Читать книгу Salz im Tee - Birte Papenhausen - Страница 12
ОглавлениеMONGOLISCHE MUSIK
Schon eine Woche nach meiner Ankunft in der Mongolei fand die jährliche Mitarbeiterkonferenz statt. In einer der Sitzungen erklangen auf einmal Töne, die Besprechung war vergessen und alle meine Kollegen eilten zu den Fenstern. Unten auf dem Hof sah man vier Musiker, die in traditioneller Kleidung auf traditionellen mongolischen Instrumenten musizierten und dabei gefilmt wurden. Meine Kollegen waren ganz begeistert, einer meinte: »Da hast du aber Glück, dass du schon so früh so etwas Besonderes zu sehen bekommst!«
Ich sagte nichts, denn meine Begeisterung hielt sich ehrlich gesagt sehr in Grenzen. Die Kleidung und die Instrumente waren zwar interessant anzusehen, aber die Musik empfand ich nicht nur als fremdartig, sondern fast als schwer zu ertragen. Zutiefst hoffte ich, dass es chinesische Musik sei und ich in den kommenden Jahren nicht solche Klänge hören müsse. Auf meine diesbezügliche Frage bekam ich eine eindeutige Antwort: »Mongolischer geht’s nicht.«
Es war für mich also kein besonders guter Start, aber ich lernte schnell, dass die Musik einen großen Teil der mongolischen Seele ausmacht. In der Mongolei gewinnt man Herzen am schnellsten für sich, indem man singt, vor allem wenn es sich um mongolische Lieder handelt.
An meiner Sprachschule war das auch bekannt und so war es Teil meines Unterrichtprogramms, einige mongolische Lieder zu lernen. Kaum zu glauben, das erste Lied, das ich lernen sollte, war doch tatsächlich genau das, das ich bereits bei der Konferenz gehört hatte – das Lied von den Zugvögeln! Die nächsten zwei Lieder waren »Der Tee, den meine Mutter kochte« und das »Loblied auf die Mutter«, welches vorzugsweise bei Hochzeiten als Dank gesungen wird. Im Laufe der Jahre kamen noch viele andere Lieder dazu. Denn wohin man auch kam, es wurde viel und gern gesungen. Gemeinsam, wohlgemerkt. Das kollektive Liedrepertoire der Mongolen ist beeindruckend. Bei meiner Überlegung, welche Lieder wohl alle Deutschen auswendig singen könnten, kam ich auf keine Handvoll und war beschämt.
Mongolische Musik hörte man vor allem bei Autofahrten. Am Anfang, wenn alle noch wach waren, musste jeder reihum ein Lied anstimmen und der Rest der Mitfahrer fiel bei der zweiten Zeile ein. Stunden später verstummte die Livemusik und der Fahrer steckte seine Lieblingskassette in den Rekorder. Die hörte man dann für den Rest der langen Fahrt. Immer wieder, stunden-, ja manchmal sogar tagelang. Manchmal wurde die Musik zum Zeitmesser. Wenn wieder das erste Lied erscholl, wusste man, es war eine weitere Stunde um. Es dauerte Tage, bis man diese Lieder danach nicht mehr im Kopf hatte.
Aber die mongolische Musik besteht nicht nur aus Schlagern und Volksliedern. So ist die Mongolei auch für den Kehlkopfgesang zu Recht berühmt. Es berührte mein Herz, als ich einmal mitbekam, wie Schüler beim Putzen ihres Klassenzimmers mit dem Kehlkopf sangen.
Dann gibt es noch die Longsongs, die bei mir immer Gänsehaut hervorriefen, weil der Klang so einmalig und voll ist, vor allem wenn sie in Gruppen gesungen werden. Es sind alte Lieder, deren Vokale so lang gezogen werden, dass man den Text nur sehr schwer verstehen kann. Aber es geht bei diesen Liedern auch nicht um den Text, es geht um die Atmosphäre, die hervorgerufen wird. Wenn man diese Lieder hört, spürt man geradezu die Weite der Mongolei. Mir wurde einmal erzählt, dass früher Distanzen an Hand dieser Longsongs berechnet wurden. »Sechs Longsongs in diese Richtung und dann siehst du die Jurte.« Ich kann mir vorstellen, dass es tatsächlich so war.
Und dann gab es als ganz neue Rubrik die Lobpreislieder in den christlichen Gemeinden. Die ersten Lieder waren aus dem Englischen und Koreanischen übersetzt worden. Aber da in der Mongolei die Fünftonmusik und ein ganz anderer Takt verwendet werden, veränderten sich die westlichen Lieder oft ins Unerkennbare. Auch dauerte es nicht lange, bis die ersten mongolischen Christen anfingen, selbst Lieder zu komponieren.
Natürlich waren sie in meinen Ohren fremdländisch, doch erstaunlich war: Am Ende meiner Zeit in der Mongolei sang ich gerade die mongolischen Lobpreislieder am liebsten. Und auch das Lied von den Zugvögeln schmettere ich inzwischen mit wahrer Wonne.