Читать книгу Am Anfang war die Dunkelheit - Björn Täufling - Страница 12
zehn.
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Einige erzählten, dass der Bauer Mühlstein, ein reicher Land- und Viehwirt im Dorf, Arbeit anbot. Er benötigte Leute, die ihm beim Melken seiner rund hundert noch übrig gebliebenen Kühe helfen konnten, nachdem seine Melkmaschinen ausgefallen waren. Wie es hieß, stellte er am liebsten Frauen ein. Die, die für ihn arbeiten durften, bekamen pro Tag anfangs einen Liter Milch sowie eine Handvoll Kartoffeln, vier Äpfel und zwei Zwiebeln, irgendwann gab es dann nur noch den Liter Milch, zwei Kartoffeln und eine Zwiebel.
Mühlstein, so hatte es mir mal Stefan erzählt, hatte in den vergangenen zwanzig Jahren vielen der Bauern im Dorf ihre Felder abgekauft und dominierte seit einigen Jahren mit seinem Sohn Oliver die Landwirtschaft in der Region. Auch Anna hatte sich überlegt, zu Mühlstein zu gehen, was blieb uns anderes übrig?
Die Tage vergingen. Eins, zwei, drei, vier, fünf weitere Tage ohne Strom. Anna hatte aus dem Dorf von Überfällen gehört, bei denen Lebensmittel, Bargeld, Wert- und Gebrauchsgegenstände gestohlen worden waren. Überhaupt klauten die Leute mittlerweile alles. Richtig begehrt waren neben Medikamenten, Klopapier, Batterien, Seife, Tampons, Zigaretten, Müllbeutel und Feuerzeuge. Die vorherrschende Meinung war, dass Fremde die Einbrüche begangen hatten, aber es konnten auch Leute aus dem Dorf gewesen sein – aber darüber sprach niemand. Aufgebracht erzählte mir zum Beispiel mein Nachbar Stefan, dass man eine ältere Frau in ihrem Haus am Ortsrand erschlagen in der Küche aufgefunden habe. Sie war Diabetikerin gewesen, bestimmt hatte es da jemand auf die Medikamente abgesehen. Wie Stefan berichtete, konnte sich niemand daran erinnern, dass jemals zuvor so etwas im Dorf geschehen war.
Bei uns klopfte es nun auch häufiger an der Tür. Die Menschen baten um Lebensmittel, um Streichhölzer oder um ein Nachtlager. Sie kamen von überall her, sie waren Gestrandete auf dem Weg in ihre Heimat, die der Stromausfall auf ihrer Reise überrascht hatte oder Leute, die gleich zu Beginn des Stromausfalls ihre Taschen gepackt hatten und eilig verschwunden waren in der Hoffnung, es sei woanders besser als dort, wo sie lebten. Zum größten Teil jedoch waren es Menschen aus den Städten, die die Not auf das Land getrieben hatte. Und sie kamen von überallher. In den Städten waren Lebensmittel, so wurde berichtet, innerhalb kürzester Zeit kaum noch zu finden gewesen und wenn, dann waren sie für die meisten unerschwinglich. Dienstag, den elften Tag ohne Strom, hatte ich ein Studentenpärchen auf Durchreise in unserer Garage übernachten lassen und den Tag danach einem jungen Mann und seiner Freundin zwei Flaschen Wasser und Streichhölzer gegeben, als sie klopften und darum baten.
Ich dachte, der Stromausfall sei vorübergehend, bald sei der Spuk vorbei und schließlich würde auch ich es den Leuten danken, wenn sie mich irgendwo aufnähmen oder mir etwas gäben. Aber je mehr Zeit verstrich, desto häufiger klopften die Menschen bettelnd an die Tür oder an die Fenster. Anfangs waren sie noch höflich, da war die Hoffnung auf eine baldige Änderung der Verhältnisse noch in ihnen lebendig, doch mit dem Verrinnen der Zeit starb sie und die Angst nahm an ihrer Stelle den Platz in ihnen ein und wurde größer und mit ihr kam auch die Verzweiflung und so wurde das Klopfen und Rufen vor unserem Haus und auf der Straße immer bestimmter, wütender und fordernder, so dass sich das vormals sachte und höfliche Anklopfen der Fremden, dem man das Genieren ja beinah schon angehört hatte, innerhalb einer Woche in ein wüstes und aufdringliches Hämmern verwandelt hatte. Wir machten daher niemandem mehr die Tür auf.