Читать книгу Lügner küssen besser - Birgit Kluger - Страница 37
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ОглавлениеWie so oft wurde ich von dem Klingeln meines Handys aus dem Schlaf gerissen. Ohne richtig wach zu sein, griff ich nach dem Gerät, nahm das Gespräch an und wurde von der widerlich fröhlichen Stimme meiner Freundin Vanessa begrüßt.
„Hallo. Wo steckst du?“, fragte sie.
„Auf Ibiza“, murmelte ich und rieb mir die Augen.
„Ibiza? Ohne mich? Das verzeihe ich dir nie!“
„Autsch. Könntest du etwas leiser reden, Vanessa? Es ist noch früh am Tag!“
„Es ist ein Uhr mittags und du bist im Urlaub, ohne mir etwas zu sagen.“
„Tut mir leid. Es ging alles sehr schnell und außerdem mache ich keine Ferien, sondern ich arbeite“, versuchte ich meine Freundin zu beruhigen, während sich das schlechte Gewissen in mir regte. Vanessa hatte recht, ich hätte ihr Bescheid sagen sollen, aber ich durfte nicht über meinen Auftrag reden. Meine Schwester hatte mich eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen lassen. Ich wollte nicht wissen, was passierte, wenn ich dagegen verstieß.
Außerdem dachte ich, es wäre einfacher, für ein paar Tage zu verschwinden, als mit Vanessa darüber zu diskutieren, warum ich alleine fahren musste. Sie lag mir schon lange in den Ohren, dass wir zusammen Urlaub machen sollten, aber ich hatte nie das Geld dafür. Anders als ich kannte Vanessa keine Geldnot. Ihre Eltern waren stinkreich. Sie hatte mir schon oft genug angeboten den Urlaub für mich zu bezahlen, aber ich wollte das nicht. Es fühlte sich zu sehr wie Almosen an, wenn ich zulassen würde, dass meine Freundin alle Kosten übernahm.
„Ich komme nach“, stellte sie in einem Ton fest, der keinen Widerspruch duldete. „So leicht kommst du mir nicht davon. Außerdem arbeitet niemand auf Ibiza.“
„Doch jede Menge Leute: Kellner, Zimmermädchen, Verkäufer“, protestierte ich.
„Das ist mir egal.“
„Vanessa. Ich bin beruflich hier, ehrlich. Wenn du kommst, wirst du mich ablenken.“
„Was für eine Arbeit soll das sein?“
„Darüber kann ich nicht reden.“ Vor meinem inneren Auge sah ich, wie Vanessa den Kopf schüttelte.
„Heute Abend bin ich auf der Insel. In welchem Hotel wohnst du?“
„Im du Sol, etwas außerhalb von San Antonio“, gab ich mich geschlagen.
„Dann bis nachher. Und dafür schuldest du mir einen riesigen Drink“, warnte sie mich, bevor sie auflegte.
Mit einem Stöhnen drehte ich mich auf die Seite. Das Gespräch war genauso gelaufen, wie ich befürchtet hatte. Seufzend rieb ich mir die Stirn. Vielleicht war es gut, Unterstützung zu bekommen. Bei Vanessa wäre Lex niemals mit einem Kuss davongekommen. Bei dem Gedanken an meinen Ex zog ich eine Grimasse. Ich wollte nicht an die vergangene Nacht denken und daran wie blöd ich mich verhalten hatte. Trotzdem würde ich nach dem Frühstück einen Bericht an meine Schwester verfassen. Ich freute mich darauf in etwa genauso wie auf eine Wurzelbehandlung, aber das half nichts. Die frohe Botschaft lautete: Ich hatte Thorsten Hermes gefunden. Nur hieß er Lex Jeschke, kannte weder Oswald Schmitt noch wollte er etwas von der Erbschaft wissen, und wo er auf der Insel wohnte, wusste ich auch nicht.
Irgendwie musste ich diese Informationen so verpacken, dass ich kompetent wirkte und nicht wie eine Versagerin.
„Ich bin so froh, dich zu sehen!“ Vanessa umarmte mich und trat dann einen Schritt zurück. „Du siehst gut aus, nur solltest du nicht so mit der Sonnencreme sparen. Was hast du mit deinen Haaren angestellt?“
„Ich bin am Strand eingeschlafen“, murmelte ich und ignorierte die Frage nach den lilafarbenen Strähnen, die sich durch meine Haare zogen. Seit Tagen ignorierte ich die Farbe, die sich, obwohl sie nur getönt war, nicht aus meinen Haaren waschen ließ. Am liebsten hätte ich dem Friseur den Hals umgedreht für die „Auffrischung der Haarfarbe“, aber dafür war es zu spät.
„Wenn du es sagst.“ Vanessa grinste und drehte sich zu der Rezeptionistin um. „Lassen Sie mein Gepäck bitte auf mein Zimmer bringen.“
„Hier, nimmst du meinen Schlüssel? Ich verliere ihn ja ohnehin nur“, sagte sie an mich gewandt und hakte sich bei mir unter. „Du schuldest mir eine Sangria.“
Wir hatten uns kaum an die Poolbar gesetzt, als sie mich aufforderte, alles zu erzählen.
„Du sollst also eine verschwundene Person ausfindig machen und derjenige sieht aus wie dein Ex-Freund?“, fragte Vanessa, nachdem ich ihr alles erzählt hatte.
„Ja.“
„Was meinst du, ist Lex dieser Thorsten Hermes oder handelt es sich um einen seltsamen Zufall?“
„Ich glaube, er ist es. Lex sieht genauso aus wie der Typ auf dem Foto.“ Ich zog das Bild aus der Tasche und zeigte es Vanessa. „Er hat jetzt blonde Haare“, erklärte ich.
„Stimmt. Das könnte er sein“, sagte Vanessa. Sie war Lex nie begegnet, kannte ihn aber von dem Foto, das ich damals mit ihrem Handy gemacht hatte.
„Vielleicht hat er sich einen falschen Namen zugelegt. Die Frage ist nur, warum?“ Ich nahm einen großen Schluck Sangria und runzelte die Stirn. „Bevor du gekommen bist, habe ich eine Mail an Irene geschickt. Ich habe ihr erklärt, ich hätte Hermes gefunden, der allerdings unter dem Namen Jeschke auf Ibiza wäre und angeblich keinen Onkel namens Schmitt hätte. Ich warte noch auf ihre Antwort. Gut möglich, dass der Auftrag damit erledigt ist.“
„Du hast das getan, was du tun solltest. Hermes finden, ihn über seine Erbschaft informieren. Also kannst du jetzt Urlaub machen.“ Vanessa deutete auf den Pool, der vor uns lag.
„Ich habe Irene versprochen, seine Adresse herauszufinden. Außerdem – was, wenn es tatsächlich einen Thorsten Hermes gibt, der Lex einfach nur ähnlich sieht?“ Ich stützte meine Ellbogen auf die Theke und starrte in mein Glas.
Vanessa seufzte. „Das könnte ein Problem sein, aber jetzt bin ich hier, um dir zu helfen.“
Ich vergrub den Kopf in den Händen. Genau das hatte ich befürchtet. Vanessa würde sich nicht die Chance entgehen lassen, dabei zu sein, wenn ich meinem aufregenden neuen Job nachging.
Zwei Stunden später hatten wir einen Plan. okay, vielleicht war es keine gute Idee, von Sangria beschwingt, Strategien zu entwerfen, aber wir fanden ihn gut. So gut, dass wir mit dem Versprechen schlafen gingen, gleich morgen anzufangen.
Am nächsten Tag blickte mich Vanessa mit rot unterlaufenen Augen an. „So ’n Urlaub kann ganz schön anstrengend sein“, nuschelte sie und trat von der Tür zurück, um mich in ihr Hotelzimmer zu lassen. „Wie spät isses denn?“
„Elf Uhr. Genau die richtige Zeit, um an den Strand zu gehen und nach Lex Ausschau zu halten. Du erinnerst dich, das war Teil unserer neuen Strategie!“, informierte ich sie. Zugegeben, ich fühlte mich genauso, wie Vanessa aussah, aber ich war ein Profi.
„Du hast ja recht.“ Vanessa gähnte. „Gib mir zehn Minuten, dann können wir los.“
Aus den zehn Minuten wurden dreißig, aber ich hatte es nicht anders erwartet. Schließlich musste Vanessa sich eincremen, Schminken, die Haare flechten, eine geeignete Kopfbedeckung finden, eine passende Sonnenbrille und Flip Flops auswählen. Und, und, und. Ehrlich, es war ein Wunder, wie schnell sie fertig war.
Mit einer großen Umhängetasche über der Schulter, in der ich den gesamten Inhalt meines Koffers hätte verstauen können, tapste sie neben mir die Stufen zum Parkplatz hinunter.
„Wow! Cool!“, kreischte Vanessa, als sie den gelben Jeep sah, den Frau Meisel für mich gemietet hatte.
Ich grinste und warf ihr den Autoschlüssel zu. „Ich habe dir doch erzählt, das ist ein toller Auftrag. Deshalb will ich ihn erfolgreich abschließen und wenn ich dafür die Insel dreimal nach Lex absuchen muss.“
Vanessa fing den Schlüssel gekonnt auf. „Der arme Kerl hat keine Chance.“
Eine Staubwolke hinter uns her ziehend, bogen wir eine halbe Stunde später auf dem Parkplatz des Cala Bassa ein. Obwohl es einer der schönsten Strände der Insel war, konnte ich mir nicht vorstellen, Lex unter den Familien, die diesen Ort bevorzugten, aufzuspüren. Mein Tipp wäre Las Salinas in der Nähe von Ibiza-Stadt gewesen, aber für den Ibiza-Szene-Strand waren wir noch nicht gebräunt genug, und so hoben wir ihn uns für einen späteren Tag auf.
Eine salzige Brise empfing uns, zusammen mit dem Geruch nach Sonnenöl. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und brannte auf uns herab. Mir war rätselhaft, wie es manche Menschen schafften, stundenlang in dieser Hitze auf ihren Handtüchern zu braten, aber der lange Sandstreifen war voller Körper, die sich den Strahlen überließen.
„Vielleicht ist er tatsächlich hier“, meinte Vanessa und ließ ihren Blick über das Getümmel schweifen, das dicht am Ufer herrschte. „Ist ja nicht so, dass hier nur Familien wären.“ Ihre Augen blieben an einem braun gebrannten Typen mit Waschbrettbauch und beeindruckenden Armmuskeln hängen, der Frisbee spielte. „Der Strand gefällt mir“, schnurrte sie und warf einen strahlenden Blick in Richtung des Adonis.
„Komm, wir sind nicht zum Vergnügen hier“, sagte ich und zog sie hinter mir her. „Am besten gehen wir einmal auf und ab und schauen in der Bar nach. Wenn Lex nicht zu finden ist, gehen wir zum Cala Tarida.“
„Ja, gut. Mach mal. Ich muss mich kurz unterhalten.“ Vanessa schüttelte meine Hand ab und ging mit wiegenden Hüften auf den Frisbeespieler zu, der sie dämlich angrinste. Mit einem Schulterzucken drehte ich mich um und machte mich daran die Gegend abzusuchen.
Es dauerte nicht lange, um festzustellen, dass Lex weder unter den Badenden, noch den Sonnenanbetern war. Blieb nur noch die gut besuchte Strandbar. Aber auch hier war Lex nirgends zu sehen. Frustriert setzte ich mich an den Tresen.
Als der Barkeeper zu mir kam, kramte ich das Foto von meinem Ex aus meiner Tasche und zeigte es ihm.
„Kennen Sie diesen Mann?“
Der Spanier schüttelte den Kopf. „Non. Nie gesehen“, stellte er auf Deutsch fest. „Was ist? Warum suchst du ihn?“
„Er ist der Vater meines Kindes. Als er von meiner Schwangerschaft erfuhr, ist er spurlos verschwunden. Er hat nie Unterhalt gezahlt, aber ich brauche das Geld“, spann ich munter eine Lügengeschichte, die mir hoffentlich die Sympathie des Spaniers sichern würde.
„Das ist nicht gut.“ Der Barkeeper schüttelte wieder den Kopf. „Man muss sich kümmern um seine Kinder.“ Mit diesen Worten stellte er einen kleinen Krug Sangria und ein Glas vor mich hin. „Geht auf mich. Nicht alle Männer sind schlecht.“
„Danke. Das ist sehr nett.“ Ich lächelte ihn noch immer etwas traurig an und schenkte mir ein. Ich liebte diese süßen, kleinen Tonkrüge und jetzt hatte ich einen ganz für mich allein.
Drei Krüge später fühlte ich mich besser. Lex war ein Mistkerl, aber das war nicht schlimm. Unseren gemeinsamen Sohn würde ich auch ohne seine Hilfe groß ziehen.
Ein Blick zum Strand zeigte, dass Vanessa noch immer in ein Gespräch mit ihrem Spanier vertieft war. Sie saß mittlerweile auf seinem Handtuch, warf ihre blonde Mähne nach hinten und lachte.
Es war ungerecht. Warum hatte ich nicht so ein Glück bei den Männern, wie Vanessa?
Selbst ein vierter Krug Sangria kam gegen meine melancholische Stimmung nicht an.
„Keiner liebt mich“, murmelte ich und schenkte mir erneut ein. „Keiner mag mich.“
„Was ist? Sollen wir gehen?“ Vanessa stand vor mir und sah mich prüfend an. Oder eher zwei Vanessas, jede mit gerunzelter Stirn und strengem Blick. „Bist du betrunken?“
„Nein!“, protestierte ich und fiel fast vom Stuhl. „Ich habe nur ... Das sind ganz kleine, süße Babytonkrüge, aus denen ich da trinke.“
„Ja, das sehe ich. Komm, wir gehen.“
„Noch nicht.“
Vanessa griff meinen Arm und zog mich vom Stuhl.
„Keiner liebt mich“, maulte ich, während ich, schwer auf Vanessa gestützt, zu unserem Jeep schlurfte.
„Ich liebe dich, deine Eltern lieben dich, deine Schwester auch“, versuchte sie mich zu trösten.
„Das zählt nicht.“ Ich stolperte. „Ich meine, natürlich schon, aber kein Mann liebt mich. Lex hat mich sitzen gelassen!“ Mir kamen die Tränen.
„Lex zählt nicht.“ Vanessa öffnete die Beifahrertür und wartete, bis ich es auf den Sitz geschafft hatte. Dann ging sie um den Wagen herum, stieg ein und fuhr uns zum Hotel zurück.
Zum ersten Mal war ich froh darüber, dass die Nachtclubs erst spät aufmachten. Das gab mir genügend Zeit, meinen Rausch auszuschlafen. Um ein Uhr nachts fühlte ich mich zwar noch immer, als wäre ich von einem Zug überfahren worden, aber ein Kaffee an der Bar und drei Aspirin lösten das Problem.
Danach begann das Styling und das war, zusammen mit Vanessa, eine ernste Angelegenheit. Wäre ich allein gewesen, hätten Mascara und Lippenstift reichen müssen, aber meine Freundin bestand auf dem vollen Programm.
Eine Stunde später erkannte ich mich kaum wieder. Aus dem Spiegel blickte mir eine Schönheit entgegen mit dramatischen Smokey Eyes und einem blutroten Killermund. Wenn ich dieses Augen-Make-up alleine versuchte, sah ich hinterher wie ein Waschbär aus, aber Vanessa wusste genau, wie man den besten Effekt hinbekam.
Die High Heels, in die ich meine Füße zwängte, waren gute drei Zentimeter höher, als alles, was ich sonst trug. Mit einem Mal war ich langbeinig, schlank und hatte eine Oberweite, die in einem knappen, bauchfreien Oberteil voll zur Geltung kam.
„Wow!“ Ich fächelte mir mit der Hotelbroschüre Luft zu und drehte mich einmal um die eigene Achse, um mich von allen Seiten im Spiegel zu betrachten.
„Ich glaube nicht, dass du heute Abend zum Arbeiten kommst, denn die Männer werden dir in Scharen nachlaufen“, stellte Vanessa grinsend fest.
„Oder dir“, erwiderte ich, denn Vanessa sah in einem kurzen, weißen Oberteil mit langen Fransen und Hotpants umwerfend aus. Ein schmaler, goldener Gürtel schlang sich um ihre Hüften, ihre blonden Haare hingen in dichten, glänzenden Flechten fast bis zum Po. Den Männern würden die Augen ausfallen, sobald sie aus diesem Zimmer trat.
„Zieh die auf“, sagte sie und hielt mir eine Sonnenbrille hin.
„Es ist dunkel draußen“, protestierte ich.
„Das ist egal. Die Brille ist extra für die Dunkelheit gemacht. Sie sieht aus wie eine Sonnenbrille, ist aber keine. Damit wirkst du total cool und Lex erkennt dich nicht sofort, wenn er dich sieht.“
„Wenn du es sagst“, murmelte ich und setzte das Teil auf.