen würde, selbst jemanden zu bestrafen. Nun, er konnte ihr ja beibringen, wie man mit dem Ochsenziemer und der neunschwänzigen Katze umging, denn das war eine Kunst. Man durfte nicht einfach auf sein Opfer einprügeln, man musste sich beherrschen. Die Kunst bestand darin, die richtige Mischung aus Strenge und Zärtlichkeit zu finden. Es gab, das hatte der Marquis von Hartsfield entdeckt, Lust im Schmerz. Allerdings sah das nicht jeder so wie er. Manche Menschen betrachteten diese Dinge auch als tabu. Voller Vorfreude leckte er sich über die Lippen.
Jasmine jedoch, nachdem sie den Schock überwunden hatte, noch einen weiteren Verehrer zu haben, fand das Ganze äußerst erheiternd, vor allem, da Jemmie gezwungen gewesen war, bei ihrem Onkel Robin einzuziehen. Sie würde ihm keinesfalls erlauben, sich des Nachts durch den angrenzenden Garten in ihr Bett zu schleichen. »Nur, wenn ich Piers St. Denis auf die gleiche Weise unterhalten darf«, neckte sie den Grafen von Glenkirk.
Glenkirk war jedoch nicht so leicht zu bezwingen. »Wenn du möchtest«, entgegnete er galant. »Es wird die letzte Gelegenheit für dich sein, dir einen Liebhaber zu halten, Madame, denn wenn wir erst einmal verheiratet sind, werde ich all deine Bedürfnisse aufs Beste befriedigen, das verspreche ich dir. Außer unseren Söhnen wird es für dich keinen anderen Mann mehr in deinem Leben geben.« Er ergriff ihre Hand und drückte einen Kuss auf die Handfläche.
»Führe mich nicht in Versuchung, Jemmie«, murmelte sie und zog ihre Hand weg.
»Bist du in Versuchung geraten?«, fragte er und verspürte einen leichten Stich der Eifersucht. Das würde sie doch bestimmt nicht wagen! Sie waren schließlich miteinander verlobt!
»Nun«, überlegte Jasmine laut, »er sieht sehr gut aus. Tatsächlich frage ich mich schon, was hinter seinem Charme steckt.«
»Ich habe ein paar ziemlich unappetitliche Gerüchte gehört«, erwiderte der Graf von Glenkirk steif. »Von seinen früheren Geliebten.«
»Oh? Was für Gerüchte?« Jasmine war fasziniert.
»Nicht die Art von Dingen, die ich gerne mit dir erörtern würde«, entgegnete er. »Sagen wir einfach, er weicht in seiner Leidenschaft ein wenig vom Weg des Normalen ab, Jasmine.«
»Glenkirk«, erwiderte sie lachend, »ich war zweimal verheiratet. Ich bin keine errötende Jungfrau. Liebt er es, durch das Portal von Sodom in eine Frau einzudringen, oder ist er einer dieser bemitleidenswerten Menschen, die Schmerzen verursachen müssen, um Lust zu empfinden? Sag es mir auf der Stelle, sonst frage ich ihn selbst!«
»Das brächtest du fertig!«, erwiderte er anklagend und musste lachen. »Nun ja, du Hexe, es ist das Letztere. Er liebt es, seine Geliebten auszupeitschen, und er teilt sie sich mit seinem Schurken von Halbbruder.«
»Ich hielt ihn für selbstbewusster«, entgegnete Jasmine nachdenklich. »Wie traurig, dass er nur Lust empfindet, wenn er anderen Schmerzen zufügt.«
»Du hältst ihn dir jedenfalls besser weiterhin vom Leib, Madame«, sagte der Graf. »Vielleicht sollten wir dieses Verwirrspiel sowieso aufgeben und dem König sagen, dass wir unseren Hochzeitstag festsetzen möchten, so wie wir es in Frankreich geplant haben.«
»Nein, noch nicht, Jemmie. Der König soll glauben, dass ich seinen Marquis in Betracht gezogen habe und dass ich nach gründlicher Überlegung die Wahl bevorzuge, die er für mich vor zwei Jahren so klug getroffen hat. Die Königin steht auf unserer Seite und wird den König milde stimmen, wenn ich sie darum bitte, und Villiers sicherlich auch, obwohl ich glaube, dass sein Versuch, sich mit mir anzufreunden, etwas damit zu tun hat, dass er meine familiären Verbindungen als nützlich für sich selbst empfindet.«
»Du bist recht deutlich in deiner Beurteilung von Villiers«, stellte der Graf fest. »Hast du denn gar keine Illusionen mehr, Jasmine?«
Sie lachte. »Wenige«, erwiderte sie, »aber du sollst wissen, dass ich George Villiers wegen seines Verhaltens nicht gram bin. Er versucht nur, weiterzukommen, und daran ist doch nichts Schlechtes, oder, Jemmie? Wir alle erwarten etwas von den Menschen, mit denen wir in unserem Leben in Berührung kommen. Die Jugend ist voller Enthusiasmus, und Villiers verfolgt seine Pläne nur eine Spur zu offensichtlich. Er ist jedoch bei weitem nicht so raffiniert, wie er jeden gerne glauben machen möchte. In diesen seelenvollen dunklen Augen liegt eine berechnende Intelligenz, die er leider nicht ganz verbergen kann.«
Nun brach Glenkirk in Lachen aus. »Du redest, als seist du eine alte Matrone, dabei ist doch Villiers nur ein bisschen jünger als du«, neckte er sie. »Er wäre wahrscheinlich nicht entzückt, wenn er erführe, dass du hinter seine mühsam errichtete Fassade blickst, die noch nicht einmal der König bisher durchschaut hat.«
»Dann erzählen wir es ihm auch nicht«, sagte Jasmine.
»Und der Marquis von Hartsfield?«, beharrte er.
»Was ist mit ihm?« Sie blickte ihn unschuldig an.
»Du hast mir versprochen, ihn dir vom Leibe zu halten«, erinnerte James Leslie sie.
»Nein, das habe ich nicht«, sagte Jasmine, »und das werde ich auch nicht tun. Noch bin ich nicht deine Frau, Jemmie, und selbst wenn ich es bin, kann ich durchaus die Verantwortung für mich selbst übernehmen, Mylord.«
»Kein Wunder, dass deine Großmutter Männer in den Wahnsinn getrieben hat«, grummelte er. »Du bist offenbar nach ihr geraten.«
»Tatsächlich?« Sie lächelte ihn an. »Nun, dann nimmst du dich besser in Acht, Mylord von Glenkirk. Madame Skye hat alle ihre Ehemänner und ihre Liebhaber überlebt. Und ist immer noch zu vielem fähig.«
Er hätte gerne gelacht, aber ihre Worte veranlassten ihn, zu schweigen. Seine Mutter war so eine Frau wie Jasmine und Madame Skye gewesen. Er war an unabhängige Frauen gewöhnt, aber Leslie James war sich nicht ganz sicher, ob er wirklich damit umgehen konnte. Seine Isabella hatte sich als schwaches Weib gezeigt, und er war ihr zwar zugetan gewesen, aber sie hatte ihn nie erregt oder bezaubert, wie Jasmine es tat. Seine Braut mochte zwar entschlossen sein, ihren eigenen Weg im Leben zu finden, aber der Graf von Glenkirk wusste auch ganz genau, dass sie nie die Absicht hätte, ihn in Verlegenheit zu bringen oder den Namen seiner Familie in den Schmutz zu ziehen. Ganz bestimmt würde sie sich den Marquis nicht als Liebhaber nehmen, sondern lediglich aus Neugier mit ihm spielen. Und er würde es zulassen müssen, wenn er nicht ihre Liebe für immer verlieren wollte. »Sei vorsichtig, mein Liebling«, sagte er leise zu ihr.
Sie lächelte ihn strahlend an. »Das werde ich«, erwiderte sie. Dann jedoch hatte sie Mitleid mit ihm. »St. Denis ist wie eine wunderschöne Schlange«, erklärte sie. »Ich bin fasziniert, aber ich bin nicht dumm, Jemmie.«
»Er ist ziemlich entschlossen, dich zu besitzen«, sagte der Graf.
»Dann ist er ein Narr«, entgegnete sie. »Der König hat ganz klar gesagt, dass die Entscheidung bei mir liegt, und ich habe meine Entscheidung in Frankreich getroffen.« Sie beugte sich vor und fuhr mit ihren Lippen leicht über seinen Mund. »Geh nach Hause, Mylord. Es ist spät, und ich möchte zu Bett gehen. Außerdem hat der arme Kipp St. Denis das Haus jetzt stundenlang beobachtet und ist bestimmt recht erschöpft. Er wird nicht verschwinden, bevor er nicht sicher sein kann, dass du für die Nacht bei Onkel Robin eingesperrt bist. Er ist wahrlich ein treues Hündchen für seinen Bruder.«
»St. Denis lässt dich beobachten?« Glenkirk war fassungslos.
»Er ist sehr eifersüchtig.« Sie lächelte und brachte ihn zum Gartentor. »Und jetzt küss mich, damit er heute Abend seinem Bruder etwas zu berichten hat, Jemmie, mein Liebster.« Sie schlang ihm die Arme um den Hals.
»Wo ist er?«, fragte der Graf.
»Im Schatten der Mauer, die Greenwood von Lynmouth House trennt«, erwiderte sie. »Nein! Schau nicht hinüber! Solange er sein Versteck für sicher hält, weiß ich immer, wo ich ihn finden kann. Wenn du hinsiehst, wird er merken, dass wir ihn entdeckt haben und wird sich ein anderes Versteck suchen, das ich vielleicht nicht so leicht finde.« Sie blickte ihn verführerisch an. »Willst du mich nicht küssen, Glenkirk? St. Denis würde jemanden umbringen, nur um mich küssen zu dürfen!«, neckte sie ihn.
Spielerisch knabberte er an ihren Lippen. »Du gehörst ins Bett, Madame«, murmelte er. Dann gab er ihr einen raschen, harten Kuss, drehte sich ohne ein weiteres Wort auf dem Absatz um und war verschwunden.
Sie fuhr sich mit der Hand an den Mund. Er fühlte sich ganz wund an. Sie blickte ihm nach, wie er rasch über den Rasen und durch den Garten ging und dann hinter der unter Efeu fast versteckten Tür verschwand. Einen Moment lang trugen sie ihre Beine kaum noch, und in ihrem Unterleib breitete sich ein süßer Schmerz aus. Seit er zu ihrem Onkel gezogen war, hatten sie nicht einmal miteinander geschlafen, und sie merkte jetzt, dass ihr die gemeinsame Leidenschaft genauso fehlte wie er selbst. Verdammter König! Verdammter Piers St. Denis! Verdammt jeder, der ihnen im Weg stand! Bis zu ihrem Hochzeitstag dauerte es noch über einen Monat! Wenn sie nicht vorher einen gestohlenen Moment füreinander fanden, würde sie bis dahin warten müssen. Sie wusste nicht, ob sie das ertragen konnte. Schließlich hatte sie sich an Leslie James in ihrem Bett gewöhnt.
Piers St. Denis ärgerte sich immer mehr über Jasmines Weigerung, ernsthaft über seinen Antrag nachzudenken. Nie bekam er sie allein zu fassen. Glenkirk war immer bei ihr, außer wenn sie schlief. In Kürze würde sie ihre Wahl bekannt geben, und er wusste, dass James Leslie der Glückliche wäre. Es sei denn natürlich, er könnte ihre Meinung ändern, aber wie sollte ihm das gelingen, da er doch nie allein mit ihr war? Er beklagte sich beim König.
»Ich habe überhaupt keine Chance bei ihr, weil Glenkirk die ganze Zeit um sie herumscharwenzelt«, nörgelte der Marquis von Hartsfield. Sie hielten sich in den königlichen Gemächern auf.
»Du meine Güte, St. Denis«, neckte ihn George Villiers, »Ihr wollt doch nicht etwa behaupten, dass Ihr Euch unsterblich verliebt habt? Das hätte ich nicht von Euch gedacht!« Seine dunklen Augen funkelten spöttisch. »Die Gerüchte lauten jedenfalls anders«, fügte er grinsend hinzu.
Piers St. Denis warf dem jungen Mann einen giftigen Blick zu. »Euer Majestät, ich kann Lady Lindley nicht den Hof machen, wenn ich sie jede Minute des Tages mit dem Grafen von Glenkirk teilen muss.«
»Mein Mann hat bestimmt, dass Jasmine die Wahl treffen soll«, sagte die Königin, ohne von ihrem Stickrahmen aufzublicken.
»Aber Madame, wie soll sie denn ihre Wahl treffen, wenn sie mich überhaupt nicht kennt?«, rief der Marquis frustriert.
»Vielleicht«, erwiderte die Königin, wobei sie ihn nachsichtig anblickte, »hat sie ihre Wahl ja bereits getroffen, Mylord.«
»Sire! Ihr habt mir eine Chance bei Lady Lindley versprochen«, jammerte Piers St. Denis. »Ihr müsst etwas unternehmen!«
»Ich werde Jemmie nach Edinburgh schicken«, antwortete der König.
»James!« Der Tonfall der Königin war zornig. Erst kurz zuvor hatte sie ihn äußerst streng darauf aufmerksam gemacht, dass es dumm von ihm wäre, sich wieder einmal in Jasmines Leben einzumischen. Würde er es denn nie lernen?
»Nun, Annie«, sagte der König, »unser Piers hat Recht mit seinen Klagen. Jemmie lässt ihn einfach nicht an das Mädchen heran. Er soll nach Edinburgh fahren, um dort unseren Besuch vorzubereiten, wenn wir vielleicht nächstes oder übernächstes Jahr dorthin fahren. Wenn er wiederkommt, darf Lady Lindley ihre Wahl treffen. Das ist nur gerecht.«
»Sie wird ihre Meinung nicht ändern, Jamie«, erwiderte die Königin, verärgert über die große Nachsicht ihres Gatten mit dem Marquis. »Du erzürnst Glenkirk nur, und möglicherweise reizt du Jasmine, überstürzt zu handeln.«
»Ich werde selber mit ihnen reden«, sagte der König. »Unser Piers muss seine Chance bei der Lady bekommen, Annie.«
»Danke, Euer Hoheit«, sagte der Marquis und küsste die Hand des Königs.
Der König lächelte den jungen Mann an und wuschelte ihm durch die honigfarbenen Haare. »Ihr seid ein braver Junge, Piers! Warum sollte sie sich nicht in Euch verlieben?«
»Nun, wir regeln das am besten gleich«, sagte die Königin rasch. »Stennie, geh bitte und hol Lady Lindley und Lord Leslie, ja?« Sie und Villiers sahen sich an, und in diesem Moment herrschte wieder einmal völliges Einverständnis zwischen ihnen beiden. Die Königin mochte George Villiers und zog ihn dem Favoriten ihres Mannes bei weitem vor. Sie hoffte, mit der Zeit den Marquis von Hartsfield völlig aus dem Umkreis des Königs entfernen zu können.
George Villiers sprang auf. »Sofort, Euer Majestät«, sagte er mit einer eleganten Verbeugung und war aus der Tür, noch bevor der König oder St. Denis irgendwelche Einwände machen konnten.
»Nun«, sagte die Königin mit süßem Lächeln, »nun, St. Denis, könnt ihr gleich damit beginnen, ihr den Hof zu machen.«
George Villiers lief durch den Palast und suchte nach Jasmine oder James Leslie. Für ihn bestand kein Zweifel daran, dass er, wenn er einen fand, auch den anderen gefunden hatte. Schließlich erwähnte ein junger Page, er habe den Grafen und seine Lady beim Kartenspiel an einem der Tische in den Galerien gesehen, die Whitehall miteinander verbanden. Diese Galerien mit ihren goldenen Decken und den Holztäfelungen, in die wunderschöne Figuren geschnitzt waren, vermittelten einem durch die Fensterreihen auf beiden Seiten das Gefühl, man säße im Freien.
»Sie sind in der Galerie, von der aus man über den Rasen und den Fluss blickt!«, rief der Page George Villiers nach.
»Was ist denn los?«, grollte Jasmine und warf ihre Karten, mit denen sie sicher gewonnen hätte, heftig auf den Tisch, als Villiers sie fand.
»Das erzähle ich Euch auf dem Weg«, antwortete Villiers und geleitete das Paar vom Spieltisch durch die Gänge zurück zu den königlichen Gemächern.
»Verdammt!«, fluchte Glenkirk. »Etwas Ähnliches hat James vor Jahren mit meinem Vater gemacht. Hat ihn einfach weggeschickt, weil er ihn gerade nicht brauchen konnte.« Mehr sagte er nicht, denn er wollte George Villiers nicht in seine Familiengeschichte einweihen. Nur wenige Menschen wussten, dass die Mutter des Grafen einmal die heimliche Leidenschaft von James Stuart gewesen war.
»Ich werde nach Queen’s Malvern zurückkehren«, sagte Jasmine sofort.
»Nein, Madame, das wirst du nicht«, erwiderte der Graf. »Du musst hier bleiben und, wie du selbst schon gesagt hast, den König glauben lassen, das du den Marquis von Hartsfield ernsthaft als Verehrer in Betracht gezogen hast.«
»Wenn ich Euch irgendwie helfen kann, Lady Lindley«, warf Villiers ein, »braucht Ihr es mir nur zu sagen. Ich besitze nicht nur die Gunst des Königs, sondern auch die der Königin«, berichtete er stolz. »Sie hat ihn recht gescholten, als er mit diesem Plan ankam, dass Ihr Euch jetzt einen Ehemann aussuchen solltet. Ich glaube, sie fürchtet, dass Ihr wieder verschwindet und Charles Frederick Stuart mitnehmt; was bedeuten würde, dass sie ihren Enkelsohn nie wieder sehen wird.«
Jasmine blieb abrupt stehen. »Sir«, sagte sie ruhig, »ich bin zweimal aus meinem Heimatland geflüchtet – beim ersten Mal, um mich selbst zu retten, und beim zweiten Mal, um mein Kind zu retten. Ich möchte nie mehr gezwungen sein, noch einmal davonzulaufen. England ist meine Heimat und die Heimat meiner Kinder. Ich werde nicht zulassen, dass ihnen jemand ihr Geburtsrecht aberkennt. Es steht Euch frei, meine Worte genauso zu wiederholen.«
Er trat neben sie. »Madame«, sagte er atemlos, »ich betrachte Eure Worte als Vertrauensbeweis. Ich werde sie nicht wiederholen.«
»Wir danken Euch für Eure Freundschaft, Villiers«, sagte der Graf zu dem jungen Mann, um Jasmines Worten die Schärfe zu nehmen. »Ich weiß, dass Ihr Lady Lindleys Zorn in dieser Angelegenheit versteht.«
»Ja, Sir, das tue ich«, antwortete Villiers.
Sie waren mittlerweile an den königlichen Gemächern angelangt und eilten durch die Türen, die sich vor ihnen öffneten. Als sie eintraten, blickte die Königin auf und lächelte ihnen ermutigend zu. St. Denis jedoch stellte ein so verschlagenes Grinsen zur Schau, dass Jasmine ihn am liebsten geohrfeigt hätte. Offensichtlich war er äußerst zufrieden mit sich. Sie erwiesen den beiden Majestäten ihre Reverenz.
»Ich möchte, dass Ihr nach Edinburgh fahrt, Glenkirk«, begann der König. »Ich beabsichtige, nächstes oder übernächstes Jahr dorthin zu reisen und wüsste gern, ob ich dort willkommen bin oder nicht. Ihr müsst mit den Lairds, den Grenzlords und natürlich mit den Kirchenoberen sprechen. Es ist selbstverständlich eine inoffizielle Reise, die ihr da antretet. Und vielleicht habt Ihr sogar die Zeit, Eure eigenen Besitzungen zu besuchen.«
James Leslie lächelte. »Ich komme gerne Eurem Wunsch nach und sondiere das Klima im Norden für Euch, Mylord«, erwiderte er zuvorkommend. »Allerdings glaube ich nicht, dass ich genug Zeit haben werde, meine Ländereien aufzusuchen, wenn ich bis zum fünfzehnten Juni wieder in England sein will.«
»Während Eurer Abwesenheit hat Piers eine Chance bei Lady Lindley«, fuhr der König unbekümmert fort. »Ihr habt all ihre Zeit in Anspruch genommen, hat uns ein Vögelchen gezwitschert.«
»Wann soll ich aufbrechen?«, fragte der Graf.
»Morgen früh«, war die königliche Antwort. »Dies ist ein Privatbesuch, Glenkirk. Ihr habt keine Vollmachten.«
»Äußerst klug«, pflichtete der Graf ihm bei. »So werden mein Begleiter und ich schneller vorwärts kommen und kein Aufsehen erregen, Sire. Natürlich werde ich allen, mit denen ich spreche, Eure Grüße übermitteln, damit Schottland weiß, dass Ihr selbst hier in England an es denkt.«
»Sehr gut, Jemmie«, sagte der König erleichtert. Er hatte einen Wutausbruch des Grafen befürchtet, aber wie immer benahm sich James Leslie wie der vollkommene königliche Gefolgsmann. Aber das war eigentlich schon immer so gewesen, seitdem er die Nachfolge seines Vaters als Graf von Glenkirk angetreten und die Verantwortung für seinen Clan übernommen hatte. Der König wusste schon nicht mehr, warum er sich eigentlich Sorgen gemacht hatte. Die Leslies respektierten sein göttliches Recht, und das hatten sie immer getan. Über ihre Treue brauchte er sich keine Gedanken zu machen. Sein Blick wanderte zu Jasmine, die seltsam still war. »Jetzt habt Ihr Zeit, unseren Piers kennen zu lernen, Madame«, sagte er.
»Wie es Eurer Majestät beliebt«, erwiderte sie unbeteiligt.
Jasmine machte den König nervös. Er hatte einen Zornesausbruch erwartet, weil er Glenkirk wegschickte. Seine Frau hatte ihn in dieser Angelegenheit gewarnt, aber ein Versprechen war schließlich ein Versprechen. Und er hatte Piers eine Chance bei der schönen, reichen Frau zugesichert. »Heute Abend ist ein Maskenball«, sagte er hilflos. »Ihr kommt mit dem Marquis, Madame?«
»Leider, Sire, habe ich Kopfschmerzen«, erwiderte sie zuckersüss, »und außerdem hätte ich keine Gelegenheit mehr, mir ein Kostüm schneidern zu lassen. Ihr wisst, wie berühmt meine Familie für ihre Kostüme ist.«
»Könnt Ihr nicht die Tracht Eures Heimatlandes tragen, Madame?«, beharrte der König. »Das wäre ein exotischer Anblick für uns.«
»Bedauernswerterweise sind diese Kleidungsstücke in Queen’s Malvern weggepackt«, erwiderte Jasmine.
»Oh«, antwortete der König enttäuscht. Er erinnerte sich noch sehr gut an Jasmines Erscheinung vor ein paar Jahren in einem diamantenbesetzten Kleid.
»Ich kann jedoch einen Boten zu meiner Großmutter schicken«, erbot sich Jasmine, um den König nicht zu verärgern. »Es wird doch bald noch mehr Maskenbälle geben, nicht wahr, Madame?« Ihre Frage war an die Königin gerichtet, die verschwörerisch lächelte und zustimmend nickte.
»In der Tat, Jamie, ein Salut an den Frühling, in zwei Wochen«, sagte sie zu ihrem Gatten. »Bis dahin kann sich Lady Lindley sicher ein geeignetes Kostüm beschaffen, nicht wahr, meine Liebe?«
»Bestimmt, Euer Majestät«, versprach Jasmine.
»Dann ist ja alles geklärt«, fuhr die Königin heiter fort. »Nun müsst Ihr aber nach Hause gehen, meine Liebe, und Euren schmerzenden Kopf behandeln. Solltet Ihr sie nicht besser sofort entschuldigen, Jamie? Die Ärmste!«
»Womit wollt Ihr euch behandeln, Madame?«, fragte der König misstrauisch.
»Mit heißem Tee, Sire, und Adali wird meine Schultern massieren«, erwiderte Jasmine. »Das ist für mich die beste Behandlung. Das und eine Nacht gut durchschlafen, dann geht es mir morgen gewiss wieder besser.«
»Sehr gut, Madame, dann seid Ihr entschuldigt«, erklärte er zögernd.
Jasmine knickste. Der Graf von Glenkirk verbeugte sich.
»Ihr reitet im Morgengrauen«, befahl der König, an James Leslie gewandt.
»Das werde ich, Sire«, entgegnete er, ergriff Jasmines Arm und verließ mit ihr die königlichen Gemächer.
»Nun, Piers«, sagte der König, als das Paar verschwunden war, »ich habe Euch den Weg freigemacht, aber die Lady müsst Ihr schon selber gewinnen. Ich habe versprochen, dass sie die Wahl haben soll, und dieses Versprechen werde ich halten, denn ich stehe zu meinem Wort.«
»Ich werde sie gewinnen, Sire!«, sagte der Marquis von Hartsfield fest.
»Wenn die Kühe fliegen lernen«, murmelte George Villiers leise. Königin Anne hatte ihn jedoch gehört und musste unwillkürlich lachen. Ihre Erheiterung kannte keine Grenzen, und sie lachte, bis ihr die Tränen über die Wangen liefen.
»Was ist los, Annie?«, fragte der König. »Ich habe dich seit über einem Jahr nicht mehr so lachen hören. Was gibt’s, meine Teuerste? Willst du uns den Grund für deine Erheiterung nicht mitteilen?«
Aber die Königin wedelte nur hilflos mit den Händen und erstickte fast an ihrem Gelächter. »Es ... es ... war n-nur so ein Gedanke, Jamie, und nur eine andere Frau könnte ebenfalls darüber lachen. Oder vielleicht«, langsam gelang es ihr wieder, sich zu beherrschen, »vielleicht auch nicht.«
Der König wandte sich an den Marquis, und seine Frau drohte Villiers, der spitzbübisch grinste, mit dem Finger. Dann zwinkerte sie ihm zu.
»Ihr seid ein ungezogener Junge«, schalt sie ihn leise.
»Ja«, stimmte er friedfertig zu. Die Königin reichte ihm ihre Hand, und er küsste sie. »Euer Diener, Majestät«, sagte er.
Die Königin lächelte immer noch, und ein wissendes Funkeln trat in ihre blassblauen Augen. »Ihr seid unartig«, sagte sie, »aber ich bin froh, dass wir einander verstehen, Stennie.«
»Ich werde dem König nie wehtun, Majestät«, war die Antwort.
»Dann wird Euch meine Freundschaft immer sicher sein«, erwiderte die Königin leise. »Und auch in dieser Angelegenheit sind wir also einer Meinung?«
»Ja, Madame«, sagte er, »aber Lady Lindley ist viel zu sehr in den Grafen von Glenkirk verliebt, um ihre Meinung zu ändern. Fürchtet nichts.«
»St. Denis ist skrupellos«, warnte die Königin, »und er ist schlau.«
»Ich bin schlauer«, versicherte George Villiers ihr.
Königin Anne blickte den schönen jungen Mann mit dem Gesicht eines Engels an. »Nun, Steenie«, sagte sie nachdenklich, »das glaube ich auch.«
Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln.