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ОглавлениеFAHRER NR. 1 – DER PROFI
Als ich in der Mongolei ankam, gab es nur eine Bahnschiene, die Russland im Norden und China im Süden verband. Für den Rest des Landes bestand der öffentliche Transport aus privaten Autofahrern, die von A nach B fuhren und so lange am Markt auf Mitreisende warteten, bis ihr Auto voll war. Man konnte auch einen dieser Fahrer mieten und das Auto selbst füllen.
Meine erste Fahrt von der Hauptstadt aufs Land war mit einem solchen gemieteten Fahrer. Die Reise fand im Dezember statt, betrug 1 500 Kilometer und dauerte vier Tage. Dieser erste Fahrer sprach wenig und rauchte viel. Aber – und das sollte ich später noch zu schätzen wissen – er trank nicht. Er fuhr. Servolenkung hatte das Auto offensichtlich nicht, denn die Hände am Lenker pendelten von links nach rechts.
Ich saß hinten in dem Super 69, einem russischen Jeep, 1969 Erstkonstruktion. Das Super bezog sich auf die Decke, die etwas höher war als beim gewöhnlichen Jeep und gepolstert. Das war nicht schlecht in einem Land, das nur im Umkreis von 300 Kilometern um die Hauptstadt herum über asphaltierte Straßen verfügte. Was dann kommt, sind entweder ausgefahrene Pisten oder Autospuren in der Prärie oder auch acht Autospuren nebeneinander – oder gar nichts.
Mein ungeübtes Anfängerauge erkannte auf dieser ersten Reise des Öfteren gar keine Straße und ich staunte nur, mit welcher Gewissheit der Fahrer immer weiterfuhr. Selbst in der Dunkelheit und als Schneetreiben aufkam, er fuhr und fuhr, ohne Karte, ohne Navi, ohne ersichtliche Straße, und er kam jeden Abend an der angepeilten Moteljurte an.
Ich war schwer beeindruckt, bis ich am ersten Morgen bei minus 35 Grad Kälte aus der Moteljurte trat, die eisige Luft einsog und plötzlich den Fahrer erblickte, wie er unter dem Auto lag und mit offenem Feuer hantierte! Ich dachte, ich sähe nicht recht, aber es stimmte: Der Fahrer schwenkte ein einem Bunsenbrenner ähnelndes Etwas unter dem Auto. Ich lief in der Erwartung einer gewaltigen Explosion schleunigst einige Meter weg und wartete. Nichts passierte. Was er da tat, war völlig normal, denn irgendwie musste er ja das eingefrorene Motoröl wieder flüssig bekommen. Für die Alternative, den Motor die ganze Nacht laufen zu lassen, hatte er sich zum Glück nicht entschieden.
Ich ging zum Auto zurück, stieg ein, hatte aber noch lange nicht ausgelernt. An diesem Morgen zückte er doch die Wodkaflasche, ließ sich einige Schlucke auf die Handfläche laufen und spritzte diese dann an die Windschutzscheibe. »Sicherlich ein Ritual wegen der Geister«, dachte ich. Ich hatte schon beobachtet, dass man Kindern nachts Ruß zwischen die Augen streicht, damit die Geister sie nicht sehen und ihnen nichts antun können.
Aber meine Interpretation war falsch. Der Wodka sollte die Eisschicht auf der Windschutzscheibe schmelzen. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus, denn die Fahrt dauerte einige Tage und der Fahrer war gut. Aus Mangel an Brücken fuhr er über zugefrorene Flüsse. Aus Mangel an Schildern fuhr er eben mal kurz auf einen Hügel, um sicherzugehen, dass er noch auf dem richtigen Weg war. Aus Mangel an Tankstellen füllte er den Tank mit einem Reservekanister eben schnell selbst und aus Mangel an Autowerkstätten reparierte er flink, was immer gerade kaputtgegangen war, ohne Handschuhe bei minus 30 Grad.
Kurz, meine erste Fahrt führte mir vor Augen, was es bedeutet, ein Profi in seinem Fach zu sein.