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Kapitel 8
ОглавлениеEin markerschütterndes Brüllen erfasste das Schiff. Verzweifelte Wut, so tief und abgründig, dass sie die Planken zum Vibrieren brachte, erscholl aus der Kabine des Prinzen.
Marks, der in den Mannschaftsunterkünften ein kurzes Schläfchen hatte halten wollen, erschrak so sehr, dass er aus seiner Hängematte fiel und mit dem Gesicht voran auf dem Boden knallte.
Im ersten Moment schüttelte er verwirrt den Kopf und glaubte noch, eine Welle hätte das Schiff getroffen und zum Schwanken gebracht, bis ihm auffiel, dass das Schiff so still wie selten lag.
Dann hörte er es erneut, diesen unartikulierten Zorn, wie der Schrei einer wilden Bestie. Es erklang hinter Riaths Tür.
Noch vom Schlaf leicht benommen, rappelte Marks sich auf und eilte unter Deck entlang zu Riaths privater Unterkunft im hinteren Teil des Schiffes. Die Tür war geschwärzt und reich verziert, für hochrangige Gäste und Befehlshaber gedacht. Marks sparte es sich, anzuklopfen, er stürmte hinein. Kerzen flackerten hinter den dicken Gläsern der Laternen, die Luft im Raum wirbelte umher wie ein aufgebrachtes Gespenst, sodass auf dem Tisch ein Buch aufschlug und die Seiten wie von Geisterhand wild bis zum Ende blätterten. Ein Weinkelch fiel um, er war leer und nur ein einziger roter Tropfen perlte hervor.
Riath lag auf dem Bett, warf sich im Halbschlaf herum und hatte die Hände in die Decken geschlagen, wie ein Raubtier seine Krallen in eine Beute. Violette Blitze zuckten über seinen Leib, ein kalter Schweißfilm bedeckte seine vor Erschöpfung fahle Haut. Der Zauber, mit dem er den Sturm gebändigt hatte, hatte ihn in einen tiefen Schlaf versetzt. All seine Kraft war verbraucht, die letzten Monate und die Gefangenschaft in Elkanasai hatten ihren Tribut letztlich doch noch eingefordert, und der Prinz Nohvas blieb bettlägerig. Sie hatten ihn mit Blut gefüttert und in seine Kabine verfrachtet, gaben ihm im Schlaf zu trinken, damit er sich langsam erholte. Er war friedlich gewesen, ohne Schmerzen oder Qual hatte er geschlafen, doch das sah nun ganz anders aus.
Marks stand einen Moment ratlos und eingeschüchtert im Raum, gute drei große Schritte von Riath entfernt.
Die Macht seines Prinzen schien außer Kontrolle und wirbelte wie ein Sturmwind durch die Kajüte. Sie war geschwächt, doch hatte noch genügten Kraft, das Holz bedenklich knarzen zu lassen.
Marks zuckte zusammen, als ein violetter Blitz ausschlug und das Glas einer Laterne zersplitterte. Glasscherben rieselten auf ihn nieder und er hielt einen Arm hoch, damit sie sein Gesicht nicht trafen.
Er musste etwas tun!
Marks gab sich einen Ruck und ging auf seinen Prinzen zu. »Riath!«, rief er gegen das Getöse an und versuchte zu ignorieren, wie seine Haare zu Berge standen, je näher er an seinen ruhelosen Prinzen herantrat. »Riath!«, brüllte er wieder.
Doch Nohvas Prinz erhörte ihn nicht, er brüllte weiter voller Zorn und warf sich herum, als versuchte er, sich aus den Laken zu befreien und aufzustehen, doch seine Erschöpfung ließ ihn immer wieder zusammensacken und in die Kissen fallen, woraufhin seine Wut noch weiterwuchs und er wieder aufbrüllte.
Marks kam nahe genug heran, ohne von einem Blitz geröstet zu werden. Seine Hand zitterte angespannt, als er sie zwang, sich nach Riaths nackter Schulter auszustrecken. Als er sie berührte und er nicht von einem Blitzschlag in die Nachwelt geschickt wurde, atmete er erleichtert auf und packte mit beiden Händen beide Schultern, um Riath in die Kissen zu drücken.
»Riath!«, brüllte er und schüttelte ihn. »Wach auch! Wach verdammt noch mal auf!«
Mit einem Mal schlugen Riaths Lider nach oben, als hätte jemand eine Tür geöffnet. Eine Tür zur Unterwelt. Denn Marks starrten zwei finstere Schlünde an. Riaths Augen waren schwarz. Weder Weiß noch Grün waren zu sehen, auch keine Pupillen mehr zu erkennen. Nein, es waren zwei schwarze, gläserne Murmeln, die eine düstere und hasserfüllte Welt in sich trugen. Marks fröstelte und er wäre vor Schreck zurückgewichen, hätte Riath seinen schwarzen Blick nicht auf ihn gerichtet, ihn erkannt und sofort an den Armen gepackt.
Marks grunzte, denn der Griff seines Prinzen brach ihm beinahe die Knochen.
Erschöpft wie er war, zog Riath sich an ihm hoch, brachte sein Gesicht an Marks` heran und sagte mit einem animalischen, tiefen Knurren: »Kacey! Sie haben ihn!«
Marks versuchte, sich auf das Gesagte zu konzentrieren. »Wovon redest du? Er ist in Elkanasai, geschützt von hohen Politikern und König Wexmell!«
Riath schüttelte den Kopf, sein Griff wurde weicher und seine Augen ein wenig heller. »Nein! Er ist in Carapuhr. Eisnacht. Er hat es mir gesagt!« Sein Griff wurde wieder fester, als ob die Wut und die Verzweiflung ihm erneute Kraft verliehen. »Carapuhr… Melecay… er… er hat… Kacey…«
Marks schüttelte den Kopf, seine dicken Locken schwangen dabei hin und her. »Nein, Riath. Er ist in Sicherheit!«
»Carapuhr«, wiederholte Riath, aber seine Erschöpfung ließ seine Stimme immer schwächer klingen, er sank zurück in die Kissen. »Sie haben… ihn… Kacey… sie haben … Kacey…«
»Du hast schlecht geträumt!«, sprach Marks auf ihn ein und sank mit der Hüfte auf die Bettkante. »Es war nur ein Alptraum.«
Riath schüttelte schwach den Kopf, seine Arme rutschten herab und seine Augen schlossen sich. »Carapuhr…«, wiederholte er immer und immer wieder, doch er konnte nicht wach bleiben, sein Wutausbruch hatte noch mehr an seinen Kräften gezerrt. Der tosende Sturm im Raum verebbte mit Riaths wachsender Ermüdung.
»Es war nur ein Traum«, beruhigte Marks ihn weiter. »Kacey geht es gut, besser als dir. Es war nur ein Alptraum!«
Und doch was es beunruhigend, dass ein einfacher Traum Riaths Kräfte derart entfesseln konnte. Was wäre wohl geschehen, hätte er diesen Traum im Vollbesitzt seiner Magie gehabt? Er hätte das Schiff mit einem Wimpernschlag zerbersten lassen können, mitten im Schlaf.
Marks schluckte und fühlte sich deutlich unwohl, er wollte endlich wieder festen Boden unter den Füßen haben. Riaths Zustand erschien ihm wie ein kurz vor dem Zerreißen stehender Faden.
Sie mussten Xaith endlich fassen, Riath mit seinem Sohn vereinen und in die Heimat zurückkehren! Um ihrer aller Wohl! Aber vor allem, um Riath und seinen Erben hinter dicken Mauern vor Melecay schützen zu können!
»Kacey«, sagte Riath tonlos im Halbschlaf, »…halt … durch… durch…«
Bedauernd starrte Marks auf ihn herab. Riaths Gesicht kippte zur Seite und zwischen seinen vollen Lippen sickerte eine schwarze Flüssigkeit hervor. Marks hatte das schon öfter gesehen. Jedes Mal, wenn der Prinz sich bis zum Äußersten verausgabte, würgte er schwarzen Schlick hervor, er verdunkelte auch zeitweise tagelang seinen Speichel. Riath hatte ihm erklärt, es wäre ein Teil vom schwarzen und ewigen Nichts, in das sein Geist eindrang, wenn seine Magie ausgeschöpft war. Ein Teil von der Schwärze würde sich immer an seine Seele heften, wie Fingerabdrücke, die ihn dort berührt hatten. Es war wohl nicht schädlich, sondern mehr wie Staub, der an den Kleidern haftete, wenn man auf den Hintern fiel. Oder wie die Kälte eines Wintertages, die einem noch anhaftete, wenn man von draußen in eine warme Stube trat.
Marks hatte keine Ahnung, was diese Ewige Schwärze war, und so genau wollte er es auch nicht wissen. Magie war ihm manchmal noch immer zu suspekt. Er respektierte sie, ohne jede Frage, und er hatte aus seinen Fehlern, die er in der Vergangenheit gemacht hatte, gelernt. Sie brauchten Magie, sie gehörte zu ihnen. Doch all ihre Geheimnisse brauchte er gar nicht zu wissen, er fürchtete sie noch immer.
Die Kabine wirkte auf einmal so still, fast gespenstisch, nachdem Riaths Atmung wieder flach ging und seine Blitze sich beruhigt hatten. Alles schien so normal, nur ein Raum mit einem schlafenden Mann. Marks kam sich unwirklich vor.
»Ist es vorbei?«
Erschrocken drehte er sich zur Tür um, wo sich im niedrigen Rahmen eine zierliche Gestalt in einem Kleid abzeichnete. Wild und ungezähmt fiel die offene Haarpracht um schmale Schultern auf ein unausgefüllte, streng gezurrtes Mieder, das schon bessere Tage gesehen hatte.
Die Druidin.
Marks blinzelte sie an, auch sie war ihm oft genug suspekt, dennoch gelang es ihm überraschend selten, den Blick von ihr zu wenden. »Er braucht einen Trank«, sagte er, »etwas, das ihn ruhigstellt. Ich möchte nicht, dass er noch einen Alptraum hat.«
Die Druidin schwieg einen Moment, ihr Blick lag auf Riath, während Marks´ Augen auf ihrem schmalen und langen Gesicht lagen, das so hart und unnahbar wirkte wie das eines Generals, oder einer ungerührten Statue.
Ihre Augen glitten zu Marks, nachdem sie Riath schweigend mit ihrem Blick durchbohrt hatte. »Wenn es denn ein Alptraum war«, gab sie zu bedenken.
Marks wollte stöhnen und sie bitten, Riaths Hirngespinste nicht auch noch zu bestärken, doch da drehte sie sich bereits um. Ihre zerfledderten Röcke raschelten auf eine Art, die ihn verrückt machte.
»Ich bin gleich zurück«, sagte sie monoton, als ob sie keine Gefühle besäße.
Marks sah ihr kurz nach, dann schüttelte er den Kopf. Er hatte andere Probleme, da brauchte er sich nicht noch mehr aufzuhalsen. Er sah hinab auf Riaths blasses Gesicht. Hinter den geschlossenen Lidern zuckten die Augen unstet hin und her. Auf seinen Lippen lag schwarzer Speichel – und ein stummes: »Kacey«.
*~*~*
Etwas schlug ihm drängend auf die Wange, wie eine panisch zuckende Fischflosse, und zog ihn raus aus dem hartnäckigen Schlick.
Als er nach und nach erwachte, glaubte sein benommener Verstand einen Augenblick, er läge zusammen mit den Fischen im Eimer. Oder – oh Schreck – was, wenn das Schicksal ihn nun fühlen ließ, wie es war, ein Fisch zu sein, den er an die Angel gelockt hatte?
Als er die Lider aufschlug und ihn vertraute zimtbraunen Augen ansahen, bekam er einen regelrechten Schock. Denn er glaubte, Jin streckte die Hand nach ihm aus, um ihn aus dem Eimer zu holen und aufzuspießen.
Als die zarten Fingerspitzen seine Wange berührten, zuckte er heftig zusammen, doch statt ihn grob zu packen, streichelten sie ihn nur zärtlich.
»Alles in Ordnung?«, fragte der Rotschopf mit einem ratlosen und besorgten Gesicht.
Ein weiteres tauchte neben ihm auf. Eri, der einen feuchten Lappen auf Xaiths Stirn drückte und aussah, als hätte er einen Geist gesehen. Schwarze und rote Strähnen hingen herab und rahmte ihr Antlitz ein, sodass Xaith schnell erkannte, dass er wohl auf dem Boden lag. Auf dem Deck des Schiffes, denn er konnte über Jin und Eri den klaren Himmel erkennen.
Nacheinander sah er sie an.
»Geht es dir gut?«, fragte Jin besorgt und zog die Hand von Xaiths Wange.
Er wollte antworten, als ihn ein Husten erfasste. Seine Lunge ging zu und er richtete sich panisch auf. Eri und Jin wichen zurück, Xaith drehte sich hicksend zur Seite. Jemand zog einen leeren Eimer unter sein Gesicht und er hustete schwarzen Schlick hervor, würgte und übergab sich.
All das dauerte nicht länger als ein paar Augenblicke. Seine Augen tränten und aus seinem Mund lief Speichel, doch es ging ihm gut. Mit dem Handrücken wischte er sich über das Gesicht und ließ sich zurück auf den Hinter fallen.
Eri und Jin knieten bei ihm, dieses Mal war es Jin, der ihm mit dem feuchten Tuch die Stirn abtupfte.
»Besser?«
Xaith nickte, schöpfte noch Atem.
»Du hast uns vielleicht erschreckt!«, schimpfte Eri. »Habe unten nur einen dumpfen Schlag gehört, dann rief Jin auch noch deinen Namen, als wärst du über Bord gegangen!« Er sah Jin an.
Dieser erklärte Xaith ratlos. »Du hast einfach die Augen verdreht und bist umgefallen, zum Glück auf diese Seite des Schiffes!«
»Wie lange habe ich da gelegen?«, fragte er.
Jin und Eri tauschten einen Blick, während Jin noch immer das Tuch gegen Xaiths Stirn hielt. Sie sahen ihn wieder an und hoben die Schultern. »Nur wenige Augenblicke.«
Xaith nahm Jin das Tuch ab und entfernte es von seiner Stirn.
Dieser ließ nur unglücklich zu, dass er seiner Fürsorge beraubt wurde, und legte die Hände auf die Schenkel, rieb sie unstet. »Warum hast du nicht gesagt, dass es dir nicht gut geht?«, fragte Jin besorgt. »Du solltest dich noch mehr ausruhen! Deine Kräfte sammeln.«
Eri pflichtete ihm mit einem eifrigen Nicken bei.
Ihre Ängste waren beinahe niedlich, doch Xaith konnte ihnen gerade nicht dankbar sein.
»Es ist nicht die Erschöpfung«, sagte er matt und rieb sich die Stirn, dahinter fühlte es sich an, als ob jemand seinen Verstand einmal durchgewalkt hätte. »Ich habe etwas gesehen.«
Sie wirkten irritiert und schwiegen ahnungslos.
Eri war es, der zuerst begriff und Xaith verwundert musterte: »Du meinst, du hast hellgesehen? Einfach so? Ich dachte, das passiert nur im Schlaf.«
Xaith hob den Blick, das Licht des Tages und die Kälte stachen wie Dolche in seine Augen und er blinzelte schmerzerfüllt. »Das dachte ich auch«, erwiderte er grimmig mit schmalen Lippen.
Wenn er eines nicht wollte, dann war es hellsehen zu können. Deshalb hatte er ja den Schlaf gemieden, deshalb hatte er einen Traumlostrank gebraut, um nicht träumen zu müssen. Aber das Schicksal konnte man wohl nicht austricksen.
Verdammt, er wollte gar nicht sehen.
Er versuchte, aufzustehen, ehe die beiden offenen Münder imstande waren, ihn mit Fragen zu löchern.
Kaum setzte er sich in Bewegung, kamen auch sie auf die Beine und griffen ungefragt nach seinen Ellenbogen, um ihm aufzuhelfen.
Xaith streckte den Arm aus und packte die Reling. Jin und Eri starrten ihn weiterhin an, so viele Fragen in den Augen, doch keiner wollte ihn bedrängen.
Dennoch, es war wieder Eri, der sich nicht lange zurückhalten konnte. »Was hast du gesehen?«, fragte er neugierig.
Befürchtend betrachtete Jin Xaiths Gesicht.
Dieser wandte sich ab und blickte nach hinten hinaus übers Wasser zum südöstlichen Horizont.
»Kacey«, antwortete er ernst. »Melecay hat ihn gefangen genommen.«
Schweigen antwortete ihm. Als er sich umdrehte, starrte Eri ihn betroffen an, Jin hatte nachdenklich die Stirn gerunzelte und forschte in Xaiths Gesicht.
»Kacey?«, meinte der Rotschopf kritisch. »Der… Bastard von Elkanasai, über dessen Schönheit sogar die Barden singen?«
Ja, den Ruf des Schönlings hatte er weg. Doch war es Eifersucht, die in Jins Stimme mitklang? War er tatsächlich zu so etwas wie Neid fähig? Xaith wäre amüsiert, wären ihm nicht andere Dinge im Kopf herumgegangen.
»Ich sah auch das Kaiserreich«, fuhr er unbeirrt fort und ließ sich ermattet gegen die Reling sinken, »es ist gefallen, Melecay reißt es an sich. Und…« Er schloss seufzend die Augen. »Ich sah eine Armee aus Barbaren und Elkanasai, genau wie in den Geschichten meiner Väter, als sie kamen, um Nohva zu befreien.« Er öffnete wieder die Augen und sah Jin an. »Doch dieses Mal werden sie kommen, um Nohva einzunehmen.«
Jin schüttelte den Kopf, auf seinem Gesicht lag das gleiche Grauen wie jenes, das Xaith im Herzen fühlte. »Wann?«
Er hob die Schultern. »Ich weiß es nicht, aber noch sind sie nicht auf dem Weg.«
»Woher willst du das wissen?«, fragte Eri alarmiert. »Wir sind seit Wochen unterwegs.«
»Ich weiß es.« Xaith drehte ihnen den Rücken zu und packte die Reling so fest, dass seine Knöchel die dünne Haut seiner Hand beinahe durchstachen. »Weil ich sah, dass ich auch in Nohva war, als die Armee anrückte.«