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In guten und in schlechten Zeiten
ОглавлениеWährend meiner Affäre mit Beatrice zog ich mich zurück. Ich ging nicht mehr jeden Abend in die Kneipe und war zeitweise auch für meine Freunde nicht mehr zu erreichen. Selbst wenn sie vor der Tür standen und klingelten, gab ich Beatrice und dem was wir miteinander taten immer den Vorzug. Die Zeit mit ihr war schwierig, aber sehr intensiv. Als dann Schluss war, kehrte ich sehr schnell zu den gewohnten Tagesabläufen zurück. Dazu gehörten die allabendlichen Besuche des Mes Amis, die Treffen mit der Clique und damit auch der Kontakt zu Maria.
Auch Maria hatte ich auf einer Feier kennengelernt. Sie war vollkommen anders als meine bisherigen Freundinnen und zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass sie mit mir stundenlange Gespräche führen konnte. Das war neu und vielleicht dem Alter geschuldet, denn sie war mit 22 drei Jahre älter als ich. Sie war lebenserfahrener und nicht so gut behütet. Ihre Eltern hatten sich getrennt und damit ihr Leben komplett umgekrempelt. Darüber war sie nicht sonderlich glücklich und fand in mir einen guten Zuhörer.
Es dauerte sicher noch eine ganze Weile, bis wir uns näherkamen, aber unser Weg führte uns unweigerlich zusammen. Ich schäme mich während ich das hier schreibe dafür, dass ich heute meine Empfindungen für Maria, anders als die zu anderen Freundinnen, nicht mehr hervorholen und reproduzieren kann. Die Zeit hat zwischen mir und ihr eine undurchdringliche Wand geschaffen. Ich bin emotional so weit von ihr entfernt, dass ich nicht mehr herleiten kann, warum ich diese Frau so sehr geliebt habe, dass ich alles für sie getan hätte. Ganz sicher aber ist, es war so. Sie war jung, hübsch und selbstbewusst, während an mir selbst Minderwertigkeitskomplexe nagten, die so stark waren, dass ich mich im Grunde bei jeder Frau, die sich mit mir abgab, fragte, was sie wohl an mir fand. Bei Maria spürte ich, dass sie sich, obgleich sie alles tat, um es zu verbergen, für mich interessierte. Bei mir selbst handelte es sich, das muss ich ehrlicherweise zugeben, ganz sicher nicht um Liebe auf den ersten Blick, aber je länger der Kontakt bestand, je näher ich ihr kam, desto mehr wuchs meine Zuneigung.
Irgendwie fanden wir zueinander, ohne dass jemals tatsächlich verabredet oder besprochen zu haben. Irgendwann waren wir auch ohne Alkohol in der Lage uns an die Hand zu nehmen. Irgendwann küssten wir uns, und irgendwann setzte ich sie abends oder morgens nicht einfach nur noch vor der Haustür ab, sondern begleitete sie in ihre Wohnung. Die Beziehung von Maria und Bono hatte begonnen und sollte über 20 Jahre andauern.
Unglücklicherweise haben wir schon nach kurzer Zeit ernsthafte Probleme miteinander bekommen. Als ich Maria kennenlernte, war sie jung und unter anderem, was für uns beide damals eine wichtige Rolle spielte, sexuell ziemlich aktiv, und alles hat wunderbar funktioniert. Anfangs! Eine gemeinsam verbrachte Nacht ohne Sex, gab es praktisch nicht. Ich weiß bis heute nicht, woran es gelegen hat, aber bereits nach ungefähr einem Jahr fror unser Sexualleben massiv ein. Woran ich mich jedoch sehr genau erinnere ist der Tag, an dem sie mich zum ersten Mal zurückwies und sagte: »Ich will heute nicht!«
Dem habe ich damals natürlich überhaupt keine Bedeutung beigemessen, weil wir diesbezüglich so rege unterwegs waren, dass es völlig egal war. Es war schließlich ein sehr anstrengender Tag, denn wir hatten mit Freunden eine lange Wanderung unternommen, und unser Weg führte uns um das gemeinschaftliche Bochumer und Blankensteiner Ruhrtal. Man nannte diese Strecke auch die Bochumer zwei Brücken Runde, und die umfasste, wenn ich mich richtig erinnere, eine Wegstrecke von rund 16 Kilometern. Es war Herbst, und ich hatte einen Flachmann gegen die Kälte in der Tasche. Der Schnaps hatte es in sich, und er machte uns nicht nur lustig, sondern auch müde. Das alles mag an diesem Tag einen Beitrag zu Marias Zurückweisung geleistet haben.
Aber… es sollte sich nicht mehr ändern. Von diesem Tag an, wies sie mich regelmäßig zurück, und unsere Schlagzahl ging gegen Null.
Das hatte dann natürlich doch etwas für mich zu bedeuten, denn schon nach dem ersten Jahr unseres ›Zusammengehens‹ erstarrte unser Sexualleben nahezu vollständig, und dieser Zustand wurde zu einer gewaltigen Belastung, die wir in den zwei kommenden Jahrzehnten nicht bewältigen würden.
Von da an war ich permanent in der Rolle eines Bittstellers, was zunächst nur für mich ein Riesenproblem war, weil ich Maria ganz sicher liebte und sie nicht über Gebühr bedrängen wollte. Ich ging davon aus, dass es nur eine vorübergehende Phase sei. Mein damals noch junger Trieb, ich war gerade mal 19 oder 20, und meine Bedürfnisse wurden nicht mehr befriedigt, und natürlich suchte ich nach Auswegen. Zu Beginn vertrieb ich das größte Leid, indem ich täglich masturbierte, aber nach einiger Zeit wurde aus meinem Wunsch nach körperlicher Zuwendung unheilbringende Gier, und auch wenn ich mir dreimal am Tag einen runterholte, kehrte sie immer nach kurzer Zeit wieder zurück. Mein Kopfkino, das mich seit meiner Kindheit nicht mehr unterhalten hatte, erfuhr eine Wiedergeburt. Anfangs zeigte es noch einen zärtlichen Softsexsender, aber später, als die Not ausreichend groß geworden war, lief permanent und nur noch das Pornoprogramm, und das änderte sich nie wieder. Der Begriff Notgeilheit erlangte durch mich eine neue Qualität, und so sehr ich mich auch darum bemühte, mich abzulenken und an andere Dinge zu denken, sie klammerte sich an mir fest. Sie verließ mich nur dann für eine kleine Weile, wenn es dann doch mal zur Erfüllung kam.
Natürlich ist es nicht so gewesen, dass wir die verbleibenden 18 oder 19 Jahre überhaupt nicht mehr zusammen geschlafen haben, aber zwischen zwei Akten lagen durchaus mehrere Wochen, manchmal auch Monate, und das war in unserem Alter einfach deutlich zu lang und insbesondere für mich unerträglich. Als meine Notgeilheit ins Unermessliche wuchs, schwappte das Problem zu ihr herüber.
Irgendwann begann ich doch Maria zu bedrängen und dass bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit. Mein Verlangen führte regelmäßig zu Auseinandersetzungen. Ich fühlte mich zurückgewiesen und in solchen Situationen am Ende auch ungeliebt. Sie dagegen fühlte sich in die Enge getrieben und warf mir vor, mir ginge es nur noch um Sex. Von Liebe oder von zärtlichem Kuscheln, aus dem sich der Sex ergeben könnte, war aus ihrer Sicht nichts mehr zu spüren, und so schob sie es irgendwann darauf, dass sie sich plump angemacht fühlte und dies bei ihr ›automatisch‹ zu einer Abwehrhaltung führte.
Ich also in der Situation des drängenden aber unromantischen Liebhabers, sie in der Rolle der Umworbenen, die sich der Schmach eines aus ihrer Sicht rein körperlich gesteuerten Liebesabenteuers nicht hingeben wollte und konnte. Es gab aus dieser Falle keinen Fluchtweg. Viele andere Männer hätten sich in so einer Situation um einen Ersatzpartner bemüht und wären schlicht und einfach irgendwann fremdgegangen. Entschuldigung, liebe Männer, das trifft sicherlich nicht auf jeden zu, aber ganz sicher auf die Mehrheit. Ich selbst zog das zuerst nicht in Betracht und habe das fast 15 Jahre lang tatsächlich auch nie getan. Nur der Pornokanal in meinem Kopf zeigte mich mit diversen anderen Gespielinnen und durchaus auch mit solchen, die Teil unseres realen Umfeldes waren. In der Vergangenheit hat es einige wenige Situationen gegeben, in denen ich glaubte, die Gunst der einen oder anderen Freundin zu verspüren. Auf irgendwelchen Feiern, natürlich unter dem Einfluss des unvermeidlichen Alkohols, hätte es von Fall zu Fall dazu kommen können, dass ich mich vergaß. Die Zuneigung, die ich zu spüren glaubte, existierte in wenigen Fällen tatsächlich, und so hätte es nur einer leisen Verabredung bedurft, um das Pornoprogramm in ein Liveprogramm zu verwandeln.
Ich aber wand mich immer im letzten Augenblick von der temporär Angebeteten ab. So sehr ich mich auch getrieben fühlte, ich wollte meiner Frau, wahrscheinlich anfangs aus Liebe, später auch aus Angst vor den Konsequenzen, nicht fremdgehen. In Gedanken bildete ich mit meinen Armen ein Kreuz und vertrieb damit die Versuchung.
Ein einziges Mal verlor ich die Contenance und stahl mich mit meiner alten Freundin Biggi hinaus in den Garten. Dort legten wir uns ins Gras und knutschen herum wie
Teenager, einfach so, ohne es zu verabreden oder auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken. Das Risiko war hoch, weil jeder, der uns, ob absichtlich oder nicht, in den Garten gefolgt wäre, uns sofort entdeckt hätte, denn wir hatten uns nicht die geringste Mühe gegeben, uns vor den Blicken anderer zu verbergen und lagen mitten auf der Wiese. Gott sei Dank geschah das nicht. Mehr als das Knutschen ist nicht passiert. Es ging mir nicht um Sex, sondern um das Gefühl der Zuneigung, dass mich und Biggi die ganzen Jahre verband. Ich habe mir bei ihr für einen kurzen Augenblick eine kleine Portion Liebe abgeholt, die sie mir bereitwillig gewährte.