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Telepathie

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Vater erzählt uns später oft von Telepathie und Gedankenübertragung und dass er in der Nacht, in der Anne geboren wurde so arge Bauchschmerzen hatte, dass er am nächsten Morgen zum Arzt musste.

„Ich hab das Baby auch bekommen. Obwohl ich nicht wusste, dass Mama im Krankenhaus war!“

Ich hab diese Telepathie sehr bestaunt und mache Versuche mit Arne, aber bei mir hat es nie geklappt.

Vater ist in Heidelberg im Hauptquartier der Organisation Todt. Ihm gefällt es dort einigermaßen, das Kriegsgeschehen ist nur noch ein ferner, böser Traum. Abends flaniert er mit Kollegen durch die romantische Altstadt, trinkt hier einen Schoppen Wein und isst dort sein Lieblingsgericht, Kalbsrouladen. In seiner freien Zeit schreibt er Briefe an seine Hanna.Vater hat dann von der Geburt meiner kleinen Schwester durch eine Nachricht via Kriegsministerium erfahren. Er schreibt an seine Frau einen liebevollen Brief, niedlich mit Blümchen verziert.

19.1.1945 Heidelberg-Ziegelhausen Organisation Todt Einsatzgruppe Rhein (Original mit Blümchen bemalt)Mein geliebtes kleines Muttilein. Heute bekam ich durch die Vermittlung Berlins Deine Nachricht, dass du nun am 12.1.45 ein kleines Mädchen geboren hast. Hoffentlich geht es dir sehr, sehr gut. Wie glücklich mich die Nachricht gemacht hat, kann ich dir gar nicht sagen, besonders weil ich in den letzten Tagen sehr in Unruhe war. ...Nun weiß ich auch, warum ich am Freitag und Samstag solche Leibschmerzen hatte und so habe ich viel an dich denken müssen. Ich habe halt das kleine Mädel mit­bekommen. Freust du dich, dass wir nun zwei Mädchen haben?

Wenn im Osten die Offensive wieder losgeht, werden wir unse­re Heimat wiederbekommen? Wie sieht nun unser Pfützchen aus? Ist sie auch blond und blauäugig? Na, ich werde mich hoffentlich bald selbst informieren können ob sie Va­ters oder Mutters Tochter ist.

Nun meine geliebte, süße und nun wieder schlanke Mutti sei sehr innigst gegrüßt und bedankt in herzlicher Liebe Dein Hans .

Zwischen die Zeilen schleicht sich Vaters Verdacht, dass das kleine Neugeborene nicht seine Tochter sein könnte. Und dann die Bemerkung „süße nun wieder schlanke Mutti“ erinnert an die Drohung in der Verlobungszeit. Damals hatte Vater gemeint, wenn Hanna mehr als 120 Pfund wiegt, würde er sich scheiden lassen.

So lange ich denken kann, hat meine Mutter später immer gehungert. In diesen Kriegs- und Nachkriegsjahren bestand keine Gefahr, dass einer von beiden überhaupt übergewichtig werden könnte. Aber das wussten die beiden damals im Januar 1945 noch nicht. Der Hunger hatte bei ihnen noch nicht an die Tür geklopft.

Hau ab! Flüchtlingskind!

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