Читать книгу Lügner küssen besser - Birgit Kluger - Страница 22
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ОглавлениеSamstag
Karte: 9 der Kelche
Glück! Damit kann ich leben.
Ich wachte davon auf, dass mir die Sonne ins Gesicht schien. Mühsam öffnete ich die Augen. Es dauerte einen Augenblick, bis ich wusste, wo ich war.
Mit einem zufriedenen Lächeln hob ich den Kopf und sah ihn an. Er schlief. Ich rückte näher an ihn heran, wollte gerade mit meiner Hand auf Erkundungstour gehen, als ich ein seltsames Brummen hörte.
Ich drehte mich um. Mein Blick fiel auf den Fußboden, wo meine Jeans lag, die plötzlich ein Eigenleben führte. Na klar, ich hatte mein Handy auf Stumm geschaltet, als ich mit Lex zum Essen ging. Durch die Vibrationen bewegte sich das Kleidungsstück.
Ich streckte meine Hand aus, zog die Hose zu mir heran und fischte das Gerät aus der Hosentasche. Eine SMS flimmerte über das Display. "Wo steckst du?", fragte Vanessa.
Verflixt. Ich hatte unsere Verabredung zum Shoppen heute Vormittag vergessen.
"Bei Lex", tippte ich zurück.
Als Antwort kam ein Smiley. Dann noch einer.
"Shoppen gecancelt."
Ich zögerte. Es wäre kein Problem gewesen, aufzustehen, mich nach oben zu schleichen und mit meiner Freundin wie verabredet die Geschäfte unsicher zu machen.
"Jana, sei kein Idiot. Bleib, wo du bist", stand in der nächsten SMS. Ich schüttelte den Kopf. Irgendwann würde ich Vanessa dazu überreden, als Hellseherin tätig zu werden.
Ich legte mein Handy auf den kleinen Nachttisch, der neben dem Bett stand, und sah mich in dem Zimmer um. Gestern Nacht war ich zu beschäftigt gewesen, um auf meine Umgebung zu achten. Jetzt aber hatte ich Zeit.
Das große Doppelbett stand an der Stirnseite des Raumes gegenüber der Tür. Links von mir befand sich ein Kleiderschrank. Obwohl der Raum ziemlich groß war und jede Menge Stellfläche hatte, waren das Bett, zu jeder Seite davon ein Nachttisch und der Schrank die einzigen Möbelstücke. Es wirkte kahl. So, als wäre Lex entweder erst eingezogen oder plante nicht, lange hier zu wohnen.
Die Holzdielen schimmerten golden im Sonnenlicht, das durch das große Fenster ins Zimmer fiel. Neben mir drehte sich Lex auf die andere Seite. Vorsichtig stand ich auf, ging leise, um ihn nicht zu wecken, zur Zimmertür und begab mich auf die Suche nach seinem Badezimmer.
Die Suche dauerte nicht lange. Lex hatte eine Dreizimmerwohnung. Das Wohnzimmer betrat man durch einen kurzen Flur, der von der Eingangstür darauf zuführte. Daneben schloss sich eine Küche mit einer Theke an, vor der zwei Barhocker standen. Ging man durch das Wohnzimmer, gelangte man in den hinteren Bereich der Wohnung. Hier befanden sich das Schlafzimmer, ein Arbeitszimmer und das Bad.
Ein Blick in den Spiegel zeigte, dass es höchste Zeit war, Schadensbegrenzung zu betreiben und mein Haar von den Rattennestern zu befreien, die sich darin gebildet hatten. Irgendwann in der vergangenen Nacht hatte sich mein Zopf aufgelöst. Ich konnte nur hoffen, dass Lex eine Haarbürste besaß.
Alles, was ich fand, war ein Kamm. Es dauerte eine Weile, bis ich damit meine Locken so weit gezähmt hatte, dass sie nicht mehr voller Knoten waren.
Ich spülte meinen Mund mit Wasser aus und wusch mich. Alles andere würde ich in meinem eigenen Bad erledigen. Nach einer ausgiebigen Dusche.
Noch immer müde tapste ich Richtung Schlafzimmer zurück. Wieder kam ich an dem kleinen Zimmer vorbei, das Lex als Arbeitszimmer eingerichtet hatte. Durch die geöffnete Tür konnte ich einen riesigen Schreibtisch erkennen, der fast den gesamten Raum einnahm. Links neben dem Eingang befand sich ein Regal, vollgestopft mit langweilig aussehenden Fachbüchern. Ich blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen, mein Blick fiel auf die Tischplatte. Neben ein paar ungeöffneten Briefen war dort nur ein Laptop zu sehen. Die übrige Fläche war leer.
Stünde der Tisch bei mir, wäre er bedeckt mit Schriftstücken, Sachbüchern, Kaffeetassen, Familienfotos, Stiften, Tarotkarten, astrologischen Horoskopen und Wasserflaschen. Bisher hatte ich es nie geschafft, so etwas wie Ordnung auf einem Schreibtisch zu haben. Entweder arbeitete Lex nicht oft zu Hause, oder er war wesentlich organisierter als ich.
"Gefällt dir mein Arbeitszimmer?" Lex legte seine Arme um mich und zog mich dichter an sich heran. Er streute kleine Küsse meinen Hals entlang zum Kinn. Ein wohliges Kribbeln lief durch meinen Körper.
"Hmmmm", antwortete ich und drehte mich um.
"Du hast zu viel an", murmelte Lex und streifte mir das T-Shirt über den Kopf, das ich mir für meine Exkursion ins Badezimmer von ihm geliehen hatte.
"Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass ich eines deiner Shirts angezogen habe."
"Natürlich nicht. Aber so gefällst du mir besser." Mit einem Griff zog Lex den Laptop weg und verstaute ihn in einer Schublade. Dann hob er mich auf den Schreibtisch.
Letztendlich duschte ich doch bei Lex und zog die Klamotten vom letzten Abend an. Er hatte mich dazu überredet, mit ihm zu frühstücken. Viel Überredungskunst war nicht nötig gewesen. Ich summte vor mich hin, als ich die Küche betrat. Sie war etwas größer als meine, statt einer Kochzeile gab es bei Lex einen richtigen Herd und er hatte ein paar Küchenschränke mehr als ich.
"Setz dich. Ich bin gleich soweit", sagte Lex, der am Herd stand und Rühreier machte.
"Das riecht gut!" Ich setzte mich auf einen der Barhocker und sog den Duft ein. Nach der langen Nacht war ich hungrig.
"Ich hoffe, es schmeckt dir", sagte Lex und stellte einen Teller und eine Tasse Kaffee vor mich hin.
"Kann ich dich heiraten?", fragte ich ohne zu überlegen. "Nein, das war nicht so gemeint. Ich wollte nur sagen: Es ist toll. Also, ich liebe es, wenn man mir Frühstück macht."
Lex grinste. "Du weißt ja, ein Heiratsantrag ist bindend. Ich komme gelegentlich darauf zurück."
"Gut. Na dann. Schmeckt super", brabbelte ich weiter, während mein Herz in der Brust wummerte. Ich nahm einen Schluck Kaffee und tat so, als würde er sich nicht einen Weg durch meine Speiseröhre nach unten brennen, weil er noch kochend heiß war.
"Wie bist du zum Tarot gekommen?", fragte Lex, nachdem wir unser Essen vertilgt und er mir eine zweite Tasse Kaffee eingeschenkt hatte. "Bei deiner Familie ist Esoterik so ziemlich das Letzte, was man vermuten würde."
"Meine Eltern denken genauso", sagte ich. "Der Hang zum Übersinnlichen kommt von der mütterlichen Seite, auch wenn meine Mutter alles tut, um das zu vergessen. Meine Tante, die ältere Schwester meiner Mutter, legt ebenfalls Karten. Allerdings nur als Hobby, sie hat diese Fähigkeit niemals zum Beruf gemacht. Tante Ingrid hat mir mein erstes Tarotdeck zum achtzehnten Geburtstag geschenkt." Ich drehte die Kaffeetasse zwischen den Händen und beobachtete die weißen Dampfschwaden, die davon aufstiegen. "Man sagt, das erste Kartendeck muss dir jemand schenken. Man darf es sich nicht selbst kaufen. Es ist so etwas wie eine Einweihung."
"Klingt interessant. Hat deine Tante dir das Kartenlegen beigebracht?"
"Nein, dazu ist die Entfernung zwischen uns zu groß. Sie lebt in Frankreich, aber sie hat mir ein Buch geschenkt. Ich las es von Anfang bis Ende durch und begann, jeden Tag eine Karte zu ziehen. Am Abend studierte ich die Interpretation der Karte und verglich sie mit den Ereignissen des Tages. Nach und nach habe ich so die Bedeutungen der einzelnen Bilder gelernt."
"Ich würde deine Karten gerne sehen. Am liebsten jetzt gleich." Lex stand auf. "Es sei denn, du hast andere Pläne für heute?"
"Nein. Habe ich nicht."
"Das ist der Haindl-Tarot." Ich reichte Lex die Karten, die in ein Seidentuch eingewickelt auf meinem Arbeitstisch lagen.
Lex nahm das lila Päckchen entgegen und setzte sich auf meine Couch, um die einzelnen Bilder zu betrachten. Nach einer Weile sah er auf. "Ich habe mir den Tarot anders vorgestellt."
"Der Haindl-Tarot ist ein besonderes Deck. Er weicht stark von den traditionellen Decks ab, denn er basiert auf den Mythen unterschiedlicher Kulturen."
Ich nahm einige der Bilder auf, die Lex auf den Tisch gelegt hatte. "Das hier ist eine meiner Lieblingskarten." Ich deutete auf Die Tochter der Steine, White Buffalo Woman. Das Bild wurde von dem Gesicht einer jungen Indianerin und drei Büffeln dominiert. "White Buffalo Woman" ist eine Figur aus den Mythen der nordamerikanischen Indianer. Sie ist jemand, der den Menschen spirituelle Erkenntnisse schenkt und ihnen Rituale näherbringt."
Lex sah die Karte an, dann mich. "Sie erinnert mich an dich, auch wenn ihr Blick etwas Unbeteiligtes hat."
"Sie sieht hinter die Fassade", wandte ich ein.
"So wie du."
"In letzter Zeit sehe ich nichts mehr", murmelte ich.
"Hast du auf uns schon einmal gelegt?"
"Nein." Ich begann die bunten Bilder, die über den Tisch verstreut lagen, einzusammeln und sorgfältig zu stapeln. "Für mich selbst befrage ich die Karten nicht. Ich bin nicht objektiv genug, um sie richtig zu interpretieren", log ich.
"Sehr vernünftig."
"Ja."
Lex zog mich zu sich heran. Wir saßen noch immer auf der Couch, die ich gestern Abend bereits in ein Bett verwandelt hatte. "Das Wetter ist genau richtig, um den Tag mit Sex zu verbringen", flüsterte er in mein Ohr.