Читать книгу Am Anfang war die Dunkelheit - Björn Täufling - Страница 13

elf.

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elf.

Die Informationsgesellschaft war mit einem Mal auf dem Stand von vor zwölf Tagen und so tischte man sich eben dieselbe Geschichte Tag für Tag auf.

Eifrig jedenfalls wurden im Dorf Theorien über die Ursache des Stromausfalls gesponnen. Und ständig hoffte man darauf, dass jemand kam und erklärte, wie es auf einmal so plötzlich zu einem totalen Ausfall hatte kommen können. Aber es gab niemanden, keiner kam: Kein Sachverständiger, Politiker oder Wissenschaftler kam in unser Dorf und lieferte eine plausible Erklärung, wie dies alles hatte geschehen können und wie es jetzt weitergehen sollte. Und so wurden die unsinnigsten Theorien aufgetischt: Die einen gingen von einem aus Russland herkommenden Energieversorgungsproblem aus, die anderen waren davon überzeugt, dass der Kreis, das Land oder gar der Staat irgendetwas verbockt hatte und eine Rechnung, vielleicht wegen Überschuldung, nicht hatte bezahlen können. Wieder andere berichteten über einen Unfall im Hauptelektrizitätswerk oder erfanden noch abstrusere Szenarien, wie dass der dritte Weltkrieg begonnen habe oder dass Außerirdische uns den Saft abgedreht hätten. Oder war es vielleicht ein extremer elektromagnetischer Impuls gewesen, der Schuld an dieser Misere hatte? Vielleicht hatte ein vorbeifliegender Asteroid das Problem verursacht oder war es möglicherweise technisch erzeugt worden von einer uns feindlich gesonnenen Regierung? Mancher meinte, es seien Umweltaktivisten am Werk gewesen oder es habe Veränderungen in der Atmosphäre gegeben, vielleicht sei der Strom auch einfach "all", behaupteten andere. Ja, und da war dann noch Lotsch, der überall herumrannte und erzählte, das Militär sei schuld, denn es habe das Elektrizitätswerk gekapert. Er habe es mit seinen eigenen Augen gesehen. Lächerliche Theorien, eine so dumm wie die andere! Aber bessere hatte auch ich nicht. Jeder um mich herum zerbrach sich den Kopf darüber. Manche predigten vom Jüngsten Gericht und dass dies nur Vorbote von etwas noch viel Schlimmerem sei. Es gab einfach keine Erklärung – jedenfalls keine, die zufriedenstellend oder plausibel gewesen wäre.

Wir waren verwöhnt. Und gewohnt daran, dass unsere Reize weit über die Grenze des Natürlichen oder des täglich Zumutbaren von künstlich hervorgerufenen Informationen stimuliert wurden. Ich konnte früher Stunden mit dem Handy surfend auf dem Klo verbringen. Wir haben alle in nahezu jeder freien Minute digital aus den für uns interessanten Informationsquellen gesoffen, bis uns schlecht wurde.

Tagtäglich hatten wir, ob wir es wollten oder nicht, von den Medien die zum Glück wenigen wirklich schlimmen und großen Ereignisse ebenso wie die vielen völlig unbedeutenden überall präsentiert bekommen – meist mit den dazugehörenden, mehr oder weniger objektiven Erklärungen. Oder der Nennung einer Ursache für die jeweiligen Ereignisse. Mal die, die’s tatsächlich war und mal die, von der man wollte, dass die Leute glaubten oder glauben sollten, dass sie es gewesen sei. Man lieferte dem gierigen Informationskonsumenten die Katastrophen in Echt-Zeit im Live-Ticker und in Farbe und in Minutentakten aktualisiert die Ursache oder mehrere mögliche Ursachen und dazu einen vorläufigen Schuldigen. Wir dürsteten nach mehr – je düsterer, schlimmer oder schrecklicher, desto besser. Wir, die Konsumenten vor den Fernsehern, Radios und PCs und mit dem Smartphone gelangweilt surfend in der U-Bahn oder auf dem Klo oder der Couch sitzend und unsere digitalen Tageszeitungen und Zeitschriften lesend, wollten bei wirklich interessanten Themen nicht nur Teilinformationen, wir wollten mehr: Wen betrifft‘s? Betrifft es auch mich? Warum? Wer war‘s? Und so weiter. Wenn es Opfer gab, wollten wir sie in ihrem Leid sehen – nicht zu sehr, denn das geht zu nahe, aber doch ein bisschen bitte. Denn dann wurden wir Sattgefressenen dankbar und merkten, dass wir trotz all unserem Leid selbst doch eigentlich gar nicht so schlecht dastanden. Und dann, ja dann wollten wir auch möglichst schnell den Kopf des Schuldigen präsentiert bekommen – da waren wir, glaub ich, vom Fernsehen ziemlich verwöhnt, denn in den meisten Krimis ist das ja so.

So aber war die ganze Sache für alle höchst unbefriedigend. Die Opfer waren diesmal nicht andere irgendwo am Arsch der Welt, sondern wir waren es. Wir waren die Opfer. Und völlig unschuldig waren wir obendrein auch noch! Es gab eine Katastrophe, wenn man den Stromausfall so bezeichnen mochte, deren tatsächliches Ausmaß jedoch keiner kannte und über deren Ursache auch kein Wissen vorhanden war. Nichts, rein gar nichts wusste man! Lief vielleicht über uns irgendwo in der Welt gerade eine Sondersendung? Niemand wusste es und keiner hatte eine Ahnung, wie lange wir noch diese Opferrolle zu spielen hatten. Eine Aufführung nur mit Opfern ohne Täter ist ziemlich unbefriedigend. Wer will so was denn sehen? Und dann immer wieder diese Fragen: Wie hatte es dazu kommen können? Wieso geschah nichts, um es zu verhindern? Wer hat es zu verantworten? Der Groll wuchs, aber so sehr man auch überlegte, es schien keinen Schuldigen zu geben, der dies alles zu verantworten hatte und der als Ventil hätte dienen können. Und so suchte man sich eben welche.

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