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drei.

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drei.

Der Strom war weg. Blieb weg. Auch am Sonntag. Am späten Vormittag waren kurz meine Schwiegereltern vorbeigekommen, um Lucy nach Hause zu bringen.

Auf Kinderfotos sah Anna genauso aus wie sie. Die gleichen goldblonden Haare, die gleichen blauen Augen. So blau wie der Himmel morgens an milden, wolkenlosen Sommertagen. Der gleiche, freche und fordernde Blick. Der gleiche trotzige Wille. Lucy war immer kleiner und schmaler als die anderen Kinder in ihrem Alter – und die Vorlauteste. Zur Begrüßung nach der Zeit bei ihren Großeltern war sie mir um den Bauch gefallen, und ehe ich etwas hatte sagen können, war sie auch schon wieder verschwunden gewesen, um ihren Kater zu suchen, den sie fast eine ganze Woche nicht gesehen hatte. Wegen des Stromausfalls waren Annas Eltern nicht zum Kaffee geblieben. Sie hatten Lucy nur abgesetzt und es vorgezogen, sich dann schnell wieder auf den Heimweg zu machen – denn auch bei ihnen, etwa hundertzwanzig Kilometer von uns entfernt, war der Strom ausgefallen. Anna und Lucy waren drüben bei Caro, unserer Nachbarin. Sie lebte mit ihrem Mann Stefan im Haus nebenan. Seit unserem Einzug in das Haus vor acht Jahren waren Anna und sie die allerdicksten, besten Freundinnen, wie sie immer sagten – dabei hatten beide Kleidergröße 36.

Ich saß derweil unter dem Sonnenschirm auf der Terrasse. Wie langweilte ich mich ohne Internet. Ich war es nicht gewohnt, dieses Nichtstun. Das heißt, natürlich konnte ich eine ganze Menge tun – nur eben nicht das, was ich gewohnt war zu tun in meiner freien Zeit. Dieses nichts tun können und seit dem Stromausfall gleichzeitig die aufwendige Beschäftigung mit Dingen, die zuvor überhaupt keine Zeit kosteten. Wasser holen zum Beispiel: Zum Waschen und Kochen und für die Toilette holten wir mit zwei Eimern Wasser aus dem nahegelegenen Fluss. Morgens ging ich, mittags Anna, abends wieder ich. Am Abend zuvor, am ersten Abend ohne Strom, hatte ich es vergessen und die Quittung dafür auf dem Klo kassiert.

Hilfe von außen war auch noch keine gekommen. Kein Technischer Hilfsdienst, kein Katastrophenschutz, keine Polizei, kein Militär. Nichts. Die Freiwillige Feuerwehr war hoffnungslos überfordert und das umso mehr, da sich einige ihrer Mitglieder noch immer im Urlaub befanden und einfach nicht zurückkamen. Kein Wunder: Es waren ja auch keine Flugzeuge mehr am Himmel zu sehen.

Ich entschied mich dazu, einen Spaziergang zu machen. Viel zu selten tat ich das und hatte daher auch noch nicht sonderlich viel gesehen von unserem Dorf. Denn ich fuhr jeden Morgen früh zur Arbeit in die fünfzehn Kilometer entfernte Stadt und kehrte meist erst spät abends wieder von Kundenterminen heim. Versicherungsmakler war ich gewesen. Ein Finanzoptimierer, wie man sagte. Die Geschäfte meines Büros liefen gut, ich hatte viel zu tun. Oft zu viel. Die Einkäufe und alles andere, was rund ums Haus anfiel, erledigte meist Anna, die halbtags in einer Buchhandlung im Dorf arbeitete. Ich brauchte mich also um nichts zu kümmern. Nun aber schlenderte ich gedankenverloren die Straße entlang und merkte, dass ich zwar in jenem Dorf wohnte, leben jedoch, das tat ich dort nicht.

Während ich durch die Straßen schlenderte, wurde mir bewusst, dass ich für den Moment des Stromausfalls nur die Menschen hatte, die um mich herum lebten. Nur die, die hier im Dorf wohnten. Miteinander und doch weit voneinander entfernt. Die große, kleine Welt hatte uns getrennt – bisher jedenfalls. Sie war innerhalb eines Jahrhunderts dank Telegramm, Telefon, Radio, Fax, Fernsehen, Internet und Hotspots immer kleiner geworden – zu einem Dorf, in dem man mit einem Klick jedes Haus betrachten konnte. Nun jedoch war dieses Weltdorf weg. Es hatte ganz groß »Klick« gemacht, irgendwer hatte den Stecker des Hauptanschlusses gezogen und das war’s dann gewesen. Alle Menschen, die außerhalb eines bestimmten Radius noch mit mir zusammen diesen Planeten bevölkerten (also genaugenommen die Weltbevölkerung minus die neunhundertzwölf, die in meinem Dorf lebten), waren für mich fast oder völlig unerreichbar geworden. Den Kontakt, die Kommunikation mit anderen Menschen gab es seit dem Stromausfall nur noch direkt und persönlich.

Am Anfang war die Dunkelheit

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