Читать книгу Geliebtes Gestern - Billy Remie - Страница 15
Kapitel 10
ОглавлениеAm Fuße der Ausläufer des schneebedeckten Nachtgipfelgebirges – eine kleine Gebirgskette zwischen Elkanasai und Carapuhr, nahe der Grenze – lag der rustikale Gasthof Zum nächtlichen Gunnar unter einer dicken Schicht Neuschnee hinter einer vereisten Gesteinsbrücke, verborgen in einer Gruppe immergrüner Fichten.
Für den rauen Norden wirkte dieser Ort von weitem beinahe märchenhaft. Wäre das Gesehene nur ein Bild, könnte man es vielleicht sogar genießen, doch die Winterkälte biss ihnen in die Hintern. Und alles, was sie wollten, waren ein paar Stunden in der warmen Gaststube bei einem Becher Met.
Desith und Vynsu gaben die Zügel ihrer Hengste Kiesel und Hekkilston an Jori und Rurik, die sie gemeinsam mit ihren jungen und kräftigen Falben hinüber zu den Ställen führten, wo sie sie abreiben, in dicke Decken wickeln, füttern und tränken würden.
Desith steuerte die im schneebedeckten Hof gegenüberliegende Tür des Gasthofes an, über der ein schweres Schild im eisigen Wind hin und her schwankte. Darauf war ein schäumender Metkrug zu sehen, für all jene, die des Lesens nicht mächtig waren.
Jemand hatte einen Weg durch den kniehohen Schnee geschippt, doch der Neuschnee hatte ihn wieder bis zu den Fußknöcheln aufgeschichtet. Frost und weiße Klumpen hingen an den fellbesetzten Stiefeln, die Desith und Vynsu trugen.
Mit roten Nasen und Wangen, die von der Kälte schlimm verbrannt waren, betraten sie die Gaststube. Es war nur eine von vielen, die sie auf ihrem rasanten Ritt durch halb Carapuhr besuchten, weder war sie die schönste, die sie gesehen hatten, noch die schlechteste Kaschemme, hier sah es zumindest sauber aus und die Gäste schienen überwiegend aus Händlern und deren Eskorten zu bestehen. Annehmbare Männer und Frauen in ansehnlichen Kettenhemden und gekämmten Pelzmänteln, keine abgehalfterten Halsabschneider und Tunichtgute. Desith hatte genug davon, dass andere ihn aufgrund seiner Größe falsch einschätzten und er ihnen eine Lektion erteilen musste, weil sie ihm keine andere Wahl ließen.
Seit Wochen waren sie unterwegs, er war müde, und obwohl der Winter milder wurde, je näher sie der Grenze kamen, setzte ihm die Kälte zu. In Gren war es wenigstens nicht feucht gewesen, doch hier im Gebirge kurz vor dem Kaiserreich war der Schnee zwar flächendeckend und dick, doch er schmolz durch die mildere Luft, die aus Elkanasai gen Norden blies.
Desith und Vynsu reisten unauffällig, nur das Nötigste und ihre zwei Freunde begleiteten sie, keine Karren, keine auffällige Kleidung, keine Kronen, keine Wappentiere. Und da nicht jeder einzelne Barbar ihr Gesicht kannte, war es nicht sonderlich ungewöhnlich, dass sie nicht erkannt wurden. Das war ihnen auch lieber.
Die Tische in der Stube waren nur zum Teil besetzt. Ein bulliger, blonder Wirt trug riesige Krüge und Platten mit Essen umher, zwei junge Damen halfen ihm dabei, sie waren eindeutig seine Töchter, denn sie trugen seine Haarfarbe und sein Schweinsgesicht. An einem Tisch saßen sich zwei dunkelhaarige Männer gegenüber, einer hager, einer stämmig und offensichtlich betrunken, sie quasselten ohne Ende. An den anderen Tischen verteilt saßen überwiegend schweigsame und erschöpfte Krieger und Kriegerinnen, die einen Becher Met vor sich hatten, dösten oder sich leise mit ihren Kameraden unterhielten. Söldner, angeheuert von den Händlern, denen die beiden vollbeladenen Wagen im Hof gehören mussten.
Als Desith und Vyn gemeinsam mit einem Hauch Schnee und feuchter Kälte hereintraten, warf man ihnen nur kurze Blicke zu, der Wirt begrüßte sie freundlich und winkte sie herein, ansonsten blieben sie unbehelligt.
Sie suchten sich einen Tisch mit vier Stühlen nahe des prasselnden Feuers. Desith zog die Handschuhe aus und legte sie auf den Tisch, er stank nach Pferd und Leder, doch das bemerkte er schon gar nicht mehr, genauso wenig wie Vynsu.
Eine Schankmagd kam heran und stemmte die Hand in ihre Hüfte, die sie einladend einknickte. Trotz Ferkelnase und Überbiss war sie hübsch anzusehen, ihr blondes Haar voll und lang bis zu ihrem üppigen Po, der trotz ihres weiten Wollkleides gut zur Geltung kam, ihr Busen war wohl auch nicht zu verachten. Sie ignorierte Desith sofort, warf ihre Mähne zurück und fragte Vynsu mit einem rauchigen Singsang, was sie ihm Gutes tun könnte.
Es war nicht das erste Mal, dass Vynsu eine eindeutige Einladung zwischen die Schenkel der Frauen erhielt, in Gren wusste man bereits, dass Desith jeden kalt machen würde, der es wagte, seinen Barbaren anzurühren, doch hier kannte man ihn nicht, ahnte nicht, wer er war. Vynsu war schön, er war groß und kraftstrotzend, seine Augen- und Haarfarbe faszinierten, sein Äußeres gepflegt und sein Mund göttlich. Er war wie der Alphabulle auf der Herde, zudem die Kühe in Scharen hin trotteten. Der majestätischste Hengst im Stall. Der perfekte Barbar, dessen Lenden man nur zu gerne plündern würde, um ideale Nachkommen zu zeugen. Oder einfach um hinten im Lagerraum zwischen Kisten voller Äpfel und Tonkrügen mit eingelegtem Fleisch mal ordentlich durchgeknallt zu werden. Denn ja, genauso sah Vynsu aus, und verdammt noch mal genau dazu war er fähig, wenn man es ihm zu knurrte. Doch er war wesentlich zahmer, als die junge Barbarin es sich gerade vermutlich vorstellte, dachte Desith und grinste in sich hinein.
Wie bei allen Avancen, bekam Vynsu es gar nicht mit, er hatte nur Augen für seine Umgebung oder für Desith, wenn sie in Sicherheit waren. Ohne das Mädchen anzusehen, bestellte er einen Krug Met und vier Becher, dazu eine Platte Fleisch, falls noch etwas da wäre.
»Es gibt auch frisches Brot, es kam gerade aus dem Ofen und ist noch warm«, erzählte sie hoffend, dass er sie beachten möge, »ich habe es selbst gebacken.«
»Davon auch einen Leib«, bestellte er, ohne groß darauf einzugehen.
Desith schmiss einen Beutel mit Silberstücken auf den Tisch. »Und zwar eilig, wir sind seit dem frühen Morgengrauen geritten und leiden Hunger.«
Sie blinzelte ihn an, dann blickte sie auf den prallen Beutel. Den Wink verstand sie und eilte mit einem überausfreundlichen Lächeln davon. Er würde ihr reichlich Trinkgeld geben, denn sie war ein kluges Mädchen und zog die Silberstücke und Desiths Gunst allemal einem wilden Ritt auf seinem Barbaren vor.
Nicht, dass sie wirklich eine Chance gehabt hätte.
Vynsu musterte Desiths schmales Gesicht mit seinen braunen Augen, in denen sich das Feuer des Kamins spiegelte. »Geht es dir gut?«
»Frag das nicht ständig.« Nein, es ging ihm nicht gut, aber er wollte nicht darüber reden. Sie hatten Lexi und die Kinder bei Vynsus Mutter gelassen, um wieder einmal nach Elkanasai zu reisen.
Abgesehen davon, dass er das Land hasste wie die Pest, wurde ihm noch immer übel bei dem Gedanken, dass er bald seinen toten Vater sehen würde. Nach all den Wochen würde Eagle einbalsamiert sein, doch auch dieses Vorgehen würde ihn bestimmt nicht lebendig aussehen lassen.
Dennoch musste Desith ihn sehen. Er… musste einfach.
Vynsu war klug genug, nichts mehr dazu zu sagen, doch er verzog mitfühlend den Mund und streckte den Arm aus, um Desiths Hand zu ergreifen. Er sagte nichts, blickte in eine andere Richtung, aber sein Daumen strich über Desiths Handrücken.
Bis die Magd mit dem Met und den Bechern zu ihrem Tisch kam, ließ Desith die Berührung zu. Er wartete absichtlich, bis sie es sah, bevor er seine Hand unter Vynsus herauszog.
Das junge Mädchen war selbstredend nicht schockiert, ihr Ausdruck veränderte sich lediglich zu einem hellen Erleuchten, gefolgt von einem entschuldigenden Lächeln an Desith.
Er nahm es ihr nicht übel, wären ihre Rollen vertauscht, er hätte nicht anders gehandelt. Wichtig war nur, wie sie mit der Wahrheit umging. Zumindest würde sie ihnen nicht ins Essen spucken.
Vynsu verteilte die Becher und goss ihnen ein, Rurik und Jori brauchten noch eine Weile. Barbaren und ihre Pferde… das war eine besondere Beziehung.
Desith hatte seine Reitkünste auf dem bisherigen Ritt verbessern können, was jedoch vor allem an Kiesel lag. Der Hengst war trittsicher, klug und unheimlich ruhig. Er scheute nicht bei wilden Raubtieren, noch ließ er sich von den anderen Hengsten provozieren. Er ergänzte Desiths Wesens und verzieh ihm viele ungeduldige Fehler. Vynsu hatte ein Händchen dafür, das passende Pferd zum Reiter auszusuchen, und seine Ausbildung hatte natürlich auch ihren wesentlichen Teil beigetragen.
Trotzdem tat Desith nach den langen Tagen im Sattel der Hintern weh. Sie waren von Gasthof zu Gasthof geritten, weil es zu kalt war, um draußen zu schlafen. Sie ritten noch vor dem Morgengrauen los, wenn es noch dunkel war, und ritten so lange, bis es wieder dunkel wurde. Die Pferde waren müde, sie selbst waren müde und auch erkältet. Doch Desith hielt es nie länger als ein paar Stunden aus, in einem Bett zu liegen und zu schlafen.
Er fühlte sich durch den vielen Schlafmangel immer mehr wie betrunken.
Schweigend saßen sie am Tisch und nippten an ihrem warmen Met, während sie auf das Essen und ihre Begleiter warteten. Desith liebte das an Vynsu, dass er für ihn da war, ohne sich wie andere aufzuspielen, indem er eben einfach… anwesend war. Er ließ Desith entscheiden, inwieweit und auf welche Weise er ihn brauchte.
Sein Babar starrte hinüber zum Feuer, langsam tauten sie auf. Einer der Söldner holte eine Flöte hervor und begann zu spielen, eine Frau begann unaufdringlich zu singen. Der Met lockerte die Gemüter, das Feuer taute die Stimmung auf.
Desith sah sich im Raum schweigend um, drehte dabei seinen Becher mit den langen Fingern auf dem Tisch im Kreis, als wollte er eine Runde Kerbe setzen. »Fick mich heute Nacht«, sagte er trocken und ohne Umschweife.
Vynsu verschluckte sich beinahe an seinem Met, überrascht sah er ihn an und öffnete den Mund, aber es kam nichts heraus, so überrumpelt war er.
Es sollte nicht überraschen, dass Desith mit ihm schlafen wollte, doch seit er vom Tod seines Vaters erfahren hatte, war er von Hass und Rachedurst zu zerfressen gewesen – und Vyn zu rücksichtsvoll – um auch nur daran zu denken. Gewiss hatte sein Barbar jeden Augenblick darauf gehofft.
»Ich will, dass du mich heute besteigst.« Desith drehte das Gesicht zu Vynsu um und begegnete scheinbar ungerührt seinem verdutzten Blick, obwohl allein bei dem Gedanken daran seine Lenden angenehm prickelten. »Ich will, dass jeder deiner Stöße mir einen kleinen Blitzschlag versetzt, bis ich erschöpft, verschwitzt und mit einer pochenden Wunde ins Kissen fallen, damit ich so tief schlafe wie seit Wochen nicht mehr. Schaffst du das?«
Lust machte die Augen seines Gegenübers dunkel. Mit einem kühlen Grinsen nahm er einen Schluck aus seinem Becher, obwohl er nun keinen Met mehr brauchte, um sich berauscht zu fühlen.
Vynsu sagte nichts, aber seine Überraschung wandelte sich in Begierde, und als er Desith kurz musterte, wussten sie beide, wie diese Nacht enden würde.
»Das wird uns aufwärmen«, meinte Vynsu regelrecht verführerisch.
Sie lächelten sich verschwörerisch wie zwei Diebe an, die einen genialen Plan ausgeheckt hatten.
Immerhin konnten sie auch gar nichts Besseres tun, die wenigen Stunden an Rast, die sie sich erlaubten, konnte Desith nur abwarten. Die Zeit würde mit Vynsu im Bett deutlich schneller vergehen, vielleicht sogar zu schnell. Es war ihm nur recht, denn es fühlte sich so an, als ob er in Treibsand watete und nicht vorankäme.
Er zog seinen Becher unter seine Nase und konnte es kaum erwarten, mit Vynsu zu verschwinden. Bis dorthin übten sie sich in Geduld, obwohl ihre Augen immer wieder zueinander wanderten und sie beide schelmisch grinsten wie die Lausbuben.
Nun ja, sie waren eben frisch vermählt und ihre Leidenschaft konnte trotz aller Schicksalsschläge nicht erlöschen. Sie war im Moment das Einzige, das Desith davor bewahrte, verrückt vor Rachedurst zu werden. Er musste einen kühlen Kopf bewahren, Vynsu half ihm dabei auf jede erdenkliche Weise. Heute eben auf jene.
Der betrunkene Händler quasselte ohne Unterlass und beschwerte sich lallend: »Hier sitz isch und sauf Pisse und drauß steht mein Karren voll mit teurem Wäin!«
Er konnte sich noch erstaunlich frei artikulieren, dafür, dass er halb auf der Tischplatte hing und auf seinem Stuhl schwankte wie ein einsamer Baum auf einem kargen Berggipfel bei Sturmwetter.
Desith beobachtete ihn desinteressiert, während Vynsu dem Mann mit der Flöte zusah und anderen, schönen Gedanken nachhing, die nichts mit dem Mann an sich zu tun hatten, aber bestimmt mit einem langen Etwas, das von Lippen umschlossen wurde. Zumindest schaute er verträumt und grinste blöde.
Der Händler stöhnte ermattet. »Und diesches Wettär! Und diescher verdammte Berch! Macht mir alle Knochen kaputt.«
Die Tür wurde geöffnet und Jori und Rurik traten ein. Letzterer zog durch seine schiere Größe und Muskeln die Blicke auf sich. Jori wirkte dahingegen deutlich unscheinbarer. Ein Mann, den man leicht übersah, nicht nur im Vergleich zu Rurik. Er besaß nichts Einprägsames, bis auf seine ungeheure Loyalität Vynsu gegenüber.
Sie nickten ihnen zu, zogen ihre Handschuhe aus und griffen nach den Bechern, als sie sich an den Tisch setzten. Jori berichtete, dass es den Pferden gut ging und sie die Wirtin angetroffen hatten, die schon zwei Zimmer vorbereitete.
Vynsu lehnte sich auf den Tisch und die drei fingen an, sich zu unterhalten, das Gesagte vermischte sich mit dem lauten Gemecker des Händlers.
Desith starrte den Mann an und überlegte, seinen vernebelten Kopf im Schnee zu waschen, bis er zu lallen aufhörte. Er war ein wenig genervt.
»Jede Woche muss ish dieschen Karren auf dieschen gottverfluchten Berch raufbringen. Ein Maultier hats misch schon gekoschtet! Der Weeech ist viel zu steinig!«, lallte er in einem fort.
»Dachte, die Burg sei unbesetzt«, wandte sein gelangweilter Gesprächspartner ein.
Der Betrunkene schüttelte den dunklen Schopf. »War sie, ja, jetzt nisch mehr.« Er hielt sich an seinem Becher fest und schaute enttäuscht hinein. »Haben doch den Gefangenen da oben, jetzt.«
Desith runzelte die Stirn, genauso wie der andere Händler.
»Davon weiß ich nichts.«
»Doch, doch«, er andere nickte und hielt sich einen Zeigefinger über die feuchten Lippen. »Streng geheim… aber… irgensch wehr muss ja da hoch. Das bin natürlich isch!«
Bestimmt, weil du so verschwiegen bist, dachte Desith bei sich.
Er hörte leider nicht, was der andere antwortete, denn die junge Schankmagd kam mit einer großen Platte voller Essen zu ihrem Tisch und hatte noch einen Krug warmen Met dabei.
Desith würde ihr eine ganze Menge Silberstücke zukommen lassen, sie dachte mit. Er steckte ihr etwas zu, hielt sie dann aber kurz zurück und nickte zu dem anderen Tisch. »Was könnt Ihr mir über den Betrunkenen erzählen?«
Sie folgte seinem Nicken und ihre Augen verdrehten sich, doch sie schmunzelte. »Ach der, nur ein harmloser Säufer, der seit ein paar Wochen ständig hier reinschneit, bevor er Waren auf den Berg hochbringt.«
»Erst seit ein paar Wochen?«, fragte Desith neugierig.
Sie nickte und griff nach dem leeren Krug. »Vorher war da oben ja nichts, jetzt kommt er immer und wird wohl ganz gut entlohnt. Er bezahlt immer und gibt gutes Trinkgeld, außerdem begrabscht er uns nicht, deshalb geben wir ihm auch mal einen Becher aus. Er ist ganz harmlos, wenn auch ein großer Nörgler.«
Desith nickte und steckte ihr noch mehr Silber zu. »Danke.«
Sie lächelte und wog ihre Beute in der Hand, als sie zufrieden davonging.
Das Fleisch auf der Platte duftete köstlich und hätte für sechs Männer gereicht, dazu das Leib warme Brot, das ebenfalls ihre Mägen knurren ließ. Doch Rurik sagte: »Was für ein Glück, dass der kleine Galgenstrick nicht dabei ist. Das wäre für ihn nur die Vorspeise und wir wären wieder leer ausgegangen.«
Jori verzog unglücklich den Mund, bevorzugte es aber zu schweigen, als Rurik ihm aufmunternd und hart auf den Rücken klopfte. Joris Liebelei Bragi begleitete sie nicht, da er seit Monaten einem anderen Auftrag nachging.
Sie langten zu, die Barbaren hungriger als Desith, dem Vynsu ein Stück Brot abbrach und reichte. Wenn sein Gemahl gekonnt hätte, hätte er ihn andachtsvoll gefüttert, aber er ahnte instinktiv, dass Desith ihn dann mit Brot beworfen oder ihm in die Finger gebissen hätte. Wobei Desith sich hinter verschlossenen Türen natürlich gerne von ihm wie eine Gottheit verwöhnen ließ.
»Und jetzt muss isch alle paar Tage da hoch«, beschwerte sich der Betrunkene noch immer. »Weil Prinzchen hohäitswöll speisen wollen!« Er beugte sich über den Tisch zu dem anderen. »Als ob sie den Gefangenen nüscht am Fuß des Bergesch foltern könnten! Ne, ne…«
Der andere runzelte die Stirn. »Muss ja ein gefährlicher Gefangener sein.«
Desith stieß Vyn mit dem Ellenbogen an und nickte hinüber zu dem Tisch. Rurik und Jori folgte auch seinem Blick und hörten zu, was der Betrunkene antwortete.
»Das weiß isch nicht«, er schüttelte den Kopf, »mussch aber wohl wer ausch dem Kaiserreisch sein. Da kamen sie her. Auf ´nem Karren wie ne Leische. Hab ihn nicht geschehen und da oben redet keiner mit mir, aber da sind überall Drachen, die die Mauern bewachen! Die Bieschter sehen misch immer so hungrig an! Ganz gefährlisch da oben! Da könnte isch doch mehr Silber verlangen, oder? Rischkier meinen Kopf!«
Desith kaute nachdenklich auf seinem Brot herum. Vynsu runzelte die Stirn, auf seinen Lippen klebte der Saft des Fleisches und er leckte es gerade ab, als er Desith so verwundert ansah, wie dieser zurückstarrte.
»Was ist da oben?«, wollte Desith wissen und schob sich dann gemächlich ein Stück Brot in den Mund.
»Burg Eisnacht«, antwortete Jori. Er tauschte einen ratlosen Blick mit Vynsu. »Ein sehr alter Stützpunkt des alten Königs. Die Anlage fiel im Krieg, als die Elkanasai kamen und war dann eine Weile ein Beobachtungsposten, aber das Gebirge ist zu rau und die Burg sehr klein, sie ist seit Jahrzehnten unbemannt.«
»Hm.« Desith stützte die Ellenbogen auf den Tisch, griff zu einer Hähnchenkeule und begann, daran zu nagen. »Jetzt wohl nicht mehr.«
Rurik zog ein Stück knusprige Brotrinde durch die Fleischsoße und schob es sich in den Mund. Kauend sagte er: »Sollten wir nicht wissen, was da vor sich geht? Ich meine… zumindest ihr« - er blickte zwischen Vynus und Desith hin und her - »solltet es doch wissen.«
»Ja«, stimmte Desith düster zu, »sollten wir.«
Er nagte an seiner Keule und spürte die kauenden und fragenden Blick seine Begleiter auf sich, ließ sich aber nicht beirren.
Desith warf den abgenagten Knochen auf die Platte und leckte sich die Finger, dann griff er zu seinem Becher und spähte hinein. Vynsu schenkte ihm nach, und er nahm einen genüsslichen Schluck.
Dann stand er auf und nahm seinen Lederbeutel voll Silbertaler vom Tisch. Die Anwesenden, einschließlich des Wirtes, drehten sich zu ihm um und verfolgten ihn mit verwunderten Blicken, nur der Betrunkene war zu sehr in sein Genörgel vertieft und schreckte auf, als Desith ihm den fetten Beutel vor die Nase warf.
Der Mann lehnte sich in seinem Stuhl zurück und musterte ihn abschätzig. »Wer seids Ihr denn?«
»Der König von Gren«, antwortete Desith und lächelte kühl auf ihn herab.
Der Betrunkene wollte lachen, doch als Desith ihn nur ernst ansah, fiel sein Blick herab und er musterte ihn erneut. Es gab gewiss Gerüchte über den winzigen und schmalen Prinzen aus Elkanasai, mit den feuerroten, langen Haaren und eisblauen Augen, der des Großkönigs Neffen Vynsu geheiratet hatte. Das Gesicht fiel dem Händler beinahe bis unter den Tisch. »Oh.« Er hob die Hände. »Isch habe nischts gemacht. Bin nur ein Händler!«
Irgendwas hatte er wohl doch verbrochen, doch das interessierte Desith jetzt nicht. Er nickte auf den Sack mit Silber. »Genügt das für eine guten, teuren Tropfen Wein?«
Der Händler blinzelte ihn verblödet an.
Als Vynsu, Jori und Rurik sich um den Tisch herum verteilten, groß und eindrucksvoll, verzog sich der andere Händler schnell vom Tisch und bevorzugte die Gesellschaft seiner Söldner.
Der Betrunkene sank tief in seinen Stuhl und schluckte schwer. »Isch… isch kann nischts verkaufen! Tu…tut mir sehr leid! Die… die schneiden mir sonscht die Finger ab!«
Desith schüttelte den Kopf. »Nein, guter Mann, das Silber ist für Euch, kauft Euch beim nächsten Mal auch einen Krug Wein, oder gebt es einer männlichen Dirne.«
Der Mann errötete bis zur Haarwurzel, nicht jeder konnte offen mit seinen Leidenschaften umgehen.
»Isch… verstehe nisch…?«
Desith glitt ihm gegenüber auf den Stuhl und lächelte aufgesetzt. »Ihr werdet mir jetzt alles über die Burg, die ihr beliefert, erzählen.« Er faltete die Hände unter dem Kinn. »Und zwar restlos alles, was Euren neugierigen Augen aufgefallen ist!«