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vierzehn.

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vierzehn.

Ich wachte früh auf. Anna war bereits bei Mühlstein zum Arbeiten. Sie stand gegen vier Uhr auf und half dann beim Füttern und Melken der Tiere und mistete aus. Ich hatte auch bei ihm nachgefragt, aber mich wollte er nicht, er meinte, Frauen könnten besser mit den Tieren umgehen, weil ihre Hände kleiner sind.

Mittags wollten Lucy und ich dann Anna von ihrer Arbeit bei Mühlstein abholen. Wir standen gelangweilt auf der Straße und sahen in den Laden, der im vorderen Teil des großen Bauernhauses untergebracht war und alles verkaufte, was der Hof hergab. Hinter der Theke stand Claudia, die Tochter Mühlsteins und bediente jemanden. Das Geschäft lief gut für Mühlstein, da aber niemand mehr Geld hatte, musste er andere Dinge annehmen, am liebsten nahm er Silber- oder Goldmünzen und echten Schmuck, aber Alkohol, Zigaretten, Hygieneartikel, Medikamente und andere Tauschgegenstände waren ihm auch willkommen. Die Nachfrage stieg und damit auch die Preise. Verantwortlich waren aber auch die reichen Leute aus der Stadt, die ausgehungert zu uns kamen und bereit waren, ihre Rolex oder Diamantringe für ein paar gekochte Kartoffeln herzugeben.

Claudia war etwas älter als Anna, sie kannten sich aus dem Rückbildungskurs, den sie zusammen nach der Geburt von Lucy und Claudias Sohn Benjamin besuchten. Sie hatten nicht viel gemein, aber Claudia hatte Anna ins Herz geschlossen und wenn sie vor dem Stromausfall mit Lucy zusammen in den Laden kam, bediente sie die beiden immer zuerst und ließ dafür sogar andere Kunden stehen. Sie hatte noch einen Bruder, Oliver. Er führte den Hof seines Vaters, hatte tellergroße Hände und die Statur eines Bullen. Hauptsächlich kümmerte er sich um das Vieh und schlachtete auch selbst. Auf dem Hof hatten sie neben den Kühen und Rindern auch einige Schweine, Gänse und Enten.

Claudia sah uns durch das Ladenfenster und winkte. Wir winkten zurück. Claudia war unverheiratet und man munkelte im Dorf, dass die beiden Kinder, die sie hatte, von ihrem Vater stammten. Das Mädchen, Bettina, war elf oder zwölf Jahre alt, schlank und hatte rötlich blonde Haare. Sie war für ihr Alter ziemlich gewitzt und oft hatte ich sie gesehen, wie sie am Wochenende am Marktstand der Familie in der Stadt stand und kräftig beim Verkaufen half. Mit ihrem kindlichen Strahlen im Gesicht schien sie sich immer den Richtigen aus der Masse der ahnungslosen und umherbummelnden Leute herauszugreifen. Ihn oder auch sie führte sie dann geradewegs zum Stand ihrer Mutter oder Oma und zeigte ihm dann dort die angebotene Ware. Anschließend lief sie wieder in die Menge und rief: »Neue Kartoooffeln! Schöne, neue Kartoooffeln! Kaufen Sie die besten neuen Kartoooffeln! Oder unsere superfrische Milch von glücklichen Küüü-hen! Probieren Sie sie mal bei uns am Stand, das schmecken Sie, dass die Kühe es bei uns gut haben! Und unsere Hühner laufen frei auf dem Hof herum. Das sehen sie den Eiern an, glauben Sie mir! Kaufen Sie unsere frischen Eier. Frische Ei-er! So gut hat Ihnen Ihr Frühstücksei bestimmt noch nie geschmeckt!«, rief sie und lachte die Leute voller Überzeugung an. Ihr kleiner Bruder saß derweil an einem kleinen Tisch hinter seiner Mutter am Stand und malte mit seinen Buntstiften in seinem Block. Er war ein paar Tage älter als Lucy. Beim Malen hatte er immer den Kopf dicht über das Blatt Papier gebeugt, wie hypnotisiert sah er aus, wenn er durch seine dicken Brillengläser auf das Blatt starrte und die Bewegung des Stifts verfolgte. Er hielt den Stift verkrampft in seiner Faust und zog ihn über das Papier und ein Speichelfaden lief ihm dabei immer auf seinen linken Unterarm, den er meist auf sein Blatt Papier gelegt hatte, damit es nicht durch den Wind weggetragen wurde. Rief man »Hallo Benni«, hob er sofort den Kopf und grinste einen von einem Ohr zum anderen an. Benni hatte das Downsyndrom, glaube ich. Vor dem Stromausfall holte ihn morgens an den Werktagen immer ein Zivildienstleistender mit einem Bus ab und fuhr ihn mit anderen Kindern zu einer Schule ein paar Orte weiter. Gegen vier brachte er ihn dann wieder nach Hause, dann sah man ihn meist im Hof mit dem Hund der Kinder spielen.

Anna kam über den Hof gelaufen.

»Na, wie war’s?«, rief ich ihr zu.

»Wie soll’s gewesen sein? Scheiße! Der Mühlstein …, der geht mir so was von auf die Nerven!«

»Wieso? Was macht er denn?«

»Er steht ständig hinter mir. Und wo immer er eine Möglichkeit sieht, mich zu berühren, da berührt er mich. Und nicht nur das: Er macht mir auch zweideutige Angebote.«

»Was heißt das: Er macht dir zweideutige Angebote?«

»Das heißt … Du kannst dir ja denken, was das heißt!«

»Was hat er denn gesagt?«

»Er … er hat gesagt, dass ich mir ruhig ein bisschen mehr Mühe bei der Arbeit geben könne.«

»Na, besonders zweideutig ist das ja nicht. Und was meint er damit?«

»Das habe ich ihn auch gefragt und er sagte, es gäbe genug andere Frauen, die gerne meinen Job machen würden. Ich soll dankbar sein, dass ich für ihn arbeiten darf und so und ich könne mich dafür auch ruhig mal bei ihm erkenntlich zeigen. Er hat mir über den Kopf gestrichen und gegrinst, das Schwein! Dann ist er gegangen.«

»Vielleicht meinte er ja auch etwas ganz anderes mit »erkenntlich zeigen« als das, was du da hineininterpretierst?«

»Das habe ich im ersten Moment auch gedacht. Aber ich glaube schon, dass ich da richtig interpretiere.«

»Vielleicht hast du dich auch getäuscht.«

»Ich hoffe es, wir brauchen die Arbeit doch, wir brauchen doch das hier«, und sie hielt den Leinenbeutel hoch, in dem sie die Milch und die Kartoffeln und Zwiebeln hatte, mit denen sie für ihre Arbeit bezahlt worden war.

Als wir nach Hause kamen, ging Lucy durchs ganze Haus und dann in den Garten. Nach einigen Minuten kam sie wieder rein und ihre Augen waren verweint.

»Was hast du?«, fragte ich sie.

»Hast du Nero gesehen?«

Anna streichelte ihr über die Wange und nahm sie in den Arm.

»Ist er immer noch nicht zurückgekehrt?«

»Nein, ist er nicht, Mama. Und du …«, sie zeigte auf mich und Tränen rannen ihr die Wangen herab, »… du hilfst mir ja auch nicht beim Suchen!«

Lucy sah mich vorwurfsvoll an.

»Doch, komm ich helfe dir. Lass uns ihn suchen gehen«, sagte ich.

Anna blieb zu Hause und ich nahm Lucy an der Hand und wir gingen durchs Dorf, um Nero zu finden. Der Spaziergang mit ihr tat mir gut, er lenkte mich ab von dem, was Anna erzählt hatte. Lucy und ich suchten die Straßen ab, wir marschierten durchs Feld und fragten alle Nachbarn, die wir zu Gesicht bekamen, doch niemand hatte ihren kleinen schwarzen Kater gesehen. Es war seltsam: Nero war bisher immer zurückgekommen, es konnte geschehen, dass er im Sommer mal eine Nacht oder auch zwei ausblieb, aber wenn es kälter wurde, bevorzugte er seinen Platz vor dem Kamin und ging nur selten vor die Tür. Er hatte geschmollt, weil er sein Luxuskatzenfutter nicht mehr von uns bekam, war deshalb auch weggeblieben, aber er war immer wieder zurückgekommen. Ich mochte den Kater, aber ehrlich gesagt war es mir auch ganz recht, dass er sich nicht blicken ließ – so brauchten wir ihm auf Lucys Drängen auch keine Milch mehr zu geben und es lagen auch weniger Haare auf der Couch. Ohne Strom und Staubsauger war es ziemlich viel Aufwand, die Wohnung von Katzenhaaren zu befreien. Und doch: Lucy liebte ihren Kater, sie kümmerte sich rührend um ihn und ich war es gewesen, der ihn ihr geschenkt hatte. Eine Stunde suchten wir das gesamte Terrain, in dem sich der Kater für gewöhnlich aufhielt, erfolglos ab. Lucy war traurig, stumm vor Trauer, sie weinte still und ich nahm sie auf den Arm, um sie zu trösten und trug sie nach Hause. Wie schwer sie geworden ist in den letzten zwei Jahren. Zuhause angekommen rannte sie erst zu Anna und dann hoch in ihr Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu, sodass der Spiegel oben im Flur bedenklich wackelte.

Dabei war Nero nicht das einzige verschwundene Haustier, auch andere vermissten ihre Tiere, wie mir Stefan berichtete. So verschwanden etwa Hunde tagsüber aus den Höfen und Gärten, Katzen kehrten nicht wieder und auch so mancher Hasenstall war über Nacht verwaist. Wer aber die Tiere geholt hatte, das wusste keiner.

Am Anfang war die Dunkelheit

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