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FAHRER NR. 3 – DER PIRAT

Es gab noch weitere Fahrten, bei denen ich erstaunliche Aspekte der mongolischen Kultur lernte oder erinnerungsträchtige Momente erlebte, aber die meisten hatten nicht direkt etwas mit dem Fahrer zu tun. Deshalb lasse ich sie unerwähnt. Bis auf einen letzten Fahrer. Die Fahrt mit ihm gehört zu meinen Lieblingserinnerungen, einfach weil er so ganz anders war als der Durchschnitt und sich so anders verhielt, als ich erwartete.

Ich war in der nördlichen Provinz bei einer Freundin zu Besuch gewesen und musste wieder nach Hause. Es war nicht leicht gewesen, eine Fahrt zu finden, aber am Ende war es geglückt und wie immer ging es erst nach dem Sonnenuntergang los. Ich kam zum verabredeten Treffpunkt, sah den Kleinbus, nahm wahr, dass der Beifahrersitz noch frei war, und stieg ein. Es war mal wieder kalt, daher beeilte ich mich beim Einsteigen.

Schon der erste Blick auf den Fahrer erstaunte mich. Er hatte langes Haar, was sehr ungewöhnlich für mongolische Männer ist, trug anstelle einer Fellmütze eine Art Barett, hatte eine Narbe auf der Wange und einen goldenen Ohrring. Meine erste Assoziation war die eines Piraten und ich sollte recht behalten.

Mein zweiter Blick glitt durch den leeren Bus. Das Fehlen der Sitze war nicht unbedingt erstaunlich. Ich hatte schon öfter erlebt, dass man es sich auf seinem Gepäck oder anderen Waren bequem machen musste. Um zu erfahren, wie lange es wohl dauern würde, bis alle Mitfahrer kämen und wir abfahren würden, fragte ich, wie viele Leute er noch erwarte.

»Einen, meinen Neffen«, war die kurze Antwort. Da man in der Mongolei seine Gefühle nicht zeigt, riss ich meine Augen nur innerlich auf, denn so etwas war nun wirklich sonderbar! So viel freier Raum im Auto und nur so wenige Mitfahrer? Aber gut, es hieß auch, dass wir hoffentlich bald losfahren würden. Ich machte es mir auf meinem Sitz bequem und erwartete Small Talk.

Nach dem obligatorischen »Frierst du?« sind normalerweise die ersten fünf Fragen, die mir gestellt werden: »Wo kommst du her?« »Wie alt bist du?« »Hast du Kinder?« »Bist du verheiratet?« »Warum nicht?«

Ich war inzwischen daran gewöhnt, hatte meine Antworten parat und erwartete also genau diese Fragen in dieser Reihenfolge, als der Pirat sich zu mir drehte.

»Und, hast du schon mal einen Wolf geschossen?«

Ich dachte, ich höre nicht recht. Was? Äußerlich ganz ruhig, weil es sich so gehört, antwortete ich: »Nein.« Und nach einer Weile fragte ich: »Haben Sie schon einmal einen Wolf geschossen?«

»Oh ja, viele!«, antwortete er und zog mit einer schnellen Bewegung ein Gewehr hinter meinem Sitz hervor. »Und«, fuhr er fort, »ich fühle es im Blut, heute Nacht werde ich auch einen schießen!« Damit drückte er mir das Gewehr in die Hände. Ich sollte es halten, damit er jederzeit schussbereit sei. Ich saß also mit einem geladenen Gewehr in meinen Händen auf dem Beifahrersitz, der Neffe, der inzwischen gekommen war, auf seiner Tasche hinten im leeren Laderaum und die Scheinwerfer des Kleinbusses tasteten sich durch die Nacht. Ich war nicht ganz sicher, was ich mir für die kommenden Stunden wünschen sollte: Dass wir tatsächlich einem Wolf begegnen und ich so ein Abenteuer live erleben konnte? Oder angesichts der Vorstellung, einen toten, blutenden Wolf im Laderaum liegen zu haben, doch lieber, keinem Wolf zu begegnen?

Die ersten vier Stunden vergingen ohne Wolf und bald sollten wir das einzige Dorf erreichen, das ungefähr die Mitte der Strecke markierte. Wenn man Pech hat, hält der Fahrer dann, um zu essen, was meistens ein bis zwei Stunden Warten bedeutet.

»Wunderbar«, dachte ich daher erleichtert, als der Fahrer an dem Restaurant vorbeifuhr und ich schon hoffte, damit hätten wir das Dorf passiert. Von wegen! Nicht mit meinem Piraten. Jetzt kam der Moment, in dem er seinem Aussehen alle Ehre erwies. Er schaltete die Scheinwerfer aus und fuhr im Schneckentempo durch die wenigen Straßen des Dorfes.

»Ha!«, rief er, der bis dahin kein einziges Wort gesprochen hatte und kein Interesse zeigte herauszufinden, ob und warum ich nicht verheiratet war. Er bremste, sprang aus dem Bus und riss die Ladetür hinten auf. Sein Neffe schien zu wissen, was das bedeutete, denn er sprang ebenfalls behände aus dem Bus und beide verschwanden in der Nacht. Ich saß weiter auf dem Beifahrersitz, das Gewehr noch immer in meinen Händen.

Es dauerte nicht lange, bis sie zurückkamen. Sie hievten etwas Längliches in den Bus und verschwanden erneut. Nach dem dritten angeschleiften Objekt dämmerte mir, was da geschah. Sie stahlen Altmetall! Das kann man nämlich teuer nach China verkaufen. Und genauso war’s. Wie mein Pirat das Metall ohne Scheinwerfer nur im Mondschein ausfindig machte und wie oft er und sein Neffe solche Raubtouren schon unternommen hatten, weiß ich natürlich nicht. Denn die Fahrt blieb im zweiten Teil genauso schweigsam wie im ersten.

Wir wussten unsere Namen nicht, wussten nicht, woher wir kamen und ob wir Kinder haben. Das Einzige, was ich von ihm wusste, war, dass er schon viele Wölfe erlegt hatte. Aber da war er nicht der Einzige. Und ich weiß, dass er in seiner Art ein Gentleman war. Denn er brachte mich ohne Zwischenhalt, ohne dumme Bemerkungen oder Witze, ohne unfreundliche Gesten, aber mit dem Respekt, mir zuzutrauen, dass ich schon mal einen Wolf geschossen habe und sein Gewehr halten könne, bis zu meiner Haustür.

Es war eine gute Fahrt gewesen: warm, gemütlich, schnell und ohne Wolf. Ich bevorzugte dann doch Altmetall.

Salz im Tee

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