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DAS TELEFON

Als ich in die Mongolei kam, gab es noch keine Handys. Und nur die wenigsten Menschen hatten einen Festnetzanschluss. Der wäre ja auch völlig nutzlos in einer nomadischen Kultur und einem Land, dessen Bevölkerung überwiegend in Jurten lebt.

Daher gab es öffentliche Telefone. Das waren keine Telefonzellen, sondern Menschen, die mit ihren tragbaren Telefonen auf den Straßen herumgingen und sie ihren Mitmenschen gegen Bezahlung zur Verfügung stellten.

Für Auslandsgespräche musste man allerdings zu bestimmten Stellen gehen, die ein internationales Festnetz hatten. Dort angekommen gab man die gewünschte Telefonnummer der Person mit dem Telefon, diese wählte und – wenn jemand abnahm – wurde einem der Hörer überreicht. Ab dann lief die Uhr, damit man später die Minuten bezahlen konnte. So wenigstens sah die Theorie aus. In der Praxis war es allerdings nicht immer so einfach. Oft war die Telefonperson nicht da und – wenn sie da war – passte ein Auslandsanruf oft wegen des Zeitunterschiedes nicht. Manchmal waren lange Schlangen vorhanden, manchmal hatte man die Telefonnummer nicht zur Hand und manchmal wurde die Telefonnummer einfach nicht akzeptiert.

So erging es mir, als ich meine Oma in Norddeutschland zum Geburtstag anrufen wollte. Die Telefonfrau sah die Nummer und fragte, welches Land das sei, und meinte dann: »Diese Nummer stimmt nicht. Wenn es Deutschland ist, dann muss die Nummer mit 030 anfangen.«

»Das ist nicht korrekt« erwiderte ich. »Die Nummer stimmt schon. Aber nicht jeder in Deutschland lebt in Berlin.«

Die Frau blieb skeptisch und es dauerte eine ganze Weile, bis sie bereit war, die falsche Nummer wenigstens zu probieren. Leider nahm meine Oma nicht ab. Und so fühlte sich die Frau in der Annahme bestätigt, dass die Nummer falsch sei.

Es war also manchmal mühsam zu telefonieren. Daher entstand in mir der Wunsch nach einem eigenen Telefonanschluss. Als ich in meinem zweiten Jahr von einem Plattenbau in einen anderen zog, war einer der Aspekte, die ich bei der Wohnungsbesichtigung beachtete, das Telefon. Die neue Wohnung hatte zwar ein Telefonkabel, aber keine Nummer. Um eine Nummer zu bekommen, musste man warten, bis jemand mit Nummer aus dem Plattenbau auszog. Also wartete ich und war bis dahin – so würde man denken – telefonisch nicht erreichbar.

Aber bekanntlich macht Not erfinderisch und in der Mongolei lernt man schnell, dass man alleine nicht weit kommt. Direkt neben mir, auf derselben Etage, wohnte eine Familie aus meinem Team. Diese Leute hatten ein Telefon, das heißt ein Kabel und eine Nummer. Wer mich sprechen wollte, rief nun einfach diese Familie an, ich wurde gerufen oder sie klopften an die Wand, bis ich antwortete. Dann rannte ich fünf Etagen hinunter, in den nächsten Hauseingang und wieder fünf Etagen hoch, um anschließend atemlos zu telefonieren. Es war machbar, aber nicht ideal. Auf einmal kam mir eine vielversprechende Idee. Ich hatte eine wetterfeste Schnur in einem Outdoorladen gekauft. Ließe sich daraus eine Art Kabelbahn fürs Telefon herstellen, von Balkon zu Balkon?

Ich teilte meine Idee meinen Teamkollegen mit. Die Töchter, die in dem Balkonzimmer wohnten, waren sofort begeistert. Also verbrachten wir die nächste Stunde damit, die Schnurrolle hin und her zu werfen, bis die Balkone erfolgreich verbunden waren. Ein kleines Täschchen wurde an die Schnur geknotet und schon war das Transportmittel für das Telefon gebastelt. Wenn nun jemand für mich anrief, liefen die Töchter mit dem Telefon auf ihren Balkon, riefen laut meinen Namen und sobald ich auf meinem Balkon stand, wurde das Telefon zu mir befördert. Es klappte gut und ich musste nicht mehr rennen. Nur wurde der Aufenthalt auf dem Balkon während der Wochen, in denen ich auf meine Nummer wartete, immer kälter. Denn in meiner Wohnung selbst gab es immer noch keinen Empfang. So wurden die Telefonate immer kürzer, je näher der Winter kam. Zu meiner großen Freude zog dann doch kurz vor dem endgültigen Wintereinbruch noch jemand aus und ich bekam meine eigene Telefonnummer.

Ich kann nur sagen: Je weniger selbstverständlich etwas ist, desto mehr lernt man es schätzen.

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