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Mit dem Fahrrad ins Wochenbett

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Wenn mich etwas nervt, werde ich hysterisch und ausgesprochen ungerecht gegen alle und mich. Mutter wurde sehr laut oder ganz still. Je schwieriger die Situation war, desto stiller wurde sie. Sie hat den Fatalismus erfunden und nichts und niemand konnte sie von ihrer stoischen Ruhe abbringen, wenn sie wusste, an der Situation jetzt ist nichts zu ändern. Sie nahm die Dinge, wie sie sind, jammerte nicht viel rum.

„Jammern macht nicht satt!“ sie ist durch und durch pragmatisch.

Sie und ihr Hans hatten sich immer einen Stall voll Kinder gewünscht. Jetzt meldet sich Kind Nummer vier. Großmutter hatte versprochen, zum Geburtstermin des unerwünschten neuen Enkelkindes anzureisen und zu helfen. Nun ist es aber noch acht Wochen hin bis zum errechneten Termin und die Fahr- und Telefonverbindungen klappen auch nicht mehr richtig.

Tante Inge bedauert süffisant, sie kann niemanden als Begleitung für Hanna entbehren. Autos sind beschlagnahmt für die Offiziere. Inge lächelt aufmunternd:

„Das schaffst du schon. Das sind bestimmt nur Senkwehen, das kennst du doch von all deinen vielen Schwangerschaften. Du bist doch sonst auch nicht zimperlich! Nimm das Fahrrad von Karl-Hans und schenke dem Führer noch ein Kind, dann kriegst du ja auch das Mutterkreuz!“

Hanna stülpt sich stumm die eben fertig gewordene rote Häkelmütze über die Locken, wickelt den Schal mit der Öse zum Durchschieben des anderen Endes um den Hals. Sie wendet sich ab, schaut keinen an, verabschiedet sich nicht von uns und geht hinaus.

Es wird schon früh dunkel an diesem 12. Januar 1945 über dem tief verschneiten Land. Mühsam kämpft Hanna sich auf dem Herrenfahrrad über vereiste Wege zur Hauptstraße. Sie will ins Krankenhaus der nahen Kreisstadt. Eisnadeln peitschen waagrecht ins Gesicht der zarten, hochschwangeren Frau. Hier ziehen bereits endlose Flüchtlingstrecks über die pommersche Ebene aus Ostpreußen „heim ins Reich“ nach Westen. Der Russe treibt sie vor sich her.

Der Wind bläst Mutter fast vom Fahrrad. Immer wieder muss sie anhalten, absteigen. Sie krümmt sich vor Schmerzen. Irgendwas stimmt nicht. Sie fürchtet, dass das Baby schon zur Welt will. Acht Wochen zu früh! Sie spricht mit sich, mit dem Kind: Halt durch, wir schaffen es. Bleib bei mir, dann wird alles gut. Ob nur der scharfe Wind ihr die Tränen in die Augen treibt in dieser Januarnacht 1945? Wer weiß es?

Mit letzter Kraft erreicht sie die Stufen des Krankenhauses. Hier stauen sich Menschenmassen. Flüchtlinge aus dem Osten. Erfrorene Zehen, wund gelaufene Füße, todkranke Babys, sterbende Alte. Alles erhofft Hilfe.

Auch Hanna. Aber es ist zu spät, die Fruchtblase platzt. Das Baby, ein kleines, unreifes Mädchen, will mit aller Gewalt leben, will in diese kalte, grausame Welt. Niemand gibt dem Baby eine Überlebenschance. Aber es will da sein, bevor die Russen da sind. Kaum aus dem warmen Mutterleib geschlüpft, muss es bei Bombenalarm in den Krankenhauskeller mit all den anderen Kranken und Verwundeten.

Hau ab! Flüchtlingskind!

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