Читать книгу Hau ab! Flüchtlingskind! - Birte Pröttel - Страница 18
Kindliche Aufklärung
ОглавлениеFür uns ist Mutter seit Tagen wie vom Erdboden verschluckt. Niemand uns erklärt, dass in Mutters Bauch ein Geschwisterchen wächst. Oder dass wir gar den Bauch anfassen und die Bewegungen unseres neuen Babys fühlen dürften, war einfach undenkbar. Aufklärung gab es zu keiner Zeit. Mich klärte später mein großer Bruder auf. Er erzählte, dass Männer „ihre Tage“ bekommen und dass sie dann am Popo bluten. Den Rest an Aufklärung hab ich mir dann Jahre später aus Knaurs-Lexikon und aus dem Missgeburtenbuch meiner Freundin Suse geholt. Suses Mutter war Hebamme. Wir haben heimlich auf dem Dachboden diese gruseligen Bücher studiert. Dazu naschten wir eingemachte Pfirsiche aus den Gläsern im Regal. Damit wir besser lesen konnten, wurde ein Dachziegel aus dem Dach gezogen. Die Bücher waren später nicht nur vom Pfirsichsaft, sondern auch vom Regen ziemlich ramponiert. Gott sei Dank, hat man uns nicht verdächtigt. Eines Sonntags morgens, ich hatte mich schon, wie oben gesagt, über alles Wichtige von den Bienchen und Blümchen selber aufgeklärt, da rief Vater mich zu sich.
„Setz dich, Kind! Ich muss was Wichtiges mit dir besprechen. Du weißt doch, dass die Babys im Bauch der Mutter wachsen ...“
Ein unangenehmes Gefühl beschlich mich.
„Ja..?“
„Ja und weißt du auch wie sie ...“ Vater stammelte. Mir war das peinlich für ihn und schnell unterbrach ich ihn:
„Vati, ich weiß alles!“
„Dann ist ja gut!“ Vater fiel sichtlich ein Stein vom Herzen. Aber wie es wirklich war mit dem Kinderkriegen, davon hatte ich keine Ahnung und wollte es gar nicht wissen.
Aber ich schweife ab. Emma passt auf uns auf, versorgt uns und verspricht, dass bald die Großmütter kommen. Die Großmütter sind in Stettin und Binz und haben keine Ahnung, dass Hanna ihr Kind jetzt schon bekommen wird.
Aber wo ist Mutter?
Es ist bitterkalt und wir sitzen fast immer in der gemütlichen mit dunklem Holz und weißblauen Kacheln geschmückten Gutsküche. Der Herd geht dort niemals aus und in der Luft hängt immer der Duft von leckerem Essen. Die einquartierten Offiziere sorgen ja dafür, dass hier keine Not herrscht.
Plötzlich kommt Tante Inge reingestöckelt, sie fuchtelt mit ihrer Zigarettenspitze wild herum und ruft ganz aufgeregt:
„Das Krankenhaus in Gollnow hat angerufen. Ihr habt eine kleine Schwester!“
Emma und Tante Inge sehen aber nicht so fröhlich aus, wie man bei solcher Nachricht sonst aussieht. Hans und Grete stecken die Köpfe zusammen und flüstern. Sie sehen besorgt aus:
„Es ist doch noch viel zu früh!“
Es ist der 12. Januar 1945, der letzte Januar dieses Krieges. Aber keiner weiß, dass der Krieg bald vorbei ist und niemand ahnt, welche Not danach herrschen wird.
„Wenn das nur gut geht!“ Keiner der in der warmen Küche Geborgenheit Suchenden kann sich über die „freudige“ Nachricht freuen. Ein Siebenmonatsbaby jetzt zu bekommen, das ist nicht wirklich ein freudiges Ereignis. Ich, mit meinen fünfJahren kann die Sorgen nicht verstehen, ein Baby mehr oder weniger, w as solls?
VaterGlückwünsche zu meiner Geburt