Читать книгу Rosa-weiße Marshmallows - Bettina Ehrsam - Страница 14

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„Willst du ein Bier?“, fragte BigWam.

Lisa nickte und blickte ins Feuer. Sie war froh, dass er nicht weiterbohrte. Aber dass sich ihre beste Freundin verlobt hatte, ohne sie einzuweihen, hatte sie mehr als nur verletzt. Sie kam sich wie ein Paar ausgetragene Turnschuhe vor, achtlos in die Ecke geworfen. Warum hatte Maude das getan? Sie verstand es nicht.

BigWam reichte ihr das Bier. „Ist leider nicht ganz so kalt. Lag ganz oben in der Kühltasche. Irgendwie isoliert sie nicht mehr richtig.“

„Ist kalt genug, danke.“ Lisa schwenkte das Bier und nahm einen großen Schluck. Seit sie es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, mit BigWam am Feuer zu sitzen, trank sie Bier. Das kam früher nie vor. Sie stellte die Dose hinter sich auf den Boden. Dort war sie vor der Hitze geschützt.

„Warum bist du nicht bei Maude?“

„Ich will nicht darüber sprechen. Können wir einfach das Feuer genießen?“ Lisa legte die Stirn so fest in Falten, dass sie Kopfschmerzen bekam.

„Können wir. Wäre aber nicht richtig.“ Er hob die Hand, als sie ihn unterbrechen wollte. „Sie ist deine beste Freundin und du zeigst ihr die kalte Schulter.“

„Das ist nicht meine Schuld. Ich habe mich den ganzen Morgen auf sie gefreut. Richtig, sie ist meine beste Freundin.“ Lisa zeigte auf sich. „Warum erfahre ich von ihrer Verlobung nicht als Allerallererste?“ Sie machte eine wegwerfende Bewegung zum Haus. „Wir telefonieren regelmäßig.“ Lisa presste ihre Finger so fest auf die geschlossenen Lider, dass sich das karierte Muster vor ihren Augen zu drehen begann. „Das darf eigentlich keiner wissen“, sagte sie.

„Was darf keiner wissen?“, fragte BigWam.

„Dass ich ein Handy habe und regelmäßig mit Maude telefoniere.“ Sie blinzelte, bis sie wieder klar sehen konnte.

„Warum darf das keiner wissen?“ BigWam nahm einen großen Schluck Bier.

Lisa seufzte tief. „Weil meine Mutter mich sonst ständig anrufen würde. Weil ich es genieße, ein kleines Geheimnis zu haben. In der Klinik war es einfach belebend, mit der Außenwelt verbunden zu sein, ohne dass Dr. Bird oder sonst jemand davon wusste.“ Lisa rieb sich die Stirn. „Sie hätte es mir am Telefon sagen müssen. Findest du nicht auch?“

BigWam zuckte nicht einmal mit der Schulter, schaute sie nur an und wartete.

„Es hätte regelrecht aus ihr heraussprudeln müssen. Und nun verkündet sie ihre Verlobung, als sie aus dem Auto steigt und wir alle zur Begrüßung vor dem Haus stehen. Und Agnes ist ihr als Erste um den Hals gefallen und hat ihr noch vor mir gratuliert! Ich stand da, als wäre ich einfach irgendjemand und nicht ihre Freundin.“ Sie nahm den angespitzten und mit eingeschnitzten Ringen versehenen Stecken und begann, wild damit im Feuer herumzustochern. Glut spritzte hoch, und der Stock fing Feuer.

„Nicht. Das ist mein Grillspieß, daran hänge ich sehr. Ich brate mir damit regelmäßig das Fleisch, das du mir nie mitbringst.“ Er entwand ihr den Stock aus der Hand und blies die Flamme aus. „Klär das mit Maude. Sie hat sicher ihre Gründe“, sagte er.

Lisa rieb sich mit einer heftigen Bewegung die vom Feuer aufgeheizten Schienbeine. „Nenn mir nur einen Grund, einen einzigen. Ich kann mir keinen ausdenken.“ Diesmal störte sie sein helles Lachen, und sie hätte darüber beinahe eine bissige Bemerkung fallen lassen.

„Philipp kann dich nie ersetzen.“ BigWam nahm die Tüte mit den Marshmallows und schüttelte sie. „In diesem Licht sehen alle gleich aus“, brummte er.

Lisa kaute auf ihrer Unterlippe herum. „Sie braucht mich nicht mehr, jetzt wo sie ihn heiraten wird.“ Ihre Stimme war nicht so fest, wie sie es gerne gehabt hätte.

„Glaub dem alten Indianer.“ Er beugte sich zu ihr und legte ihr seine Hand auf die Schulter, drückte sie kurz. „Kehr ihr nicht den Rücken. Eine gute Freundin begleitet dich meistens länger durchs Leben als der Mann in deinem Bett.“

„Nur so lang, bis sie heiratet.“ Lisa wischte sich über die Wangen. Es war ihr egal, ob er ihre Tränen sah. Er war nicht Tom.

„Du verstehst mich schon richtig.“ Er blickte lange in die Tüte. „Alle rosa-weiß, sagst du.“

BigWam schob sich ein Marshmallow in den Mund und schüttelte enttäuscht den Kopf. „Was schleichst du dich so an?“, fragte er.

Erst jetzt hörte sie das leise Knacken und fuhr herum. Aus der Dunkelheit löste sich eine Gestalt. Als sie erkannte, wer es war, blieb ihr Herz stehen. Sein Haar war verstrubbelt und noch feucht, das Gesicht frisch rasiert. Die Ärmel seines karierten Hemds hatte er bis über die Ellbogen hochgekrempelt.

„Ich habe nichts dabei“, sagte Tom.

„Wir haben die hier.“ BigWam hielt ihm die Marshmallows hin.

Tom blieb stehen und blickte Lisa an.

„Sind alle rosa-weiß.“ BigWam schüttelte den Beutel.

„Mmh, lecker! Hast du auch ein Bierchen für mich?“ Tom zeigte auf die Kühltasche und ließ sich dabei auf den Baumstamm neben Lisa fallen.

Sie schrie auf, weil sie beinahe heruntergerutscht wäre. Toms Hände waren schnell: Er zog sie an sich und hielt sie fest. Sein Körper war warm und der Arm um ihre Schultern stark. Er lächelte sie an, und sie spürte, wie ihr die Röte den Hals hinaufkroch. Ihr Herz flatterte wie ein gefangener Vogel. Sie machte Anstalten, zur Seite zu rücken, und war glücklich, dass er sie nicht losließ.

„Ich bleib’ nicht lange“, sagte er leise, als wären die Worte nur für sie bestimmt, und ließ sie los. Ihre Körper berührten sich weiterhin. „Lass mal das Bier zu mir rüberwandern“, sagte er und schaute dabei auf die Kühltasche neben BigWams Füßen.

„Gibt’s nicht ohne.“ BigWam schüttelte die Tüte in seiner Hand.

Tom griff über ihre Beine, angelte zuerst nach dem Grillspieß und nahm eine Handvoll Süßigkeiten aus dem Beutel. Eines nach dem anderen spießte er die Marshmallows auf und drehte sie dann so lange über der Glut, bis sie goldbraun wurden und herrlich nach Karamell dufteten.

„Willst du mal?“, fragte er leise. Seine Finger streiften sanft ihre Hand.

Ein Kribbeln tanzte durch ihren Körper und ließ ihren Hals eng werden. Sie wartete, bis sich das Flattern im Bauch etwas gelegt hatte. Dann hörte sie Maudes warnende Worte. ‚Er ist zwar mein Bruder, aber ... Er ist nichts für dich. Ein Weiberheld, nicht viel besser als deine Verflossenen.‘ Die kann mich mal, dachte sie und schob die unliebsame Warnung beiseite. Sie senkte die Lider. Tom saß neben ihr. Das war das Einzige, was zählte. Sie legte ihren Kopf zur Seite, schlug ihre Augen auf, als hingen Gewichte an den Wimpern, und strahlte das Lächeln, das die Männer so an ihr mochten. Sein Körper spannte sich an, und sie hörte, wie er Luft holte. Langsam biss sie eine kleine Ecke ab.

„Vorsicht, verbrenn dich nicht“, flüsterte er.

Sein Atem streifte ihr Haar. Etwas in seinem Gesicht, ein Aufflammen, ließ sie alles um sich herum vergessen. Ihre Blicke trafen sich. Was sie in seinen Augen sah, war nicht gespielt. Das war echt. Seine Finger berührten ihr Haar. Ihre Kopfhaut begann zu prickeln.

„Du hast da was“, murmelte er und strich vorsichtig über ihr Kinn. Sie konnte nicht anders, als in sein Gesicht zu schauen. Langsam zog er ihr angebissenes Marshmallow vom Stock und hielt es ihr hin. Seine Finger berührten beinahe ihre Lippen.

„Hast du was zu essen mitgebracht?“, fragte BigWam laut.

Tom und Lisa zuckten gleichzeitig zusammen. Obwohl Tom noch neben ihr saß, fühlte sie sich alleingelassen. Beide starrten ins Feuer. Tom schob sich scheinbar gleichgültig das von ihr angebissene Stück in den Mund.

„Nein, warum?“, erklang Maudes Stimme leise hinter ihr.

Vorsichtige Schritte näherten sich dem Feuer. Lisa blickte nicht nach hinten, fühlte auch so den stechenden Blick auf ihrem Rücken.

„Das ist der Eintrittspreis, um am Feuer sitzen zu dürfen“, sagte sie stattdessen und lehnte sich mit steifem Körper an Tom. Schau nur, es ist mir egal, was du sagst, dachte sie grimmig. Es war nicht mehr dasselbe. Maude hatte alles zerstört.

BigWam hob die Tüte und streckte sie Maude hin. „Marshmallow?“, fragte er.

Maude schüttelte den Kopf.

„Wenn du nichts zu essen dabeihast, musst du davon nehmen. Das ist der Eintrittspreis, um hier am Feuer sitzen zu dürfen“, wiederholte er Lisas Worte und schüttelte den Plastikbeutel.

Maude rührte sich nicht.

„Komm schon, die Tüte muss endlich leer werden, sonst bringt Lisa sie das nächste Mal wieder mit.“

Tom legte die Hand auf Lisas Finger und drückte sie leicht. „Ich muss“, sagte er, hielt ihre Hand noch eine Sekunde länger als nötig und stand auf.

Hatte sie Bedauern aus seiner Stimme gehört?

Tom drückte seiner Schwester den Spieß in die Hand. „Immer schön drehen, sonst werden sie flüssig und fallen ab.“ Er warf Lisa einen letzten Blick zu und ging davon.

Sie schaute ihm nach und hoffte vergebens, er würde sich nochmals nach ihr umdrehen. Er stieg ins Auto und fuhr los, ohne ihnen zuzuwinken. Die Scheinwerfer waren noch lange zu sehen. Ging er zu einer anderen? Aus den Augenwinkeln sah sie Maude neben BigWam stehen. Wie sie mit gesenktem Kopf – den Spieß in der einen und die Tüte in der anderen Hand – verharrte, kam es Lisa vor, als sei ihrer Freundin der Ort, an dem sie aufgewachsen war, völlig fremd.

„Setz dich zu Lisa“, sagte BigWam und zeigte auf den frei gewordenen Platz.

Maude setzte sich vorsichtig hin. Der Baumstamm bewegte sich kaum. Jede Faser ihres Körpers schien angespannt. Lisa bemerkte, wie Maude immer wieder zu ihr herüberschielte.

Lisa saß vornübergebeugt da, und als ihr Maudes Blicke zu viel wurden, versteckte sie ihr Gesicht hinter den Händen. Lass mich in Ruhe, lass mich einfach in Ruhe, dachte sie und hoffte vergebens, Maude würde aufstehen und gehen.

„Willst du ein Bier?“, fragte BigWam. Der Plastikbeutel raschelte, dann war es ruhig. „Was soll ich damit?“, hörte sie BigWam auf einmal fragen.

Lisa schaute hoch und sah, wie Maude die Tüte zerknüllte und ins Feuer warf. Die Flammen wurden blau. Das Plastik warf Blasen, flammte auf und schrumpelte zu einem hässlichen Klumpen zusammen.

BigWam öffnete das Bier und reichte es Maude. „Auf euch Mädchen“, sagte er und hielt seine Dose in die Luft. „Lisa, ist deines schon leer?“

Lisa warf ihm einen bösen Blick zu. Sie nahm ihr Bier, und Maude stieß schnell mit ihr an, bevor Lisa ausweichen konnte.

„Auf uns“, sagte Maude mit belegter Stimme.

Lisa schwieg. Mit dem Bier in der Hand starrte sie in die Glut.

Niemand sprach, einzig das Knacken des Feuers war zu hören, und als Lisa zu BigWam schielte, war sein Platz leer. Wie konnte dieser Koloss von Mensch einfach so unbemerkt verschwunden sein?

Rosa-weiße Marshmallows

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