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Kapitel 11
ОглавлениеSie weckten ihn in der Nacht.
Oder besser gesagt, klopften sie mitten in der Nacht an die Tür, denn Wexmell war noch wach gewesen, wie jede Nacht seit einigen Wochen, und hatte die wenigen freien Stunden genutzt, um in seinen Familienarchiven zu blättern und in Erinnerungen zu schwelgen. Immer und immer saß er grübelnd über den Büchern und Stammbäumen vergangener Dynastien. Immer und immer wieder überlegte er, ob Zorrtan sich damals durch irgendetwas verraten hatte. Sie waren viele Geschwister gewesen, das stimmte, und nicht immer wussten sie, was der andere gerade tat oder dachte, dennoch hätte Wexmell seine Familie als liebevoll und nachsichtig beschrieben, sie hatten immer eng zusammengestanden. Die Wahrheit war, er und sein ältester Bruder Karic waren sich am nächsten gewesen, die besten Freunde. Und zu der Zeit, als Karic mit Derius` Schwester Verlobung hielt – und Zorrtan offensichtlich eine Liebschaft versteckte – war Wexmell zu sehr mit sich und Derius beschäftigt gewesen, als auf seine Brüder zu achten. Zorrtan war stets viel auf Reisen, gut möglich, dass er mal jemanden mitbrachte und in der Stadt versteckte.
Doch warum hatte er sich ihnen nicht anvertraut? Ihr Vater, der König, hätte Zorrtans Geliebte selbstverständlich im Palast aufgenommen und beschützt.
Doch damals war es im Palast gefährlich, vor allem für eine Hexe. Nicht wegen des Königs, sondern wegen des Volkes, Diener hätten reden können. Hatte Zorrtan gewusst, dass seine Geliebte magisch begabt war? Gewiss hatte er es gewusst. Vielleicht hatte er weder seine Geliebte noch seine Familie in Schwierigkeiten bringen wollen, deshalb hatte er sie versteckt und versucht, mit diesem Geheimnis allein klarzukommen.
Nun, es war wie es eben war. Wexmell hatte eine Nichte. Zorrtans Tochter. Es war so verrückt, dass er es kaum glauben konnte. Vor allem nicht, dass er tatsächlich mit einem seiner Söhne blutsverwandt war.
Er zweifelte nicht im Geringsten an dieser Geschichte, doch sie hatten es ihm beweisen wollen und er hatte auf das Drängen der beiden Hexen eine unbeteiligte Magiebegabte herkommen und Culinas Blut untersuchen lassen. Es gab keinen Zweifel, dass in ihr das gleiche Erbgut floss wie in ihm.
Sie war seine Nichte – und er war dem Schicksal dankbar dafür.
Doch es war so verrückt, dass er nichts von dem heimlichen Leben seines Bruders gewusst, nicht einmal etwas geahnt hatte. Er fragte sich, wie viel er von seinen Geschwistern noch nichts gewusst hatte, wie viel er übersehen hatte. Nie hatte er sie so vermisst wie in den letzten Wochen, niemals so viele Fragen an sie gehabt.
Er hörte die laute Aufregung in und außerhalb der Festung und auf den Wällen, noch bevor es an der Tür klopfte, und hob stirnrunzelnd den Kopf. Angestrengt versuchte er draußen etwas zu erkennen, doch er bemerkte nur die Fackeln der Wachen, die wie aufgescheuchte Hühner umherirrten.
Melecay. Dachte er bei sich und wusste nicht so recht, ob er wütend oder traurig darüber war.
Kurz darauf klopfte es hart gegen die Tür und Stimmen sprachen aufgebracht miteinander. Seine Leibwächterin für diese Nacht wollte die Störenfriede wohl aufhalten, doch das Klopfen gehörte eindeutig einem anderen, der sie unwirsch zur Seite geschoben hatte.
»Mein König!« Hierrafs angespannte Stimme, er wartete kein Herein ab und öffnete die Tür einen Spalt. Der General wusste, dass Wexmell um diese Zeit noch nicht schlief. Er streckte den blonden Kopf in die Gemächer, hinter ihm im Flur stand eine Schlange blasser, aber ernst dreinschauender Wachen. »Ein Drache«, berichtete der General.
Wexmell erhob sich. »Wo?«, fragte er, während er zu seinem Rüstständer ging und den Harnisch löste, um sich anzukleiden. Einer der Kammerdiener quetschte sich an Hierraf vorbei und eilte zu Wexmell, um ihm beim Ankleiden zu helfen.
»In der Wildnis unterhalb des Schläferpasses«, erklärte der General. »Er flog die Mauern entlang, brüllend und zickzack fliegend.«
Wexmell runzelte die Stirn. »Etwas muss ihn aufgebracht haben.« Er hatte die Drachen studiert, er kannte ihre Verhaltensweisen, außerdem hatte er jahrelang mit einem das Bett geteilt.
*~*~*
Wenig später lief Wexmell die Wälle mit dem General und einem Trupp Leibwächter entlang, vollgerüstet in seine elkanasaiische Rüstung aus leichtem Leder und geschwärzten Holzplatten. In einer verzierten Scheide an seiner Hüfte hing ein dünnes, leicht geschwungenes elkanasaiisches Schwert.
Der Drache brüllte wahrlich wütend, als ob jemand ihm im Schlaf die Schwanzspitze angezündet hätte. Er befand sich unterhalb des versteckten und gewundenen Pfades, der von der Festung hinab in die Wildnis führte. Derius hatte diesen Pfad als gefährlichen, aber schnellen Versorgungsweg genutzt, als die Dämonenarmee unterhalb des Berges die Wildnis besetzt und die Festung belagert hatte.
Wexmell lehnte sich zwischen den Zinnen auf die Wälle und blickte hinab. Auf dieser Seite waren die grauen Felswände mit Bäumen und Sträuchern dicht bewachsen, darunter lag ein dichter Teppich aus welken Baumkronen, die in der Nacht vom Mondlicht sanft und silbern beschienen waren. Die Blätter wirkten schwarz in der mystischen Dunkelheit – und sie raschelten wie klappernde Knochen, als der Drache hervorpreschte und wie ein abgeschossener Pfeil kerzengerade nach droben flog.
Hinter Wexmell warfen sich die Wachen samt Fackeln und Bogen erschrocken auf die Bäuche oder duckten sich hinter die Zinnen und Kisten voller Pfeile und Wurfspeere, als das riesige Tier über sie hinwegzischte. Wexmell drehte den Kopf und sah dem gewaltigen Schatten nach.
»Ausgewachsenes Tier«, stellte er fest, während der General mit tadelndem Blick zusah, wie sich seine Soldaten wieder aufrichteten. »Und es ist verängstigt.«
»An die Ballisten!«, rief Hierraf und deutete zu den Gerätschaften auf den Wachtürmen. »Drachenschützen in die Schießscharten! Und schafft mir mehr Silberpfeile heran!«
»Jawohl, General!« Eine Adjutantin salutierte und eilte dann davon.
Zu Derius` Zeiten hatte es wenige Drachen in Nohva gegeben, sie lebten überwiegend in der Wildnis, wo sie sich wohlfühlten und brüteten, hin und wieder war ein Wasserdrache an den Klippen vorbeigezogen, aber sie kamen nie nahe an die Festung heran, als ob Derius´ eine überwältigende Aura besessen hätte, die die Tiere fernhielt. Sie spürten, dass dies das Revier des Blutdrachen war, und trauten sich nicht näher. Seit Derius nicht mehr da war, häuften sich die Drachen Sichtungen jedoch, weshalb sie Vorkehrungen zur Abwehr getroffen hatten.
Wexmell beobachtete den Drachen, der im Fackelschein einen Kreis über den Hof der Festung zog, wo der Schnee den Boden in Matsch verwandelt hatte.
Es war ein schönes Tier, so riesig wie eine Burg, mit einer Flügelspannweite so breit wie der halbe Innenhof der Kaserne. Im Schein der Fackeln sah Wexmell orangebraune, matte Schuppen, der Kopf war mit kleinen Hörnern besetzt, die Lippen waren zurückgezogen und die Zähne zu einem fiesen Grinsen gebleckt.
»Feuerspeier«, erkannte Wexmell ernst, im gleichen Moment hatte er eine Entscheidung getroffen.
Der General fuhr zu ihm herum. »Seid Ihr Euch sicher?«
Wexmell nickte und ging an dem General vorbei. »Sattelt mein Pferd!«
»Was?«, bellte Hierraf und eilte ihm auf dem Fuße nach.
Wexmell ignorierte ihn und seine fassungslosen Wachen, die ihn einzuholen versuchten, und rief den Schützen zu: »Niemand schießt den Drachen an!«
»Aber…«, stammelte der General.
Wexmell drehte sich auf der Treppe zu ihm herum und brachte eine aufgebrachte Schlange wandelnder Rüstungen abrupt zum Stehen. »Wenn wir den Drachen piksen, General, wird er unsere Männer und Frauen auf den Wällen in Flammen aufgehen lassen! Noch warnt er uns nur. Irgendetwas hat ihn aufgebracht, doch das waren nicht wir. Er ist auf der Flucht und seine Verzweiflung trieb ihn zu uns.« Wexmell hob einen Finger und zeigte damit auf Hierrafs Brust. »Wenn er sich in der Falle fühlt, wird er unsere Festung in Grund und Asche verwandeln, also sorgt dafür, dass niemand schießt! Und würde bitte endlich jemand mein Pferd satteln?!« Er drehte sich nach unten zu den Wachen um, die mit offenen Mündern zu ihm aufsahen. »Das war ein Befehl!«
Erst bei seinen letzten Worten zuckten sie zusammen und einer der Männer erbarmte sich, zu den Ställen zu eilen und noch im Laufen einem Stallknecht zuzurufen, er solle des Königs Schimmel satteln.
»Was habt Ihr vor?«, fragte Hierraf, der Wexmell nach unten folgte, nachdem er seinen Schützen zugenickt und den Befehl weitergegeben hatte, nicht zu schießen. Lähmender Unglaube herrschte auf der Mauer und ging wie ein Lauffeuer umher.
»Lasst alles Licht löschen«, trug Wexmell ihm auf und nahm die Reithandschuhe entgegen, die ihm ein eifriger Kammerdiener brachte, als er auf die Tore der Scheune zuging.
Um sie herum herrschte Lärm und Hektik, Angst lag in der Luft, doch es ging geordnet zu und Wexmells Befehle wurden umgehend weitergetragen. Zögerlich und unverständlich wurden die Fackeln gelöscht, eine nach der anderen erstickte in einem Wassereimer oben auf den Wällen.
Es gab einen Windzug und die Nutztiere in der Festung gaben ängstliche Laute von sich, als der Drache mit den Flügeln schlug und an Höhe zunahm. Er war noch immer zu sehen und sein helles, verzweifeltes Brüllen laut zu hören, doch sein Schatten verschmolz beinahe vollständig mit dem Nachthimmel.
Wexmells schneeweißer Schimmel stieg auf und wieherte wild, als er an den Zügeln nach draußen geführt wurde. Wexmell hatte ihn erst seit drei Jahren, sein Name war selbstverständlich Derius, doch er besaß nicht die stahlharten Nerven seines Namensvetters.
»Schlachtet eins der jungen Schweine«, trug Wexmell einem Knecht, »schneidet ihm die Kehle auf und bindet es hinten auf mein Pferd – Und Beeilung!«
Der junge Mann riss die Augen auf und eilte davon, um Wexmells Befehl weiterzugeben. Natürlich waren sie alle verwundert darüber, was er von ihnen verlangte. Nohvarianer bewiesen gerne ihren Mut, auch im Angesicht mit einem Drachen. Sie kämpften nicht jeden aussichtslosen Kampf, wie es zum Beispiel ein Barbar getan hätte, doch sie waren pflichtbewusst und wollten sich beweisen, selbst – oder gerade, weil – ihnen die Angst in den Gliedern saß. Doch sie hinterfragten selbstredend nicht die Befehle ihres Königs, das war einer der Vorteile daran, eine Krone zu tragen. Und ja, ein wenig genoss Wexmell es, zumindest in Momenten wie diesem, wenn er genau wusste, was er da tat.
Doch sein General würde ihn natürlich nicht so einfach gehen lassen.
»Was habt Ihr vor?«, fragt er Wexmell erneut und in seinem harten Gesicht stand eine deutliche Entrüstung.
Wexmell legte seinem aufgebrachten Hengst eine Hand auf das Nasenbein und beruhigte ihn ein wenig, indem er vorsichtig näher ging, seine Zügel nahm und seinen Hals lobend klopfte, je mehr er den Kopf senkte.
»Ich werde den Drachen von hier weglocken«, antwortete er dann seinem General.
Hierraf schüttelte ernst den Kopf. »Auf keinen Fall! Ich werde einen Reiter schicken, der das Tier weglockt!«, beschloss er streng.
Wexmell ignorierte ihn und warf die Zügel über Derius` weißen Hals. Es waren vier stämmige Luzianer nötig, um das schwere Schwein zu tragen, aus dessen Kehle Blut tropfte. Sie hatten Mühe, es auf das Pferd zu legen, rote Flecken sickerten tief in das schneeweiße Fell. Wexmell beruhigte den Hengst, der das Blut witterte und zu tänzeln anfing.
»Wexmell!«, Hierraf trat auf ihn zu und machte Anstalten, ihn am Arm packen zu wollen, doch er hielt sich zurück und wirkte dann ziemlich verloren. »Ihr seid unser König«, sprach er auf Wexmell ein und breitete die Arme aus. »Seht Ihr nicht die Angst in den Augen all dieser Männer und Frauen? Was, wenn Euch etwas geschieht? Was, wenn Ihr nicht zurückkehrt? Ihr könnt nicht riskieren, dass Euch etwas passiert!«
Wexmell seufzte und legte den Arm auf den schwarzen Ledersattel seines Pferdes, als er Hierraf und die drei Leibwächter in seinem Rücken ansah. »Sagt, General, wie viele Drachen habt ihr schon erlegt?«
Hierraf starrte ihn erst ratlos an, dann wurde sein Gesicht ernst und er ließ die Schultern sinken. »Ihr werdet mir gleich verraten, wie viele Ihr erlegt habt, richtig?«
Wexmell spürte, wie sich ein Schmunzeln auf sein Gesicht stehlen wollte. »General, Ihr wisst doch, dass ich kein Angeber bin.« Er zog sich auf den Pferderücken, das Blut lockte den Drachen wieder tiefer, und der Hengst tänzelte aufgebracht.
Von oben sah Wexmell auf Hierraf herab, der sichtlich überlegte, ihn wieder aus dem Sattel zu ziehen. »Niemand hier hat je einen Drachen erlegt, General«, sagte Wexmell nachsichtig, »und ich schicke keinen unserer Reiter in den Tod! Ich habe keine Frucht, ich habe einen klaren Kopf, ich kann mich wehren und kenne die Schwachstellen der Tiere, sollte das nötig sein!«
Der General legte voller Zweifel den Kopf schief, doch Wexmell ließ ihn keine Einwände mehr einwerfen, er gab seinem Hengst einen Tritt und flog regelrecht auf Hierraf zu, der zu Seite sprang.
»Öffnet das Tor zum Pass«, rief Wexmell den Soldaten zu und sie eilten voraus.
Mit donnernden Hufen preschte sein Pferd durch die schmale Öffnung in der gewaltigen Mauer und nahm den steinigen, engen Pfad hinab in die Wildnis. Der schwungvolle Galopp drückte Wexmell in den Sattel.
Er konnte förmlich spüren, wie ihm hunderte Augenpaare entsetzt und sprachlos folgten.
Ja, er handelte leichtsinnig, vielleicht sogar rücksichtslos. Er war ein König, er musste in seiner Burg sitzen und auf seinen General vertrauen. Doch er traute keinem noch so gutem Reiter diese Aufgabe zu, das Pferd war ängstlich, da durfte nicht auch noch der Reiter selbst ängstlich sein. Was, wenn der Drache nicht weit genug von der Festung weggelockt wurde? Er würde eine neue Futterquelle entdecken, sie würden ihn doch abschießen und mehr als nur eine Mauer und ein paar dutzend Soldaten durch sein Feuer verlieren. Sie konnten sich das nicht so kurz vor einem Krieg leisten.
Wexmell dachte hingegen gar nicht daran, zu sterben. Und selbst wenn… Es gab Vorkehrungen für diesen Fall.
Es dauerte nicht lange, da hörte er den Drachen über sich brüllen und wusste, dass dieser der Witterung des Blutes folgte. Derius war nicht mehr hier, um ihn aufzuhalten, kein anderer Mann vermochte das mehr.
Ein Tier – ganz gleich welcher Gattung – konnte selten dem Instinkt zu Fressen widerstehen. Außerdem hatte Wexmell gesehen, wie mager das Tier war. Vermutlich war es auf Futtersuche nahe an das Gebirge herangekommen und irgendetwas, vermutlich ein anderer Drachenbulle, hatte es verschreckt.
Über ihm erloschen die Lichter in der Festung, bald verschluckte ihn das dichte Dach der Wildnis und er tauchte ein in die finstere Nacht unter den Baumkronen. Seine Luzianeraugen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit, doch sein Pferd konnte nicht so gut sehen wie er, und sie rasten in einer halsbrecherischen Geschwindigkeit den Pfad hinab in die unebene Wildnis. Felsen, Wurzeln, Schlingpflanzen und Sumpflöcher erwarteten sie dort unten. Er hoffte nur, dass er weit genug käme, um den Drachen von der Festung fortzuführen.
Vermutlich war es mehr Glück als Verstand zu verdanken, dass er sein Pferd unbeschadet über die Wurzeln und durch die dichten Sträucher gelenkt bekam, ohne zu stürzen. Der weiße Hengst war trittsicher und unheimlich wendig und gelenkig, deshalb hatte der Stallmeister ihn für Wexmell ausgesucht. Doch der Drache war viel schneller als sie es je sein könnten, selbst wenn keine Bäume und missgewachsene Felsen ihren Weg erschwert hätten. Ihr einziger Vorteil waren die Baumkronen, die die Sicht auf sie verdeckten.
Wexmell beugte sich dicht über den Hals des Pferdes und hielt die Zügel sehr kurz, als die Äste über ihnen ohrenbetäubend knackten.
Tiere flüchteten ängstlich aus dem Gebüsch, der Hengst riss die Augen und Nüstern weit auf.
»Komm schon, mein Junge«, flüsterte Wexmell mehr sich als seinem Pferd zu. »Wir schaffen das!«
Die Angst trieb die Beine des Hengstes schneller an. Der Drache saß ihnen im Nacken, Blätter und Geäst rieselten auf die herab.
Äste peitschten Wexmell ins Gesicht und hinterließen blutige, rote Striemen, ebenso wurden die Flanken des Pferdes mit Kratzern übersät.
Und sie galoppierten und galoppierten, immer weiter. Gehetzt blickte Wexmell nach hinten und droben, der Drache versuchte, durch die Baumkronen zu gelangen, doch dann entwischten sie ihm und er schlug wieder mit den Flügeln, um an Höhe zu gewinnen.
Die Festung lag nun weit hinter ihnen. Obwohl es auch in der Wildnis kalt war, schwitzten er und sein Pferd, bis sie fast bis auf die Knochen nass waren. Vor lauter Anspannung taten Wexmell alle Muskeln weh, doch das würde er erst später deutlich merken. Im Moment hatte er nur Augen für das Tier, das über ihnen brüllte, sodass seine Ohren schmerzten.
Er zog im vollen Galopp einen Dolch aus seinem enganliegenden Stiefelschaft und drehte sich halb nach hinten um, schob die blanke Klinge, die im Mondschein kurz aufblitzte, unter das grobe Seil und schnitt es mit Säbelbewegungen auf, bis es riss.
Der Hengst warf den Kopf hoch und wieherte protestierend, als sich das Schwein langsam von ihm löste und durch den wilden Galopp nach hinten abrutschte. Es drückte durch sein Gewicht den Hintern des Pferdes hinab.
Wexmell fluchte mit zusammengebissenen Zähnen, sein Arm schmerzte, mit dem er verzweifelt die Zügel festhielt, während er das zweite Seil durchtrenne.
Das Schwein rutschte tiefer, behinderte die Hinterläufe des Pferdes und brachte sie beinahe zum Stolpern. Wexmell riss die Augen auf, verlor den Dolch und schwankte gefährlich, als er im Sattel hin und her geworfen wurde, da der Hengst das Gleichgewicht verlor.
Gerade noch so konnte er sich an den muskulösen Hals klammern, das Tier befreite sich mit einem Bocksprung von seiner Last und preschte laut schimpfend vorwärts, während Wexmell sich wieder in den Sattel zog und mit dem linken Fuß den Steigbügel suchte.
Hinter ihnen brachen Äste aus den Bäumen und knallten laut auf den Waldboden. Ein Beben folgte, als sich der Drache wie eine Viper auf die Beute stürzte und sie mit einem kräftigen Kopfschütteln entzweiriss.
Wexmell zog die Zügel an und lehnte sich im Sattel zurück. Sein Hengst kam nur stockend zum Stehen und ließ sich nur unwillig herumdrehen. Doch es blieb ihm ohnehin nichts anderes übrig, denn vor ihnen tat sich eine schwarze Felswand in der Dunkelheit auf, gegen die Wexmell nur ungern geritten wäre.
Sie waren weitergekommen, als gedacht. Der Drache hockte mit eingeknickten Flügeln inmitten schwarzer Baumstämme und fraß hungrig an dem Schwein. Durch das Loch, das er in die Baumkronen gerissen hatte, fiel silbernes Mondlicht und beschien die Szenerie.
Wexmell und sein Pferd standen so weit entfernt, dass der Drache klein und ungefährlich wirkte. Sie schnaubten beide angestrengt. Wexmell spürte, wie ihm das Herz von Glücksgefühlen geflutet wurde, lächelnd beugte er sich über den gebogenen Hals des Pferdes und klopfte ihn lobend ab.
»Und die haben sich Sorgen um uns gemacht«, flüsterte er atemlos und fuhr sich dann mit dem Handrücken über die Stirn.
Sein Hengst tänzelte nervös, er konnte seine Begeisterung keineswegs teilen und war zutiefst empört. Vermutlich hätte er, wenn er gekonnt hätte, den Dienst sofort quittiert und sich irgendwo auf einer Ruhestandsweide niedergelassen.
Wexmell streckte den Rücken durch und atmete aus. Das war besser gelaufen, als er befürchtet hatte. Er lachte auf, über die Sorgen der anderen und über seine eigenen Sorgen, und darüber, wie unheimlich viel Glück er besaß. Er sollte versuchen, sich in eine Grube mit Schlangen zu stürzen, gewiss würden die Schlangen eine Leiter für ihn formen, damit er unbehelligt wieder hinaus klettern konnte – ohne auch nur einen Biss.
Aus einem unerfindlichen Grund wollte das Schicksal ihn nicht sterben lassen.
Nicht, dass er es darauf anlegte, er würde Derius nicht enttäuschen. Doch es hatte schon etwas Magisches, wie viel Glück er immer wieder hatte.
In diesem Moment jedoch dachte er nicht an seinen Tod, denn er hatte sich seit Ewigkeiten nicht mehr so lebendig gefühlt wie in diesem Augenblick.
Er hatte nicht geahnt, dass er unterbewusst diese Art von Aufregung vermisste. Sein Herz raste, seine Atmung ging schnell und schwer, seine Muskeln kribbelten und morgen würde ihm alles wehtun, vom Gesäß bis zu den Schultern, denn der harte Ritt war wie Hammerschläge auf seinen Gelenken gewesen. Doch das machte nichts, er fühlte sich seit Jahren unheimlich gut, wie erweckt.
»Ich bin ein närrischer Glückspilz«, flüsterte er seinem Hengst zu, der zustimmend aus den Nüstern prustete.
In diesem Moment spürte Wexmell ein Prickeln im Nacken und eine Bewegung, sein Hengst scheute.
Hinter ihnen erhob sich ein deutliches Grollen und Wexmell wandte langsam den Kopf um, während er die Luft anhielt.
Zwei riesige Schlünde bliesen ihm heißen Atem ins Gesicht und erhoben sich über ihn. Wexmell riss die Augen auf, in diesem Moment sprang sein Hengst zur Seite und warf ihn beinahe ab, doch er konnte sich noch an den Satteln klammern.
Hinter ihnen befand sich keine Felswand, sondern eine steingraue Wand aus matten Schuppen.
»Götter…«, hauchte Wexmell fassungslos, als er hinauf zu dem riesigen Maul starrte, das die Lippen hochzog und Reihen geschwärzter Zähne preisgab, die so dick wie Gliedmaßen und von einer klebrigen Flüssigkeit bedeckt waren, die auch den zähflüssigen Speichel durchdrängte, der links und rechts von Wexmell auf den waldigen Boden tropfte.
Dieser Drache wirkte gewaltiger und wohlgenährter als der andere, während er wütend auf Wexmell herabstarrte. Er war es wohl, der den anderen Drachen aufgeschreckt und in ihre Richtung getrieben hatte.
Wexmell riss die Zügel herum, sein Hengst stieg wiehernd auf, und er klammerte sich an den Sattel, dann ging es so schnell vorwärts, dass er beinahe von dem Rücken des Pferdes geschleudert wurde.
Er floh in Richtung Westen, um dem anderen Drachen nicht wieder vor die Schnauze zu rennen.
Der Drache entfaltete sich und brüllte ihnen nach, viel dunkler und kräftiger als der andere. Die Erde bebte so stark, dass Wexmells Pferd ins Straucheln geriet, als der Drache sich abstieß und abhob.
Er schwebte einen Moment hinter ihnen und sein Flügelschlag verursachte einen Wind, der die Blätter in der Wildnis zittern ließ und an Wexmells Haar riss.
Der weiße Hengst rannte nun panisch, Wexmell war nicht in der Lage, ihn zu beruhigen, dafür war das Tier zu stark seinem Fluchtinstinkt verfallen. Er konnte nicht viel tun, als sich an ihn zu klammern und wenigstens zu versuchen, ihn zu lenken, doch der Hengst bockte daraufhin nur. Wexmell versuchte, sich festzuhalten, doch sein Rücken knackste schmerzhaft und er verlor das Gleichgewicht. Nur durch Glück verfehlte der Hinterhuf seinen Kopf, als er sich rückwärts überschlug und mit dem Rücken auf den harten Boden knallte. Unter ihm zerbrach ein Ast, zumindest hoffte er das, denn ihn durchzuckte ein schmerzhaftes Stechen, das ihm den Atem stahl, als ob eine Rippe gebrochen wäre.
Offensichtlich verließ einen das Glück, sobald man eine Krone trug.
Er sah verschwommen und schüttelte den Kopf. Der Drache flog über ihn hinweg, hatte nicht mitbekommen, dass Wexmell gestürzt war, und folgte dem weißen Hengst, der auf eine mondbeschienene Lichtung zuhielt.
Blinzelnd starrte Wexmell auf das idyllische Bild, wie der schneeweiße Hengst durch das Mondlicht regelrecht leuchtete, ein blutroter Fleck auf dem breiten Hintern, während er durch braunes Gras rannte und eine Spur hinterließ, wie ein Schiff auf einem ruhigen See.
Irrwitzig, dass Wexmell in diesem Moment den Gedanken hegte, dieses Bild malen und es in der Festung aufhängen zu lassen, weil es für einen Herzschlag lang unheimlich schön aussah.
Bis sich der gewaltige Drache auf den Hengst stürzte. Ein ohrenbetäubendes Wiehern ertönte schrill in der nächtlichen Wildnis, mit allen vier Klauen warf sich der Drache auf das Pferd und biss ihm den Kopf bis zum Widerrist ab, während der Mond das blutige Schauspiel küsste.
Natur kannte keine Grenzen zwischen Schönheit und Grausamkeit. Oder war es nur der Zweibeiner, der den Tod als etwas Grausames erachtete?
Ein Riss ging durch Wexmells Herz, als er sein Pferd sterben sah. Er ließ für einen Moment den Kopf hängen und schüttelte ihn. Dann rappelte er sich auf und spürte ein Stechen in der Seite, das ihn keuchen ließ. Er suchte an Baumstämmen Halt, tastete sich vorwärts und versuchte, sich an den Schmerz zu gewöhnen.
Während der Drache sich über das Pferd hermachte, musste er ihm irgendwie entkommen.
Er schob sich mit dem Rücken hinter einen Felsen. Dieses Mal war er sicher, dass es ein Felsen war, denn er war über und über mit feuchten Pflanzen bewachsen.
Wexmell lehnte den Hinterkopf dagegen und schluckte. Oh ja, es war eindeutig eine Rippe gebrochen und stach bei jedem Atemzug, doch die Anspannung betäubte den Schmerz so weit, dass er nicht ohnmächtig wurde.
Er schöpfte Atem und spähte dann um den Felsen herum – und runzelte verwundert die Stirn.
In seinen Ohren rauschte es, doch er war sich sicher, dass er es gehört hätte, wenn der Drache abgehoben wäre. Doch die Lichtung war leer, bis auf einen Rest mondbeschienen Kadavers.
Wexmell fühlte sich schuldig, der Hengst hatte ihm vertraut, aber er hatte ihn in den Tod geführt.
Ihm blieb keine Zeit, den Verlust lange zu betrauern, denn er suchte vergebens mit den Augen die Lichtung nach dem Drachen ab. Sein Herz krampfte. Wo war das Biest nur hin?
Er hörte, wie neben ihm auf den Boden etwas Schweres in das feuchte Laub tropfte. Er versteinerte, während eine kalte Gänsehaut ihn erfasste.
Langsam bewegte er die Augen nach oben und presste die Lippen aufeinander, als der Drache den Kopf über den Felsen nach unten streckten, seine Krallen bohrten sich in das graue Gestein.
»Herzlichen Glückwunsch, du bist ein Assassine.« Wexmell zog sein Schwert.
Die schnelle Bewegung ließ den Drachen zuschnappen. Gewandt drehte Wexmell sich zur Seite, schwang seine leichte Klinge über den Kopf und führte sie nach unten, als der gewaltige Kiefer neben ihm zuklappte. Blut spitzte ihm ins Gesicht und überraschte ihn selbst. Er hatte den Drachen hinter dem Kiefer getroffen, wo die ledrige Haut von schwachen Schuppen geschützt war.
Das Biest brüllte auf und hob den Kopf, die Augen geschlossen und blind vor Schmerz, Überraschung und Zorn.
Wexmell rollte sich ab, er spürte die Rippe seltsamerweise in diesem Moment gar nicht und dachte auch nicht daran. Doch als er wieder hochkam, taumelte er. Er schob das Schwert mit einer schnellen Drehung zurück in die Scheide und nahm die Beine in die Hand.
Plötzlich wusste er, wie sich sein Pferd gefühlt hatte.
Der Drache schüttelte den Kopf, Speichel troff zwischen seinen Zähnen hervor, dann straffte er sich und hob wieder ab.
Wexmell hechtete über kniehohe Wurzeln, seine Rippe meldete sich wieder mit einem pochenden Schmerz. Er keuchte und strauchelte zwischen zwei riesige Baumstämme und warf sich flüchtig in die verstrickten Lianen. Doch der Drache schien ihn zu wittern oder sein Gekeuche zu hören, denn er blieb über ihm und zog suchend Kreise über den Baumkronen, sodass seine Flügel wieder die Blätter zum Erzittern brachten, verwelktes Laub rieselte hinab wie Schnee.
Wexmell schluckte, nahm seine letzte Kraft zusammen und stieß sich wieder ab, um zu rennen, als der Drache gerade am weitesten von ihm entfernt war.
Es gelang ihm tatsächlich, ein paar Momente unbemerkt aus dem Suchkreis des Tieres zu entkommen.
Beflügelt davon rannte er, bis ihm die Beine brannten, und rannte immer weiter. Er hob einen Arm zum Schutz vor das Gesicht und warf sich im vollen Lauf durch die dichten Gestrüppe. Bis er sich plötzlich auf einer weiteren Lichtung befand, umgeben von einer weiten Fläche offenen, braunen Grases. Er erinnerte sich, wie das für seinen Hengst ausgegangen war und drehte auf der Ferse um, um die wenigen Schritte zurück in den Wald zu rennen.
Da sah er schon den Schatten und ihm blieb das Herz stehen.
Wexmell warf sich herum, stolperte und rappelte sich wieder auf. Der Drache entdeckte ihn, seine Flügelschläge verursachten einen Windstoß, der Wexmell zum Taumeln brachte.
Atemlos steuerte er nach rechts in den Wald, es waren nur wenige Schritte, doch sie kamen ihm, mit dem Drachen so dicht im Nacken, so vor, als lägen ganze Länder zwischen ihm und den schützenden Bäumen.
Da… gleich da vorne… komm schon, Wexmell… komm schon…
Der Schatten empfing ihn schon, als der Windstoß ihn erfasste und vornüberkippen ließ. Wieder überschlug er sich und seine schmerzende Rippe raubte ihm einen Moment das Bewusstsein.
Er purzelte durch das Gras, der Kiefer des Drachen schnappte über ihm hart zusammen und wieder einmal hatte er mehr Glück als Verstand gehabt, dem Biss zu entkommen. Doch als der Drache – ebenso überrascht – über ihn hinwegzischte, verfing sich sein Gürtel in einer Kralle und riss ihn mit.
Wexmell konnte nicht anders, als zu schreien, während er über den Boden geschliffen wurde. Er fraß beinahe Erde, bis der Drache mit einem starken Ruck Schwung nahm und in die Luft hob.
Wexmell hätte noch mehr geschrien, hätte er nicht erst den Dreck ausspucken müssen.
Und dann sah er, wie sich die Kronen der Wildnis und die vielen Löcher der Lichtungen, die wie braune Seen den dichten Wald unterbrachen, immer weiter entfernten, und er mit den Füßen frei in der Luft baumelte.
Wie sehr er es hasste, irgendwo haltlos in eine tödliche Tiefe zu starren! Zuletzt war ihm das in Zadest geschehen und auch da hatte er bereits mit seinem Leben abgeschlossen, wenn Derius` ihn nicht direkt angesehen und aufgefordert hätte, sich gefälligst etwas anzustrengen.
Die Worte und Derius´ Blick waren ihm so deutlich in Erinnerung, dass sie auch in diesem Moment seinen Lebenswillen entfachten.
Wexmell riss den Blick von der Tiefe los und blickte nach oben. Er hing am rechten Vorderbein an einer gebogenen Kralle, sein Waffengürtel riss langsam. Der Wind zerrte an seinem Haar und rauschte in seinen Ohren. Er musste Schmerz und Höhe ignorieren, was ihm nicht leichtfiel.
Einen Dolch hatte er bereits verloren, aber ihm steckte noch eine kurze, gebogene Klinge hinten im Nacken. Er zog den Dolch und sah sich das Tier von unten an. Die matten Schuppen überlappten sich und lagen dicht aufeinander, sie boten keinen natürlichen Halt, der Bauch war beinahe weich und ungeschützt, die Hinterbeine waren nach hinten gelehnt, der Schwanz hing leicht herab und bewegte sich je nach Flugrichtung, wie ein Steuerruder.
»Das ist Wahnsinn«, sagte er keuchend zu sich selbst, riss sein Schwert aus der Scheide und nahm es in die andere Hand, dann durchschnitt der seinen Gürtel und fiel sofort wie ein Stein herab.
Der Drache zog schnell genug über ihn hinweg, dass er mit dem gebogenen Dolch die Schwanzspitze gerade noch so erreichte, bevor er in den Tod stürzte.
Der Drache wurde ein Stück nach unten gezogen, als Wexmell sich an ihn hing, und brüllte auf. Wexmell wurde herumgeschleudert, als der Drache mit dem Schwanz schlug. Er sah nichts, weder oben noch unten, spürte nur wie die Kräfte auf sich wirkten und wie er plötzlich mit dem Gesicht gegen etwas Hartes krachte. Der Schwanz! Er umklammerte ihn sofort mit Armen und Beinen, wobei er den Dolch nicht los lies, der noch zwischen zwei Schuppen steckte. Es war keiner seiner glorreichsten Momente, aber immerhin lebte er noch!
Der Drache kreischte frustriert und versuchte, ihn abzuschütteln, dabei flog er tiefer.
»Oh Götter… Götter… verdammt... Scheiße…«, Wexmell fluchte so viel, wie in seinem ganzen Leben nicht, als die Wildnis mit ihren vielen Baumkronen, überwucherten Bergen und Tümpeln unter ihm vorbeizog, und der Drache enge Felsspalten durchpflügte, wie ein junger Vogel, während er sich an dessen kräftigen Schwanz klammerte. Der Wind riss an ihm, eine unsichtbare Kraft schien ihn in die Tiefe schleudern zu wollen, als wüsste die Natur, dass er nicht in den Himmel und schon gar nicht auf einen Drachen gehörte.
Plötzlich ging es steil bergab. Wexmell entkam ein Brüllen, als er sie unversehens senkrecht eine Schlucht hinabstürzen sah. Er verlor den Halt, purzelte über den Rücken des Drachen und schlug blind mit dem Dolch zu, den er eisern umklammerte, bis die Klinge sich verkeilte und sein Fall in dem Moment gestoppt wurde, als der Drache sich abfing und dicht über einem staubigen Gesteinsboden durch die Schlucht segelte. Wexmell kam hart hinter dem langen Hals zwischen den Schultern auf und rutschte beinahe seitlich herab, doch der Dolch saß fest und hielt ihn.
So weit, so gut. Er war zumindest nicht mehr unter, sondern auf dem Drachen. Ob es das besser machte, wagte er jedoch zu bezweifeln. Jetzt bloß nicht in Panik geraten! Doch das war nicht so leicht durchzuhalten, denn sein Herz zersprang fast, als er sich bewusstwurde, wie schnell sie durch die Luft flogen und der Drache auch schon wieder mit einem halsbrecherischen Manöver an Höhe gewann.
»Oh Götter…«, fluchte Wexmell wieder, der wie eine Fahne auf dem Rücken des Drachen flatterte, als dieser schwungvoll aufstieg.
Die Schlucht wurde unter ihnen kleiner und kleiner, die Luft eisiger. Wexmells Augen tränten und die Tränen gefroren auf seinem Gesicht, das vor Kälte gelähmt war, genauso wie seine steifen Finger, mit denen er verzweifelt den Dolch festhielt. Manchmal wünschte er, er könnte selbst zaubern, dann wären Situation wie diese nicht so ausweglos.
Er gab sich einen Ruck und drehten sich um, stemmte die Sohlen seiner leichten Stiefel gegen die Schuppen des Drachen und fand erstaunlich starken Halt. Mit der freibaumelden Hand umklammerte er noch immer sein Schwert, doch das wurde ihm selbst erst bewusst, als er den Arm hob.
Er rammte die Spitze der Klinge in die Schuppen. Natürlich kam der einfache Stahl nicht bis zur Haut durch und der Drache spürte es kaum. Aber Wexmell nutzte Dolch und Schwester, um an der Schulter des Tieres noch weiter hinaufzugelangen.
Da drehte der Drache den Körper im Flug, sodass Wexmell sich fast kopfüber befand und über den Rücken rutschte. Seine Waffen steckten so fest, dass sie einen Absturz verhinderten.
»Heilige…Sch…«, hauchte er erschrocken und blickte kurz nach unten. Die Wildnis lag so tief, dass nichts mehr von ihm übrig wäre, würde er fallen. Nur ein rostbrauner Fleck und ein paar Knochensplitter.
Bloß nicht daran denken!
Er biss die Zähne zusammen und angelte sich wieder hinauf. Der Drache musste ihn spüren, denn er versuchte, ihn abzuwerfen, indem er sich im Flug hin und her drehte.
Das größte Problem war jedoch, dass Wexmell eigentlich gar nicht so genau wusste, was er da tat. Er ahnte nur, dass er den Drachen irgendwie tiefer bringen musste, sonst würde es wahrlich übel für ihn enden. Doch wie?
Er nutzte Dolch und Schwert, um Halt auf dem Drachen zu finden, und schlug sie abwechselnd in die Schuppen wie Spitzhacken in eine Felswand, um sich nach vorne zu ziehen.
Der Hals des Tieres war schmäler und deutlich beweglicher als der Widerrist. Wexmell atmete tief durch, dann angelte er sich weiter nach vorne.
Der Drache riss wie erwartet den Kopf hoch, Wexmell verlor den Halt und seine Beine rutschten ab.
Ein Brüllen ertönte, und da Wexmell so nahe am Kopf war, barste beinahe sein Gehör, auch er brüllte, konnte sich aber nicht die Ohren zuhalten, weil er sich mit letzter Kraft an seinen Waffen festklammerte.
Hatte er sich in seinem Sessel zuhause nicht lebendig genug gefühlt? Auf einem Drachen zu reiten war eindeutig nicht die Art von Aufregung, die er sich für diese Nacht gewünscht hätte.
Aber er beschwerte sich nicht, stattdessen zog er sich mit zusammengebissenen Zähnen wieder hoch und stemmte die Füße gegen den Hals des Tieres.
Drei »Schritte« weiter waren die Schuppen so dünn, dass die Klingen auf Haut trafen und der Drache schmerzerfüllt kreischte. Wexmell drehte den Dolch und löste eine Schuppe, unter der rosafarbene Haut hervorschimmerte.
Der Drache schüttelte den Kopf und Hals, sodass Wexmell gegen ihn geschleudert wurde und sich panisch festklammerte, bis seine Knöchel knackten und schmerzten.
Dann ging es wieder steil hinab. Wexmell glaubte, ohnmächtig zu werden, als er die Baumkronen auf sie zurasen sah. Er hatte das Gefühl eines freien Falls und glaubte, sein Herz würde stehen bleiben, als sie durch die dichten Blätter und Äste brachten. Es war, wie geprügelt zu werden, der Baum schlug ihm ins Gesicht und in die Seiten, seine Äste waren hart wie Knüppel. Wexmell drehte das Gesicht an den Hals des Drachen und schloss die Augen, aber seine Lippe war bereits aufgeplatzt, er schmeckte Blut und seine Zähne fühlten sich locker an.
Die Bäume krachten und knackten, als der Drache durch die Wildnis pflügte und mit aller Macht versuchte, Wexmell abzustreifen.
Nun, immerhin waren sie nun näher am Boden. Wexmell öffnete die Lider und suchte nach einer günstigen Gelegenheit, sich auf einen Ast fallen zu lassen. Er wollte bloß runter von diesem Tier.
Doch sie waren zu schnell und er befürchtete, dass es nicht so einfach werden würde, sich abzustoßen. Er sah die herabfallenden Äste und umstürzenden Bäume, die ihn unter sich zermalmt hätten.
Er überlegte noch mit dem Blick nach unten, ob er es dennoch wagen sollte, als er plötzlich einen heftigen Ruck spürte, der ihn nach hinten riss. Wieder verloren seine Füße den Halt, sodass er wieder in der Luft baumelte.
Er blickte nach unten, wo im Mondlicht Blätter hinabsegelten. Es war tief, er könnte sich mehr als eine Rippe brechen.
Dann sah er auf. Der Drache hatte sich senkrecht an eine Bergwand gehängt und die Krallen in die Schlingpflanzen gegraben. Er schüttelte den Hals und versuchte, Wexmell abwerfen. Das Schleudern rüttelte Wexmells Leib kräftig durch, ihm schwindelte, doch er hielt sich tapfer fest.
Als der Drache bemerkte, dass sein lästiger Passagier noch immer an ihm baumelte, löste er die Vorderklaue aus dem Felsen und kratzte sich.
Wexmell riss die Beine hoch, doch er war nicht schnell genug, das Tier bekam ihn zu fassen und zupfte ihn von seinem Hals, als wäre er ein lästiger Blutsauger.
Derius hätte darüber gelacht, dachte Wexmell und fauchte gleichzeitig mit gebleckten Fängen, als sich die Klauen um ihn herum zudrückten. Sie quetschten ihn und rissen Fleischwunden in seine Seiten, die höllisch brannten.
Knurrend wandte der Drache den Kopf, Speichel troff aus seinem Maul, und seine geschlitzten, roten Augen funkelten wütend. Wexmell knurrte ebenfalls, während er sich mit den Waffen in den Händen zwischen den Klauen hin und her drehte. Nur am Rande bemerkte er den abgebrochenen Pfeil oberhalb der großen Nüstern des Tieres, der tief in das Gesicht eingedrungen und eine nässende Wunde verursacht hatte.
Ihm blieb keine Zeit, sich über den Pfeil Gedanken zu machen, denn der Drache schnappte zu. Wexmell holte gleichzeitig aus und rammte den gebogenen Dolch in das Zahnfleisch des Drachen.
Die Klauen lösten sich, der Kopf ruckte heftig zurück und ein Schrei ertönte, der Wexmells Ohren endgültig zum Klingen brachten. Er fiel plötzlich, der Dolch blieb zwischen den Zähnen des Drachen stecken, während dieser den Hals zurückbog und einen Laut ausstieß, der wie das Greinen eines Kindes klang. Beinahe herzzerreißend.
Geistesgegenwärtig packte Wexmell sein Schwert mit beiden Händen und stach zu. Die Spitze seiner Klinge schnitt in die weiche Unterseite des Halses und bohrte sich immer tiefer, je weiter er fiel. Blut trat wie ein Wasserfall aus der Wunde und bedeckte Wexmell vollständig, als er hinunterfiel und dabei den qualvoll schreienden Drachen bis zum Herz aufschlitzte. Sie fielen zusammen.
Wexmell schlug auf einen Ast, der seinen Fall bremste, wirbelte durch die Luft und schaffte es mehr schlecht als recht, sie noch abzurollen. Der Waldboden war weich und das viele Moos federte seinen Aufprall, doch die Rippe sandte wieder einen blendenden Schmerz durch seinen Leib, sodass er zusammenzuckte und sich überschlug.
Der Drache brach einige Äste auf seinem Fall nach unten. Wexmell formte sich zu einer Kugel und hielt sich den Kopf, dabei wusste er, dass seine Arme ihn nicht schützen würden.
Neben ihm schlugen die schweren Äste auf den Boden, Laub raschelte, dann schlug auch der Drache auf und brachte zum letzten Mal die Erde zum Beben.
Wexmell wagte nicht, zu atmen, als es plötzlich gespenstisch still war. Vorsichtig senkte er die Arme und hob den Kopf. Er blinzelte nach droben, wo ein Loch in den Baumkronen den Nachthimmel zeigte. Dann starrte er auf den Drachen, der seinen letzten qualvollen Atemzug tat. Er lag nur einen Fingerbreit neben ihm, hätte ihn eigentlich unter sich begraben müssen.
»Ha«, stieß er trocken aus, konnte es überhaupt nicht fassen.
Er und die Wunde des Drachen dampften durch das warme Blut, Nebel bildete sich um ihn herum.
Schwankend stand er auf, irgendwo im Laub lag sein Schwert, er blickte kurz um sich, doch dann spürte er seine weichen Knie und das angespannte Zittern in seinen Gliedmaßen, sein Herz wollte sich nur widerwillig beruhigen.
Wieder stieß er einen unartikulierten Laut aus, drehte sich um sich selbst und spürte unter den herannahenden Schmerzen ein Lachen in der Brust. Drei Schritte ging er von dem Kadaver weg, dann krachte er auf die Knie und ließ sich rückwärts ins Laub fallen, sich die Rippe haltend.
Keine Ahnung, wie er zurückkommen sollte, ohne dass das Blut an ihm mehr Raubtiere anlocken würde, doch im Moment konnte er sich weder bewegen noch denken.
Atmen, sagte er sich, einfach atmen, Wexmell. Und das tat er, schloss die Augen und fuhr sich mit einer Hand durch das blutbeschmierte Gesicht.
Er lebte noch?
Es fühlte sich so an, doch es war unmöglich. Er war beinahe sicher, dass gleich Derius` tadelndes Gesicht über ihm auftauchen würde. Gewiss war er gestürzt und zersprungen wie eine reife Tomate, die vom Strang fiel. Gleich würde er erkennen, dass er in der Nachwelt war.
Seine Ohren klingelten noch immer, sodass er nichts hörte. Als er dann einen Schatten bemerkte, der das Mondlicht verdeckte und über ihn fiel, glaubte er wirklich, er sei gestorben.
Blinzelnd öffnete er die Augen, sah einen Moment noch verschwommen. »Derius?«
Es war nicht Derius, es war nicht einmal ein Zweibeiner. Wexmell rieb sich die Augen, als er angepustet wurde, weiche Nüstern stupsten fragend sein Gesicht an.
»Wanderer?«, fragte er verwundert und stützte sich auf die Ellenbogen, um den schwarzen Hengst anzusehen, der über ihm stand. Doch es konnte nicht Derius´ Hengst sein, er war in Zadest nach dem Tod seines Herrn andere Wege gegangen.
Und Wexmell erkannte sofort, dass dieses Tier zwar fast genauso aussah wie der Hengst seines Geliebten, dennoch ein paar Abweichungen in Form und Größe aufwies. Er kannte das mystische Tier.
»Lugrain«, flüsterte Wexmell verwundert und strich Bellzazars Pferd unter die struppige Mähne.
Auffordernd stupste der schwarze Hengst ihn an und ging neben ihm mit den Vorderbeinen runter.
Wexmell rappelte sich auf, tastete nach seinem Schwert, dessen Klinge im Mondschein neben ihm durch das Laub schimmerte, und zog sich dann ohne weitere Fragen dankbar auf den breiten Pferderücken, wo er sich an der Mähne festhielt.
Als er den Hengst umlenkte, sah er sich drei Gestalten gegenüber, die ihn, das Pferd und dann den Drachen fassungslos anstarrte. Ebenso ungläubig starrte Wexmell die drei Elkanasai an, die einer nach dem anderen deutlich mitgenommen und am Ende ihrer Kräfte aussahen, als ob auch sie auf dem Drachen geritten wären. Einer, der Größte, trug eine schmutzige und kaum erkennbare, dunkle Rüstung, der andere eine zerrissene und schmutzige Toga, der letzte ein knappes Bedienstetengewand. Sie waren durchgefroren, ihre Gesichter schwarz, und nur lumpige Umhänge schützten sie vor der Kälte.
»Na das war ja abenteuerlich«, sagte Drachentöter Liz und hob langsam einen Bogen. »Üblicherweise tötet man Drachen mit Pfeil und Bogen vom Boden aus, das ist wesentlich ungefährlicher.«
»Lizard?« Wexmell runzelte die Stirn und starrte sie nacheinander unverständlich an. »Ashen?«