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ОглавлениеDIE EHRLICHE POSTFRAU
In der Mongolei gibt es keinen Briefträger und auch kein gelbes DHL-Auto. Dort gibt es Postfächer, die sich im Postgebäude befinden und die man mietet. In diese Postfächer werden dann alle Briefe gesteckt, für Pakete sind sie zu klein. Man bekommt also keine Post, sondern man holt sie sich ab. Lebt man in Hovd, braucht man nur zweimal in der Woche den Weg zur Post einzuplanen, denn die Post kommt per Flugzeug und das kommt nur zweimal in der Woche.
Auf der Post arbeiteten drei Frauen, alle mit verschiedenen Aufgabenbereichen. Vor allem eine von ihnen lernte ich besser kennen. Sie verkaufte mir die Briefmarken und die Briefumschläge. Denn – wie sie immer wieder betonte – mongolische Post wird in mongolischen Briefumschlägen verschickt. Sie nahm meine Briefe zum Versand in Empfang und gab die für mich eingetroffene Post heraus.
Die Postfächer waren nämlich hinter der Glaswand, die den Kundenbereich vom Beamtenbereich abgrenzte. Und da durfte ich – zumindest am Anfang – nicht einfach eintreten. Ich musste jedes Mal höflich fragen, ob Post für das Fach 315 gekommen sei. Wenn meine dafür verantwortliche Postfrau nicht im Raum war, musste ich warten, bis sie erschien. Die anderen beiden Frauen waren nicht dafür zuständig und standen dementsprechend nur äußerst selten von ihrem Stuhl auf, um ins Postfach 315 zu schauen.
Nun gut, man ist zu Gast in der Mongolei und das heißt, sich an die mongolischen Verhältnisse anzupassen: den Staatsbeamten zu akzeptieren, freundlich zu behandeln, jedes Mal zu danken und sich an die Regeln zu halten. So vergingen einige Monate. Dann kam der Dezember, ein Monat wie jeder andere in einem kommunistischen Land. Daher waren die Postfrauen nicht auf den Weihnachtspostansturm vorbereitet. Lag sonst ab und zu mal ein Päckchen in der Ecke des Beamtinnenraumes, stapelten sich im Dezember die Päckchen und Pakete. Sie bildeten einen Haufen und drangen in die persönliche Arbeitssphäre der Beamtinnen vor.
Ich kam, fragte höflich, ob Post für Fach 315 gekommen sei, und bekam ein »Oh ja!« zur Antwort. »Hier sind die Briefe. Ob für Sie ein Paket angekommen ist, da schauen Sie mal lieber selber.«
Und so durfte ich hinter die Glaswand treten, an dem Bürotisch vorbeilaufen und mich dem Paketehaufen widmen. Pakete für Englischlehrer der Universität, für die Mitarbeiter des deutschen Entwicklungsdienstes und für Leute vom amerikanischen Peace Corps lagen da – und auch ein Paket für mich. Meine Postfrau überprüfte die Adresse und den Namen und ich durfte gehen. Dieser Vorgang wiederholte sich nun bei fast jedem Postgang bis Mitte Januar. Der Paketefluss nahm zwar ab, aber die Barriere zwischen Kundin und Postbeamtin war durchlässiger geworden.
Von nun an kam ich in die Post, schaute fragend zu den Beamtinnen, erhielt ein Kopfnicken und ging selbst zum Postfach 315, um nachzusehen, ob Briefe da seien. Lag etwas in der Päckchenecke, durfte ich sogar dort hintreten und auf den Namen schauen.
In den darauffolgenden Jahren wuchs die Bekanntschaft und das Vertrauen. Manchmal geschah es sogar, dass ich gebeten wurde, Post und Päckchen, die sich bereits stapelten, zu Ausländern mitzunehmen, die schon lange nicht mehr auf der Post erschienen waren. Denn die Postfrau wollte natürlich auch Klarschiff machen.
Hin und wieder kam es vor, dass Briefe und vor allem Päckchen nach der langen Reise die Posträume beschädigt erreichten. Einmal war das Paket in seiner vollen Breite aufgerissen und die gute deutsche Salami und andere Leckereien waren offen sichtbar. Ich nahm das Paket an mich, wog es in meiner Hand und befand es für ein 2-Kilo-Paket als zu leicht. Den ganzen Nachhauseweg über wütete in mir das Gefühl, betrogen worden zu sein. Ich war fest überzeugt, dass sich da jemand an meinen Geschenken gütlich getan hatte. Sobald ich bei meiner Jurte ankam, zog ich die Handwaage hervor und überprüfte das Gewicht meines kostbaren Päckchens. Es wog 1,947 kg! Nicht das kleinste Schokolädchen war entfernt worden! Wenn mein offenes Paket für die Postfrauen eine Versuchung dargestellt hatte, hatten sie ihr erfolgreich widerstanden.
Ich war beeindruckt, beschämt, dankbar. Und bis zu meinem Wegzug hatten wir eine hervorragende Beziehung.