Читать книгу Das Erbe der Skye O'Malley - Bertrice Small - Страница 12
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Оглавление»Ma Chérie!« Alexandre de Saville, Comte de Cher, begrüßte seine Schwägerin mit einem Kuss auf beide Wangen. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich in diesem Leben noch einmal sehen würde, denn ich verlasse mein geliebtes Archambault kaum mehr, und ich weiß, dass es dir mit Queen’s Malvern genauso geht.«
»Adam ist tot«, sagte Skye ohne Umschweife und drückte zugleich den Dienern ihren pelzbesetzten Mantel in die Hand.
»Oh, meine Arme«, sagte der Graf, und sein Gesicht drückte aufrichtiges Beileid aus. »Er war doch nicht krank?«
»Er war alt, Alexandre«, antwortete Skye. »Dreizehn Jahre älter als du und zehn als ich.«
»Wann?« Der Graf begleitete Skye in den hell erleuchteten Salon, wo ein wärmendes Feuer im Kamin brannte. Er bot ihr einen Sessel an, und sofort stand ein Diener mit einem Becher Wein bereit.
»Am Dreikönigsfest«, antwortete Skye. »Nein, er war nicht krank. Die ganze Familie saß zusammen, und er lachte noch laut über einen Witz – im nächsten Augenblick war er tot. Es war ein Schock für uns alle, am meisten wohl für Adam selbst«, fügte sie trocken hinzu.
»Was für ein schöner Tod«, bemerkte Alexandre. »Gott möge seiner Seele gnädig sein.«
Skye nahm einen Schluck von dem köstlichen Wein.
»Es war sehr aufmerksam von dir, mir persönlich diese traurige Nachricht zu überbringen, meine Liebe, aber ich kann mir vorstellen, dass dies nicht der einzige Grund ist, der dich nach Frankreich geführt hat. Du bist gekommen, um Jasmine und ihre Kinder zurück nach England zu holen, habe ich Recht?«
Skye nickte. »Es ist vorbei, Alexandre.« Dann erzählte sie, wie ihr Lord Leslie bis zum Versteck ihrer Enkelin gefolgt war. »Er hat sie früher einmal geliebt. Wie das jetzt ist, weiß ich nicht. Wenigstens kommt er mit den Kindern gut aus, das ist zumindest ein guter Anfang.«
»Aber noch lange nicht gut genug«, bemerkte der Graf. »Was führst du im Schilde, um deiner schönen Enkelin zu helfen? Ich bin sicher, du hast bereits einen Plan, dazu kenne ich dich zu gut.« Er kicherte.
Skye musste lachen. »Bin ich trotz meines hohen Alters so durchschaubar, Alexandre? Aber du hast natürlich Recht, ich werde meinem geliebten Mädchen helfen. Wenn Lord Leslie zustimmt, möchte ich mit den Kindern für eine Weile hierherziehen und dann nach England zurückkehren. In der Zwischenzeit können Jasmine und der Lord sich näher kommen. Wenn ich dann weg bin, kannst du sie nach Archambault einladen. Wer weiß, was dabei herauskommt?«
»Ah, die Liebe«, sagte der Graf voller Begeisterung. »Natürlich bist du mit den Kindern auf Archambault willkommen. Helene und ich freuen uns schon darauf. Auch wir sind schon Urgroßeltern. Unser Enkel Philippe hat einen kleinen Sohn, Antoine, genannt nach meinem Vater. Er wird sich über seine Vettern und Basen aus England freuen.«
»Ich war erschüttert, als ich vom Tod deines Sohnes erfuhr«, sagte Skye.
»Diese verdammten Religionskriege. Adam hatte nicht das Geringste damit zu tun, und trotzdem wurde er auf dem Weg zurück aus Nantes ermordet. Seine Frau Louise hat sich seither nicht mehr erholt. Ihr blieb nur Philippe, doch der hat sich prächtig entwickelt. Er hat früh geheiratet und hat auch schon zwei Kinder. Und seine Frau ist mit einem dritten schwanger. Er und Jasmine sind übrigens gleich alt. Philippe kann Lord Leslie und seine Kusine unterhalten, während wir Alten uns zurücklehnen und ihnen dabei zusehen. Manchmal hat das Alter auch Vorteile, findest du nicht auch, meine Liebe?«
»Nur wenige«, antwortete Skye lächelnd. »Wo steckt überhaupt Helene? Ich will nicht nach Belle Fleurs zurückfahren, ohne sie gesehen zu haben.«
»Komm mit«, sagte der Graf. »Ich bringe dich zu ihr. Das feuchte Wetter macht ihr zu schaffen, und sie verlässt kaum ihre Gemächer.«
»Wo warst du nur, Großmutter?«, begrüßte sie Jasmine, als Skye nach Belle Fleurs zurückkehrte. Jasmine hatte eine schreckliche Woche hinter sich. Außer den Kindern schien es keine gemeinsame Basis für sie und Lord Leslie zu geben. Jedes Gespräch endete im Streit. Und dann war auch noch ihre Großmutter ganz plötzlich verschwunden. Jasmine war fast in Panik geraten.
»Ich war auf Archambault«, sagte Skye. Sie nahm neben dem Kamin Platz und lächelte James Leslie an. »Nun, mein Lord, hatten Sie einen schönen Tag?«
»Der Regen hat für kurze Zeit nachgelassen, und so konnten wir mit den Kindern eine Zeit lang in den Garten gehen«, antwortete er düster.
»Mein Schwager, Comte de Cher, hatte eine glänzende Idee«, begann Skye mit einem strahlenden Gesicht. »Er hat vorgeschlagen, dass ich mit den Kindern eine Zeit lang bei ihm wohne, damit Sie und Jasmine mehr Zeit füreinander haben. Ich hoffe, Sie sind einverstanden. Sein Enkel, Philippe, ist gleich alt wie Jasmine, und hat einen Sohn, der nur ein wenig älter als unser kleiner Charlie ist. Den Kindern würde es sicher gut tun, die französische Seite ihrer Verwandtschaft kennen zu lernen. Wer weiß, vielleicht gibt es eines Tages eine Französin als Gemahlin des englischen Königs?«
»Wie weit ist Archambault entfernt?«
»Nur ein paar Meilen jenseits des Waldes«, antwortete Skye. »Der Comte, Alexandre de Saville, ist Adams Halbbruder. Sein Sohn wurde ermordet, und jetzt ist Philippe der Erbe. Sie sind eine reizende Familie.«
»Wie lange wollen Sie wegbleiben, Madame?«, fragte er.
»Nur ein oder zwei Wochen«, entgegnete Skye und versuchte Jasmines entsetztes Gesicht zu ignorieren.
»Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen«, sagte der Graf.
»Das ist doch völlig unsinnig!«, stieß Jasmine aufgeregt hervor. »Wozu soll es gut sein, dass meine Kinder die Saville-Nachkommen kennen lernen? Wenn wir in England zurück sind, spielt das keine Rolle mehr. Außerdem wird Charlie noch immer gestillt. Ich kann dich nicht mit ihnen allein lassen, Großmutter.«
»Das ist nicht meine Entscheidung, Jasmine«, meinte Skye mit einem Blick auf Lord Leslie. »Du hast ihn schon viel zu lange gestillt, meine Liebe. Er ist fast drei, höchste Zeit also, damit aufzuhören. Und was die Saville-Verwandtschaft angeht, du weißt nie, ob du sie nicht später einmal brauchen kannst. Alexandre ist dein Großonkel, und Philippe dein Cousin. Ich glaube, sogar Lord Leslie hat Verwandtschaft in Frankreich, habe ich nicht Recht?«
»Doch, Madame. Zwei Onkel meines Vaters haben Französinnen geheiratet. Sie leben in der Nähe von Fontainbleu. Ich habe gute Beziehungen zu beiden Familien«, sagte James Leslie.
»Da siehst du es«, entgegnete Skye triumphierend.
»Ich will aber nicht getrennt von meinen Kindern sein«, beharrte Jasmine stur. Ihre türkisgrünen Augen leuchteten angriffslustig. »Ich bin ihre Mutter, und ich habe zu entscheiden, was mit ihnen geschieht.«
»Falsch, meine Liebe, ich bin ihr gesetzlicher Vormund«, entgegnete der Graf. »Und ich finde den Vorschlag, die Kinder nach Archambault zu schicken, ausgezeichnet. Für Charlie ist es höchste Zeit, dass er nicht mehr an der Mutterbrust hängt.«
Jasmine fuhr hoch.
»Meine Lieben«, sagte Skye schnell, die keine größeren Auseinandersetzungen zulassen wollte. »Ich möchte nicht, dass es wegen Alexandres Vorschlag zum Streit zwischen euch kommt. Sei doch mal vernünftig, Jasmine. Die Kinder sind nun schon seit Monaten hier auf Belle Fleurs. Ihnen wird der Ortswechsel gut tun. Sie haben dort gleichaltrige Spielgefährten. Und sie können ihre Manieren weiter verbessern.«
»Nun gut«, lenkte Jasmine ein. »Es liegt ja nicht weit von hier.«
»Ich bin die ganze Zeit bei ihnen«, sagte Skye. »Und es ist schon lange her, dass ich Adams Familie besucht habe. Wenn ich nur an die schöne Zeit denke, die dein Großvater und ich auf Archambault verbracht haben ... Damals waren wir noch jung und lebenslustig.« Sie seufzte und drückte eine Hand auf ihr Herz.
»Übertreiben Sie es nicht, Madame!«, flüsterte ihr Lord Leslie ins Ohr.
Skyes Gesicht zeigte keine Regung. O Gott, dachte sie, der Graf ist doch schlauer, als ich angenommen habe.
»Also gut«, entschied Jasmine, »aber nicht vor einer Woche. Ich muss ihre Kleidung noch herrichten und sie auf den Umzug vorbereiten.«
»Da bin ich ganz deiner Meinung«, stimmte James Leslie zu.
»Tatsächlich?«, fragte Jasmine erstaunt.
»Ja, wir können schließlich nicht über alles streiten«, antwortete der Graf mit einem Lächeln.
Es dauerte noch zehn Tage, bis Jasmine endlich so weit war, ihre Kinder nach Archambault zu schicken. Die Koffer waren gepackt, und die Kindermädchen bekamen von Jasmine genaue Anweisungen, was sie in allen Fällen zu tun oder zu lassen hatten.
Skye wurde es schließlich zu viel. »Ich habe selbst sieben Kinder großgezogen«, sagte sie zu ihrer Enkelin. »Ich weiß, was zu tun ist. Morgen fahren wir, und ich möchte keine Verzögerung mehr.«
Der Graf von Glenkirk unterdrückte ein Lächeln. Jasmine sah so besorgt aus. Sie war eine gute Mutter, und sie konnte sich nur schwer von ihren Kindern trennen. Er hatte keinerlei Zweifel, dass diese Reise nach Archambault von Skye geplant und eingefädelt war. Sie hatte versprochen, ihm zu helfen, und lange Zeit hatte er nicht gewusst, ob er ihr wirklich trauen konnte, doch jetzt sah es danach aus, als hätte er sie an seiner Seite. Sie wollte ihm und Jasmine die Chance geben, allein die Probleme zu lösen, die ihre Beziehung belasteten. Er hatte den Verdacht, dass die Kinder nicht wieder nach Belle Fleurs zurückkehren würden. Wie die alte Intrigantin das schaffen wollte, konnte er allerdings nicht ahnen. Er war froh, sie nicht zur Feindin zu haben.
Am nächsten Morgen stand er Arm in Arm mit Jasmine vor dem Haus und sah zu, wie Skye mit den Kindern Belle Fleurs verließ. Der Regen hatte aufgehört, und der Tag war strahlend schön. Es war Ende Februar, und man konnte bereits den nahenden Frühling ahnen. Jasmine kämpfte mit den Tränen. »Du musst nicht weinen, meine Liebe«, tröstete sie der Graf. »Schau nur, wie glücklich sie sind. Verdirb ihnen nicht die Freude.«
»Ich war noch nie über längere Zeit von ihnen getrennt«, sagte sie leise und versuchte sich aus seinem Arm zu lösen, doch er hielt sie weiter fest.
»Schau nur, wie stolz Henry, India und Fortune auf ihren Ponys sitzen. Hast du ihnen das Reiten beigebracht?«
»Ja«, antwortete sie. »Mein Vater hat mich das gelehrt, als ich noch ganz klein war. In Indien ist es nicht üblich, dass Frauen auf Pferden reiten, doch meine Mutter hat das auch getan, und deswegen habe ich es ebenfalls gelernt. Mein Gott, wie viel Freiheit hatte ich dort! Ich ging auf die Jagd mit meinem Bruder Salim. Meine Schwestern haben mich immer beneidet, ihnen war das alles verboten.« Sie winkte dem kleinen Ponywagen nach, in dem Charles Frederick mit seinem Kindermädchen saß.
Behutsam führte sie der Graf zurück ins Schloss. »Wie viele Schwestern hattest du überhaupt?«, fragte er. »Ich selbst habe fünf, und drei Brüder. Zwei meiner Brüder und drei meiner Schwestern leben in Schottland, die anderen in Italien.«
»Ich war das jüngste Kind«, sagte Jasmine. »Meine Geschwister waren schon erwachsen, als ich auf die Welt kam. Ich hatte drei Brüder, zwei sind schon tot, und drei Schwestern.«
»Warum hast du Indien verlassen?«, fragte er.
»Mein Bruder Salim, der spätere Herrscher von Mughal, war in Geschwisterliebe zu mir entbrannt. Er wollte mich unbedingt zu seiner Frau machen und ließ meinen Mann umbringen, um den Weg in mein Bett frei zu haben. Mein Vater lag zu der Zeit im Sterben, und er wusste, dass meine Pflegemutter mich nicht vor Salim schützen konnte. Also beschloss er, mich heimlich nach England zu meiner Großmutter de Marisco zu schicken.« Jasmine lachte kurz auf. »Bevor ich aus Indien floh, hat mein Vater noch erfahren, dass der Priester, der meine ganze Kindheit hindurch mein Lehrer war, in Wirklichkeit mein Cousin war. Meine Großmutter hatte ihn nach Indien geschickt, damit er auf mich aufpasst. Dafür bin ich ihr noch heute dankbar.«
»Und dein Bruder wusste nicht, wohin du geflohen warst?«
»Ich glaube nicht. Mein Vater hatte alles sehr schlau geplant. Salim dachte, ich wäre in Kaschmir, um Jamals Leichnam zu beerdigen. Als er zwei Monate später nach mir sehen wollte, waren die Straßen nach Kaschmir bereits tief verschneit. Erst im folgenden Frühjahr wird er erfahren haben, dass ich mich nicht mehr dort aufhielt. Zu der Zeit war ich schon längst in England.«
»Wolltest du je wieder zurück nach Indien?«
Jasmine überlegte einen Augenblick. »Nein«, sagte sie dann. »Mein ganzes Leben dort ist mit der Erinnerung an meinen Vater und meinen Bruder verbunden, als der noch jung und unschuldig war. Dann kam meine Ehe mit Jamal Khan. Mein Vater und Jamal sind tot. Mein Bruder hat mich inzwischen hoffentlich vergessen. Die Einzige, um die es mir leid tut, ist meine Pflegemutter Rugaiya Begum. Ich war ihr einziges Kind. Und sie hätte sicher gern ihre Enkelkinder um sich. Schon allein deswegen werde ich meinem Bruder nie verzeihen, was er ihr und mir angetan hat.«
Er sah den Schmerz in ihren Augen und wollte sie trösten. »Ich werde die Köchin bitten, uns einen Picknickkorb zusammenzustellen, und dann reiten wir aus. Du kennst bestimmt eine Menge Reitpfade rund um das Schloss.«
Sie war überrascht von seinem Vorschlag, doch die vergangenen zwei Monate hatten so viel Regen und trübe Tage gebracht, dass auch sie froh war, endlich wieder aus dem Schloss in die freie Natur zu kommen. »Einverstanden, der Tag ist zu schön, um zu Hause zu bleiben.«
Unter den Augen von Lord Leslie füllte die Köchin einen Korb mit frisch gebratenem Huhn, einem Laib Brot, der noch warm war, und einem Schälchen mit in Wein eingelegtem Spargel. Dazu packte sie ein Stück Käse, zwei Birnen und einen Weinschlauch ein. Der Graf nahm ihr den vollen Korb ab und drückte einen Kuss auf ihren Handrücken. Der guten Frau schoss die Röte ins Gesicht. Mit verklärten Augen sah sie ihm nach, als er die Küche verließ.
In der Halle wartete Jasmine bereits auf ihn. Sie hatte sich umgezogen und sah jetzt in Reitkleidung eher wie ein Junge aus. Sie erinnerte ihn sehr an seine eigene Mutter. »Du reitest nicht im Damensitz?«
»Nein, nur ganz selten. Ich habe es lieber, richtig auf dem Pferd zu sitzen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen?«
»Nein, meine Liebe«, sagte er schnell, weil er die Herausforderung in ihren Augen lesen konnte. »Ich stimme völlig mit dir überein.«
Sie nickte nur. »Dann reiten wir los. Glücklicherweise hast du dein eigenes Pferd dabei, denn ich habe nur die Kutschpferde aus England mitgebracht. Aus Archambault habe ich eine schwarze Stute bekommen, die mir hier zur Verfügung steht. Sie ist ein zuverlässiges Tier, aber auch nicht mehr. Hätte ich gewusst, dass ich so lange in Frankreich bleibe, hätte ich meine eigenen Reitpferde mitgenommen.«
»Ich bin froh, dass du das nicht getan hast«, sagte der Graf. »Mein Pferd mag keine Konkurrenz im Stall.«
»Dann werden wir getrennte Ställe brauchen, mein Lieber«, erwiderte Jasmine lachend. »Ich werde mein Pferd nicht wegen dir aufgeben.«
»Wir haben noch genug Zeit, das zu klären«, meinte er.
Im Hof warteten bereits die Pferde. Er schwang sich in den Sattel. »Du reitest voraus«, forderte er sie auf, »du kennst hier die Wege.«
Sie führte ihn auf gepflegten Pfaden durch den Schlossgarten, wo frisch geschnittene Rosensträucher und mit Mulch belegte Beete ihren Weg säumten. Ein kleiner Teich glänzte im Sonnenlicht. James Leslie konnte sich vorstellen, wie idyllisch es hier im Frühjahr oder im Sommer aussah. Auf drei Seiten war der Garten offen, nur hinten wurde er vom Wald durch eine Mauer abgegrenzt. Ein kleines Tor war darin eingelassen, und Jasmine beugte sich hinunter, um die Pforte zu öffnen
»Verriegle sie hinter mir«, bat sie den Grafen und ritt durch.
James Leslie kam ihrer Aufforderung nach und folgte Jasmine auf einem schmalen, gewundenen Pfad in den Wald. Nach einer Weile drehte er sich um und stellte fest, dass er Belle Fleurs nicht mehr sehen konnte. Ganz in der Nähe hörte er das Plätschern eines Baches, und wenig später durchquerten sie mit ihren Pferden vorsichtig das Bachbett. Der Wald wurde immer dichter und unzugänglicher, obwohl die Bäume noch keine Blätter trugen. Erst allmählich weitete der Weg sich wieder etwas, und plötzlich war das Dickicht zu Ende, und vor ihnen lag ein breites Tal. Auf der gegenüberliegenden Seite stand auf einem Hügel ein prächtiges Schloss.
»Das ist Archambault«, sagte Jasmine und hielt ihr Pferd an. »Meine Urgroßmutter war die Comtesse de Cher. John de Marisco, ihr erster Mann, war der Vater von Adam. Es gibt Gerüchte, dass er ein Pirat war.« Sie lachte kurz auf. »Die alte Königin hat meine Großmutter sogar einmal in den Tower geworfen, weil sie der Meinung war, sie sei mit ihm im Bunde. Meine Tante Deirdre wurde dort geboren.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob der König über deine Verwandtschaft so genau Bescheid weiß«, sagte der Graf. »Der gute alte James wäre wahrscheinlich schockiert.«
»Vielleicht würde er dir dann die Hochzeit mit mir verbieten«, entgegnete sie schnippisch.
»Selbst wenn du einäugig und zahnlos wärest, würde er auf der Hochzeit bestehen. Du bist schließlich die Mutter seines erstgeborenen Enkels.«
»So ist es wohl ein Glück für dich, dass ich nicht einäugig und zahnlos bin«, sagte Jasmine. »Würdest du mich auch heiraten, wenn ich hässlich wie die Sünde wäre?«
»Ja, meine Liebe, denn ich bin dem König loyal ergeben. Die Leslies haben immer die Befehle der Stuarts ausgeführt.«
»Und wenn der König die falsche Entscheidung trifft?«
»Die königlichen Stuarts treffen niemals falsche Entscheidungen«, sagte er.
»Königliches Recht?«, fragte sie lächelnd.
»Ja, königliches Recht. Würde dein Vater irgendjemand erlaubt haben, seine Befehle anzuzweifeln?«
»Nicht, solange er Herrscher war«, antwortete sie. »Doch als einfacher Mensch und Vater war er von Grund auf kompromissbereit und offen für alle Fragen. Selbst in Religionsdingen gab es für ihn keine Dogmen. Ich konnte wirklich froh sein, von so einem Mann erzogen zu werden. Ich war die jüngste und ein Kind, das er erst im Alter bekommen hat, dadurch widmete er mir viel Zeit. Ich hatte eine glückliche Jugend.« Sie deutete auf die Wiese vor ihnen. »Sollen wir hier eine Pause machen und unser Picknick einnehmen?«
Er nickte, stieg vom Pferd und half ihr aus dem Sattel. Jasmine breitete eine Decke aus, und der Graf hob den Korb vom Sattelknauf und stellte ihn auf den Boden. Dann packte er das Essen aus. Mit seinem Messer schnitt er das Brot in Scheiben und zerteilte den Käse und das Huhn. Er nahm die zwei kleinen Silberbecher und goss sie voll mit Wein.
Schweigend saßen sie da und genossen das Essen und die herrliche Aussicht. James Leslie wandte seinen Blick vom Tal ab und musterte Jasmine an seiner Seite. Sie erschien ihm noch schöner als vor zwei Jahren. Doch was gab es neben ihrer Schönheit noch, was für eine dauerhafte Beziehung nützlich wäre? Er wusste nur zu gut, dass sie jederzeit in einen heftigen Streit geraten konnten, doch er wollte nicht Zeit seines Lebens mit einer Frau leben, bei der er jedes Wort auf die Waagschale legen musste. Er hatte sie einst leidenschaftlich begehrt, und er war sicher, dass sie ihn mit Leichtigkeit wieder verführen konnte, doch das war nicht genug. Er wollte mehr von ihr, und er hoffte, dass es auch ihr so ging. Aber wie sollte er das herausfinden?
»Was willst du eigentlich?«, brach es plötzlich aus ihm heraus.
Sie war völlig überrumpelt. »Was ich will?«, fragte sie. »Ich verstehe nicht, was du meinst. Ich glaube, ich habe alles, was ich brauche, sogar mehr als ich brauche. Mir fehlt es an nichts.«
James Leslie schüttelte den Kopf. »Nein, Jasmine, ich meine nicht materiellen Besitz. Ich weiß, dass du eine vermögende Frau bist, aber es gibt noch andere Dinge im Leben. Willst du Macht, Vergnügen, noch mehr Reichtum, oder etwa gar Liebe? Was willst du wirklich?«
Plötzlich leuchteten ihre türkisfarbenen Augen überrascht auf. »Liebe? Ich glaube nicht, dass ich noch einmal lieben werde. Alle Männer, die ich geliebt habe, sind eines gewaltsamen Todes gestorben. Jamal und Rowan in der Blüte ihrer Jahre, und jedes Mal war ich daran Schuld. Das einemal, weil Jamals Bruder mich unbedingt für sich haben wollte, das andermal, weil der Agent des Königs mich töten wollte und stattdessen Rowan traf. Und was meinen armen Hal angeht ...« Sie seufzte tief. »Henry Stuart hätte nicht so früh sterben dürfen.«
»Doch du warst in keiner Weise für seinen Tod verantwortlich«, versuchte sie der Graf zu trösten.
»Trotzdem, er liebte mich und bezahlte dafür mit seinem Leben.«
»Würdest du mich lieben, ich sähe dem Tod gelassen ins Auge«, sagte er.
Jasmine lächelte, und sein Herz schlug schneller. »Du willst doch nur, dass wir in Zukunft besser miteinander auskommen«, erwiderte sie. Und als er nickte, fuhr sie fort: »Hast du eigentlich deine Frau Isabelle geliebt? War sie hübsch? Habt ihr zusammen gelacht oder geweint? Wodurch hat sie dich glücklich gemacht?«
Er dachte einen Moment lang nach. »Bella war ein hübsches Mädchen. Sie hatte dunkle, lange Haare. Nicht so tiefschwarz wie deine. Seit meiner Kindheit war ich ihr versprochen, und wir kannten uns gut. Für mich war sie mehr wie eine Schwester. Dann ging mein Vater auf eine Reise in die Neue Welt und kehrte nicht zurück. Der König hat ihn für tot erklären lassen, und ich wurde der neue Graf von Glenkirk. James Stuart wollte, dass ich sofort heiratete. Unsere Linie sollte nicht aussterben. In Wirklichkeit war er hinter meiner Mutter her. Indem er meinen Vater für tot erklärte und mich als Familienoberhaupt einsetzte, hatte er freie Bahn bei meiner Mutter. Er hat sie unverzüglich an seinen Hof befohlen.«
»Nicht zu glauben«, stieß Jasmine kopfschüttelnd hervor. »Ich hatte immer gedacht, James Stuart wäre seiner Königin Anne auf ewig treu.«
»War er auch – mit Ausnahme meiner Mutter. Er hatte schon lange vor seiner Hochzeit mit Anne ein Auge auf sie geworfen. Auf jeden Fall floh meine Mutter aus Schottland und kehrte nie mehr zurück. Sie lebt im Königreich Neapel, zusammen mit meinen Halbbrüdern und Schwestern. Mein Stiefvater starb vor zweieinhalb Jahren.«
»Und sie wollte nie mehr zurück?«
»Nein. Sie fürchtet sich noch immer vor James Stuart, obwohl ich ihr versichert habe, dass er inzwischen ein ganz anderer geworden ist. Außerdem zieht sie das Wetter in Neapel dem schottischen vor. Sie hat dort glückliche Erinnerungen an ihre Zeit mit Lord Boswell.«
»Warst du mit deiner Bella auch glücklich?«
»Ja. Sie war eine gute Mutter und eine Frau, auf die ein Mann stolz sein konnte«, antwortete er.
»Du hast aber nicht gesagt, dass du sie geliebt hast«, beharrte Jasmine.
»Doch, ich liebte sie, aber auf eine jugendliche, unerfahrene Art. Wäre sie nicht so früh gestorben, ich glaube, wir wären bis ans Lebensende glücklich gewesen.«
»Genauso ging es mir mit meinem ersten Ehemann«, sagte Jasmine.
»Anders als beim zweiten?«, fragte der Graf.
Jasmine lächelte und nahm noch ein Stückchen Käse. »Ja, bei Rowan war es anders«, sagte sie dann. »Du hast ihn ja auch gekannt. Er war ein liebenswerter und großzügiger Mann. Jemand, der gerne lachte. Ich kann bis heute nicht verstehen, warum er mich und die Kinder so früh verlassen musste.«
»Und trotzdem konntest du noch einmal lieben«, stellte der Graf fest.
»Ja«, stimmte Jasmine zu, »aber er hätte Henry Stuart nicht geliebt? Alle mochten ihn. Ich habe ihn schließlich nicht verführt, im Gegenteil, ich leistete lange Zeit Widerstand, doch er war hartnäckig.« Sie lachte beim Gedanken daran. »Hal wusste, wie er mich rumkriegen konnte, und sein Sohn ist das beste Beispiel dafür. Er ist das wertvollste Geschenk, das ein Prinz seiner Geliebten machen kann.«
»Aber dieses Geschenk weckte das Interesse des Königs. Vielleicht wäre es besser gewesen, du hättest nur Juwelen und Titel von Henry bekommen.«
Jasmine kicherte. »Es gibt keinen Mann in ganz England, der mich mit Juwelen bestechen könnte. Schließlich habe ich selbst genug davon. Rowan wusste das, deshalb gab er mir MacGuire’s Ford. Hal wusste es auch. Und was Titel anbelangt, bin ich immerhin eine königliche Prinzessin von Mughal.«
»Du hast also Ländereien, Titel und Juwelen im Überfluss, und trotzdem musst du mich heiraten. Was könnte ich dir denn geben, damit du glücklich bist?«, fragte er.
»Warum ist es wichtig für dich, ob ich glücklich bin, James Leslie? Der König hat es befohlen, also werden wir heiraten, ganz egal, ob ich dabei glücklich bin oder nicht. Du hast gesagt, du wirst den Befehl des Königs ausführen, wie es die Leslies von Glenkirk immer getan haben. Was macht es da für einen Unterschied, was ich davon halte?«
Seine Backenmuskeln arbeiteten. Jasmine schaffte es immer wieder, ihn zu verstören. Jetzt hielt er ihr ganz offen den Ölzweig hin, und sie weigerte sich, ihn anzunehmen. »Ich bin doch kein Monster, meine Liebe, das dir aufgezwungen wird, noch bist du eine Märtyrerin, wenn du mich heiratest. Es gibt eine Menge Frauen in England, die froh wären, Gräfin von Glenkirk zu werden. Vor nicht allzu langer Zeit war sogar deine Stiefschwester dieser Meinung.«
»Willst du mich nur, weil James Stuart es angeordnet hat?«, fragte Jasmine. »Es gefällt mir nicht, dass wir vielleicht nur deswegen ein Paar werden. Als ich noch jünger war, habe ich das in Kauf genommen, weil mein Vater es so wollte, jetzt ist das anders geworden.«
Er trank den letzten Schluck aus seinem Becher. »Ich kann es nicht ändern, Jasmine. Als ich vor einiger Zeit in Belle Fleurs ankam, war ich sehr wütend auf dich. Ich war fast schon so weit, dich zu hassen, weil du mich öffentlich so bloßgestellt hast. Doch je länger ich mit dir zusammen bin, desto mehr hat sich meine Wut gelegt. Ich bewundere dich sogar, Jasmine. Du hast Mut und Stolz, und du weißt, was du willst. Es gibt sicher Männer, die diese Eigenschaften bei Frauen nicht schätzen, bei mir ist das anders. Ich weiß nicht, ob ich dir jetzt schon Liebe versprechen kann, aber auf jeden Fall Respekt und treue Partnerschaft. Du und deine Kinder, ihr werdet es gut bei mir haben, das schwöre ich beim Andenken an meine eigenen Kinder.«
»Wirst du mich zwingen, vor versammeltem Hof zu heiraten?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich will keine Rache mehr, Jasmine. Von mir aus können wir hier auf Belle Fleurs oder auf Queen’s Malvern heiraten. Du hast die Wahl. Ich möchte nur, dass es möglichst bald geschieht. Wir dürfen den König nicht länger verärgern.«
»Ist er schon böse auf dich?«, fragte Jasmine.
»Ja«, sagte er mit einem Grinsen. »Er ist der Meinung, wenn ein Widder sein Schaf gefunden hat, dann darf er nicht zulassen, das es auf eine fremde Weide geht. So sind seine Worte. In letzter Zeit hat er sich allerdings nicht so sehr um mich gekümmert, trotzdem wäre es gut, wenn wir nicht mehr zu lange warten. Er will unbedingt den kleinen Charlie sehen. Der Junge ist immerhin sein Enkel.«
»Versprich mir, es nicht zuzulassen, dass er mir genommen wird«, sagte sie. »Das ist meine größte Sorge. Die Königin hat mir einmal erzählt, wie Hal in die Hände von Erziehern gegeben wurde und dass sie ihn danach nur mehr gelegentlich sehen durfte. Ich würde es nicht ertragen, von Charlie getrennt zu sein.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Er streckte die Hände aus und wischte ihr zärtlich über die Wangen. »Niemand wird ihn uns wegnehmen«, versprach er. »Henry Stuart war der legale Erbe, und damals war es so der Brauch. Gott sei Dank hat die Königin dafür gesorgt, dass es heute nicht mehr so ist. Außerdem, meine liebe Jasmine, ist Charlie ein königlicher Bastard. Er wird nicht die Krone erben. Für den König ist er als Enkel wichtig, nicht als Thronfolger.«
»Aber wenn sie ihn trotzdem haben wollen?«
»Sie wollen ihn doch nur kennen lernen. Ich bin Charlies Vormund, und mir werden sie vertrauen, da der König weiß, dass ich ihn nie für meine eigenen Zwecke einsetzen werde. Charlie wird bei uns in der Familie bleiben, das verspreche ich dir.«
»Ich habe trotzdem Angst«, sagte sie.
Er nahm ihre Hand. »Vertrau mir, Jasmine. Ich weiß, dass dir das schwer fällt, aber ich bitte dich trotzdem darum.« Er fühlte, wie kalt ihre Hand unter dem Handschuh war und versuchte, zwischen seinen Händen zu wärmen.
Ein Wind war aufgekommen, und die Sonne hatte sich hinter Wolkenschleiern verzogen. Es wurde kalt, fast so, als wolle der Winter noch einmal zurückkommen.
»Wir sollten aufbrechen«, sagte Jasmine und stand auf. Sie packte die Reste ihrer Mahlzeit in den Picknickkorb.
»Wirst du darüber nachdenken, was wir heute besprochen haben?«, fragte James Leslie.
»Wir heiraten im Frühjahr auf Queen’s Malvern«, antwortete Jasmine mit einem leichten Lächeln. »Aber nicht am ersten April. Das wäre kein gutes Omen für den Beginn unserer Beziehung. Der fünfzehnte ist besser. Und im Mai möchte ich nicht heiraten.«
»Und was hältst du von Juni?«
»Willst du den König wirklich so lange warten lassen?«, fragte sie, als sie in den Sattel stieg. »Natürlich ist Juni ein wunderschöner Monat«, gab sie lächelnd zu.
»Hast du nicht Lord Leslie im April geheiratet?«, erkundigte er sich und schwang sich auch in den Sattel. Irgendwie gefiel ihm der Gedanke nicht, im selben Monat zu heiraten. Vielleicht war der fünfzehnte sogar genau der Tag, an dem sie mit Westleigh damals vor den Traualtar getreten war.
»Ich habe Westleigh am dreißigsten geheiratet«, entgegnete sie. »Aber wenn du Juni vorziehst, dann soll es der Juni sein.«
James Leslie hatte das Gefühl, von ihr ertappt worden zu sein. Er hatte den Juni eher aus Scherz vorgeschlagen; jetzt lag es an ihm, dem König zu erklären, warum der Hochzeitstermin so spät angesetzt wurde. Er fluchte leise, und aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie Jasmine ein zufriedenes Lächeln zu unterdrücken versuchte, doch als er ihr in die Augen blickte, war ihr Gesicht eine Maske der Unschuld.
Sie führte ihn durch die Weingärten von Archambault auf jene Straße, die er von Paris kommend mit Fergus genommen hatte. Schweigend ritten sie nebeneinander, bis sie den schmalen Weg erreichten, der nach Belle Fleurs führte. Dort gab sie ihrem Pferd die Sporen und flog im Galopp davon. Ihr Haar hatte sich gelöst und wehte nun offen im Wind. Auch er trieb sein Pferd an und hatte sie bald eingeholt. Sie sah zu ihm herüber, lachte und ließ ihrer Stute freien Lauf. Kurz vor der Zugbrücke zügelte er sein Pferd und ließ sie zuerst passieren. Doch sie hielt nicht an, sondern preschte quer durch den Schlosshof bis vor das Eingangstor.
Jasmine sprang aus dem Sattel. »Ich habe gewonnen«, sagte sie triumphierend.
»Ich dachte, das Rennen wäre an der Brücke zu Ende«, entgegnete er.
»Warum das?«, fragte sie.
»Es war der natürliche Schlusspunkt des Wettlaufs«, sagte er.
»Unsinn«, beharrte sie und drückte einem Diener ihre Handschuhe in die Hand. »Ein Wettrennen endet immer vor der Haustür. Ich dachte, du weißt das.«
»Das wusste ich nicht«, antwortete er mit leichtem Unmut.
»Und warum nicht?«
»Weil du es mir nicht gesagt hast, meine Liebe!«, rief er.
»Trink einen Schluck Wein«, versuchte sie ihn zu beruhigen. »Das wird deinen Nerven gut tun. Es war schließlich nur ein kleines Wettrennen, und es ging um nichts.«
Er nahm den ihm angebotenen Becher und trank ihn halb aus. »Nicht die Spielregeln zu nennen, ist wie betrügen«, sagte er ernst. »Das ziemt sich nicht für eine Gräfin von Glenkirk.«
»Du bist wirklich ein schlechter Verlierer, mein Lieber«, erwiderte sie. »Ich wollte dich doch nur herausfordern. Du musst in Zukunft schneller sein, wenn du mit mir mithalten willst.«
»Du bist unmöglich!«, rief er entrüstet.
»Kein Grund zur Aufregung«, beschwichtigte sie ihn. »Das tut dir nicht gut. Sieh mal diese Ader hier.« Sie strich ihm mit dem Zeigefinger über seine Schläfe. »Sie ist schon ganz dick. Es gibt da einen Trick, den mich eine meiner Tanten gelehrt hat. Um sich wieder zu beruhigen, soll man ganz still sitzen und an nichts denken, nur langsam und tief einund ausatmen. Das beruhigt schnell die Nerven. Auch ich wende diesen Trick gelegentlich.«
Auch er fühlte die Ader an seinem Kopf und wusste, dass er jetzt nur zwei Möglichkeiten hatte, seine Ruhe wieder zu finden: Er konnte sie auf der Stelle erwürgen, und der Gedanke hatte ganz eindeutig etwas für sich, oder er musste sie küssen. Er entschied sich für die zweite Lösung, nahm sie in die Arme und drückte einen harten Kuss auf ihre Lippen. Zuerst rechnete er mit Widerstand, doch dann merkte er, wie sie nachgab und ihre Lippen seinem Drängen weich und offen folgten. Sie begegnete ihm mit so viel Zärtlichkeit, dass er die Rollen vertauscht sah. Er hatte sie erobern wollen, doch jetzt kam sie ihm mit ihrer Leidenschaft zuvor.
Sie löste sich etwas aus seinen Armen und blickte zu ihm hoch. »Am liebsten hättest du mich umgebracht, nicht wahr?«
Er nickte, unfähig, mehr dazu zu äußern.
»Versuch nur nicht, mich einzuengen, Jemmie Leslie. Dann würde es kein gutes Ende mit uns beiden nehmen.« Jasmine lächelte.
»Ich werde es im Kopf behalten. Schließlich könnte einem Mann schlimmeres widerfahren als mit einer Frau wie dir verheiratet zu sein«, versuchte er sie zu hänseln.
»Ich war immer eine gute Ehefrau«, sagte sie. »Das wirst auch du erfahren, wenn du nicht versuchst, mich zu unterdrücken. Ich werde loyal an deiner Seite stehen und dir keine Schande bereiten.«
»Mit anderen Worten: Wenn du deinen Willen durchsetzen kannst, wird es keine Probleme mit uns beiden geben«, erwiderte er trocken.
»Ganz richtig!«, antwortete Jasmine mit strahlenden Augen. »Wie glücklich kann ich mich schätzen, einen so klugen Mann heiraten zu dürfen.«