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vier.

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vier.

Nirgendwo gab es Strom, so jedenfalls erzählten es die Bewohner meines Dorfes in den nächsten Tagen. Jene vor allem, die sich Sonntag aufgemacht hatten und mit ihren Autos weggefahren waren in der Hoffnung, im nächsten, im übernächsten oder im überübernächsten Ort Strom vorzufinden. Viele von ihnen waren weit gefahren, manche hundert oder sogar zweihundert Kilometer, aber in keinem Ort hatte es mehr Strom gegeben. Auch Erwin Lotsch hatte sich Sonntagmorgen genervt in seinen alten Opel Omega gesetzt und war einfach drauflos gefahren.

Ich traf ihn am frühen Abend vor unserem Haus, als ich von meinem Spaziergang zurückkehrte. Lotsch, der Freund unserer Nachbarin Frau Lohnsdorf – oder der Lebensabendgefährte, wie sie sagte – war ein kleines, dürres Männchen mit einem dichten Haarkranz von einem Ohr zum anderen und wachen, freundlichen Augen, denen nie etwas zu entgehen schien. Wenn er erzählte, gestikulierte er dabei stets hektisch mit dem ganzen Körper, um seiner Rede noch mehr Ausdruck zu verleihen. Und er hatte viel zu erzählen. Wenn er redete, sprang sein Kehlkopf bei jedem Wort heftig auf und ab. Und wenn er nervös war, nahm er seine randlose Brille ab, deren Gläser so dick waren, dass er sie einige Tage nach dem Stromausfall zum Feuer machen verwendete, und putzte sie mit einem orangefarbenen Stofftaschentuch.

Das Taschentuch war fast einen halben Quadratmeter groß, und ich wunderte mich, wie es in seine Hosentasche passte.

Lotsch hatte sein ganzes Berufsleben für die Deutsche Post gearbeitet und den Bewohnern des Dorfes die Briefe und kleineren Päckchen gebracht. Und nebenbei hatte er sie mit allen Neuigkeiten aus dem Dorf versorgt, nun aber lebte er im Ruhestand. Er wohnte ein paar Straßen weiter, und wenn man ihn sehen wollte, brauchte man nur morgens in aller Frühe aus dem Fenster zu schauen und auf ihn zu warten, denn er war zwar vom Postdienst verabschiedet worden, er ließ es sich aber nicht nehmen, der Dorfbevölkerung sämtliche Reklamezettel und Zeitungen, die man nur kriegen konnte, zuzustellen. Auf die »Bitte keine Werbung«-Aufkleber nahm er dabei keine Rücksicht. Sprachen ihn die Leute, die keine Werbung wollten, darauf an, schob er es auf seine Kurzsichtigkeit. Wenn er mit dem Verteilen fertig war, trank er bei Frau Lohnsdorf erstmal einen Kaffee und goss anschließend unter ihrer Aufsicht die Blumen. Dann ging er heim, schlief noch mal eine Stunde bis elf Uhr und kam dann, nachdem er sich ein frisches Hemd angezogen und sich rasiert hatte, wieder zur Lohnsdorf zum Mittagessen. Lotsch war für seine sechsundsiebzig ungewöhnlich fit – kein Wunder, der Mann war ja auch ständig in Bewegung. Am Wochenende konnte man in aller Frühe sehen, wie er bereits um fünf Uhr morgens ein Wägelchen mit der Sonntagszeitung oder dem Wochenendmagazin eilig hinter sich herzog und es stets mit einem kräftigen Schwung auf den Bürgersteig bugsierte. Diesen Sonntag gab es für ihn jedoch nichts auszuteilen. Der Fahrer, der ihm seit Jahren jede Sonntagnacht gegen drei Uhr die Zeitungen in großen Paketen vor die Tür warf, war nicht erschienen.

Lotsch erzählte mir nun Folgendes: Verärgert über den freien Sonntagvormittag war er in sein Auto gestiegen, um bei der Zeitung nach dem Rechten zu schauen, wie er sich ausdrückte. Er sei zur Geschäftsstelle der Zeitung in die Stadt gefahren, doch dort sei niemand gewesen.

»Niemand! Können Sie sich das vorstellen?«, fragte er mich und nahm seine Brille ab, um sie zu putzen.

»Und wissen Sie, was ich dann gemacht habe?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Ich bin wieder in mein Auto eingestiegen und einfach munter drauf losgefahren, um der Sache mal auf den Grund zu gehen. Das Kraftwerk, also das Stromwerk, das wissen Sie ja, ist ja nicht weit von hier, na so fünfundzwanzig Kilometer dürften es schon sein. Also bin ich da hin. Die Tore waren verriegelt und verrammelt und alles sah so aus, wie es bei so einem Kraftwerk eben mitten in der Nacht aussieht. Nichts Ungewöhnliches, viele Masten, wo man hinsieht, Kabel und das ganze andere Zeug. Aber dann … Aber dann: Wissen Sie, was ich dann gesehen habe?«

Er blickte sich nervös um. Dann sah er zum Haus seiner Lebensgefährtin und kam etwas näher. So nahe, dass ich wusste, dass es bei Lohnsdorf-Lotschs etwas mit Zwiebeln zum Mittagessen gegeben hatte.

»Raten Sie!«, sagte er.

»Tut mir leid, ich hab keine Ahnung.«

»Na los, irgendwas wird Ihnen schon einfallen.«

»Ich weiß nicht …«

»Sie sind ein Spielverderber. Aber Sie haben recht: Damit ist nicht zu spaßen! Militärfahrzeuge! Militärfahrzeuge habe ich gesehen. Das hat mich dann doch etwas verwundert. Ich bin also hin und habe versucht, am Zaun auf mich aufmerksam zu machen. Ich habe an ihm gerüttelt und laut »Hallo« geschrien, aber es folgte keinerlei Reaktion. Null. Nichts. Dann bin ich zum Auto zurück und wollte gerade einsteigen, als jemand nach mir rief. Ein Soldat stand mit Maschinengewehr am Tor. Da lief mir aber der Schweiß, kann ich Ihnen sagen, und ich hab’s auch gleich bereut, dass ich vorher am Zaun gerüttelt habe. Ruhig, Erwin, bleib ruhig, hab ich zu mir gesagt! Dann bin ich langsam ausgestiegen und zu ihm gegangen. Und wissen Sie, was der Soldat zu mir gesagt hat?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Er forderte mich freundlich, aber bestimmt auf, weiterzufahren und ich dann aber zu ihm: Wissen Sie, was los ist? Wissen Sie, was es mit dem Stromausfall auf sich hat, habe ich ihn gefragt.«

»Und was hat er Ihnen geantwortet?«

»Wörtlich: Nein, ich weiß es auch nicht. Aber ich habe meine Anweisungen, und ich bitte Sie jetzt noch einmal, umgehend in Ihren Wagen zu steigen und wegzufahren. Dies ist militärisches Sperrgebiet, hat er dann gesagt, und ich hab gesagt: Natürlich wissen Sie, was los ist. Und er hat geantwortet: Bitte setzen Sie sich jetzt in Ihr Fahrzeug und fahren Sie weiter. Ich wollte ihn erst beschimpfen, aber dann hab ich sein Maschinengewehr angeschaut und mir überlegt, dass er nur seinen Befehlen nachgeht und versucht, sie korrekt auszuführen. Er war Soldat. War ich ja auch mal. Er braucht ja nichts zu wissen, nicht wahr? Nur auszuführen. So ist es ja bei denen. War bei mir ja auch so, als ich beim Militär war. Er braucht nur auszuführen. Und dann bin ich wieder gefahren.«

Er sah auf die Uhr und plötzlich hatte er es eilig. Es war Zeit für einen Kaffee.

»Passen Sie auf sich auf, wer weiß, was noch alles passiert bei der Regierung«, sagte er, grüßte noch einmal und ging dann zum Haus der Lohnsdorf und klopfte laut an die Tür.

»Was machst du denn für einen Lärm?«, blaffte sie ihn an, nachdem sie nach einer gefühlten Ewigkeit endlich die Tür geöffnet hatte.

»Wie soll ich denn sonst auf mich aufmerksam machen, Mauserl? Die Klingel geht doch nicht.«

»Ach so … Na dann komm jetzt endlich rein, der Nachbar guckt schon zu uns rüber.«

Auch die Durchreisenden durch unser Dorf, zum Teil aus dem Süden, Norden, Osten oder Westen des Landes kommend, wussten nichts Erfreuliches aus ihren Regionen und denen, durch die sie gekommen waren, zu berichten, erzählte mir später Anna. Eine Arbeitskollegin aus dem Buchladen, die auch bei Caro gewesen war, hatte ihnen davon berichtet. Es schien, als seien wir von heute auf morgen in der Steinzeit angelangt. Keiner wusste etwas. Und doch hatte mit Lotschs Vorfall vor dem Kraftwerk der Hauch einer Ahnung bei uns Einzug gehalten, wer etwas wissen könnte: das Militär.

Am Anfang war die Dunkelheit

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