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ОглавлениеDER GNÄDIGE GRENZPOLIZIST
Es leben mehr Mongolen außerhalb der Mongolei als in der Mongolei. In Russland ist der mongolische Stamm der Burjaten beheimatet und eines Tages beschloss ich, meine Kollegen dort zu besuchen. In selbstloser Hilfsbereitschaft hatte ich meiner japanischen Kollegin, die erst vor Kurzem dorthin umgezogen war, versprochen, drei schwere Kartons mitzubringen, die ihr gehörten. Mir war zwar bekannt, dass es an der Grenze etwas umständlich sei, da man immer das Gepäck aus dem Bus holen müsse, aber naiv, wie ich war, dachte ich, dass man es einfach aus dem Bus auf die Straße stellte, der Grenzbeamte es kontrollierte und man es dann wieder in den Bus verfrachten konnte.
So jedoch ging es nicht. An der mongolischen Grenze musste man das Gepäck aus dem Bus holen und dann in das Grenzgebäude schleppen. Also nichts mit einem Beamten, der gutwillig einen Blick über das Gepäck schweifen lässt und man es dann wieder einräumen kann. Ich stand also vor einem Problem: vier schwere Gepäckstücke, keine Rollwagen zur Beförderung des Gepäcks und nur ich, die kartonschleppend nicht zeitgleich die Gepäckstücke drinnen wie draußen bewachen konnte. Meine Lösung war, die Sachen besonders schnell hineinzuschleppen, und so stand ich bald darauf verschwitzt, aber mit vier Gepäckstücken im Grenzgebäude.
Die Mongolin vor mir hatte noch mehr Gepäckstücke und verteilte sie an herumstehende Leute. Ich weigerte mich, eins an mich zu nehmen, denn ich hatte schon zu viele Geschichten gehört. Zu Recht, wie sich zeigte. Ihr Gepäck wurde beim Durchleuchtungsapparat immer wieder vor- und zurückgeschoben und ich, die hinter ihr in der Reihe stand, musste immer wieder die Kartons, die beim Zurückschalten des Bandes herunterzufallen drohten, hochhieven. Die Mongolin wurde schließlich zu einem Extraschalter gewunken, meine Kartons und der Rucksack wurden kommentarlos durchleuchtet, mein Pass war in Ordnung, ich konnte gehen. Das heißt, erst musste ich die vier Gepäckstücke wieder im Eiltempo vom Gebäude zurück in den Bus tragen.
»Geschafft!«, dachte ich und ließ mich durchnässt, aber erleichtert in den Sitz sinken. Was ich nicht wusste: Die Grenze war noch nicht überschritten. Ich hatte lediglich die mongolische Grenze passiert. Da sich die Zollbeamten anscheinend gegenseitig nicht vertrauen, gab es nur 200 Meter weiter die russische Grenze. Dort wiederholte sich die ganze Prozedur:
Gepäck aus dem Bus, ins Gebäude schleppen, Passkontrolle, am Hund vorbei und alles auf eine Waage hieven. Bis dahin ging alles gut, aber dann wurde ich von einem Grenzpolizisten herausgewunken. Mit routinierter Handbewegung wurde ich aufgefordert, mein Gepäck zu öffnen. Ich öffnete meinen Rucksack und darin lag ganz oben ein Paket für eine meiner Kolleginnen. Der Grenzhund jaulte, denn es war Wurst drin. Der Grenzpolizist interessierte sich mehr für den Namen auf dem Paket, der nicht mit dem meinem übereinstimmte. Er sprach kein Mongolisch und nur wenig Englisch, daher verstand er meine Erklärung, dass es ein Geschenk sei, nicht und redete stattdessen auf mich ein. Auf Russisch, was nun ich nicht verstand.
Er zeigte auf einen der Kartons: »Open!« Ich tat es. Ich öffnete Karton Nummer eins, zwei und drei. Jeder enthielt japanische Bücher, CDs und amerikanische Schecks und ich fragte mich besorgt, wie lange der Bus wohl auf mich warten würde. Da standen wir, der Grenzpolizist mit seinem Hund und ich zwischen all diesen ungewöhnlichen Utensilien und ich sah förmlich, wie der Mann innerlich abwägte, ob ich harmlos oder gefährlich sei.
Er ließ den Hund noch einmal an allen Gepäckstücken schnüffeln, fegte seine Hand ziellos über die ausgepackten Dinge, sah mich lange an und sagte dann: »O.k.«.
Ich lächelte. Ich war unendlich dankbar für seine Menschenkenntnis und für seine gute Seele in der russischen Grenzmaschinerie. Ich nickte und packte schnell alles wieder ein. Auf einmal stand er wieder neben mir – mit einer Rolle dickem Klebeband – und half mir, die Kartons wieder zuzukleben. »Spasiva«, bedankte ich mich, schleppte die Kartons in den noch wartenden Bus und fiel auf meinen Sitz.
Eine ganz neue Grenzerfahrung und ein Mann, für den ich noch immer tiefe Dankbarkeit empfinde, sooft ich an ihn denke.