Читать книгу Rosa-weiße Marshmallows - Bettina Ehrsam - Страница 13
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ОглавлениеSeit Lisa mit Roy ein ernstes Wort gesprochen hatte, lächelte sie ihn jedes Mal an, wenn sie ihn sah. An besagtem Tag hatte sie ihn nämlich beiseite genommen und gesagt, wenn er wissen wolle, ob sie sich noch das Leben nehmen wolle, müsse er sie direkt fragen. Seine Mutter könne das nicht wissen.
„Wie weiß ich, dass du mich nicht anlügst?“
Mit dieser Frage hatte sie nicht gerechnet. Lange hatte sie überlegt und schließlich gesagt: „Wenn ich nicht mehr lächeln kann.“
Roy hatte als Antwort mit zusammengepressten Lippen genickt. Es brauchte seine Zeit, bis er zurücklächeln konnte.
An diesem Morgen blieb Roy lange am Frühstückstisch sitzen. Als Tom und Dave aus der Küche verschwunden waren und sie beide allein zurückblieben, flüsterte er in Lisas Ohr und hielt um ihre Hand an. Das Einzige, was ihr in diesem Moment in den Sinn kam, war, ihn um Bedenkzeit zu bitten.
Lisa kniete im Gemüsebeet, lockerte die Erde, und in Gedanken ging sie durch, was sie sagen sollte. Seine Augen waren voller Erwartung gewesen, sie konnte ihm die Hoffnung nicht so grausam zerstören.
Es war kurz vor zehn, und die Sonne brannte bereits auf ihren Rücken. Es roch nach feuchter Erde. Die leere Gießkanne stand neben ihr. Sie musste die restlichen Pflanzen gießen, bevor es noch heißer wurde. Sie holte Wasser und goss Blumen, Kräuter und Gemüse. Dann begann sie, die Stangenbohnen zu ernten. Sie schaute auf die Uhr und legte einen Zacken zu. Die Schüssel war erst zur Hälfte gefüllt.
„Du wolltest sterben?“
Lisa hätte vor Schreck beinahe die Schüssel fallen gelassen. Kevin stand hinter ihr und machte einen Schritt auf sie zu.
„Es ist unhöflich, sich an Leute heranzuschleichen“, sagte sie schroff.
Kevin grinste. Hinter seinem Rücken hielt er die Kamera. Obwohl er nur zwei Jahre älter als Roy war, reichte er ihr beinahe bis zur Schulter. Seine Arme waren kräftig und konnten wie die eines Erwachsenen zupacken.
Der Junge beugte sich über die Schüssel mit den Bohnen. „Wird das unser Mittagessen?“
„Ja“, sagte sie lang gedehnt, entdeckte eine kleine grüne Raupe, nahm sie zwischen ihre Finger und zerquetschte sie. Dabei blickte sie Kevin direkt in die Augen.
Der zuckte nicht mit der Wimper, er lächelte nur. „Das reicht nicht für uns alle.“
So höhnisch wie Kevin das gesagt hatte, wunderte sie sich nicht, dass Roy seinetwegen so viel schrie und weinte. Mit gerecktem Kinn starrte sie ihn an. Bienen summten und verbreiteten einen trügerischen Frieden.
„Roy hat meine Narben berührt – beide. Er hat gewonnen.“ Sie wusste selbst, wie kindisch sie sich anhörte, aber Kevin brachte sie mit seiner überheblichen Art aus der Fassung. Sie wischte sich die Finger an der Hose sauber, packte eine neue Bohne und zog daran. Die Bohne ließ sich nicht ernten. Kevin lachte sie aus. Sie schielte mit schmalen Augen zu ihm. „Hast du gehört, dein kleiner Bruder hat gewonnen.“ Warum sagte sie das? Irgendetwas krabbelte über ihre Finger. Sie schrie auf und schüttelte die Hand.
„Angst vor Spinnen?“ Kevin hielt die Kamera hoch und machte ein Bild von ihr.
„Ich vertrage auf meinen Narben kaum etwas. Was willst du überhaupt?“, fragte sie und schob die Kamera aus ihrem Gesicht.
„War eh nur eine doofe Wette“, sagte Kevin und presste ein lautes Lachen aus dem Hals. Langsam ging er rückwärts aus dem Garten und fotografierte sie.
Sie hörte sein Lachen noch lange und zwang sich, ruhig zu bleiben, weiter Bohnen zu ernten und sich nicht nach ihm umzudrehen. Was hast du nur, fragte sie sich. Er ist ein Kind.
Nachdem die Küche nach dem Mittagessen wieder blitzsauber war, machte sie sich auf die Suche nach Roy. Sie fand ihn schließlich drinnen vor dem laufenden Fernseher. Er kniete auf dem Bett seiner Eltern und spielte gleichzeitig mit einer Batman-Puppe. „Weil er der Held ist, den Gotham verdient. Aber nicht der, den es gerade braucht. Also jagen wir ihn. Weil er es ertragen kann. Denn er ist kein Held. Er ist ein stiller Wächter, ein wachsamer Beschützer. Ein dunkler Ritter.“ Roys Stimme klang tief und drohend.
„Da steckst du“, unterbrach sie ihn, nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus.
„He, das ist Sponge Bob! Das darf ich schauen.“
„Du warst doch mit Batman in Gotham und hast gar nicht hingeschaut.“
„Doch, hab ich.“
„Ich fahre nach Lake Geneva und wollte wissen, ob du Lust hast, mich zu begleiten.“ Lisa legte die Fernbedienung auf den Nachttisch.
Roy gab ihr keine Antwort, ließ den Batman auf den Boden fallen, stieg vom Bett und zog die Bettdecke mit sich. Gut gelaunt hüpfte er aus dem Schlafzimmer.
„Wo willst du hin?“, rief sie ihm nach. „Wir müssen noch deine Mutter fragen.“ Sie schüttelte die Decke auf und legte sie wieder ordentlich aufs Bett.
Roy war im Flur stehen geblieben und hatte auf sie gewartet. „Sie ist bestimmt einverstanden“, sagte er und sprang durch die offene Tür hinaus zum Auto.
Sie hatte Agnes nicht gefunden, sondern nur Dave in der Küche angetroffen, der seine Frau ebenfalls suchte. Dave gab ihr Agnes’ Autoschlüssel. Er fragte nicht einmal, wie lange sie fort sein würden.
Nun saß sie im Auto. Neben ihr auf dem Beifahrersitz zappelte Roy mit den Füßen. Sie drehte den Schlüssel, und Roy klappte die Lüftungsschlitze auf, er richtete sie alle auf sich. Dann, als wüsste er genau, was kommen würde, starrte er mit verschränkten Armen geradeaus und wartete.
Junge, du machst es mir nicht einfach, dachte Lisa. „Kevin war heute bei mir im Garten“, begann sie und lächelte ihn an, als er zu ihr schaute.
„Hat er mir gesagt“, antwortete er finster.
„Ich habe ihm deinen Sieg unter die Nase gerieben. Dann ist er wieder gegangen.“
Ein Aufleuchten in seinen Augen. „Er hat sie nicht geküsst?“, fragte er mit heller Stimme.
„Was?“ Sie dachte, sie hätte sich verhört. „Meine Narben? Warum sollte er meine Narben küssen? Igitt!“ Lisa schüttelte sich. „Dein Bruder ist neun. Für nichts auf der Welt dürfte er sie küssen. Er hat sie nicht einmal berührt.“
„Hat er aber gesagt.“ Der Knabe schaute mit hochgezogenen Schultern aus dem Fenster.
„Glaub ihm nicht immer alles.“ Sie stellte den Motor ab. „Roy“, begann sie und brach ab. Seine Arme pressten sich eng um seinen Körper. „Roy, das mit dem Heiraten ...“ Der Junge ließ den Kopf hängen, als hätte sie den Stecker gezogen. „Ich habe es mir ganz gut überlegt, ehrlich.“ Lisa wollte ihm die Hand auf die Schultern legen und ließ es bleiben. „Schau mich bitte an.“ Er hob seinen Kopf. Große runde Augen blickten ihr entgegen. „Es tut mir leid“, flüsterte sie. „Du bist der mutigste und tollste Junge auf der ganzen Welt.“ Roy schloss die Augen. „Du darfst mir glauben: Wäre ich so alt wie Caroline, hätte ich mich in dich verliebt.“
Roy sagte nichts.
„Ich bin einfach zu alt für dich.“
„Mom hat gesagt, dass das Alter keine Rolle spielt.“
„Deine Mom weiß sicher nicht, dass es dabei um uns beide geht, stimmt’s?“ Sie machte eine Pause. Roy zuckte nur mit den Schultern. „Kein Priester auf der ganzen Welt würde uns trauen. Glaub mir. Es ist sogar verboten.“
„Doch nicht jetzt. Erst, wenn ich groß bin“, sagte Roy so ernst, als wäre er der Erwachsene von ihnen beiden.
„Du versaust dir deine ganze Jugend, wenn du mich am Hals hast.“
„Stimmt gar nicht.“
„Kennst du auch Kinder, deren Eltern nicht mehr zusammen sind?“
Roy nickte.
„Es ist schwierig, ein Leben lang zusammenzubleiben.“ Was redest du da bloß? Sie biss sich auf die Lippen.
Roy blickte aus dem Fenster. Sein Kinn zitterte leicht.
„Roy. Was ich dir verspreche, ist, dass wir für immer Freunde bleiben.“ Wie abgedroschen sie klang. Als würde sie einen erwachsenen Mann abblitzen lassen. Roy saß still neben ihr, sagte kein Wort. Unter ihrem Haar begann sie zu schwitzen.
„Ich wusste, dass der Marienkäfer keine Wünsche erfüllt.“
„Roy, du hättest den Wunsch nicht verraten dürfen.“
„Er wäre sowieso nie in Erfüllung gegangen.“
„Vielleicht in dreißig Jahren“, sagte sie und flocht ihr Haar zu einem Zopf.
„Dann bin ich schon uralt“, sagte Roy.
„Und ich erst!“ Sie blickte ihn von der Seite an und zog die Lippen ein. „Mit pfiel Runzeln im Gepficht und ohne Pfähne“, scherzte sie.
„Das stimmt nicht.“ Er lächelte sie mit feuchten Augen an.
„Anschnallen“, rief sie laut und startete den Motor. Wie er sie so anschaute, hätte sie ihn am liebsten in die Arme genommen und fest an sich gedrückt. Aber das konnte sie nicht. Nicht seit sie wusste, dass er sie heiraten wollte. „Ich will mir ein Tagebuch kaufen.“ Sie lachte hell auf und gab Gas. Ihr war klar, dass Roys Platz eigentlich hinten auf dem Kindersitz gewesen wäre.
„Mom darf nie erfahren, dass ich vorn sitze“, sagte er und schnallte sich an.
„Das bleibt unser Geheimnis.“ Lisa zwinkerte ihm zu und atmete innerlich auf. Sein trauriger Blick war verschwunden. Nur bei Kindern, dachte sie, konnte etwas so Simples wie die Erlaubnis, im Auto vorn zu sitzen, alles heilen.