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Freitag

Karte: Der Eremit

Jemand, der sehr zurückgezogen ist und mit dem Verstand arbeitet. Er sieht aus wie Lex und er verschweigt mir etwas, denn die Karte steht auf dem Kopf. Verdammt. Gibt es doch eine andere Frau in seinem Leben?

"Das hat er gesagt?" Vanessa hüpfte neben mir auf dem Sofa auf und ab. Den gestrigen Abend hatte ich alleine verbracht, weil Lex arbeiten musste. Ich beschloss, meinen Lieblingsfilm zu sehen, und machte es mir mit einer Tüte Chips und einer angebrochenen Flasche Rotwein gemütlich.

Normalerweise trank ich nicht viel, aber ich schaute mir Dirty Dancing an. Während ich so gebannt der Handlung folgte, als sähe ich den Film zum ersten Mal, musste ich daran danken, dass Swayze bereits tot war. Gestorben im Alter von nur siebenundfünfzig Jahren.

Zuerst hatte ich den Wein geöffnet, um Lex' Liebesgeständnis zu feiern. Dann kam der Film und die Erinnerung an den frühen Tod des Schauspielers und plötzlich schwirrte die Tarotkarte durch meinen Kopf. Die 7 der Schwerter, die prophezeite, unsere Beziehung würde ein frühes Ende nehmen.

Ich weiß nicht, wie es kam, aber mit einem Mal war die Flasche leer und ich mehr als nur ein bisschen betrunken. Was nicht weiter schlimm war. Ich war zu Hause in meinem Bett und schlief nach dem Film ein.

Der Kater aber, den ich bei Vanessas Ankunft noch immer hatte, ließ mich jeden einzelnen Tropfen bereuen.

"Rede leiser. Bitte!", bat ich meine Freundin.

"Du solltest nicht so viel Wein trinken."

"Ich weiß, ich trinke nie wieder einen Schluck", jammerte ich.

"Du brauchst einen Kaffee."

"Davon hatte ich schon drei Liter."

"Egal. Ich mache dir einen. Wenn du den intus hast, fühlst du dich wie ein neuer Mensch."

"Hoffentlich."

"Kannst du dich denn gar nicht freuen? Er hat gesagt, er liebt dich!"

"Doch, ich freue mich. Aber im Moment wäre ich lieber tot."

"Hat er es ernst gemeint?" Vanessa spielte mit ihrer Frage auf meine Fähigkeiten an. Sie wusste, dass ich das Energiefeld eines Menschen abtasten konnte.

"Ja." Meine düstere Stimmung wurde von einem aufkeimenden Glücksgefühl verdrängt. Lex' Worte waren der Beweis für meine Fehlinterpretation. Warum sollte unsere Beziehung früh enden, wenn wir uns liebten?

"Das ist toll!"

"Autsch. Musst du so schreien?" Ich lächelte trotz meiner Kopfschmerzen. Vanessas Begeisterung tat gut. Es war schön, mein Glück mit jemandem zu teilen.

Vanessa setzte sich und drückte mir eine Tasse in die Hand. "Trink das." Sie grinste. "Du musst fit sein für die Vorlesungen heute."

Trotz der Koffeinkur waren die Vorlesungen eine einzige Qual. Die Professoren redeten unerträglich laut, die Studenten, die die Gänge bevölkerten, brüllten sich gegenseitig an. Zumindest kam es mir so vor. Ich war froh, am Nachmittag nach Hause zu wanken, dort auf mein Bett zu fallen und erst einmal zu schlafen. Als ich zwei Stunden später aufwachte, fühlte ich mich besser. Ein wenig. Nach einer weiteren Kaffeeinfusion schaffte ich es, meine Augen offen zu halten und leise Geräusche zu ertragen. Kurz darauf zog es mich wie mit einem Magneten zu meinen Karten. Ich musste unbedingt noch den Tarot befragen, kurz nachsehen, was das Wochenende für mich bereithielt.

Langsam und bedächtig strich ich mit meiner Hand über die Karten. Ich wollte die richtige ziehen. Eine, die mir zeigte, wie schön das Wochenende werden würde.

Als ich endlich gewählt hatte, betrachtete ich die Abbildung, als könne sie mir mehr verraten als das Wissen, das ich aus Büchern hatte. Der Mann, der zu sehen war, erinnerte mich an Lex. Die Wolken um seinen Kopf waren das Detail, das meine Aufmerksamkeit geweckt und mich zu der Interpretation gebracht hatte, er würde mir etwas verschweigen. Aber was?

"Es ist keine andere Frau", murmelte ich und nahm einen Schluck Kaffee. "Der Eremit ist nicht jemand, der fremdgeht. Er ist ehrlich, aber er sagt nicht immer alles."

Vielleicht täuschte ich mich. Meine Intuition war, was Lex anbelangte, vollkommen konfus, weil immer wieder meine Vorurteile, Hoffnungen und Wünsche dazwischenfunkten.

Ich schüttelte den Kopf und lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Kritiker des Tarot behaupteten, ein Kartenleger würde den Ratsuchenden erst ausfragen, um dann aufgrund der gewonnenen Informationen Aussagen treffen zu können, die der Andere glaubte. Das stimmte nicht. Im Gegenteil, je mehr ich von einer Person wusste, je mehr ich mit ihr auf einer emotionalen Ebene verbunden war, desto schwerer wurde es, dem Betreffenden die Karten zu legen. Wenn ich jemanden nicht kannte, konnte ich unvoreingenommen sagen, was ich sah. Sobald ich aber glaubte, eine Person einschätzen zu können, kam ich mir bei der Interpretation in die Quere, weil meine eigene Vorstellung von dem, was der Betreffende tun oder nicht tun würde, meine Intuition überstimmte.

Lex war ein Mensch, der mit dem Verstand arbeitete und der oft sehr zurückgezogen in seinem Home-Office am Computer saß und Programme schrieb. Möglicherweise sagte die Karte nur das aus.

Vielleicht sollten wir mal wieder ausgehen. Ich werde ihm vorschlagen, nach Schwabing in die brasilianische Bar zu gehen. Wir könnten Vanessa dort treffen.

"Tut mir leid, aber dieses Wochenende geht es nicht." Lex klang ehrlich bedauernd. Trotzdem musste ich an meine erste Interpretation des Eremiten denken. Er verschwieg mir etwas. Die Frage war nur, was?

"Ich dachte, wir könnten uns mit Vanessa in Schwabing im Kalangos treffen", sagte ich trotzdem. "Gegen elf Uhr. So lange musst du bestimmt nicht arbeiten."

"Doch, ich habe eine Videokonferenz mit unserem japanischen Büro. Ich versuche es, aber ich kann nichts versprechen."

"Ist gut." Ich beendete die Verbindung und starrte auf mein Handy, als könne es mir verraten, was tatsächlich vorging. Lex hatte ehrlich geklungen, aber das Bild des Eremiten ging mir nicht mehr aus dem Kopf.

"Dann zeige mir wenigstens ein Foto von ihm, damit ich endlich weiß, wie er aussieht", sagte Vanessa, die neben mir im Kalangos stand. Sie zog durch ihren Strohhalm an ihrem Caipirinha. Ich trank einen Brasilian Sunrise und merkte, dass mir der Alkohol bereits zu Kopf stieg.

"Ich habe kein Foto von ihm."

"Jana, ihr seid jetzt ewig zusammen und du hast nie ein Bild von ihm gemacht?"

"Du kennst doch mein Handy, damit kann man nur telefonieren. Und meine Digitalkamera ist nie aufgeladen, wenn ich sie benutzen will."

"Du bist hoffnungslos. Was ist mit Lex? Der hat bestimmt ein normales Handy."

"Ja, aber wir sind nie darauf gekommen, Bilder zu machen." Ich verschwieg, dass ich es einmal getan hatte. Lex hatte versprochen, die Fotos per E-Mail an mich zu senden, aber sie waren nie angekommen. Als ich ihn danach fragte, konnte er sie auf seinem Handy nicht mehr finden. Jetzt, als ich darüber nachdachte, erschien mir der Vorfall seltsam. Okay, alles, was mit Technik zusammenhing, konnte schon mal "verschwinden". Es gab immer wieder E-Mails von mir, die nie ihre Adressaten erreichten. Aber Bilder auf einem Handy?

"Hallo, Jana." Vanessa wedelte mit ihrer Hand vor meinem Gesicht.

"Ich glaube, ich vertrage nicht so viel Alkohol", sagte ich mit schiefem Grinsen.

"Das ist dein erster Drink! Wir haben gerade erst angefangen." Vanessa kramte in ihrer Handtasche. Dann hielt sie mir ihr Smartphone hin. "Hier, damit machst du morgen ein Foto von ihm. Es wird automatisch bei Flickr hochgeladen, sodass ich es zu Hause auf meinem PC sehen kann." Sie grinste. "Selbst wenn er es auf dem Handy löscht."

"Du trennst dich freiwillig von deinem Handy? Wie willst du es vierundzwanzig Stunden ohne das Teil aushalten?"

Vanessa zog eine Grimasse. "Es wird schwer, aber spätestens morgen Abend hole ich es bei dir ab. Egal, ob du zu der Zeit gerade mit ihm im Bett bist oder nicht."

"Okay, wenn es dir so wichtig ist." Ich steckte das Gerät ein und nahm einen großen Schluck von meinem Cocktail. Ich konnte Vanessas Neugierde verstehen. Ich hätte auch gern gewusst, wie ihr neuer Freund, der Engländer, aussah. "Was ist eigentlich mit Kevin passiert? Wann treffe ich ihn? Ich bin mindestens genauso neugierig wie du."

"Kevin geht es gut." Vanessa drehte ihr Glas zwischen den Händen und lächelte zu einem Typen hinüber, der sie seit einiger Zeit mit seinem Blick fixierte.

"Und das heißt?"

"Wir sehen uns, aber wir sind uns einig, dass es nichts Ernstes ist."

"Hört sich blöd an."

"Warum? Du hast selbst gesagt, es wird keine lange Beziehung, als du mir die Karten gelegt hast."

"Und daraufhin hast du entschieden, 'nichts Ernstes' mit ihm anzufangen?" Mit den Fingern malte ich Anführungszeichen in die Luft, um zu unterstreichen, was ich von dem Ausdruck hielt. "Vanessa, eine Tarotbefragung zeigt Trends auf. Ich sagte dir, wenn du die Zukunft ändern möchtest, dann kannst du das. Zumindest den Teil, der dich betrifft, den du selbst beeinflussen kannst."

"Genau das habe ich getan. Ich habe beschlossen, späteren Liebeskummer zu vermeiden, und konzentriere mich stattdessen darauf, Spaß zu haben."

"Hast du Angst davor, ein Risiko einzugehen?"

"Nein, aber ich sehe an dir, wohin es führt. Ständig redest du davon, eure Beziehung würde ohnehin nicht lange dauern. Du hast Angst vor dem Ende, bevor es richtig angefangen hat. So etwas brauche ich nicht."

Vanessas Worte trafen mich wie ein Faustschlag in den Magen. Sie hatte recht. Wenn ich heute nicht den Eremiten gezogen hätte, würde ich Lex glauben. So aber vermutete ich etwas anderes hinter seinen Worten. Dachte, er würde mir etwas verschweigen, obwohl es für diese Vermutung keinen Hinweis gab. Keinen einzigen, außer einer Karte, die mir diese Idee eingegeben hatte. Jetzt hatte ich meine Freundin davon abgehalten, eine Beziehung einzugehen, die vielleicht sehr schön hätte werden können.

Wozu das Ganze? Wozu den Tarot befragen, wenn man sich durch die Antworten davon abhalten ließ, sein Leben zu leben?

Kurz nach dem Gespräch trennten wir uns. Ich war müde, Lex war nicht in die Kneipe gekommen und so ging ich nach Hause. Ich hatte mich gerade umgezogen und die Zähne geputzt, als es an der Tür klingelte.

"Hi, Jana." Lex lächelte mich unsicher an. "Tut mir leid, dass ich es nicht ins Kalangos geschafft habe."

"Du hast ja gesagt, es würde knapp werden." Ich öffnete die Tür und ließ ihn eintreten. Wie immer, wenn ich ihn sah, klopfte mein Herz schneller. Schmetterlinge flogen durch meinen Bauch.

"Macht es dir was aus, wenn ich bei dir dusche?" Er fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, die ohnehin schon wild von seinem Kopf abstanden. Sah ganz so aus, als hätte er einen anstrengenden Tag hinter sich.

"Natürlich nicht. In dem Regal neben der Tür liegen frische Handtücher."

Lex verzog sich ins Badezimmer. Kurz darauf hörte ich das Rauschen des Wassers. Wenn er aus dem Bad käme, wäre der ideale Augenblick, um ein Foto zu schießen.

"Lex", rief ich und hielt die Kamera hoch, als er das Wohnzimmer betrat.

Lex sah zu mir herüber. Ich schoss das Foto, wie ich es Vanessa versprochen hatte.

"Was soll das?" Lex runzelte die Stirn. "Seit wann hast du ein Smartphone?"

"Es gehört Vanessa. Sie will endlich wissen, wie du aussiehst, deshalb hat sie es mir gegeben."

"Was passiert mit dem Foto?"

"Nichts. Was soll damit geschehen? Sie sieht es im Internet, es wird automatisch über Flickr hochgeladen."

"Du lädst ein Bild von mir über einen dieser Dienste ins Netz, ohne mich zu fragen?"

"Was ist daran so schlimm?"

"Ich will das nicht. Wenn du mich gefragt hättest, wüsstest du das. Ich hatte vor einigen Jahren Probleme mit einer Stalkerin. Seitdem gibt es nichts über mich im Internet."

"Das tut mir leid. Ich lösche es gleich, versprochen." Ich begann hektisch auf dem Smartphone herumzutippen.

"Jana, es ist nicht so schlimm." Lex kam zu mir und nahm mich in den Arm. "Tut mir leid, dass ich so heftig reagiert habe, aber ich achte sehr darauf, keine Informationen über mich ins Internet zu stellen."

"Ich sage Vanessa Bescheid. Sie wird es sofort löschen. Das verspreche ich dir."

"Okay." Lex gab mir einen Kuss und lächelte. "Wenigstens haben wir jetzt ihre Neugierde befriedigt."

Lügner küssen besser

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